Vorbehaltsnießbrauch

Vorbehaltsnießbrauch

Dr. Sebastian Matenaer, Steuerberater, Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz

Die Anwendung des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG setzt voraus, dass der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt.  Daran fehlt es, wenn die einzige wesentliche Betriebsgrundlage aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauchs vom bisherigen  Betriebsinhaber weiterhin gewerblich genutzt wird (Bestätigung von BFH v. 2.9.1992 –XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161, und v. 12.6.1996 –XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl. II 1996, 527 = DStR 1996, 1399; in Abgrenzung zur Rechtsprechung zur  Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, vgl. BFH v. 26.2.1987 – IV R 325/84, BFHE 150, 321, BStBl. II  1987, 772 = BeckRS 1987, 22007992, und v. 7.4.2016 – IV R 38/13, BFHE 253, 390, BStBl. II 2016, 765 = DStRE 2016, 968). Es ist insoweit unerheblich, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter Betrieb unter Vorbehaltsnießbrauch übertragen  wird.

   I.        Problemstellung

Der Bestellung von Nießbrauchsrechten an Einzelunternehmen und an Anteilen von Personengesellschaften kommt im  Rahmen der Beratungspraxis der vorweggenommenen Erbfolge von Familienunternehmen eine hohe Bedeutung zu. Auf diese Weise kann der Übertragende weiter Einfluss auf das Unternehmensgeschehen ausüben und an den Erträgen  partizipieren, während die Vermögenssubstanz bereits an die nachfolgende Generation übergeben wird. Auch für Zwecke der  Erbschaft- und Schenkungsteuer ist die Vereinbarung eines Nießbrauchs attraktiv, insbesondere wenn die Steuerbefreiung  für Betriebsvermögen nicht genutzt werden kann. Denn der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs kann von der  Bemessungsgrundlage des Übertragungsgegenstands abgezogen werden. Die Vereinbarung von Nießbrauchsrechten im Zusammenhang mit Betriebsvermögen ist aber ertragsteuerlich nur ohne Aufdeckung von stillen Reserven möglich, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllt werden. Im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen der steuerneutralen Übertragung bestand schon bisher aufgrund divergierender Rechtsprechung der Finanzgerichte Rechtsunsicherheit, sodass Übertragungen regelmäßig mit einer verbindlichen Auskunft abgesichertwerden mussten.

  II.        Problemstellung

Die Klägerin hatte ein bebautes Grundstück auf ihren Sohn unter Vorbehalt des Nießbrauchs übertragen. Im Gebäude  befanden sich eine Gaststätte sowie vermietete Wohnungen und Büros. Die Gaststätte wurde zunächst selbst zur Erzielung von gewerblichen Einkünften genutzt, später verpachtet und als sog. Betriebsverpachtung im Ganzen weiter als gewerblich behandelt. Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer  unentgeltlichen Betriebsübertragung nicht erfüllt waren. Der streitbefangene Vorgang wurde als Entnahmegewinn im Zuge einer Betriebsaufgabe behandelt. Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg.

   III.        Entscheidungsgründe

Zunächst stellte der BFH fest, dass trotz der Bestellung des Nießbrauchsrechts der Kläger wirtschaftlicher und rechtlicher Eigentümer des Grundstücks geworden ist. Sodann führte der BFH weiter aus, dass die Betriebsübertragung unentgeltlich erfolgte, da die Bestellung des Nießbrauchs keine Gegenleistung des Klägers als Erwerber darstellt. Insoweit hielt der BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Weiterhin könne auch ein ruhender, verpachteter und nicht aufgegebener Betrieb  Übertragungsgegenstand des § 6 Abs. 3 EStG sein. Nach Meinung des BFH setzte die Steuerneutralität der Übertragung allerdings voraus, dass der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt. Die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs erfordere, dass das Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang unter Aufrechterhaltung des geschäftlichen Organismus auf einen Erwerber übertragen wird. Dabei sei der Begriff des Betriebs nicht nur gegenstandsbezogen, sondern auch tätigkeitsbezogen zu verstehen.Im Übrigen könne die Rechtsprechung des IV.  Senats zum Vorbehaltsnießbrauch bei der unentgeltlichen Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nicht auf den Übergang eines Gewerbebetriebs übertragen werden. Außerdem sei es für die Frage der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 EStG auch unerheblich, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter und insofern ruhender Betrieb unter  Vorbehaltsnießbrauch übertragen wird. Im Ergebnis waren im Streitfall die  Voraussetzungen für eine steuerneutrale Übertragung des Verpachtungsbetriebs nicht erfüllt und die Übertragung des Betriebs stellte eine gewinnrealisierende Entnahme dar.

   IV.        Kontext der Entscheidung

Der Streitfall betrifft einen eher speziell gelagerten Fall der Betriebsverpachtung im Ganzen. Bei dieser wird dem  Steuerpflichtigen ein Wahlrecht nach § 16 Abs. 3b EStG zugestanden, den gewerblichen Betrieb fortzuführen (grundlegend BFH, Urteil vom 13.11.1963, GrS 1/63 S, BStBl. III 1964, 124), obwohl die Verpachtung eigentlich die Einstellung der  gewerblichen Tätigkeit bedeuten würde. Bei Ausübung des Wahlrechts entstehen zwei Gewerbebetriebe: der durch den Pächter fortgeführte ursprüngliche Betrieb und der in der Verpachtung des ursprünglichen Betriebes bestehende Betrieb des ehemaligen Unternehmers.
Daran anknüpfend hat der IV. Senat des BFH für land- und forstwirtschaftliche Betriebe  entschieden, dass bei Vereinbarung eines Nießbrauchs zwei Forstbetriebe entstehen, ein ruhender in der Hand des  nunmehrigen Eigentümers (und Nießbrauchsverpflichteten) und ein wirtschaftender in der Hand des   Nießbrauchsberechtigten und bisherigen Eigentümers (BFH, Urteil vom 25.1.1996, IV R 19/94, BFH/NV 1996, 600).  Insoweit ist es durchaus diskussionswürdig, ob ein Verpachtungsbetrieb, wie im vorliegenden Streitfall, nochmals auf zwei Betriebe aufgeteilt werden kann, da die gewerbliche Tätigkeit schon vor der Übertragung nur in der Verpachtung eines  Betriebes bestand. Andererseits hat der X. Senat in seinem Beschluss vom 26.7.2005 (X R 10/05, BFH/NV 2006, 2072) entschieden, dass trotz eines Zuwendungsnießbrauchs zugunsten der Ehefrau des Verstorbenen die   Tatbestandsvoraussetzungen einer unentgeltlichen Betriebsaufgabe gemäß § 7 Abs. 1 EStDV (heute § 6 Abs. 3 S. 1 EStG)  erfüllt sein können. Insoweit scheint es in der Rechtsprechung des BFH entscheidend darauf anzukommen, dass der  Gewerbetreibende die im Rahmen des übertragenen Betriebs ausgeübte gewerbliche Tätigkeit aufgibt (so auch schon BFH, Urteil vom 2.9.1992, XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161).
Der X. Senat scheint seine Rechtsprechungsgrundsätze auch auf  originär gewerblich tätige Betriebe übertragen zu wollen. Sollte dies zutreffend sein, könnten zukünftig ggf. noch   Übertragungen gegen Einräumung von Versorgungsleistungen im Sinne des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllen, wenn hierin aus Sicht des BFH keine Fortsetzung der gewerblichen Tätigkeit zu sehen wäre.  Alternativ könnte ggf. auch durch Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs die Einstellung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit erreicht werden. Allerdings wäre im Hinblick auf die Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs wiederrum die  Tatbestandsvoraussetzung der Unentgeltlichkeit stärker infrage zu stellen (so Wälzholz, DStR 2010, 1931). Mittelbar wird das Besprechungsurteil schließlich auch die Inanspruchnahme der Befreiungsvorschriften nach §§ 13a, 13b und 13c ErbStG  gefährden, weil § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG für den Betriebsbegriff auf § 15 EStG verweist.
Darüber hinaus ist für die  Beratungspraxis von großer Bedeutung, ob das Urteil des X. Senats auch auf die Zuwendung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt übertragbar ist. Bisher gingen sowohl die herrschende Meinung (Gratz/ Uhl-Ludäscher, in:  Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6 Rn. 1222 m.w.N.) als auch die Finanzverwaltung von Übertragungen mit der  Möglichkeit der Buchwertfortführung aus (BMF vom 13.1.1993, IV B 3 – S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Tz. 10 und 24).
Bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen können nach inzwischen ständiger und von der Finanzverwaltung  anerkannter (BMF vom 2.11.2012, BStBl. I 2012, 1101) BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 1.9.2011, II R 67/09, BStBl. II 2013, 210) sowohl der Nießbraucher als auch der Erwerber Mitunternehmer sein. Darüber hinaus ist auch bei einer   Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils nach § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG die Fortführung der Buchwerte  vorgesehen. Wird nur ein Teil eines Mitunternehmeranteils übertragen, kann der Übertragende seine gewerbliche Tätigkeit nicht gleichzeitig einstellen, sondern führt diese als Mitunternehmer weiter. Der Gesetzgeber schreibt daher im Hinblick auf Mitunternehmeranteile keine Beendigung der gewerblichen Tätigkeit vor, um die Voraussetzungen der Buchwertfortführung zu erfüllen.
Sollte der BFH, trotz der aufgezeigten Unterschiede bei der Zuwendung von Mitunternehmeranteilen, dennoch  eine Übertragung seiner Rechtsprechungsgrundsätze auf die Übergabe von Mitunternehmeranteilen vornehmen, könnte  über die Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs grundsätzlich die Mitunternehmerstellung des Übertragenden vermieden werden (Reiß, in: Kirchhof, EStG, 16. Auflage 2017, § 15 Rn. 201). Alternativ wäre, analog zur Übertragung von Betrieben,  eine Übertragung gegen Versorgungsleistungen denkbar, um eine Aufdeckung der stillen Reserven zu vermeiden.

   V. Praktische Bedeutung

Die Entscheidung führt zu einem hohen Risiko, dass bei der Übertragung von Betrieben unter Nießbrauchsvorbehalt die stillen Reserven aufgedeckt werden müssen. Zudem ist zu befürchten, dass die erbschaftsteuerlichen Befreiungsvorschriften nicht in Anspruch genommen werden können. Unklar bleibt, ob die Rechtsprechungsgrundsätze des Besprechungsurteils analog auch auf die Zuwendung von Mitunternehmeranteilen unter Bestellung von Nießbrauchsrechten anzuwenden sind. Im Ergebnis verbleiben daher nach dem Urteil des X. Senats erhebliche Unsicherheiten für den Rechtsanwender, die sich durch alternative Gestaltungen zwar reduzieren, aber nicht vermeiden lassen. Das Besprechungsurteil des X. Senats wird daher die Tendenz in der Beratungspraxis, Übertragungen unter Vereinbarung eines Nießbrauchs durch verbindliche Auskünfte abzusichern, weiter verstärken.

Steuerrecht

Bundesverfassungsgericht:

Anteiliger Untergang des steuerlichen Verlustvortrags einer verlustbehafteten Kapitalgesellschaft ist verfassungswidrig nach §8c Abs. 1 Satz 1 KStG

Andrea Seemann, Steuerberaterin, Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz

Die Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, wonach bei einer Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft die Verlustvorträge dieser Gesellschaft anteilig untergehen, ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies gilt für die Fassung des § 8c KStG für den Veranlagungszeitraum 2008 bis 2015. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2018 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 den Verlustabzug für Kapitalgesellschaften bei einer Anteilsübertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % neu zu regeln.

      I.        Tenor

  1. § 8c S. 1 KStG idF des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v. 14.8.2007 (BGBl. I 2007, 1912) sowie § 8c Abs. 1 S. 1 KStG idF des Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen v. 12.8.2008 (BGBl. I 2008, 1672) und in den nachfolgenden Fassungen bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.2016 (BGBl. I 2016, 2998) sind mit Art. 3 Abs. 1 des GG unvereinbar, soweit bei der unmittelbaren Übertragung innerhalb von fünf Jahren von mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals an einer Kapitalgesellschaft an einen Erwerber (schädlicher Beteiligungserwerb) die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind.
  2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 1.1.2008 eine Neuregelung zu treffen.
  3. Sollte der Gesetzgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommen, tritt am 1.1.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens die Nichtigkeit von § 8c S. 1 und § 8c Abs. 1 S. 1 KStG ein.

    II.        Sachverhalt

Die Klägerin war eine im Jahr 2006 gegründete Kapitalgesellschaft, an der die zwei Gründungsgesellschafter mit 52 % und 48 % beteiligt waren. Im Veranlagungszeitraum 2006 und 2007 erwirtschaftete die Klägerin Verluste. Zu Beginn des Jahres 2008 übertrug ein Gesellschafter seinen Anteil von 48 % an einen Dritten. Das Finanzamt kürzte daraufhin den Verlustvortrag um den prozentual auf diesen Gesellschafter entfallenden Anteil von 48 %. Im Klageverfahren beim Finanzgericht Hamburg berief sich die Klägerin auf die Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG. Das Finanzgericht Hamburg setzte daraufhin das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit zur Entscheidung vor.

   III.        Entscheidungsgründe

Das Bundesverfassungsgericht sieht durch die Regelung des § 8c KStG für die Übertragung von Anteilen von mehr als 25 % bis 50 % eine Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften beim Verlustabzug, die dem Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG widerspricht. Für eine verfassungsrechtlich zulässige Differenzierung müsse ein vernünftiger und sachgerechter Grund vorliegen. Der Gesetzgeber darf zwar bei der Ausgestaltung auch generalisierende und typisierende Regelungen treffen, ohne dass allein durch diese und die damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen wird. Allerdings müssen diese Verallgemeinerungen von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Auch ist die Bekämpfung von unerwünschten Steuergestaltungen, insbesondere des Handels mit vortragsfähigen Verlusten, ein legitimer Zweck, der grundsätzlich Ungleichbehandlungen i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen kann. Allerdings hat der Gesetzgeber vorliegend die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten, da die Rechtsfolge allein an die Übertragung eines Anteils von mehr als 25 % anknüpft. Der Erwerb einer solchen Beteiligung von mehr als 25 % allein indiziert nicht eine missbräuchliche Gestaltung, weil es für die Übertragung einer derartigen Beteiligung an einer Verlustgesellschaft vielfältige Gründe geben kann, die nicht regelmäßig in der Intention bestehen, die Verluste für ein anderes Unternehmen des neuen Anteilseigners nutzbar zu machen. Damit ist die Regelung des § 8c KStG – zumindest bis zur Einführung der Regelung des fortführungsgebundenen Verlusts gemäß § 8d KStG im Jahr 2016 – für den Fall der Übertragung von mehr als 25 % bis 50 % der Anteile verfassungswidrig.

  IV.        Praktische Bedeutung

Durch die Regelung des § 8c KStG wird bei verlustbehafteten Kapitalgesellschaften der Verlustvortrag bereits dann gefährdet, wenn eine Veränderung auf Anteilseignerebene stattfindet. Damit wirken sich Übertragungsvorgänge – selbst Schenkungen oder Übertragungen von Todes wegen – auf Gesellschafterebene auf die Besteuerung der Kapitalgesellschaft aus. Dies gilt unabhängig davon, ob der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft dabei verändert wird und die Änderung auf Gesellschafterebene auch zu einer anderen Nutzung des Verlustvortrags durch eine Anpassung des Geschäftsbetriebs führt. Das Bundesverfassungsgericht hat nun für die Jahre 2008 bis 2015 im Falle einer nicht mehrheitlichen Übertragung von Anteilen entschieden, dass § 8c KStG verfassungswidrig ist, und dem Gesetzgeber die Schaffung einer neuen Regelung auferlegt. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob das Gesetz auch in der derzeitigen Fassung unter Berücksichtigung des im Jahr 2016 eingeführten fortführungsgebundenen Verlusts gemäß § 8d KStG verfassungswidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht musste hierüber nicht entscheiden und hat dies ausdrücklich offengelassen. Es ist aber zumindest als zweifelhaft anzusehen, dass die Einführung des § 8d KStG die Verfassungswidrigkeit der Regelung heilt. Denn eine Fortführung des Verlustvortrages gemäß § 8d KStG kann nur auf Antrag und bei Fortführung des bisherigen Geschäftsbetriebs erfolgen. Beispielsweise sind der Erwerb eines Mitunternehmeranteils oder die Begründung einer Organschaft mit einer Tochtergesellschaft hierfür schon schädlich. Der Antrag gemäß § 8d KStG kann zudem nur einheitlich für den gesamten Verlustvortrag gestellt werden, was bei einem lediglich anteiligen Untergang des Verlustvortrags gemäß § 8c KStG zu einer Gefährdung des gesamten Verlustvortrags führen würde. Auch die Frage, ob bei einer mehrheitlichen Übertragung der Anteile (vor 2016) eine Verfassungswidrigkeit besteht, ließ das Bundesverfassungsgericht offen. Diesbezüglich ist ein Verfahren beim BFH unter Az. I R 31/11 anhängig.

Einkommensteuergesetz

Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft auf eine gemeinnützige Körperschaft

Andrea Seemann, Steuerberaterin

I. PRAKTISCHE BEDEUTUNG

Wird ein Mitunternehmeranteil unentgeltlich übertragen, kann dies grundsätzlich steuerneutral erfolgen. Bei einer unentgeltlichen Übertragung an eine gemeinnützige Körperschaft greifen die Regelungen zur Buchwertfortführung ein, wenn entweder ein Mitunternehmeranteil im Ganzen (§ 6 Abs. 3 EStG) oder wenn einzelne Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen entnommen und unentgeltlich an eine gemeinnützige Körperschaft übertragen werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG). Kommen diese Regelungen nicht zur Anwendung, erfolgt im Rahmen der Übertragung des Mitunternehmeranteils eine Besteuerung als Betriebsaufgabe gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG und eine Überführung der Wirtschaftsgüter des Mitunternehmeranteils in das steuerliche Privatvermögen. Mit Übertragung des Mitunternehmeranteils begründet die gemeinnützige Körperschaft einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, die Einkünfte aus dem Mitunternehmeranteil sind also dem steuerpflichtigen Bereich zuzuordnen. Besonderheiten gelten aber für den Fall der Übertragung von Anteilen an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, also einer Personengesellschaft, die lediglich vermögensverwaltend tätig ist und nur Kraft gewerblicher Prägung gewerbliche Einkünfte erzielt. Die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft stellt bei der gemeinnützigen Körperschaft keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar. Der BFH hat bereits mit Urteil vom 25.5.2011, Az. I R 60/10 entschieden, dass die Einkünfte vermittelt durch eine Beteiligung an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft bei einer gemeinnützigen Körperschaft der steuerfreien Vermögensverwaltung zuzurechnen sind1 und dies mit Urteil vom 18.2.2016, Az. V R 60/13 nochmals bestätigt. Das Finanzministerium Schleswig-Holstein hat nun unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Frage der Buchwertfortführung bei Übertragung von Anteilen an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft auf eine gemeinnützige Körperschaft Stellung genommen.

II. KURZINFORMATION DES FINANZMINISTERIUMS SCHLESWIG-HOLSTEIN

Das Finanzministerium Schleswig-Holstein führt aus, dass für die Übertragung von Anteilen an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft das Buchwertprivileg gemäß § 6 Abs. 3 EStG nicht anwendbar ist. Es fehlt insoweit an den betrieblichen Einkünften bei der übernehmenden gemeinnützigen Körperschaft. Die Aufdeckung der stillen Reserven in den von der Personengesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgütern kann damit nur gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG vermieden werden. Dieses Buchwertprivileg kann aber nur dann eingreifen wenn die Übertragung unentgeltlich erfolgt, also keine Verbindlichkeiten übergehen. Sind im Vermögen der Personengesellschaft auch Verbindlichkeiten enthalten, scheitert die Buchwertfortführung. Ob dies bei Mitübertragung von Verbindlichkeiten insgesamt oder nur insoweit gilt, also ob auch durch eine geringe Verbindlichkeit die gesamte Buchwertfortführung versagt werden muss, bleibt offen. Gleiches gilt für die Frage, ob vorstehende Grundsätze auch für die Übertragung von Anteilen an einer gewerblich infizierten Personengesellschaft, also einer teilweise gewerblich tätigen und teilweise vermögens verwaltenden Personengesellschaft gelten.

III. ERGÄNZENDE HINWEISE

Die Übertragung von Anteilen an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft auf eine gemeinnützige Körperschaft ist damit im Regelfall nicht unter Inanspruchnahme der Buchwertfortführung möglich. Die in dem Mitunternehmeranteil verhafteten stillen Reserven wären aufzudecken. Durch die Aufdeckung der stillen Reserven ergibt sich zwar ein höherer Spendenabzug, der die Ertragsteuerbelastung aber regelmäßig aufgrund der Höchstgrenzen des Spendenabzugs nur teilweise kompensieren kann. Daher ist zu empfehlen, für die Übertragung von Anteilen an einer Personengesellschaft auf gemeinnützige Körperschaften und Stiftungen eine verbindliche Auskunft einzuholen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Regelung des § 50i EStG.2 Zur Absicherung der steuerneutralen Übertragung von Anteilen an gewerblich geprägten und aus Vorsichtsgründen auch an gewerblich infizierten Personengesellschaften auf gemeinnützige Körperschaften sind zudem weitere Gestaltungsmaßnahmen möglich. Insbesondere kommt die Einbringung der Anteile an der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft in Betracht. Die Übertragung der Anteile an der zwischengeschalteten  Kapitalgesellschaft auf eine ge meinnützige Körperschaft wäre sodann ertragsteuerneutral möglich.

 

Rechtliche Notfallvorsorge

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung auf dem Prüfstand

Dr. Christian Klein-Wiele, Rechtsanwalt bei Hennerkes, Kirchdörfer und Lorz

I. Sachverhalt

Ein Beschluss des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung1 hat in der Praxis hohe Wellen geschlagen2. Der zugrunde liegende Sachverhalt führt plastisch die dramatischen Lebenssituationen vor Augen, für die Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen regelmäßig errichtet werden. Eine aufgrund eines Hirnschlags und nachfolgender epileptischer Anfälle dauerhaft hirngeschädigte und nicht mehr zur Kommunikation fähige Patientin hatte einer ihrer drei Töchter eine General- und Vorsorgevollmacht erteilt. Diese enthielt ausdrücklich auch die Befugnis zur Entscheidung über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen. Daneben hatte sie in einem privatschriftlich als „Patientenverfügung“ bezeichneten Schriftstück geäußert, dass sie, „solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Lebens besteht, […] ärztlichen und pflegerischen Beistand unter Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten“ erwarte. Hingegen wünsche sie, „dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist, […] dass aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt“. Zum Zeitpunkt des Richterspruchs war die Patientin bereits über fünf Jahre über eine Magensonde künstlich ernährt worden und hatte seit über drei Jahren die Fähigkeit zu verbaler Kommunikation verloren. Die bevollmächtigte Tochter und die Hausärztin der Patientin lehnten jedoch den Abbruch der Behandlung ab, weil sie übereinstimmend der Auffassung waren, dass dies entgegen dem Wortlaut der Patientenverfügung dem gegenwärtigen Willen der Patientin und Mutter widerspreche. Die beiden anderen Töchter der Patientin waren hingegen vom Gegenteil überzeugt und wollten der bevollmächtigten Tochter gerichtlich einen sogenannten Kontrollbetreuer zur Seite stellen. Dieser Kontrollbetreuer hätte sodann – so die Absicht der klagenden Töchter – dem (vermeintlichen) Wunsch der Patientin auf Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen Geltung verschaffen sollen. Man mag sich die dramatische familiäre Situation kaum vorstellen. Auf der einen Seite die bevollmächtigte Tochter, die durch die Bevollmächtigung nach außen, also gegenüber den behandelnden Klinikärzten, die Verantwortung trägt und ihre Mutter offenbar nicht „aufgeben“ möchte; auf der anderen Seite ihre beiden Schwestern, die durch den Kontrollbetreuer die „Abschaltung“ der Ernährungszufuhr durch die Magensonde erreichen wollen und damit im Ergebnis auf das „Sterbenlassen“ ihrer Mutter klagen. Allgemein ist hinsichtlich Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung zu bemerken: Die Vorsorgevollmacht ist insbesondere – aber nicht nur – im unternehmerischen Bereich unerlässlich. Sie sichert dem Vollmachtgeber, dass er durch eine Person seines Vertrauens in allen gesetzlich zulässigen Angelegenheiten vertreten wird, wenn er selbst alters-, unfall- oder krankheitsbedingt dazu nicht mehr in der Lage ist. Zugleich verhindert eine wirksame Bevollmächtigung zumeist, dass ein nicht persönlich ausgewählter, sondern gerichtlich bestellter Betreuer über das eigene Schicksal bestimmt. Möglich ist hierbei die Trennung zwischen persönlichen Angelegenheiten und Vermögensangelegenheiten. Der Vollmachtgeber kann also die beiden Bereiche in getrennte Hände geben. Er kann auch mehrere Bevollmächtigte einsetzen, die ihn entweder einzeln oder nur gemeinsam vertreten dürfen. Die Patientenverfügung hingegen beinhaltet Anordnungen des Verfügenden im Hinblick auf die in bestimmten Notfällen gewünschte medizinische Behandlung. Sie bringt also insbesondere Wünsche des Betroffenen in „ausweglosen“ Situationen bezüglich Maßnahmen zur Rettung, Behandlung oder Pflege zum Ausdruck, wie z.B. Wiederbelebungsmaßnahmen, Umfang der künstlichen Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen und Besuchsrecht für die Angehörigen. Adressaten der Patientenverfügung sind daher vor allem die Angehörigen und behandelnden Ärzte. Ob die Wünsche und Vorstellungen im Vorhinein rechtlich bindend festgelegt werden, sollte gut überlegt sein und bedarf einer persönlichen Entscheidung. Für die Angehörigen ist zumindest eine Leitlinie zumeist entlastend, da sie sich dann am schriftlich niedergelegten Willen des nahen Angehörigen orientieren können. Andererseits ändern sich typischerweise die Vorstellungen über die Behandlungswünsche im Laufe des Lebens, sodass bei Errichtung einer rechtlich bindenden Patientenverfügung wiederkehrend und regelmäßig überprüft werden sollte (Empfehlung: mindestens alle zwei Jahre), ob die darin enthaltenen Vorgaben die eigenen Wünsche noch decken und dem medizinischen Fortschritt entsprechen. Der Bundesgerichtshof hatte in der vorstehenden Konstellation im Schwerpunkt zwei Fragen zu klären: Zum einen war die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht zu prüfen. Dabei ging es um die Frage, ob die bevollmächtigte Tochter gegenüber den behandelnden Klinikärzten über die Aufrechterhaltung der lebensverlängernden Maßnahmen für ihre Mutter überhaupt rechtlich bindend entscheiden durfte. Zweitens kam im vorliegenden Fall dem Inhalt und der Wirksamkeit der Patientenverfügung eine eminente Bedeutung zu. Wenn die Tochter als (wirksam) Bevollmächtigte nämlich dem in einer wirksamen Patientenverfügung niedergelegten Willen nicht Ausdruck und Geltung verschafft hätte, hätte der Bundesgerichtshof der bevollmächtigten Tochter einen Kontrollbetreuer zur Seite gestellt, der den Willen der Patientin – sprich: aus Sicht der anderen beiden Töchter den Abbruch der Behandlung – durch einen Widerruf der Vorsorgevollmacht durchgesetzt hätte. Im Kern lässt sich sowohl für die Vorsorgevollmacht als auch für die Patientenverfügung der vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Fall rechtlich auf eine wesentliche Fragestellung reduzieren: Wie konkret muss ein (zunächst gesunder) Mensch Bevollmächtigungen und Handlungsanweisungen für potentiell lebensbedrohliche Situationen durchdacht, reflektiert und in formellen Dokumenten niedergelegt haben? Anders gewendet: Welcher Abstrahierungsgrad reicht in diesen persönlich so schwierigen Fragestellungen rechtlich aus, dass sichergestellt ist, dass das vom Patienten in der Vergangenheit schriftlich oder notariell Erklärte auch das in der späteren Situation tatsächlich Gewollte darstellt?

II. Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht

Der Gesetzgeber hat für Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung unterschiedliche Leitlinien vorgegeben. Im Hinblick auf die Vorsorgevollmacht bestimmt § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB, dass der Vorsorgebevollmächtigte in lebensgefährdende Maßnahmen nur dann einwilligen, nicht einwilligen oder die vom zuvor noch einwilligungsfähigen Patienten erklärte Einwilligung widerrufen kann, wenn die Vollmacht erstens schriftlich erteilt ist und zweitens diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Ein kurzes Wort zur Schriftlichkeit: Zumindest die Vorsorgevollmacht sollte notariell beurkundet werden, da ansonsten wichtige Regelungsbereiche wie z.B. der Bank- und der Grundstücksverkehr erheblich erschwert oder von der Vollmacht gar nicht formwirksam erfasst sind. Generell sollen die erhöhten Form- und inhaltlichen Anforderungen dem Vollmachtgeber die durch die Bevollmächtigung möglichen späteren Konsequenzen für seine Gesundheit und sein Leben vor Augen führen. Wie konkret genau der Vollmachtgeber das „Aus-der-Hand-Geben“ seiner höchstpersönlichen gesundheitlichen Entscheidungsbefugnis nach außen umschreiben muss, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Der Bundesgerichtshof hat nun einerseits entschieden, dass der Wortlaut des Gesetzes nicht wiederholt werden muss. Vielmehr genüge eine hinreichend klare Umschreibung, aus der erkennbar ist, dass das Handeln des Vorsorgebevollmächtigten Maßnahmen umfasst, die potentiell lebensgefährlich sind oder schwere gesundheitliche Schäden für den Patienten nach sich ziehen können. Andererseits reiche ein bloßer Verweis auf die gesetzlichen Vorschriften nicht aus, weil in diesem Fall nicht klar sei, ob der Bevollmächtigende diese tatsächlich gelesen und sich inhaltlich mit der damit verbundenen Lebensgefahr auseinandergesetzt habe. In der Praxis dürfte daher eine ausführliche Regelung unter Übernahme des Gesetzeswortlauts das Mittel der Wahl bleiben.

III. Wirksamkeit der Patientenverfügung

Während die soeben zitierten Kernaussagen des Bundesgerichtshofs zur Vorsorgevollmacht wenig Überraschendes boten, ist der Beschluss hinsichtlich der Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung Gegenstand einer kontroversen Debatte. Zugespitzt kommentierte der Rechtsanwalt der beiden nicht bevollmächtigten Töchter, Wolfgang Putz, in einem Interview: „Der BGH hat hunderttausende Patientenverfügungen zunichte gemacht. […] Eine fatale Fehlentscheidung.“4 Doch was sagt das Gesetz? Der Wortlaut von § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB erfordert, dass in einer Patientenverfügung eine Einwilligung in oder eine Untersagung von bestimmten, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen enthalten muss. Daraus folgert der Bundesgerichtshof, dass in einer Patientenverfügung grundsätzlich festgelegt werden muss, welche konkreten Maßnahmen in einer bestimmten Situation durchgeführt bzw. nicht durchgeführt werden sollen. Beschrieben werden muss also jeweils zum einen die Situation, in der die Patientenverfügung gelten soll, und zum anderen eine dieser Situation zugeschriebene Handlungsanweisung. Die Patientin hätte daher für den Fall der irreparablen Schädigung ihres Gehirns die Einstellung der künstlichen Ernährung als konkrete Maßnahme benennen müssen. Eine allgemeine Formulierung wie das „Unterbleiben lebensverlängernder Maßnahmen“ hat der Bundesgerichtshof hingegen nicht ausreichen lassen. Insbesondere dann, wenn sich der Patient noch bester Gesundheit erfreut, ist die konkrete Beschreibung sämtlicher lebensbedrohlicher Situationen und der für sie geltenden Handlungsanweisungen ein sehr schwieriges Unterfangen. Deshalb waren in der Vergangenheit auch zahlreiche Muster-Patientenverfügungen eher abstrakt gehalten. Dies galt auch im vom BGH entschiedenen Fall, dem ein Muster der evangelischen Kirche zugrunde lag. Da ein Laie nur schwer alle denkbaren pathologischen Zustände und Behandlungsmethoden kennen und benennen kann, mag man mit Wolfgang Putz davor warnen, dass eine Patientenverfügung auf diese Art zum „Medizinlexikon“ zu werden droht. Als Beispiel kann man die künstliche Beatmung anführen, die nicht nur durch ein Beatmungsgerät („maschinell“), sondern vielmehr auch durch Masken oder Überdruck erfolgen kann. Müssen also auch diese unterschiedlichen Behandlungsmodalitäten tatsächlich alle aufgeführt werden? Die Thematik wird noch dadurch verschärft, dass unvorhergesehene Ereignisse wie andere Krankheiten oder Unfälle dazwischen treten können. Es ist geradezu typisch, dass das Leben des Patienten nicht durch die ursprüngliche Erkrankung, sondern durch ein weiteres „Akutereignis“ wie z.B. eine Lungenentzündung bedroht ist. Auf der anderen Seite besteht bei pauschal formulierten „Patientenverfügungen“ das Problem, dass dadurch möglicherweise Fälle existieren, in denen die Verfügung entweder dem eigentlichen Willen des Patienten in der Situation nicht gerecht wird oder unklar ist, ob die konkrete Situation, in der es um Leben und Tod geht, auch tatsächlich von der Patientenverfügung erfasst sein soll5. Vor dem Hintergrund dieses Spannungsfelds hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss die abstrakte Formulierung („Unterbleiben lebensverlängernder Maßnahmen“) nicht ausreichen lassen, weil er das Risiko für Betreuer und Vorsorgebevollmächtigten, dass sie die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation auf Basis der pauschalen Festlegung falsch beurteilen, als besonders hoch eingeschätzt hat. In der Folge hat der Bundesgerichtshof an die genaue Beschreibung bestimmter, zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehender Untersuchungen des Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztlicher Eingriffe hohe Anforderungen angelegt. Da die Patientenverfügung in den Augen der Richter diesen Anforderungen nicht genügte und daher rechtlich keine Bindungswirkung entfaltete, geht der jahrelange Rechtsstreit weiter. Der Bundesgerichtshof verwies die Sache nämlich an die Vor instanz zurück, sodass das Landgericht Mosbach nun unter Berücksichtigung zahlreicher Dokumente – darunter auch der Patientenverfügung – und Zeugen den tatsächlichen Willen der Patientin klären soll.

IV. PRAKTISCHE BEDEUTUNG

Welche Schlussfolgerungen aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs zu ziehen sind, ist fast so schwierig zu beurteilen wie die der Entscheidung zugrunde liegende Lebenssituation. Einerseits weist auch der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf hin, dass eine gesunde Person weder ihre zukünftige Patientenbiografie noch die medizinischen Möglichkeiten vollständig überblicken kann, sodass er die Anforderungen an eine Patientenverfügung nicht „überspannen“ möchte. Wichtig sei jedoch, dass „gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituatio nen“ die erforderliche Konkretisierung in der Verfügung vorgenommen werde. Notwendig, dann aber auch ausreichend sollte es daher sein, mittels  eines breiten Spektrums  an konkreten Konstellationen beispielhaft zu erläutern, welche Maßnahmen in welcher Konstellation gewollt sind und welche nicht6. Im Zweifelsfall reicht eine juristische Beratung hierfür alleine nicht aus. Vielmehr sollten die Entscheidungssituationen, die in der Patientenverfügung geregelt werden sollen, auch mit dem Hausarzt besprochen werden. Durch die Entscheidung wurde jedenfalls deutlich, dass zahlreiche in der Vergangenheit erstellte Patientenverfügungen den Anforderungen des Gesetzes nicht genügen dürften. Im Zweifelsfall sollte daher jeder, der eine Patientenverfügung errichtet hat oder eine solche errichten möchte, diese von einem versierten rechtlichen Berater überprüfen lassen.

Erbrecht

Nachweis des Erbrechts gegenüber dem Kreditinstitut durch eigenhändiges Testament

Dr. Sebastian von Thunen, Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz, Stuttgart

I. SACHVERHALT

Die Kläger sind die Söhne der im August 2013 verstorbenen Erblasserin. Diese hatte mit ihrem im Jahr 2001 verstorbenen Ehemann, dem Vater der Kläger, ein handschriftliches Testament errichtet, in dem beide sich gegenseitig zu Erben einsetzen. Nach dem Ableben des Letzten von ihnen sollte „das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Vermögen auf unsere beiden aus unserer ehelichen Verbindung geborenen Kinder“ übergehen. Das Testament wurde nach dem Tod des Vaters der Kläger eröffnet und der beklagten Sparkasse vorgelegt. Nach dem Tod der Mutter wurde es vom zuständigen Nachlassgericht erneut eröffnet. Die Sparkasse lehnte nach dem Tod der Mutter unter Vorlage einer beglaubigten Abschrift des Testaments und des Eröffnungsprotokolls des Nachlassgerichts die geforderte Freigabe der Konten ab und verlangte hierfür, dass ein Gericht bestätige, dass in dem Testament die Kläger als Erben genannt seien. Daraufhin erwirkten die Kläger einen gemeinschaftlichen Erbschein. Die Erstattung der dafür verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 1.770,00 Euro forderten sie von der Sparkasse.

II. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Der BGH hält zunächst fest, dass mangels gesetzlicher Sonderregelung der Erbe nicht verpflichtet ist, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern die Möglichkeit hat, diesen Nachweis auch in anderer Form zu erbringen. Dazu gehörten neben dem öffentlichen (notariell beurkundeten) Testament auch das eigenhändige Testament oder, im Falle gesetzlicher Erbfolge, Urkunden, aus denen sich diese ergibt Die Bank könne bei einem eigenhändigen Testament auch nicht regelmäßig auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen. Diese habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, in den Genuss der Rechtswirkungen der §§ 2366, 2367 BGB (Gutglaubensvorschriften) zu kommen, um so der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu entgehen.

Daraus folge aber nicht, dass bei einem eigenhändigen Testament einschränkungslos oder auch nur im Regelfall ein Erbschein verlangt werden könne. Ein schutzwürdiges Interesse daran bestehe in eindeutigen Fällen nicht. So bestehe insbesondere beim eröffneten öffentlichen Testament auch im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber eine widerleg bare Vermutung zum Nachweis der Erbfolge.

Dem eigenhändigen Testament könne im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber zwar eine solche Vermutungswirkung zum Nachweis der Erbfolge nicht beigelegt werden. Es sei aber eine Frage des Einzelfalls, ob ein eigenhändiges Testament mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit die Erbfolge nachweist. Abstrakte Zweifel des Kreditinstituts diesbezüglich genügten jedoch nicht. Nur bei konkreten und begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der durch das eigenhändige Testament belegten Erbfolge sei das Kreditinstitut berechtigt, ergänzende Erklärungen der Beteiligten einzuholen oder sich weitere Unterlagen, wie z.B. das Familienstammbuch oder einen Erbschein, vorlegen zu lassen. Im vorliegenden Testament seien die Erklärungen eindeutig als Erbeinsetzung der Kläger (und insbesondere nicht als Vermächtnis) auszulegen.

Die Forderung der Vorlage eines Erbscheins sei somit im Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunde vertragswidrig und löse deshalb einen Schadensersatzanspruch in Höhe der Erbscheinkosten aus.

III. PRAKTISCHE BEDEUTUNG

Vielfach werden Testamente eigenhändig handschriftlich errichtet. Beweggrund hierfür ist nicht nur die – gerade bei unternehmerischen Vermögen – u.U. erhebliche Kostenersparnis einer notariellen Beurkundung, sondern auch die Erwägung, dass letztwillige Verfügungen stets der sich wandelnden persönlichen Lebenssituation angepasst werden müssen. Dann erlaubt eine handschriftliche Testamentserrichtung ein rasches und umstandsloses Vorgehen.

Während das (beurkundete) öffentliche Testament aber dem Erben insofern eine stärkere Stellung im Verhältnis namentlich zur Bank des Erblassers einräumt, als ihm nach der Rechtsprechung eine widerlegbare Vermutung zum Nachweis der Erbfolge beizumessen ist, kommt es nach dem vorliegenden Urteil bei eigenhändigen Testamenten auf die Auslegung im Einzelfall an, ob das Testament die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist.

Das bedeutet für Erblasser und ihre Erben, dass letztwillige Verfügungen in einem eigenhändigen Testament gerade auch dann besonders klar und rechtlich unzweideutig formuliert werden sollten, wenn die Beantragung eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts gegenüber Kreditinstituten vermieden werden soll. Parallel ist es sinnvoll, dass der Erblasser zu Lebzeiten über den Tod hinaus wirkende Vollmachten − gerade auch speziell gegenüber den kontoführenden Kreditinstituten − an die Erben erteilt. Diese können dann ungeachtet des Erbnachweises über die ererbten Konten verfügen.

Insgesamt ist zu beobachten, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit des Erbscheins als Erbnachweis gegenüber Kreditinstituten weiter ausweitet (s. bereits die Urteile BGH ZIP 2005, 1588 und ZIP 2013, 2194), was für die Erblasser und Erben in unproblematischen Fällen eine gute Nachricht ist. Allerdings sind hiermit auch gewisse Gefahren für Erblasser, Erben und den Rechtsverkehr verbunden. Ist beispielsweise ein zeitlich später errichtetes Testament als das der Bank vorgelegte vorhanden, besteht, abgesehen von den allgemeinen Gutglaubensvorschriften, kein Schutz für den Rechtsverkehr. Ein Kreditinstitut, das ein privatschriftliches Testament samt Eröffnungsniederschrift nach dem vorstehenden Urteil als Erbnachweis akzeptieren muss, kann umgekehrt kaum von den (wahren) Erben in Regress genommen werden, wenn sich später ein davon abweichendes Erbrecht herausstellt.

 

 

Erbrecht

Digitaler Nachlass – Vererbbarkeit von Benutzerkonten in sozialen Netzwerken

Dr. Sebastian von Thunen, Rechtsanwalt

I. Sachverhalt

Die minderjährige Erblasserin E. registrierte sich 2011 im Alter von 14 Jahren bei dem sozialen Internet-Netzwerk Facebook. 2012 verunglückte E. unter bisher ungeklärten Umständen tödlich. Sie wurde von ihren sorgeberechtigten Eltern beerbt, die hofften, über das Benutzerkonto (Account) von E. etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod um ein Suizid handelte. Dies war jedoch nicht möglich, da Facebook das Benutzerkonto nach Erhalt der Todesnachricht durch einen anderen Nutzer in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte. Dieser bewirkte, dass ein Zugang zum Benutzerkonto auch bei Eingabe der regulären Zugangsdaten nicht mehr möglich war. Bei Eingabe der Zugangsdaten erschien lediglich der Hinweis auf den Gedenkzustand. Damit war für die Eltern jeglicher Zugriff auf die sie interessierenden Daten gesperrt. Die Mutter von E. begehrte nun von der Betreibergesellschaft Facebook Ireland Ltd. Zugang zum Benutzerkonto ihrer Tochter.

II. Entscheidungsgründe

Das Gericht schließt sich der wohl herrschenden Meinung in der Literatur an, dass auch die höchstpersönlichen Daten im digitalen Nachlass des Erblassers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB als Bestandteil des zwischen ihm und dem jeweiligen Anbieter, hier Facebook, bestehenden Vertragsverhältnisses auf die Erben übergehen. Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, nach der nur die vermögensrechtlichen Teile des digitalen Nachlasses, nicht hingegen die nicht vermögensrechtlichen vererblich sein sollen, lehnt das Gericht ab, weil eine eindeutige Bestimmung des vermögensrechtlichen Charakters eines Teils des digitalen Nachlasses praktisch nicht möglich sei. Eine unterschiedliche Behandlung des digitalen und des „analogen“ Nachlasses sei außerdem nicht zu rechtfertigen; die Situation entspreche wertungs mäßig vielmehr derjenigen bei Briefen und Tagebüchern, die anerkanntermaßen vererblich sind.

Die von Facebook vertretene Anwendbarkeit irischen Datenschutzrechts lehnt das Gericht ab, lässt sie aber letztlich dahinstehen, weil auch dieses dem Zugriff der Eltern auf das Benutzerkonto jedenfalls nicht entgegenstünde. Im Übrigen stünden weder Vorschriften des deutschen Datenschutzrechts noch Persönlichkeitsrechte Dritter oder höchstpersönliche Rechte der E. dem Zugriff der Eltern als Erben auf das Benutzerkonto entgegen. Insbesondere eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts von E. verneinte das Gericht mit dem Argument, dass Erben hier die sorgeberechtigten Eltern der minderjährigen E. waren, die als solche zugleich bereits zu deren Lebzeiten Sachwalter des Persönlichkeitsrechts ihres minderjährigen Kindes gewesen seien. Wenn der Zugriff zu Lebzeiten den Sorgeberechtigten der E. möglich gewesen sei, könne im Zugriffsrecht auf die Daten nach deren Tod keine  Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts liegen. Dem Zugriff der Eltern auf das Benutzerkonto stehe schließlich auch nicht die sogenannte Gedenkzustandsrichtlinie des Anbieters entgegen, weil in deren Regelungen, die den Zugriff auf das Benutzerkonto „sperren“, eine in derartigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 307 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB unangemessene Benachteiligung des Nutzers und seiner Erben liege.

III. Bewertung und praktische Bedeutung

Die Diskussion um den sogenannten digitalen Nachlass ist in vollem Gange. Mit dem Urteil des LG Berlin liegt nun auch eine erste Gerichtsentscheidung dazu vor, die allerdings nicht rechtskräftig ist. Die Berufung ist beim Kammergericht Berlin anhängig (Az. 21 U 9/16). Zu Recht verneint das Landgericht die von Teilen der Fachliteratur vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einem vermögensrechtlichen, deshalb vererbbaren, und einem nicht vermögensrechtlichen, deshalb nicht vererbbaren, Teil des digitalen Nachlasses, die praktisch kaum rechtsicher durchzuführen wäre und im Widerspruch zu sonstigen erbrechtlichen Wertungen, etwa zur Vererbbarkeit von Tagebüchern und persönlichen Briefen, stünde. Gut begründet ist auch die Unzulässigkeit der Regelungen der sogenannten Gedenkzustandsrichtlinie in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook.
Entscheidend für die rechtliche Behandlung des digitalen Nachlasses dürfte das postmortale Persönlichkeitsrecht werden. Es gehört als solches nicht zum Nachlass, vielmehr sind die nächsten Angehörigen lediglich berechtigt, Angriffe auf die Würde des Verstorbenen abzuwehren. Deshalb ist das Urteil des Landgerichts Berlin auf den digitalen Nachlass volljähriger Erblasser nur eingeschränkt übertragbar. Im vorliegenden Fall konnte das Gericht ausdrücklich offenlassen, ob der Zugriff auf das Benutzerkonto durch die Erben das Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen verletzen kann, weil vorliegend die klagende Erbin als Mutter zugleich berechtigt war, das postmortale Persönlichkeitsrecht ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter wahrzunehmen. Fälle, in denen die Erben nicht identisch sind mit den Wahrnehmungsberechtigten des postmortalen Persönlichkeitsrechts, sind unter Umständen anders zu entscheiden.

Facebook erlaubt es seinen Nutzern neuerdings, einen sogenannten Nachlasskontakt zu benennen, der bestimmte Inhalte des Benutzerkontos herunterladen kann, individuelle Kommunikation des Verstorbenen jedoch nicht. Diese will Facebook aber bei Nachweis eines „gültigen Testaments oder eines  eindeutigen Einverständnisses“ herausgeben. Auch vor diesem Hintergrund empfehlen sich somit eindeutige Regelungen zum digitalen Nachlass in einer postmortalen Handlungsvollmacht und/oder in letztwilligen Verfügungen. Allerdings  existieren keine Erfahrungswerte, ob die Betreiber sozialer Netzwerke den Berechtigten den Zugriff aufgrund derartiger Regelungen tatsächlich gewähren. Grundsätzlich besteht für die Nutzer die pragmatische Möglichkeit, ihren Hinterblie benen den Datenzugriff zu ermöglichen, indem sie diesen ihre Zugangsdaten zugänglich machen, womit sie sich aber in der Regel gegenüber ihrem Vertragspartner, dem sozialen Netzwerk, vertragswidrig (und möglicherweise auch Persönlichkeitsrechte Drit ter beeinträchtigend) verhalten. Die praktischen Konsequenzen eines solchen Verstoßes dürften gering sein. Im vorliegenden Fall verhinderte jedoch der zwischenzeitig aktivierte „Gedenkzustand“ auch bei Eingabe der regulären Zugangsdaten jeglichen Zugang zum Benutzerkonto bei Facebook.

Insgesamt ist die Diskussion um den digitalen Nachlass insbesondere im Hinblick auf Persönlichkeitsrechte Dritter, deren Korrespondenz mit dem Verstorbenen mitbetroffen ist, sowie die AGB-rechtliche Zulässigkeit eines Totalausschlusses der Erben, die vor allem im wirtschaftlichen Interesse des Betreibers an der Vermeidung von Arbeitsaufwand für Einzelfallprüfungen der Berechtigungsnachweise von Erben liegt, noch längst nicht beendet.

Steuerrecht

Keine Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 3 Nr. 3 GrEStG für Anteilsvereinigung durch Erwerb von Gesellschaftsanteilen im Rahmen einer Erbauseinandersetzung

Dr. Bertram Layer, Steuerberater

I. Problemstellung

Befinden sich in einem Nachlass, den sich mehrere Miterben teilen, Grundstücke und weiteres Vermögen und setzen sich die Miterben im Zuge der Nachlassteilung in der Weise auseinander, dass ein Miterbe die Grundstücke übernimmt, die anderen Miterben das übrige Vermögen, so erleichtert die Vorschrift des § 3 Nr. 3 GrEStG die Nachlassteilung dadurch, dass die Grundstücksübertragung von der Erbengemeinschaft auf den einen Miterben nicht nur im Verhältnis seiner Erbquote, sondern vollständig von der Grunderwerbsteuer befreit wird.

Gehört zum Nachlass aber eine grundbesitzende Personen- oder Kapitalgesellschaft und führt die Erbauseinandersetzung dazu, dass sich bei einem Miterben alle Anteile an der grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft vereinigen, so stellt diese Anteilsvereinigung ebenfalls einen grundsätzlich nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang dar. Es stellt sich die Frage, ob auch dieser grunderwerbsteuerbare Vorgang nach § 3 Nr. 3 Satz 1 GrEStG steuerbefreit sein kann. Mit dieser Frage hat sich der BFH in dem hier kommentierten Urteil vom 25.11.2015 auseinandergesetzt.

II. Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (KL) und seine Schwester (S) waren je zur Hälfte Miterben ihrer Ende 2000 verstorbenen Mutter (M). Zum Nachlass der M gehörten u.a. ein Kommanditanteil von 50 % an der A-KG und ihrer Komplementär-GmbH (A-GmbH & Co. KG). Die A-GmbH & Co. KG ist mit 90 % an der grundbesitzenden G- GmbH beteiligt; die weiteren Geschäftsanteile von 10 % hält KL. Im Zuge der notariell beurkundeten Erbauseinandersetzungsvereinbarung vom 8.6.2001 wurde zwischen den Erben vereinbart, dass KL die Gesellschaftsbeteiligung und S im Wesentlichen den restlichen Nachlass erhält.

Die Ausgangssituation vor Erbauseinandersetzung und die rechtliche Situation nach erfolgter Erbauseinandersetzung sind in den Abbildungen auf Seite 70 im Überblick dargestellt.

 III. Entscheidungsgründe

 Zunächst hatte der BFH zu entscheiden, ob im Streitfall die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG (Anteilsvereinigung) erfüllt sind. Der Kläger hat aufgrund der Erbauseinandersetzungsvereinbarung die restlichen Anteile an der A-GmbH & Co. KG erhalten mit der Folge, dass er alleiniger Gesellschafter der A-GmbH & Co. KG geworden ist. Damit ist ihm auch die Beteiligung der grundbesitzenden G-GmbH in vollem Umfang zuzurechnen. Der BFH führt aus, dass der Kläger durch seine unmittelbare Beteiligung von 10 % und seine mittelbare Beteiligung über die A-GmbH & Co. KG zu 90 % an der G-GmbH beteiligt ist und somit mit dem Abschluss des Erbauseinandersetzungsvertrags alle Anteile an der G-GmbH in seiner Hand vereinigt werden. Somit liegt nach Auffassung des BFH ein nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuerbarer Erwerbsvorgang vor.

Der BFH erläutert in diesem Zusammenhang die Bedeutung des in § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG geregelten Tatbestands der Anteilsvereinigung. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass demjenigen, der mindestens 95 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft in seiner Hand vereinigt, eine dem zivilrechtlichen Eigentum an einem Grundstück vergleichbare Rechtszuständigkeit an dem Gesellschaftsgrundstück zuwächst. Dies gilt nach Auffassung des BFH auch für den hier vorliegenden Erwerb einer mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzenden Gesellschaft (hier der G-GmbH), wenn die Beteiligungsquote von 95 % auf jeder Beteiligungsstufe erreicht wird.

Sodann führt der BFH aus, dass der aufgrund der Anteilsvereinigung fingierte Grundstückserwerb des Klägers von der G-GmbH nicht nach § 3 Nr. 3 GrEStG steuerbefreit ist. Der BFH beruft sich hierbei auf den Wortlaut des § 3 Nr. 3 Satz 1 GrEStG, nach dem von der Besteuerung der Erwerb eines zum Nachlass gehörigen Grundstücks durch Miterben zur Teilung des Nachlasses ausgenommen ist. Für die Steuerbefreiung ist nach Auffassung des BFH an dem fiktiven Erwerb des Grundstücks von der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft anzuknüpfen. Der Kläger erwirbt danach zwar im Rahmen der Erbauseinandersetzung bedingt durch die Anteilsvereinigung fiktiv ein Grundstück. Dieses Grundstück gehört aber nicht zum Nachlass, sondern es befindet sich im Vermögen der G-GmbH. Nach Auffassung des BFH liegt somit grunderwerbsteuerlich kein Erwerb von der Erbengemeinschaft, sondern ein (fiktiver) Erwerb von der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft vor. Auch zivilrechtlich ist nach Auffassung des BFH kein Grundstückserwerb, sondern ein Anteilserwerb gegeben.

Sodann führt der BFH aus, dass auch die Rechtsprechung zur Anwendung der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG nicht auf die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 3 Satz 1 GrEStG übertragbar ist. Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG greift nach der Rechtsprechung des BFH auch in Fällen, in denen durch die schenkweise Übertragung des Anteils an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft der Tatbestand einer Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt wird. Der BFH begründet die unterschiedliche Behandlung einer Anteilsvereinigung auf Basis einer Erbauseinandersetzung und einer schenkweisen Anteilsübertragung bezüglich der Befreiung von der Grunderwerbsteuer damit, dass § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG den Zweck habe, die doppelte Belastung eines Lebensvorgangs (hier der schenkweisen Anteilsübertragung) mit Grunderwerbsteuer und Schenkungsteuer zu vermeiden. Um diesem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen, ist nach Auffassung des BFH die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG bei einer Anteilsvereinigung auf Basis schenkweiser Anteilsübertragungen anwendbar (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 12.10.2006, Az. II R 79/05, BStBl. Teil II 2007, 409 und BFH vom 23.5.2012, Az. II R 21/10, BStBl. Teil II 2012, 793). Im Ergebnis kommt der BFH zu der Auffassung, dass eine erweiternde Auslegung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 3 Satz 1 GrEStG für den hier vorliegenden Fall einer Anteilsvereinigung aufgrund einer Erbauseinanderetzung nicht geboten ist.

IV. Praktische Bedeutung

Im Zuge einer Erbauseinandersetzung, bei der im Nachlass auch Anteile an grundbesitzhaltenden Personen- oder Kapitalgesellschaften enthalten sind, muss das hier erläuterte BFH-Urteil Beachtung finden. Gegebenenfalls kann bei der Gestaltung der Erbauseinandersetzung eine grunderwerbsteuerpflichtige Anteilsvereinigung gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vermieden werden, in dem beispielsweise einer der Miterben im Zuge des Erbauseinandersetzungsvorgangs eine die Anteilsvereinigung vermeidende Minderheitsbeteiligung erhält.

Unter Hinweis auf die zuvor genannte Rechtsprechung des BFH zur Anwendung der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG in Fällen der schenkweisen Anteilsübertragung bei einer damit verbundenen Anteilsvereinigung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG kann auch durch vorweggenommene Erbfolgemaßnahmen die beabsichtigte Vermögensverteilung möglicherweise auch ohne grunderwerbsteuerliche Belastungen erreicht werden. Allerdings bedarf es im Einzelnen einer genaueren Betrachtung, in welchem Umfang auch bei schenkweisen Anteilsübertragungen tatsächlich von der grunderwerbsteuerlichen Befreiung Gebrauch gemacht werden kann. Die Anzahlvon Gründen, diefür eine vorweggenommene Erbfolgeregelung sprechen können, ist somit durch die hier kommentierte Rechtsprechung des BFH um ein Argument reicher geworden.

Nichtabziehbare Aufwendungen

Wegfall der Verlustvorträge im Sinne von § 8c KStG bei An- teilsübertragung im Wege vorweggenommener Erbfolge

Andrea Seemann, Steuerberaterin

I. Problemstellung und praktische Bedeutung

Werden Anteile an einer verlustbehafteten Kapitalgesellschaft übertragen, die steuerliche Verlustvorträge hat, gehen die steuerlichen Verlustvorträge gemäß § 8c KStG, § 10a GewStG bei einer Übertragung von mehr als 25 % der Anteile auf einen Erwerber bzw. auf eine Erwerbergruppe anteilig und bei Übertragung von mehr als 50 % der Anteile an einen Erwerber bzw. an eine Erwerbergruppe vollständig unter. Für die Frage, ob eine Übertragung von mehr als 25 % bzw. mehr als 50 % der Anteile vorliegt, werden die Übertragungen innerhalb von fünf Jahren zusammengerechnet. Ausnahmen gel- ten, wenn die Gesellschaft im Inland steuerpflichtige stille Reserven hat oder es sich um eine Übertragung im Konzernverbund handelt. Keine Ausnahme enthält die Regelung hingegen für unentgeltliche Übertragungen, z.B. für eine Schenkung von Anteilen an Abkömmlinge. Lediglich aufgrund eines Erlasses der Finanzverwaltung werden die unentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, die Erbfolge selbst sowie die Übertragung im Rahmen einer Erbauseinandersetzung vom Anwendungsbereich des § 8c KStG, § 10a GewStG ausgenommen (vgl. BMF-Schreiben vom 4.7.2008, Tz. 4, BStBl. I 2008, 736). Im Rahmen der Nachfolgeplanung ist damit auch zu beachten, ob die Übertragung von Anteilen zu einem teilweisen bzw. vollständigen Untergang steuerlicher Verlustvorträge führt. Über diese Fragestellung hatte das Finanzgericht Münster zu entscheiden.

II. Sachverhalt

An der Klägerin, einer im Jahr 1972 gegründeten GmbH, waren V zu 2/3 und S1, einer der Söhne von V zu 1/3 beteiligt. Mit notarieller Urkunde vom 17. Dezember 2008 schenkte V seinem Sohn S1 einen weiteren Geschäftsanteil an der Klägerin in Höhe von ca. 55,2 %. S1 musste die Zuwendung im Rahmen der Erbauseinandersetzung nicht gemäß § 2050, 2052 BGB zur Ausgleichung bringen. Eine Anrechnung auf den Pflichtteil von S1 wurde vereinbart. Die Klägerin hatte körperschaft- und gewerbesteuerliche Verlustvorträge. Das Finanzamt setzte daraufhin die steuerlichen Verlustvorträge mit Hinweis auf § 8c KStG, § 10a Satz 10 GewStG mit 0,– EUR mit der Begründung fest, dass es sich bei der vorstehend beschriebenen Übertragung nicht um eine Übertragung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge handelte, weil es an einer Ausgleichsverpflichtung gemäß § 2050, 2052 BGB fehlte. Einen Antrag der Klägerin, von einer Anwendung des § 8c KStG aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO abzusehen, lehnte das Finanzamt ab. Gegen die Anwendung von § 8c KStG, § 10a GewStG und damit gegen den Untergang der Verlustvorträge richtete sich die Klage der Klägerin.

III. Entscheidungsgründe

Das Finanzgericht hatte zum einen zu entscheiden, ob § 8c KStG, § 10a GewStG auch für eine Übertragung im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge Anwendung findet und zum anderen, ob die Klägerin Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne des § 163 AO hat. Nach Ansicht des Finanzgerichts unterfallen alle rechtsgeschäftlichen entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragungen der Regelung des § 8c KStG und damit auch der Erwerb im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge. Auch für eine Billigkeitsregelung ist nach Ansicht des Gerichts kein Raum, da es an einer sachlichen Unbilligkeit fehle. Der im Rechtsstaatprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Vorbehalt des Gesetzes verbiete es zudem, dass die Finanzverwaltung eine allgemeine Billigkeitsmaßnahme für solche Fallgestaltungen erlasse, in denen die Besteuerung der Gesetzeslage ent- spreche und in denen es an einer sachlichen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte fehle. Vielmehr seien solche Härten nur durch eine Gesetzeskorrektur zu beheben. Selbst wenn die Regelung im BMF-Schreiben zu § 8c KStG im Einklang mit dem Vor- behalt des Gesetzes stünde, also grundsätzlich rechtlich zulässig wäre, ist die im vorliegenden Fall von dem Finanzamt vertretene Auffassung, dass eine vorweggenommene Erbfolge nur dann vorliege, wenn im Schenkungsvertrag eine Anrechnungspflicht auf die spätere Erbschaft gemäß § 2050 BGB aufgenommen ist, vertretbar. Die Klage wurde folglich als unbegründet abgewiesen. Das Finanzgericht hat die Revision gegen dieses Urteil zugelassen.

IV. Praktische Bedeutung

Es gibt viele Beispiele, in denen die Finanzverwaltung im Rahmen einer allgemeinen  Billigkeitsregelung vom Wortlaut des Gesetzes abweicht, beispielsweise im Umwandlungssteuererlass zu § 22 Abs. 3 UmwStG bzw. im BMF-Schreiben zu § 50i EStG. Vorstehendes Urteil macht deutlich, dass es nicht genügt, wenn die Finanzverwaltung missglückte Gesetzesregelungen durch Billigkeitsregelungen im Erlasswege heilt. Vielmehr bedarf es einer gesetzlichen Korrektur zur Schaffung einer Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen. Bei Übertragung von verlustbehafteten Gesellschaften gilt, dass das Vorliegen einer vorweggenommenen Erbfolge und damit das Fortbestehen der Verlustvorträge nach dem Erlass der Finanzverwaltung durch eine verbindliche Auskunft abgesichert werden muss.

Handelsgesetz

Arbeitnehmer im Aufsichtsrat: Ausweitung oder Ende des deutschen Mitbestimmungsrechts?

Dr. Thomas Frohnmayer, Christian Klein-Wiele, Rechtsanwälte, Stuttgart

  1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern eingeräumt [hat], die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?
  2. Der Senat hält es für vorstellbar, dass Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Der Senat sieht es ferner als vorstellbar an, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen verletzt ist. (Leitsätze der Bearbeiter).

I. Problemstellung

Das deutsche Mitbestimmungsrecht steht am Scheideweg. Das Kammergericht Berlin hält es für möglich, dass Teile der deutschen Mitbestimmungsgesetze gegen europäisches Recht verstoßen und hat diese daher dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt. Die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung ist kaum vorhersehbar und könnte sowohl zu einer enormen Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung auf bislang mitbestimmungsfreie Familienunternehmen als auch zu einer Nichtanwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze bei der Besetzung von Aufsichtsräten führen.

Um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen, ist zunächst der Hintergrund des in der Praxis angewandten Mitbestimmungsrechts in Deutschland zu skizzieren:

Die wichtigsten Vorschriften zur Mitbestimmung in Deutschland finden sich im Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (DrittelbG) und im Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG). Der Drittelbeteiligung unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 DrittelbG Kapitalgesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Eine Zurechnung von Arbeitnehmern von Konzernunternehmen findet nach § 2 Abs. 2 DrittelbG nur dann statt, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist.

Bei Überschreitung der Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern greift die paritätische Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 MitbestG. Eine Zurechnung findet für Konzernunternehmen nach § 5 MitbestG auch ohne Beherrschungsvertrag statt.

Ein drittelparitätisch zu bildender Aufsichtsrat ist zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, ein paritätischer zur Hälfte. Die absolute Größe eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats hängt nach § 7 Mit- bestG von der Anzahl der Arbeitnehmer ab. Wahlberechtigt sind jeweils die Arbeitnehmer des Unternehmens.

Der Erlass des MitbestG 1976 führte vor Jahrzehnten bereits zu einer kontroversen politischen und rechtlichen Debatte. Das Bundesverfassungsgericht verneinte schließlich einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und andere Grundrechte. Danach wurde es lange Jahre um die grundsätzlichen Eckpfeiler der unternehmerischen Mitbestimmung ruhiger.

Nun steht das deutsche Mitbestimmungsrecht erneut auf dem Prüfstand. In jüngerer Vergangenheit mehrten sich in der Literatur Stimmen, die die geltende Praxis des deutschen Mitbestimmungsrechts für mit dem europäischen Recht unvereinbar halten. Eine vorgeschlagene Lösung ist, die deutschen Mitbestimmungsgesetze europarechtskonform auszulegen, eine andere, Teile der Mitbestimmung wegen ihrer Europarechtswidrigkeit bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber nicht mehr anzuwenden.

In der rechtlichen Beurteilung ist indes im Einzelnen sauber zu differenzieren.

Die aus der Sicht des Familienunternehmers wichtigste Frage ist, ob Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften mitbestimmungsrechtlich zur Ermittlung der Schwellenwerte (500 bzw. 2.000 Mitarbeiter) für die unternehmerische Mitbestimmung mitzuzählen sind. Der Wortlaut der Mitbestimmungsgesetze ist nicht eindeutig. Die Praxis orientierte sich in den vergangenen Jahrzehnten bei der Gesetzesauslegung an der Gesetzesbegründung und dem sog. „Territorialitätsprinzip“. Nach diesem Prinzip darf die deutsche Sozialordnung sich nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstrecken. Danach war lange Zeit weitgehend unbestritten, dass die Zahl der Arbeitnehmer mitbestimmungsrechtlich allein nach den in Deutschland beschäftigten Mitarbeitern zu bestimmen ist. Dieser bis heute herrschenden Ansicht (vgl. die Nachweise bei KG Berlin, Beschl. v. 16.10.2015, 14 W 89/15; ausführlich zur Europa- rechtskonformität in diesem Zusammenhang Hellwig/ Behme, AG 2009, 261, 276 f.) widersprach vor Kurzem das Landgericht Frankfurt am Main. Nach dessen Entscheidung sollen bei der Ermittlung der für die Anwendung der Regeln über die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Unternehmensgröße die im Ausland beschäftigten Mitarbeiter, insbesondere auch die ausländischer Konzernunternehmen, mit zu berücksichtigen sein (LG Frankfurt/M., v. 16.2.2015, 3-16 O 1/14.). Diese Entscheidung wird derzeit vom Oberlandesgericht Frankfurt überprüft und ist daher noch nicht rechtskräftig. Wenn sich das Landgericht Frankfurt mit dieser Auffassung durchsetzt, hätte dies eine enorme Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung zur Folge: Bislang mitbestimmungsfreie Familienunternehmen könnten unter Einbeziehung der Arbeitnehmer in ausländischen Betrieben der drittelparitätischen oder sogar der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Bislang nur drittelparitätisch besetzte Aufsichtsräte könnten paritätisch zu absolute Größe zahlreicher Aufsichtsräte steigen.

Mit der Ermittlung der Zahl der Arbeitnehmer verbunden, aber nicht notwendigerweise einheitlich zu beurteilen (Ausführlich Krause, ZIP 2015, 636, 637 (Fn. 16).), ist die Frage, ob Arbeitnehmern ausländischer Betriebe ein Wahlrecht bei den Aufsichtsratswahlen der Arbeitnehmerseite zusteht.

Wie bei der Ermittlung der Zahl der Arbeitnehmer war aufgrund der Gesetzesbegründung und des Territorialitätsprinzips lange Jahre unumstritten, dass sich das aktive und passive mitbestimmungsrechtliche Wahlrecht allein auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer bezieht.

Dies wurde vom Schrifttum in den letzten Jahren zunehmend bezweifelt. Danach sollen in der Beschränkung des Wahlrechts auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer sowohl ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV als auch eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV vorliegen (Ausführlich Henssler, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 3 MitbestG Rn. 43ff.). Im Gegensatz zur Frage des Nichtmitzählens von Auslandsbelegschaften bei den Schwellenwerten für die Anwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze ist die Nichtberücksichtigung von Arbeitnehmern ausländischer Betriebe beim Wahlrecht nach herrschender Literaturauffassung also europarechtswidrig. Die in den letzten Jahren hierzu ergangene Rechtsprechung ist uneinheitlich. Das Landgericht Landau/Pfalz (LG Landau, Beschl. v. 18.9.2013, HKO 27/13)  und das Landgericht München I (LG München I, Beschl. v. 27.8.2015, HKO 20285/14.) verneinten einen Europarechtsverstoß, da der deutsche Gesetzgeber keine Regelungen für Wahlen durch Arbeitnehmer im EU-Ausland erlassen könne. Ähnlich sah es das Landgericht Berlin (LG Berlin, Beschl. v. 1.8.2015, 102 O 65/14.), während das OLG Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.2.2014, 3 W 150/13)  davon ausgeht, dass die bestehenden deutschen Mitbestimmungsgesetze europarechtskonform so ausgelegt werden können, dass Arbeitnehmer im EU-Ausland aktiv und passiv wahlberechtigt sind.

II.  Sachverhalt

Dem Beschluss des Kammergerichts Berlin liegt wie den anderen angeführten Entscheidungen ein sog. „Statusverfahren“ nach § 98 AktG zugrunde. Danach kann bei einem Streit, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Diesen Antrag kann u.a. jeder Aktionär stellen (vgl. § 98 Abs. 2 AktG). Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Berliner Kammergericht ist die TUI AG. Diese beschäftigt in Deutschland ca. 10.103 Arbeitnehmer und in den Mitgliedstaaten der europäischen Union ca. 39.536 Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat der TUI AG hat 20 Mitglieder, von denen 10 durch die Arbeitnehmer zu bestimmen sind. Bei den Wahlen zum Aufsichtsrat waren die Arbeitnehmer ausländischer Betriebe entsprechend der gängigen Praxis bislang nicht einbezogen worden. Hervorzuheben ist, dass der Antragsteller nicht – wie teilweise in der Presse suggeriert wurde (Vgl. FAZ v. 26.10.2015 (Nr. 248), Seite 17)  – beantragt hat, dass Ausländer in den Aufsichtsrat gewählt werden dürfen. Vielmehr begehrt der Antragsteller die Mitbestimmungsfreiheit des Aufsichtsrats der TUI AG.

III.   Entscheidungsgründe

Das Kammergericht Berlin hat das Statusverfahren nach § 98 AktG zunächst ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof angerufen. Dieser soll in einem sog. „Vorlageverfahren“ nach Art. 267 AEUV die Frage der Europarechtswidrigkeit des fehlenden Wahlrechts von Mitarbeitern ausländischer Betriebe deutscher Konzerne klären. In seiner Begründung geht das Gericht zunächst aufgrund des deutschen Territorialitätsprinzips und unter Berufung auf die Gesetzesbegründung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass als Arbeitnehmer im Sinne des Mitbestimmungsrechts nur Mitarbeiter deutscher Betriebe mitzuzählen sind. Daraus leitet es im Folgenden ab, dass auch nur diese Arbeitnehmer die Aufsichtsratsmitglieder wählen und selbst im Wahlverfahren Rechte haben können. Nach Ansicht des Kammergerichts ist dadurch ein Verstoß gegen Unionsrecht möglich. Zum einen könnten Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert sein. Im Gegensatz zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern könnten die in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, die in der Regel keine Deutschen seien, das Aufsichtsorgan der Antragsgegnerin nicht wählen und in diesen nicht gewählt werden und seien mithin in ihrem Aufsichtsorgan nicht ausreichend repräsentiert. Dadurch sei es möglich, dass im Aufsichtsorgan einseitig die Interessen der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Eine ausreichende Rechtfertigung hierfür sei nicht erkennbar. Für möglich hält das Gericht zudem eine Verletzung der Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach europäischem Recht. Die deutschen Regelungen seien geeignet, Arbeitnehmer wegen des drohenden Verlusts ihrer Mitgliedschaft in einem Aufsichtsorgan davon abzuhalten, sich um tatsächlich angebotene Stellen im europäischen Ausland zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der konforme Auslegung des deutschen Mitbestimmungsrechts beseitigt werden. Für den Fall der Europarechtswidrigkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts sei der Gesetzgeber zu einer Änderung berufen.

IV. Praktische Bedeutung

Die Vorlage durch das Berliner Kammergericht an den Europäischen Gerichtshof ist wegen der zu beobachtenden Unsicherheiten in der Rechtsprechung zu begrüßen und kann je nach Ausgang des Verfahrens enorme praktische Auswirkungen zeitigen. Wenig vorhersehbar ist, ob der Europäische Gerichtshof eine Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer bejaht. Zwar knüpfen die einschlägigen Vorschriften des DrittelbG und des MitbestG nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an, was auf den ersten Blick gegen eine Diskriminierung spricht. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit mit dem Argument des „Effet utile“ des Europäischen Rechts auch versteckte, mittelbare oder indirekte Diskriminierungen, bei denen eine Benachteiligung durch die überwiegende Betroffenheit von EU-Ausländern entsteht, ausreichen lassen (Vgl. die Nachweise bei Hellwig/Behme, AG 2009, 261, 265). Ähnlich weit interpretiert der Europäische Gerichtshof die Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Vgl. Hellwig/Behme, AG 2009, 268).

Falls der Europäische Gerichtshof die Europarechtswidrigkeit des mitbestimmungsrechtlichen Wahlverfahrens in Deutschland feststellt, ist die Rechtsfolge dieser Verletzung zu klären. Da das Berliner Kammergericht eine europarechtskonforme Auslegung der Mitbestimmungsgesetze im Vorlagebeschluss abgelehnt hat, muss der Anwendungsvorrang des Europarechts grundsätzlich zur Unanwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze führen. Dies würde in der Konsequenz (vorerst) bedeuten, dass deutsche Aufsichtsräte nur noch aus Vertretern der Anteilseigner zusammenzusetzen wären (vgl. § 96 Abs. 1 Variante 6 AktG) bis der deutsche Gesetzgeber eine neue (europarechtskonforme) Regelung getroffen hat. Wegen der Hoheitsrechte anderer Mitgliedstaaten ist jedoch der Erlass einer diskriminierungsfreien Regelung nicht so einfach möglich. Fraglich wäre z.B., wie ein in Deutschland normiertes Wahlverfahren im Ausland durchgesetzt werden kann.

Die Familienunternehmen insbesondere mit EU-Auslandsgesellschaften sollten die weitere Entwicklung genauestens im Auge behalten. Falls die Mitbestimmungsgesetze europarechtswidrig sind, wären bestehende und besetzte Aufsichtsräte erst nach einem wirksamen und rechtskräftigen Abschluss eines entsprechenden Statusverfahrens neu zu bilden und zu besetzen. So lange blieben die bisherigen Mitglieder ordnungsgemäß im Amt (vgl. § 96 Abs. 4 AktG) (Mense/Klie, DStR 2015, 1.508, 1.511.).

Strategisch kann sich dann vor Erlass einer eventuellen Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber die Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) anbieten, da die Mitbestimmungsfreiheit im Falle einer Europarechtswidrigkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze auf diesem Wege gegebenenfalls für die Zukunft gesichert werden kann. Solche Maßnahmen sollten jedoch erst nach einer umfassenden rechtlichen Beratung im Einzelfall erwogen werden.

Grunderberbsteuer

Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Die Ersatzbemessungsgrundlage nach 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG für die Grunderwerbsteuer, die u.a. bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an Gesellschaften zur Anwendung kommt, führt zu einem Bewertungsniveau deutlich unterhalb der bei unmittelbaren Grundstücksveräußerungen maßgeblichen Verkehrswerte. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig.
  1. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum Juni 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31. Dezember 2008 ist die Ersatzbemessungsgrundlage weiter anwendbar. (Leitsätze des Bearbeiters)

 

I. Problemstellung

Die Grunderwerbsteuer bemisst sich bei „unmittelbaren“ Erwerbsvorgängen, z.B. aufgrund eines Kaufvertrags über ein Grundstück, nach dem Wert der Gegenleistung, beispielsweise dem Kaufpreis (§ 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG)). Diese wird aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage von Veräußerer und Erwerber i.d.R. dem Verkehrswert entsprechen.

Wird jedoch nicht unmittelbar das Grundstück selbst veräußert, sondern die Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, kann es sich unter bestimmten Voraussetzungen zwar auch um einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang handeln. Das ist namentlich dann der Fall, wenn zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und sich der Gesellschafterbestand dieser Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar dergestalt ändert, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen (§ 1 Abs. 2a GrEStG). Oder wenn alle oder zumindest 95 % der Gesellschaftsanteile an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, in einer Hand ver- einigt werden und somit die im Vermögen der Gesellschaft befindlichen Grundstücke mittelbar übergehen (sog. Anteilsvereinigung). In diesen Fällen gibt es aber keine konkrete Gegenleistung für das Grundstück als solches, nach der sich die Grunderwerbsteuer bemessen könnte. Denn der Kaufpreis für die Anteile kann nicht maßgebend sein, weil mit ihm nicht nur der Erwerb des Grundstücks abgegolten wird.

Deshalb muss der Wert des (mittelbar) veräußerten Grundbesitzes nach einer Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden. Hierbei kommen hypothetische Grundbesitzwerte zum Ansatz, die nach dem Bewertungsgesetz (BewG) zu ermitteln sind. Die entsprechenden Regelungen in § 138 Abs. 2 und 3 BewG sowie den Folgeparagrafen erweisen sich jedoch insofern als problematisch, als sie sich nur unzureichend am gemeinen Wert bzw. Verkehrswert der Grundstücke orientieren. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner vorletzten Erbschaftsteuer-Entscheidung festgestellt, dass der Ansatz bewusst zu niedriger Grundbesitzwerte im Kontext der Erbschaftsteuer verfassungswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, NJW 2007, 573).

II. Sachverhalt

Dem hier besprochenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lagen zwei Ausgangsverfahren zugrunde. Im einen Ausgangsverfahren hatte eine US-Körperschaft im Jahr 2001 alle Anteile an einer GmbH und einer GbR gekauft, zu deren jeweiligem Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten. Die Klägerin des anderen Ausgangsverfahrens war eine GmbH, die im Jahr 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbe- bauten und eines bebauten Grundstücks war, erworben hatte – also ein konzerninterner Vorgang. Nach- dem die Einsprüche der Klägerinnen gegen den jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheid und ihre Klagen vor dem Finanzgericht erfolglos gewesen waren, hatte der sodann angerufene Bundesfinanzhof die beiden Ausgangsverfahren  ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die – von den Klägerinnen bestrittene – Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.

III. Entscheidungsgründe

Das Bundesverfassungsgericht stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung derjenigen Steuerschuldner, deren Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 2 GrEStG mit Hilfe der Bewertungsvorschriften (§§ 138 ff. BewG) bestimmt wird, gegenüber denjenigen Steuer- schuldnern fest, deren Grunderwerbsteuer auf Grundlage der Regelbe- messungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG u.a. anhand der Gegenleistung berechnet wird. Da die Vertragschließenden bei einer unmittelbaren Grundstücksveräußerung meist gegenläufige Interessen verfolgten, werde die Gegenleistung, die Grundlage der Regelbemessungsgrundlage sei, regelmäßig dem gemeinen Wert, d.h. dem Verkehrswert des Grundstücks entsprechen. Falls die vereinbarte Gegenleistung im Einzelfall deutlich darunter oder darüber liege, gehe die Rechtspraxis davon aus, dass insoweit eine Schenkung vorliege, die dementsprechend der Schenkungsteuer unterfiele und somit jedenfalls nicht steuerfrei erworben würde.

Demgegenüber wichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt würden, erheblich vom gemeinen Wert ab. Dies ergäbe sich aus den Feststellungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer (siehe oben). Diese Feststellungen seien insoweit auch für die Anwendung der Bewertungsvorschriften für Zwecke der Grunderwerbsteuer verwertbar. Entscheidend sei, dass die Anwendung der Bewertungsregeln in beiden Steuerarten letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet sei, den gemeinen Wert festzustellen.

Das für bebaute Grundstücke angeordnete vereinfachte Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 BewG) führe zu Werten, die im Durchschnitt 50 % unter dem gemeinen Wert lägen. Der starre Vervielfältigungsfaktor von 12,5, mittels dessen aus laufenden Erträgen der (ggf. fiktiven) Jahresmiete ein Wert bestimmt werde, sei strukturell ungeeignet, um nahe genug an den gemeinen Wert zu kommen und eine gleichheitsgerechte Besteuerung sicherzustellen.

Des Weiteren werde für unbebaute Grundstücke durchschnittlich lediglich ein Bewertungsniveau von im Ergebnis rund 70 % der Verkehrswerte erreicht, da deren Wert bislang nach § 145 Abs. 3 BewG bei 80 % der amtlichen Bodenrichtwerte angesetzt wird.

Schließlich erfassten die Bewertungsregeln für land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz im Durchschnitt sogar lediglich 10 % des Verkehrswertes.

Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlungen gegenüber der Steuerfestsetzung aufgrund der Regelbemessungsgrundlage sei nicht ersichtlich. Sie seien daher mit Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgebot) unvereinbar. Insbesondere könnten die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert nicht mit etwaigen staatlichen Lenkungszielen gerechtfertigt werden. Verfolge das Gesetz mit der Gegenleistung als Regelbemessungsgrundlage offensichtlich ausschließlich das fiskalische Ziel, die steuerrelevanten Grunderwerbsvorgänge nach dem Verkehrswert zu besteuern, dürfe es bei der Ersatzbemessungsgrundlage keinen anderen Zielen nachgehen. Die Unterschiede seien auch nicht vom Versuch des Gesetzgebers getragen, die Regeln durch Typisierung oder Pauschalierung möglichst einfach handhabbar zu machen. Selbst wenn sie es wären, könnten sie aufgrund ihrer Größenordnung nicht mehr als verfassungsrechtlich hinnehmbare Vernachlässigungen der Besonderheiten des Einzelfalls anerkannt werden.

Die Ungleichbehandlung aufgrund der starken Divergenzen zwischen Regel- und Ersatzbemessungsgrundlage, insbesondere im Hinblick auf die generelle Unterbewertung von Grundvermögen sowie von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, sei somit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und verfassungswidrig.

IV. Praktische Bedeutung

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ersatzbemessungsgrundlage § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 nicht mehr anwendbar und ist spätestens bis zum 30. Juni 2016 vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen. Die Steuererhebung in Fällen der Regelbemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 1 GrEStG) bleibt hier- von unberührt. Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 8 Abs. 2 GrEStG führt nicht zur Nichtigkeit dieser Norm, sondern zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Fortgeltung bis zum 31. Dezember 2008 angeordnet. Für die Zeit danach bleibt es bei deren Unanwendbarkeit; der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2016 Zeit, eine Neuregelung rückwirkend zum 1. Januar 2009 zu beschließen.

Zu dieser verfassungsrechtlich nicht unproblematischen, vom Gericht zwingend angeordneten Rückwirkung einer (steuerverschärfenden) Neuregelung wäre sicher eine detailliertere Begründung angebracht gewesen. Stattdessen belässt es das Bundesverfassungsgericht sinngemäß bei dem Hinweis, dass es nach dem entsprechenden Beschluss vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen in den Bestand der (fortgeltenden!) Bewertungsregeln im Rahmen der Grunderwerbsteuer geben könne.

Nach dem 1. Januar 2009 bereits ergangene Steuerbescheide dürfen jedoch nach § 176 der Abgabenordnung (AO) aufgrund der vorstehenden Entscheidung nicht rückwirkend zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. Das gilt aber nur, wenn bereits eine formell bestandskräftige Steuerfestsetzung erfolgt ist. Dagegen darf das Finanzamt in Fällen, in denen derzeit ein Einspruchsverfahren gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung anhängig ist, die nunmehr festgestellte Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage berücksichtigen (367 Abs. 2 Satz 2 AO). Deshalb ist in derartigen Fällen eine Einspruchsrücknahme zu erwägen.

Soweit jedoch bestandskräftige Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig erfolgt sind (§§ 164, 165 AO), verbietet die Vertrauensschutzregelung § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ebenfalls eine Berücksichtigung des Urteils in abändernden Steuerbescheiden.

Für künftig verwirklichte Erwerbsvorgänge ist jedoch davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die Grunderwerbsteuer bis zur Neuregelung der Ersatzbemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber nur vorläufig festsetzt (§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und den entsprechenden Steuerbescheid aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung ändert.

Im Ergebnis ist damit zu rechnen, dass künftig die Grunderwerbsteuer auf Vorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage oder bei gesellschaftsrechtlichen Anteilsvereinigungen aufgrund der dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich vorgegebenen Orientierung am Verkehrswert von Grundstücken deutlich höher ausfällt als bisher.

Mit ihrer Rüge der Verfassungswidrig- keit haben also die Klägerinnen – und mit ihnen alle anderen Steuerpflichtigen – vom Bundesverfassungsgericht Steine statt Brot bekommen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch hinsichtlich der Bewertungsregeln bei der Grundsteuer ein Vorlageverfahren des Bundesfinanzhofs (BFH) beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist (BFH, Beschluss v. 22.10.2014 – II R 16/13). Anknüpfungspunkt ist auch hier die letzte Erbschaftsteuer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit deren Erwägungen der BFH seine Ansicht von der Verfassungswidrigkeit der insoweit geltenden Bewertungsregeln begründet. Folgt das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation, ist wohl absehbar auch für die Grundsteuer mit deutlich höheren Werten (und damit Steuern) zu rechnen.

Familienrecht

„Beckengurt und Bettgitter“ bedürfen trotz Vorsorgevollmacht der gerichtlichen Genehmigung

Christian Klein-Wiele, Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt

Trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht ist bei Anordnung und Durchführung ärztlicher Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen zusätzlich die Genehmigung durch das Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 5 BGB erforderlich.

I. Hintergrund

Viele Familienunternehmer treffen nach wie vor keine Vorsorge für eine unter Umständen lange Zeit der Handlungsunfähigkeit vor ihrem Tod (Vgl. Hennerkes/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, 2. Aufl. 2015, S. 231 ff.). Dieses Problem gewinnt durch die Fortschritte in der Medizin täglich eine größere Bedeutung. Prominente Fälle wie der von Michael Schumacher rücken die Tatsache ins Bewusstsein, dass auch jeder Unternehmer in eine schwierige Lage geraten kann, in der private und geschäftliche Angelegenheiten von anderen wahrgenommen werden müssen.

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung geht die Entscheidungsbefugnis in solchen Fällen nicht einfach auf die Angehörigen über. Wenn rechtlich verbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefordert sind, besitzen der Ehegatte oder die Kinder keine gesetzliche Vertretungsmacht. Ist keine anderweitige Vorsorge getroffen worden, so bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, der für den Betroffenen die Entscheidung trifft.

Hierbei ist jedoch keineswegs zwingend, dass das Gericht einen nahen Angehörigen, z.B. den Ehegatten, zum Betreuer bestellt. Dies bedeutet für Familienunternehmer, dass unter Umständen fremde Dritte, wie z.B. Angestellte von Betreuungsvereinen, die Geschicke des Unternehmens leiten und die Familie keinen entscheidenden Einfluss mehr nehmen kann. Um diese Unsicherheiten im gerichtlichen Bestellungsverfahren zu vermeiden, sollte jeder Familienunternehmer über eine umfassende Vorsorgevollmacht verfügen, die der Vollmachtgeber einer oder mehreren Personen seines Vertrauens erteilt. Die Bevollmächtigten können den Vollmachtgeber dann in allen Angelegenheiten vertreten, wenn dieser alters-, unfall- oder krankheitsbedingt dazu selbst nicht mehr fähig ist, sodass eine gerichtliche Betreuerbestellung nicht erforderlich ist. Weitere Vorteile sind, dass sich der Familienunternehmer die zu bevollmächtigende Person selbst aussuchen und auch eine etwaige Vergütung des Bevollmächtigten bestimmen kann.

Allerdings sieht das Gesetz in bestimmten Ausnahmefällen vor, dass trotz Vorsorgevollmacht oder Betreuung zusätzlich die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich ist. Eine solche Genehmigung ist u.a. nach § 1906 Abs. 4, Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 BGB dann nötig, wenn dem Vollmachtgeber durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat nun über die Frage geurteilt, ob durch eine entsprechend formulierte Vorsorgevollmacht dieses gerichtliche Genehmigungserfordernis vermieden werden kann.

II. zum Sachverhalt

Eine in einem Seniorenpflegeheim untergebrachte Frau erteilte im Jahr 2000 ihrem Sohn eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht, mit der sie ihn bevollmächtigte, „soweit gesetzlich zulässig, in allen persönli-chen Angelegenheiten, auch soweit sie meine Gesundheit betreffen, sowie in allen Vermögens-, Steuer- und sonstigen Rechtsangelegenheiten in jeder denkbaren Hinsicht zu vertreten und Entscheidungen für mich und an meiner Stelle ohne Einwilligung des Vormundschaftsgerichts zu treffen und diese auszuführen bzw. zu voll- ziehen.“ Die Vollmacht umfasste auch die Befugnis zur Vornahme von Freiheitsentziehungsmaßnahmen durch mechanische Vorrichtung, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum.

Nachdem die Frau mehrfach aus einem Stuhl oder ihrem Bett auf den Boden gefallen war und sich dabei Verletzungen zugezogen hatte, willigte der Sohn in Ausübung der Vollmacht ein, Gitter am Bett der Frau zu befestigen und diese tagsüber mit einem Beckengurt im Rollstuhl zu fixieren.

Das Amtsgericht Heilbronn erteilte die Genehmigung zu den Maßnahmen, allerdings nur befristet. Daraufhin legte der Sohn Rechtsmittel gegen das Genehmigungserfordernis bis hin zum Bundesgerichtshof ein und zog schließlich sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Das Genehmigungserfordernis verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Ein staatliches Genehmigungserfordernis komme einer Bevormundung gleich.

III. tragende Gesichtspunkte des Beschlusses des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das gerichtliche Genehmigungserfordernis bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht durch eine weit formulierte Vorsorgevollmacht abbedungen werden kann. Zwar greife die in § 1906 Abs. 5 BGB festgeschriebene Verpflichtung, vor zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen trotz Einwilligung der durch Vorsorgevollmacht Bevollmächtigten eine gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einholen zu müssen, in das Selbstbestimmungsrecht der Frau aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Das Bundesverfassungsgericht erkennt zudem ausdrücklich die Vorsorgevollmacht als wichtiges Institut an, das darauf gerichtet ist, bei Verlust eigener Entscheidungsfähigkeit nicht unter staatliche Fürsorge gestellt zu werden, sondern durch vertraute Privatpersonen verantwortungsvoll versorgt zu werden. Allerdings sei der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht mehr dazu in der Lage sind. Im Rahmen dieses Freiheitsschutzes komme es allein auf den tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen an. Könne dem Betroffenen die Notwendigkeit der Freiheitsbeschränkung nicht näher gebracht werden, stelle sich die durch Dritte vorgenommene Beschränkung der Freiheit als besonders bedrohlich dar.

Dieses Bedrohlichkeitsempfinden werde auch nicht dadurch gemindert, dass die Betroffenen im zeitlichen Vorfeld zu einem Zeitpunkt umfassender Vernunft und Geschäftsfähigkeit vorgreiflich in derartige Beschränkungen eingewilligt oder erklärt hätten, die Entscheidung über solche Beschrän- kungen in die alleinige Verantwortung bestimmter Vertrauenspersonen legen zu wollen. Im konkreten Moment der Fixierung stelle sich die Maßnahme unabhängig von vorangegangenen Einverständniserklärungen als Beschränkung der persönlichen Freiheit dar. Daher entspreche es der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn der Gesetzgeber in § 1906 Abs. 5 BGB die Zulässigkeit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Einwilligung des Bevollmächtigten in derartige Freiheitsbeschränkungen unter ein gerichtliches Genehmigungserfordernis stelle.

IV. Stellungnahme

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist konsequent und entspricht dem Wortlaut des Gesetzes. In bestimmten Ausnahmefällen ist trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht eine gerichtliche Überprüfung ärztlicher Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen angezeigt und sinnvoll. Diese sind für den Betroffenen in der konkreten Situation mit starken Einschränkungen verbunden, die er im Vorfeld nicht überblicken kann.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dies kein Nachteil der Vorsorgevollmacht gegenüber der gerichtlichen Bestellung eines Betreuers ist. Denn auch im Fall der Bestellung eines Betreuers hätte nach dem vorliegenden Sachverhalt zusätzlich eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund ist wegen der mit der Vorsorgevollmacht verbundenen Vorteile insbesondere Familienunternehmern und -gesellschaftern dringend anzuraten, eine solche zu errichten und damit persönlich schwierigen Situationen rechtlich möglichst vorzubeugen.

Erbrecht

Bundesverfassungsgericht erklärt die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung für verfassungswidrig

Dr. Bertram Layer, Steuerberater

(Auszugsweise Wiedergabe der Leitsätze des Urteils)

IV. Die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestal- tungsmöglichkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

a. Es liegt allerdings im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, kleine und mittelständische Unternehmen, die in personaler Verantwortung geführt werden, zur Sicherung ihres Bestands und damit auch zur Erhaltung der Arbeitsplätze von der Erbschaftsteuer weitgehend oder vollständig freizustellen. Für jedes Maß der Steuerverschonung benötigt der Gesetzgeber allerdings tragfähige Rechtfertigungsgründe.

b. Die Privilegierung des unentgeltlichen Erwerbs betrieblichen Vermögens ist jedoch unverhältnismäßig, soweit die Verschonung über den Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen.

c. Die Lohnsummenregelung ist im Grundsatz verfassungsgemäß; die Freistellung von der Mindestlohnsumme privilegiert aber den Erwerb von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten unverhältnismäßig.

d. Die Regelung über das Verwaltungsvermögen ist nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil sie den Erwerb von begünstigtem Vermögen selbst dann uneingeschränkt verschont, wenn es bis zu 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht, ohne dass hierfür ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund vorliegt.

 

I. Problemstellung und praktische Bedeutung

Aufgrund des Vorlagebeschlusses des BFH vom 27.09.2012 musste sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Frage auseinandersetzen, ob das seit 01.01.2009 gültige Erbschaftsteuerrecht verfassungskonform ausgestaltet ist. Vom BFH kritisiert wurde insbesondere die umfassende Verschonung von unternehmerischem Vermögen nach den §§ 13a, 13b ErbStG, die nach dessen Auffassung zu einer „das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung“ führe.

Angesichts der am Verkehrswert orientierten Neuregelung der Bewertung von betrieblichem Vermögen für Zwecke der Erbschaftsteuer kommt der Inanspruchnahme von Verschonungsregelungen in der Unternehmensnachfolge eine hohe praktische Bedeutung zu.

II. Zum Sachverhalt

In dem vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Ausgangsverfahren ging es nicht um die steuerliche Verschonung für betriebliches Vermögen. Vielmehr war der Kläger des Ausgangsverfahrens Miterbe nach dem 2009 verstorbenen Erblasser. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer mit einem Steuersatz von 30 % nach Steuerklasse II fest. Der Kläger machte geltend, die nur für das Jahr 2009 vorgesehene Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III sei verfassungswidrig. Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren hatte der Bundesfinanzhof mit dem vorgenannten Beschluss vom 27.09.2012 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 19 Abs. 1 ErbStG in der 2009 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig sind. Der BFH vertrat die Auffassung, dass die Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III in § 19 Abs. 1 ErbStG zwar verfassungsrechtlich hinzunehmen sei, jedoch sei diese Vorschrift in Verbindung mit den Steuervergünstigungen der §§ 13a und 13b ErbStG gleichheitswidrig.

III. Entscheidungsgründe

In dem mit Spannung erwarteten Urteil kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass die §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 ErbStG in Teilen gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstoßen und damit verfassungswidrig sind. Im Einzelnen begründet das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung wie folgt:

Zulässigkeit des Verfahrens und Gesetzgebungskompetenz des Bundes:

Zunächst führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Vorlage des Bundesfinanzhofs im Wesentlichen zulässig sei. Das Bundesverfassungsgericht stellt auch klar, dass für die vorgelegten Normen des ErbStG eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG besteht. Diese Gesetzgebungskompetenz wurde im Vorfeld der Entscheidung verschiedentlich in Frage gestellt. Das Bundesverfassungsgericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass der Bundesgesetzgeber davon ausgehen durfte, dass ohne bundesgesetzliche Regelung eine Rechtszersplitterung mit nicht unerheblichen Nachteilen für Erblasser und Erwerber betrieblichen Vermögens wie auch für die Finanzverwaltung zu befürchten wäre.

Sodann befasst sich das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen mit den erbschaftsteuerlichen Begünstigungen für den Übergang betrieblichen Vermögens und begründet seine Auffassung, warum diese in Teilen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

Verschonungsregelungen grundsätzlich  verfassungsgemäß

Trotz der mit den Verschonungsregelungen verbundenen Ungleichbehandlungen der Erwerber betrieblichen und nichtbetrieblichen Vermögens, die im Hinblick auf den Verschonungsabschlag von 85 % oder 100 % ein enormes Ausmaß erreichen können, hält das Bundesverfassungsgericht die §§ 13a und 13b ErbStG für grundsätzlich geeignet und im Grundsatz auch erforderlich, um die mit ihnen verfolgten Ziele zu erreichen. Das Bundesverfassungsgericht attestiert dem Gesetzgeber insoweit einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum. Das Gericht anerkennt in seiner Entscheidung die Einschätzung des Gesetzgebers, dass eine ernsthafte Gefahr von Liquiditätsproblemen im Falle einer vollen Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von Unternehmen unterstellt werden kann. Die im Vorfeld des Urteils immer wieder diskutierte Frage, ob es eines empirischen Nachweises für die Gefährdung von Unternehmen durch die Erbschaftsteuer bedarf, verneint das Bundesverfassungsgericht. Wörtlich heißt es hierzu in der Tz. 152 der Entscheidung: „Durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass in nicht nur seltenen Fällen eine Belastung der Unternehmensnachfolge mit Erbschaft- und Schenkungsteuer die Betriebe in Liquiditätsschwierigkeiten bringen kann und letztlich Arbeitsplätze gefährdet…, liegt es auch im Rahmen seines Gestaltungsspielraums, die Verschonung ohne individuelle Bedürfnisprüfung zu gewähren.“ Das Bundesverfassungsgericht anerkennt in diesem Zusammenhang auch, dass die Stundungsregelung, wie sie beispielsweise in § 28 ErbStG verankert ist, keine ebenso effektive Entlastung bewirkt wie eine Befreiungsnorm. Auch der Verschonungsabschlag von 100 % wird vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzgebers, kleine und mittelständische, durch personale Führungsverantwortung geprägte Unternehmen – insbesondere Familienunternehmen – zu fördern und zu erhalten, im Grundsatz anerkannt.

Anwendung der Verschonungsrege- lungen bei großen Unternehmensvermögen erfordert eine individuelle Bedürfnisprüfung

Allerdings sieht es das Bundesverfassungsgericht als unverhältnismäßig

an, wenn die Ungleichbehandlung zwischen begünstigtem unternehmerischen und nicht begünstigtem sonstigen Vermögen auf Unternehmen Anwendung findet, welche die Größe kleiner und mittlerer Unternehmen überschreiten. Zwar schließt das Bundesverfassungsgericht nicht aus, dass auch sehr große Unternehmen im Falle des Wegfalls von Verschonungsabschlägen durch eine entsprechend hohe Erbschaft- oder Schenkungsteuerbelastung der Erwerber in finanzielle Schwierigkeiten geraten und an Investitionskraft verlieren könnten. Diese Risiken können nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Ergebnis auch die Steuerverschonung sehr großer Unternehmen rechtfertigen. Allerdings wird die Verhältnismäßigkeit dieser Ungleichbehandlung dann aber vom Bundesverfassungsgericht an eine Bedürfnisprüfung geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht lässt in seiner Entscheidung offen, ab wann genau die aus der Steuerverschonung des unentgeltlichen Erwerbs unternehmerischen Vermögens folgende Ungleichbehandlung nicht mehr verhältnismäßig ist und es einer solchen Bedürfnisprüfung bedarf. Als mögliche Orientierung verweist das Bundesverfassungsgericht auf die in der EU gültige Definition für kleine und mittlere Unternehmen, zu denen solche gezählt werden, die weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. € erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. € beläuft. Ergänzend bringt das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang auch eine Förderungshöchstgrenze ins Spiel. Es verweist in seiner Entscheidung auf den ursprünglichen Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30.05.2005, in dem eine Förderungshöchstgrenze von 100 Mio. € (bezogen auf den einzelnen Erwerb) vorgesehen war, bis zu dem die Steuerverschonung möglich sein soll.

Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Anwendung der Lohnsummenregelung ist verfassungswidrig

Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Lohnsummenregelung im Grundsatz mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, nicht jedoch die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten, wird damit begründet, dass Erwerber von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten dadurch unverhältnismäßig privilegiert würden. Das Bundesverfassungsgericht verweist auf die Ausführungen des Bundesfinanzhofs, wonach weit über 90 % aller Betriebe in Deutschland nicht mehr als 20 Beschäftigte haben. Betriebe könnten daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht so hoch ist, wie das teilweise geltend gemacht würde.

Regelungen zum Verwaltungsvermögen sind verfassungswidrig

Auch die Ausgestaltung der Regelungen zum Verwaltungsvermögen ist nach Auffassung des Gerichts nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit diese begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 ErbStG mit einem Anteil von bis zu 50 % Verwaltungsvermögen insgesamt in den Genuss eines Verschonungsabschlags und der sonstigen Begünstigungen bringen. Das Bundesverfassungsgericht sieht es als problematisch an, dass die großzügige Freistellung von Verwaltungsvermögen von bis zu 50 % steuerliche Gestaltungen, z.B. die Verlagerung von privatem in betriebliches Vermögen, begünstigt.

Gestaltungsanfälligkeit des ErbStG

Im Zusammenhang mit der Lohnsummenregelung und der Regelung zum Verwaltungsvermögen wird das ErbStG auch insoweit vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt, als es Gestaltungen zulässt, mit denen Steuerentlastungen erzielt werden können, die es nicht bezweckt und die gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind. In diesem Zusammenhang weist das Bundesverfassungsgericht auf Gestaltungen hin, welche die Lohnsummenpflicht durch Betriebsaufspaltungen umgehen oder welche sich die 50-Prozent-Regel für Verwaltungsvermögen in Konzernstrukturen nutzbar machen oder – zumindest in der Vergangenheit – bei sogenannten Cash-Gesellschaften.

Gesamtbeurteilung durch das Gericht, Übergangsfrist und Vertrauensschutz

Im Ergebnis kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil, dass die festgestellten Gleichheitsverstöße die §§ 13a und 13b ErbStG insgesamt erfassen und diese Normen daher als verfassungswidrig anzusehen sind. Dies hat nach Auffassung des Gerichts auch Auswirkungen auf die Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG, welche die Besteuerung begünstigten wie nicht begünstigten Vermögens gleichermaßen betrifft und daher vom Gericht ebenfalls für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG erklärt wurde. Damit ist nach Auffassung des Gerichts auch die Erhebung der Erbschaftsteuer für den Übergang von Privatvermögen blockiert.

Dem Gesetzgeber wird aber die Möglichkeit eingeräumt, einen verfassungsgemäßen Zustand durch eine umfassende Nachbesserung oder grundsätzliche Neukonzeption der gesamten Verschonungsregelungen binnen angemessener Zeit herbeizuführen. Das Gericht ordnet in diesem Zusammenhang die begrenzte Fortgeltung der genannten Normen bis zum 30.06.2016 an. Allerdings weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen ein auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils (17.12.2014) bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltung der §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt.

In der Urteilsbegründung wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einstimmig ergangen ist. Von drei Richtern des ersten Senats wurde aber ein Sondervotum abgegeben, wonach sich die Begründung der Verfassungswidrigkeit der vorgenannten Normen des Erbschaftsteuergesetzes auch aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ableiten ließe. Die Erbschaftsteuer wird in diesem Zusammenhang als ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit angesehen.

IV. Ergänzende Hinweise

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in ersten Stellungnahmen überwiegend positiv kommentiert, vor allem im Hinblick auf die grundsätzliche Anerkennung der Verschonungsabschläge für betriebliches Vermögen als verfassungsgemäß.

Zur Bedürfnisprüfung bei der Übertragung großer Unternehmensvermögen

Allerdings führt die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Bedürfnisprüfung bereits jetzt zu erheblichen Diskussionen in der Politik und auch zu Unsicherheit bei den von dieser Diskussion Betroffenen. Das der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angehängte Sondervotum trägt seinerseits zu den Befürchtungen bei, dass die Erbschaftsteuer instrumentalisiert werden könnte, um Vermögen umzuverteilen.

Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung, insbesondere in den Tz. 171 ff., klar zum Ausdruck gebracht hat, dass die Erbschaft- oder Schenkungsteuerlast auch große Unternehmen und deren Gesellschafter in Schwierigkeiten bringen kann und diese Schwierigkeiten zum Verlust von Arbeitsplätzen und zum Verlust an Investitionskraft führen können. Diese Risiken können nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch die Steuerverschonung sehr großer Unternehmen rechtfertigen. Es muss im Zuge der vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Neuregelung der Verschonungsregelungen vor allem vermieden werden, dass die Bedürfnisprüfung für größere Familienunternehmen hohe bürokratische Hürden mit sich bringt. Es gilt ferner zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht gleichzeitig mit dieser Bedürfnisprüfung auch eine Verschärfung der Vorschriften zum Verwaltungsvermögen anmahnt.

Übergangsbestimmungen und Vertrauensschutz

Ein weiterer Diskussionspunkt wird sich aus den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Übergangsbestimmungen ergeben. Im Schlussteil des Urteils begründet das Bundesverfassungsgericht die übergangsweise Fortgeltung der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen neben haushaltswirtschaftlichen Überlegungen damit, dass eine Ungewissheit über den Inhalt der künftigen, dann mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Verkündung des Urteils in Kraft zu setzenden Regeln des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts vor allem für die Inhaber von Unternehmen und ihre künftigen Erben oder sonstigen Nachfolger schwer erträglich wäre. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass gerade sie ein berechtigtes Interesse an einer verlässlichen Rechtsgrundlage für die Nachfolgeplanung auch in steuerlicher Hinsicht haben. Erst am Ende des Urteils, in Tz. 292, führt das Bundesverfassungsgericht aber aus, dass die Anordnung der Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung dieses Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltungen der §§ 13a und 13b ErbStG die Anerkennung versagt. Es stellt sich nun die Frage, was unter einer solchen exzessiven Ausnutzung zu verstehen ist. Fallen darunter nur die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beanstandeten Gestaltungsmöglichkeiten in Form der Betriebsaufspaltungsfälle (Vermeidung der Lohnsummenprüfung) oder der Gestaltung von Verwaltungsvermögensquoten bei Konzernstrukturen (sogenannter Kaskadeneffekt durch Verlagerung von Verwaltungsvermögen in Tochtergesellschaften) und die Cash-Gesellschaften, die zwischenzeitlich aber bereits ohnehin gesetzgeberisch eingedämmt wurden? Oder kann als exzessive Ausnutzung der §§ 13a und 13b ErbStG auch der vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Umfang des verschonten Verwaltungsvermögens (50 %-Grenze) angesehen werden? Letzterenfalls würde eine Neuregelung mit Rückwirkung zum Tag der Urteilsverkündung durchaus eine Vielzahl von Fällen betreffen. Dies stünde in Widerspruch zu der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass die Inhaber von Unternehmen und ihre Nachfolger ein berechtigtes Interesse an einer verlässlichen Rechtsgrundlage für die Nachfolgeplanung auch in steuerlicher Hinsicht haben und deshalb die Ungewissheit über den Inhalt der künftigen gesetzlichen Regelungen im Falle von deren Rückwirkung schwer erträglich wäre. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber hier baldmöglichst eine klarstellende Aussage trifft, wie er dem vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Prinzip der Rechtssicherheit Rechnung tragen möchte.