Grunderberbsteuer

Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Die Ersatzbemessungsgrundlage nach 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG für die Grunderwerbsteuer, die u.a. bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an Gesellschaften zur Anwendung kommt, führt zu einem Bewertungsniveau deutlich unterhalb der bei unmittelbaren Grundstücksveräußerungen maßgeblichen Verkehrswerte. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig.
  1. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum Juni 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31. Dezember 2008 ist die Ersatzbemessungsgrundlage weiter anwendbar. (Leitsätze des Bearbeiters)

 

I. Problemstellung

Die Grunderwerbsteuer bemisst sich bei „unmittelbaren“ Erwerbsvorgängen, z.B. aufgrund eines Kaufvertrags über ein Grundstück, nach dem Wert der Gegenleistung, beispielsweise dem Kaufpreis (§ 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG)). Diese wird aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage von Veräußerer und Erwerber i.d.R. dem Verkehrswert entsprechen.

Wird jedoch nicht unmittelbar das Grundstück selbst veräußert, sondern die Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, kann es sich unter bestimmten Voraussetzungen zwar auch um einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang handeln. Das ist namentlich dann der Fall, wenn zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und sich der Gesellschafterbestand dieser Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar dergestalt ändert, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen (§ 1 Abs. 2a GrEStG). Oder wenn alle oder zumindest 95 % der Gesellschaftsanteile an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, in einer Hand ver- einigt werden und somit die im Vermögen der Gesellschaft befindlichen Grundstücke mittelbar übergehen (sog. Anteilsvereinigung). In diesen Fällen gibt es aber keine konkrete Gegenleistung für das Grundstück als solches, nach der sich die Grunderwerbsteuer bemessen könnte. Denn der Kaufpreis für die Anteile kann nicht maßgebend sein, weil mit ihm nicht nur der Erwerb des Grundstücks abgegolten wird.

Deshalb muss der Wert des (mittelbar) veräußerten Grundbesitzes nach einer Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden. Hierbei kommen hypothetische Grundbesitzwerte zum Ansatz, die nach dem Bewertungsgesetz (BewG) zu ermitteln sind. Die entsprechenden Regelungen in § 138 Abs. 2 und 3 BewG sowie den Folgeparagrafen erweisen sich jedoch insofern als problematisch, als sie sich nur unzureichend am gemeinen Wert bzw. Verkehrswert der Grundstücke orientieren. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner vorletzten Erbschaftsteuer-Entscheidung festgestellt, dass der Ansatz bewusst zu niedriger Grundbesitzwerte im Kontext der Erbschaftsteuer verfassungswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, NJW 2007, 573).

II. Sachverhalt

Dem hier besprochenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lagen zwei Ausgangsverfahren zugrunde. Im einen Ausgangsverfahren hatte eine US-Körperschaft im Jahr 2001 alle Anteile an einer GmbH und einer GbR gekauft, zu deren jeweiligem Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten. Die Klägerin des anderen Ausgangsverfahrens war eine GmbH, die im Jahr 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbe- bauten und eines bebauten Grundstücks war, erworben hatte – also ein konzerninterner Vorgang. Nach- dem die Einsprüche der Klägerinnen gegen den jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheid und ihre Klagen vor dem Finanzgericht erfolglos gewesen waren, hatte der sodann angerufene Bundesfinanzhof die beiden Ausgangsverfahren  ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die – von den Klägerinnen bestrittene – Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.

III. Entscheidungsgründe

Das Bundesverfassungsgericht stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung derjenigen Steuerschuldner, deren Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 2 GrEStG mit Hilfe der Bewertungsvorschriften (§§ 138 ff. BewG) bestimmt wird, gegenüber denjenigen Steuer- schuldnern fest, deren Grunderwerbsteuer auf Grundlage der Regelbe- messungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG u.a. anhand der Gegenleistung berechnet wird. Da die Vertragschließenden bei einer unmittelbaren Grundstücksveräußerung meist gegenläufige Interessen verfolgten, werde die Gegenleistung, die Grundlage der Regelbemessungsgrundlage sei, regelmäßig dem gemeinen Wert, d.h. dem Verkehrswert des Grundstücks entsprechen. Falls die vereinbarte Gegenleistung im Einzelfall deutlich darunter oder darüber liege, gehe die Rechtspraxis davon aus, dass insoweit eine Schenkung vorliege, die dementsprechend der Schenkungsteuer unterfiele und somit jedenfalls nicht steuerfrei erworben würde.

Demgegenüber wichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt würden, erheblich vom gemeinen Wert ab. Dies ergäbe sich aus den Feststellungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer (siehe oben). Diese Feststellungen seien insoweit auch für die Anwendung der Bewertungsvorschriften für Zwecke der Grunderwerbsteuer verwertbar. Entscheidend sei, dass die Anwendung der Bewertungsregeln in beiden Steuerarten letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet sei, den gemeinen Wert festzustellen.

Das für bebaute Grundstücke angeordnete vereinfachte Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 BewG) führe zu Werten, die im Durchschnitt 50 % unter dem gemeinen Wert lägen. Der starre Vervielfältigungsfaktor von 12,5, mittels dessen aus laufenden Erträgen der (ggf. fiktiven) Jahresmiete ein Wert bestimmt werde, sei strukturell ungeeignet, um nahe genug an den gemeinen Wert zu kommen und eine gleichheitsgerechte Besteuerung sicherzustellen.

Des Weiteren werde für unbebaute Grundstücke durchschnittlich lediglich ein Bewertungsniveau von im Ergebnis rund 70 % der Verkehrswerte erreicht, da deren Wert bislang nach § 145 Abs. 3 BewG bei 80 % der amtlichen Bodenrichtwerte angesetzt wird.

Schließlich erfassten die Bewertungsregeln für land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz im Durchschnitt sogar lediglich 10 % des Verkehrswertes.

Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlungen gegenüber der Steuerfestsetzung aufgrund der Regelbemessungsgrundlage sei nicht ersichtlich. Sie seien daher mit Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgebot) unvereinbar. Insbesondere könnten die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert nicht mit etwaigen staatlichen Lenkungszielen gerechtfertigt werden. Verfolge das Gesetz mit der Gegenleistung als Regelbemessungsgrundlage offensichtlich ausschließlich das fiskalische Ziel, die steuerrelevanten Grunderwerbsvorgänge nach dem Verkehrswert zu besteuern, dürfe es bei der Ersatzbemessungsgrundlage keinen anderen Zielen nachgehen. Die Unterschiede seien auch nicht vom Versuch des Gesetzgebers getragen, die Regeln durch Typisierung oder Pauschalierung möglichst einfach handhabbar zu machen. Selbst wenn sie es wären, könnten sie aufgrund ihrer Größenordnung nicht mehr als verfassungsrechtlich hinnehmbare Vernachlässigungen der Besonderheiten des Einzelfalls anerkannt werden.

Die Ungleichbehandlung aufgrund der starken Divergenzen zwischen Regel- und Ersatzbemessungsgrundlage, insbesondere im Hinblick auf die generelle Unterbewertung von Grundvermögen sowie von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, sei somit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und verfassungswidrig.

IV. Praktische Bedeutung

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ersatzbemessungsgrundlage § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 nicht mehr anwendbar und ist spätestens bis zum 30. Juni 2016 vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen. Die Steuererhebung in Fällen der Regelbemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 1 GrEStG) bleibt hier- von unberührt. Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 8 Abs. 2 GrEStG führt nicht zur Nichtigkeit dieser Norm, sondern zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Fortgeltung bis zum 31. Dezember 2008 angeordnet. Für die Zeit danach bleibt es bei deren Unanwendbarkeit; der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2016 Zeit, eine Neuregelung rückwirkend zum 1. Januar 2009 zu beschließen.

Zu dieser verfassungsrechtlich nicht unproblematischen, vom Gericht zwingend angeordneten Rückwirkung einer (steuerverschärfenden) Neuregelung wäre sicher eine detailliertere Begründung angebracht gewesen. Stattdessen belässt es das Bundesverfassungsgericht sinngemäß bei dem Hinweis, dass es nach dem entsprechenden Beschluss vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen in den Bestand der (fortgeltenden!) Bewertungsregeln im Rahmen der Grunderwerbsteuer geben könne.

Nach dem 1. Januar 2009 bereits ergangene Steuerbescheide dürfen jedoch nach § 176 der Abgabenordnung (AO) aufgrund der vorstehenden Entscheidung nicht rückwirkend zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. Das gilt aber nur, wenn bereits eine formell bestandskräftige Steuerfestsetzung erfolgt ist. Dagegen darf das Finanzamt in Fällen, in denen derzeit ein Einspruchsverfahren gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung anhängig ist, die nunmehr festgestellte Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage berücksichtigen (367 Abs. 2 Satz 2 AO). Deshalb ist in derartigen Fällen eine Einspruchsrücknahme zu erwägen.

Soweit jedoch bestandskräftige Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig erfolgt sind (§§ 164, 165 AO), verbietet die Vertrauensschutzregelung § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ebenfalls eine Berücksichtigung des Urteils in abändernden Steuerbescheiden.

Für künftig verwirklichte Erwerbsvorgänge ist jedoch davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die Grunderwerbsteuer bis zur Neuregelung der Ersatzbemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber nur vorläufig festsetzt (§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und den entsprechenden Steuerbescheid aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung ändert.

Im Ergebnis ist damit zu rechnen, dass künftig die Grunderwerbsteuer auf Vorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage oder bei gesellschaftsrechtlichen Anteilsvereinigungen aufgrund der dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich vorgegebenen Orientierung am Verkehrswert von Grundstücken deutlich höher ausfällt als bisher.

Mit ihrer Rüge der Verfassungswidrig- keit haben also die Klägerinnen – und mit ihnen alle anderen Steuerpflichtigen – vom Bundesverfassungsgericht Steine statt Brot bekommen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch hinsichtlich der Bewertungsregeln bei der Grundsteuer ein Vorlageverfahren des Bundesfinanzhofs (BFH) beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist (BFH, Beschluss v. 22.10.2014 – II R 16/13). Anknüpfungspunkt ist auch hier die letzte Erbschaftsteuer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit deren Erwägungen der BFH seine Ansicht von der Verfassungswidrigkeit der insoweit geltenden Bewertungsregeln begründet. Folgt das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation, ist wohl absehbar auch für die Grundsteuer mit deutlich höheren Werten (und damit Steuern) zu rechnen.