Schenkungssteuergesetz

Verzicht auf Mehrstimmrecht keine schenkungsteuerpflichtige Zuwendung

Friedrich Acker,  Rechtsanwalt, Stuttgart

Verzichtet ein Gesellschafter einer GmbH auf ein ihm persönlich zustehendes Mehrstimmrecht, liegt darin auch dann keine freigebige Zuwendung an die anderen Gesellschafter der GmbH, wenn sich der Wert von deren Anteilen an der GmbH dadurch erhöht.

I. Problemstellung und deren praktische Bedeutung

In der Vermögens- und Unternehmensnachfolge stellen Mehrstimmrechte ein häufiger genutztes Gestaltungsinstrument dar. Mehrstimmrechte werden z.B. vereinbart, wenn der Übergeber bereit ist Substanz und Erträge von Gesellschaftsanteilen zu übertragen, sich aber den Einfluss auf die Gesellschaft noch vorbehalten möchte. Mehrstimmrechte gewähren einem Gesellschafter, meist dem Übergeber, unabhängig vom Nennbetrag seiner Anteile so viele Stimmen, dass ihm z.B. mindestens 51 % oder ein höheres Stimmquorum und den anderen verbleibenden Gesellschaftern insgesamt 49 % oder ein niedrigeres Stimmquorum zur Verfügung stehen.

Häufig sind Mehrstimmrechte in vermögensverwaltenden Gesellschaften vorzufinden, deren Ziel darin besteht, die Familie aus schenkungsteuerlichen Überlegungen frühzeitig am Vermögen und den Erträgen zu beteiligen, ohne ihr Einfluss auf die Gesellschaft zu gewähren.

Während Mehrstimmrechte in der Aktiengesellschaft verboten sind (§ 12 Abs. 2 AktG), sind diese in der GmbH allgemein anerkannt (Baumbach, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 47 Rn. 68; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 47 Rn. 5.). Das Stimmrecht kann in der Satzung der GmbH für bestimmte Gesellschafter oder Geschäftsanteile ausgeschlossen, beschränkt oder erhöht werden. Das Mehrstimmrecht kann an die Person des Gesellschafters oder an den Geschäftsanteil  geknüpft werden.

Bei einem Einsatz von Mehrstimmrechten sind zum einen die damit verbundenen psychologischen Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschafter zu berücksichtigen, die in der Gesellschaft letztlich keinen nachhaltigen Einfluss ausüben können. Demgemäß ist zu empfehlen, von Mehrstimmrechten nur sehr zurückhaltend und sorgsam Gebrauch zu machen.

Das hier dargestellte Urteil zeigt aber auch, dass die mit dem Mehrstimmrecht verbundenen steuerlichen Konsequenzen im Auge behalten werden müssen.

II. Zum Sachverhalt

Der Vater der Kläger (V) gründete gemeinsam mit einem Dritten (D) im Jahre 1984 eine GmbH an der er mit 97 % beteiligt war. Im Jahre 1993 wurde im Rahmen einer Kapitalerhöhung der Gesellschaftsvertrag der GmbH dahingehend geändert, dass die von V gehaltenen Geschäftsanteile an der GmbH, unabhängig von ihrem Nennbetrag, so viele Stimmen gewähren, dass ihm mindesten 51 % der Stimmen zustehen, während den anderen Gesellschaftern die restlichen 49 % zustehen. Diese Regelung sollte solange gelten, wie V Gesellschafter der GmbH ist. Im Jahre 1994 übertrug V seinen drei Söhnen (Kläger) je 24 % seiner Geschäftsanteile, sodass er noch mit 25 % an der GmbH beteiligt war. Da die geschenkten Anteile keinen Einfluss auf die Geschäftsführung vermittelten, wurde bei der Festsetzung der Schenkungsteuer, der nach den damals gültigen Erbschaftsteuerrichtlinien ermittelte gemeine Wert der Anteile um einen Abschlag von 10 % gekürzt. Im Oktober 2000 erwarben die Kläger je 1 % Geschäftsanteile von den Erben des D, sodass sie, wie V, mit je 25 % an der Gesellschaft beteiligt waren. Im Dezember 2000 wurde das Stamm- kapital der GmbH erhöht. Zugleich entfiel im Rahmen der Änderung der Satzung das Mehrheitsstimmrecht des V.

Das beklagte Finanzamt (FA) sah im Verzicht auf das Mehrstimmrecht eine steuerpflichtige Zuwendung des V an seine Söhne (Kläger). Der Wert der Anteile der Söhne habe sich dadurch erhöht, dass kein Abschlag wegen fehlenden Einflusses auf die Geschäftsführung mehr vorzunehmen sei. Das FA setzte demgemäß gegen die Söhne (Kläger) Schenkungsteuer fest, weil es im Verzicht des V auf das Mehrstimmrecht eine freigebige Zuwendung des V an die Klägerin sah. Die Einsprüche der Kläger gegen die Schenkungsteuerbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht Baden Württemberg (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, es läge keine freigebige Zuwendung vor. Die Revision beim BFH hat die Auffassung des FG bestätigt.

III. Entscheidungsgründe

In der Urteilsbegründung legt der BFH zunächst dar, dass der Schenkungsteuer als Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung unterliegt, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Erforderlich ist demgemäß:

  1. Eine Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf Seiten des Schenkers, vorliegend V, und eine Vermögensmehrung auf Seiten der Beschenkten, vorliegend der Kläger.
  1. Die Vermögensverschiebung muss sich auf die Vermögenssubstanz beziehen, nämlich auf den Zugang aktiver Wirtschaftsgüter oder Wegfall negativer Vermögenswerte, wie z.B.

Eine bloße Werterhöhung des Vermögens bei den Klägern würde ebensowenig wie die bloße Wertminderung des Vermögens des V zu einem Schenkungsteuertatbestand  führen.

Der BFH weist darauf hin, dass sich auch aus dem Institut der mittelbaren Schenkung nichts anderes ergibt. Auch dort wird eine Vermögensverschiebung zwischen Schenker und Beschenktem gefordert, wobei der Entreicherungsgegenstand und der Bereicherungsgegenstand nicht identisch sein müssen. Wendet z.B. der Schenker einen Geldbetrag mit der Auflage an den Beschenkten zu, eine bestimmte Immobilie zu erwerben, ist mittelbar die Immobilie geschenkt. Der Entreicherungsgegenstand beim Schenker ist der hingegebene Geldbetrag, der Bereicherungsgegenstand beim Beschenkten ist die Immobilie.

Der Verzicht auf das Mehrstimmrecht durch V stellt demnach nach Auffassung des Gerichts keine freigebige Zuwendung dar, weil es an einer substanziellen Vermögensverschiebung zwischen V und dem Kläger fehlt. Das Mehrstimmrecht des V stellt demnach keinen  Vermögensgegenstand dar, sondern lediglich eine an die Person des V gebundene unselbstständige Ausgestaltung des Stimmrechts von V in der Gesellschafterversammlung der GmbH ohne Bezug auf das Vermögen des V. Dadurch, so der BFH, unterscheidet sich das Mehrstimmrecht von selbstständigen Rechtspositionen wie etwa Geldforderungen, Nießbrauchrechten etc. Dem Mehrstimmrecht des V komme jedenfalls kein Vermögensbezug zu, sodass es an einer Vermögensverschiebung fehle. Denn das früher dem V zustehende Mehrstimmrecht erhöhte nach Auffassung des BFH den Wert seiner Beteiligung nicht.

In diesem Zusammenhang verweist der BFH in der Urteilsbegründung auf die Vorschriften zur Ermittlung des Verkehrswerts in § 9 Abs. 2 BewG. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 dürfen bei der Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden. Da es sich bei dem Mehrstimmrecht des V um einen persönlichen Umstand handelt, darf sich dieser nach der genannten Vorschrift nicht auf den Wert der Beteiligung auswirken. Die Folge daraus ist, dass sich der Verkehrswert oder gemeine Wert des Vermögens des V durch den Verzicht auf das Mehrstimmrecht steuerlich nicht auswirkt. Damit wäre nach Auffassung des Gerichts auch für den Fall keine Schenkung anzunehmen, dass eine bloße Änderung des Werts des Vermögens des Schenkers und des Bedachten zu einer steuerpflichtigen Schenkung führen würde.

IV. Weitere Hinweise

Die Entscheidung des BFH bezog sich auf ein Mehrstimmrecht, das an die Person von V geknüpft war. Wäre das Mehrstimmrecht sachlich an einen Geschäftsanteil geknüpft gewesen, läge jedenfalls anders als bei der Anknüpfung an die Person des V ein sachlicher Bezug zum Vermögen des V vor. Dennoch dürfte es aber gleichwohl an dem vom BFH für eine schenkungsteuerpflichtige freigebige Zuwendung geforderten Zugang aktiver Wirtschaftsgüter fehlen, da das Mehrstimmrecht keinen gesonderten Vermögensgegenstand darstellt. Die Entscheidung des BFH erfolgte nach alter Rechtslage. Der BFH hatte daher den durch Gesetz vom 07.12.2011 eingeführten § 7 Abs. 8 ErbStG bei seiner Entscheidung nicht zu berücksichtigen, da dieser gemäß § 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG nur auf Erwerbe Anwendung findet, für die die Steuer nach dem 13.12.2011 entsteht.

Nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung auch die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesell- schaft, die eine an der Kapitalge- sellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person oder Stiftung durch die Leistung einer anderen Person an die Gesellschaft erhält. Demgemäß ist die Frage aufzuwerfen, ob der Verzicht auf ein Mehrstimmrecht als eine Schenkung i.S. des § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG gilt. § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG setzt die Leistung an die Gesellschaft voraus, die zu einer Werterhöhung der Anteile natürlicher Gesellschafter oder Stiftungen führt.

Die Aufgabe eines Mehrstimmrechts stellt von vornherein keine Leistung an die Gesellschaft dar, sodass bereits insoweit § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG nicht erfüllt ist. Das Gesellschaftsvermögen wird durch die Gesellschaftervereinbarung nicht berührt.

Vielmehr ist das Stimmrecht nach dem hier dargestellten Urteil des BFH ein unselbstständiger Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts des Gesellschafters, über das nicht getrennt verfügt werden kann (Siehe hierzu auch die Anmerkungen von Wach- ter zum BFH Urteil vom 30.01.2013, ZEV 2013, 349 (352)). Demgemäß ist davon auszugehen, dass der Verzicht auf ein persönliches Mehrstimmrecht auch nicht gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG der Schenkungsbesteuerung unterliegt.

Allerdings verdeutlicht die Entscheidung auch die Bedeutung des § 9 Abs. 2 BewG, der verfassungsrechtlich als nicht unproblematisch angesehen wird (So zutreffend der Hinweis von Wachter in den o.g. Anmerkungen zu dem hier diskutierten BFH-Ur- teil, ZEV 2013, 349 (352)). Denn es entspricht keinesfalls der Bewertungspraxis, dass Anteile mit oder ohne Stimmrechtsbeschränkungen oder mit Mehrstimmrechten nicht in ihrem Wert tangiert werden. Man betrachte nur den Bewertungsunterschied zwischen Stamm- und Vorzugsaktien. Für Familienunternehmen hat die Bewertungsvorschrift des § 9 Abs. 2 BewG auch noch an anderer Stelle Bedeutung, wenn es beispielsweise um die Berücksichtigung von Verfügungsbeschränkungen oder aber um Abfindungsbeschränkungen bei der Wertermittlung für Anteile geht. Auch diese Einschränkungen dürfen bei der Bewertung der Anteile für Zwecke der Schenkungsteuer nicht berücksichtigt werden, was unter dem Aspekt der vom BVerfG geforderten realitätsnahen Bewertung kritisch zu sehen ist.

Kündigungsschutzgesetz

Kleinbetriebsklausel – Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern

Dr.  Wolfram Sitzenfrei, Rechtsanwalt

Bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG sind im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf  beruht.

I. Problemstellung und praktische Bedeutung

Da § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auf die „in der Regel“ im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße nicht auf die zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Maßgebend ist die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung; Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen.

Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hängt unter anderem von der Betriebsgröße ab. Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes zieht einige zu beachtende Aspekte nach sich. Insbesondere ist für eine Kündigung eine soziale Rechtfertigung erforderlich.

Hinsichtlich der Bestimmung der Betriebsgröße gibt es einige Streitfragen. Einer der wesentlichen, bisher streitigen Fragen ist es, ob bei der Bestimmung der Betriebsgröße Leiharbeitnehmer Berücksichtigung finden.

Es hat bisher sowohl in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, als auch im Schrifttum der deutlich überwiegenden Auffassung entsprochen, dass Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße nicht zu berücksichtigen sind. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass Leiharbeitnehmer nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen. Darüber hinaus werden Leiharbeitnehmer beim Verleihunternehmen, zu dem ein Arbeitsverhältnis besteht, zur Bestimmung der Betriebsgröße berücksichtigt.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der genannten Entscheidung gegen die instanzgerichtliche Rechtsprechung und gegen die überwiegende Auffassung des Schrifttums gestellt und entschieden, dass Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße hinzuzuzählen sind.

II. Zum Sachverhalt

Der Kläger war als Hilfskraft bei der Beklagten beschäftigt; das Arbeitsverhältnis wurde nach etwas mehr als dreijähriger Dauer von der Beklagten ordentlich gekündigt. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hat der Kläger vorgebracht, dass die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Hierzu hat er insbesondere auf die bei der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmer verwiesen, die nach seiner Auffassung wie eigene Arbeitnehmer im Betrieb eingesetzt würden. Die Beklagte hat sich damit verteidigt, dass ohne die Leiharbeitnehmer weniger als zehn Mitarbeiter im Betrieb tätig seien. Für die Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, kam es daher darauf an, ob Leiharbeitnehmer für die Bestimmung der Betriebsgröße hinzuzurechnen sind.

III. Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass bei der Bestimmung der Betriebsgröße die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen sind. Weitere Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit von Leiharbeitnehmern ist dabei, dass ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht. Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG keinen eindeutigen Aufschluss darüber gebe, ob für die Berücksichtigungsfähigkeit der Mitarbeiter ein Arbeitsverhältnis erforderlich sei, oder ob Leiharbeitnehmer – bei denen zum Entleihbetrieb kein Arbeitsverhältnis bestehen würde – dennoch mitzuzählen seien. Auch die Gesetzessystematik und der Regelungszusammenhang würden keinen Aufschluss geben, wie die Frage zu entscheiden sei. Ferner lasse die Entstehungsgeschichte zur vorliegenden Frage keine hinreichenden Schlüsse zu. Die aus seiner Sicht zutreffende Lesart nimmt das Bundesarbeitsgericht aus dem Regelungszweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Die Benachteiligung von Arbeitnehmern in Kleinbetrieben bedürfe der verfassungsrechtlichen Legitimation. Der Grund für die Privilegierung von Kleinbetrieben soll darin liegen, dass Kleinbetriebe regelmäßig „eine geringere Finanzausstattung aufweisen, die sie häufig außer Stande setzt, Abfindungen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen und dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen belastet“. Diese Argumentation zu Grunde gelegt, mache es keinen Unterschied, ob Arbeitsplätze mit eigenen oder mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Daher seien unter bestimmten Voraussetzungen auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.

Hieraus leitet das Bundesarbeitsgericht eine weitere Differenzierung ab, der zu Folge Leiharbeitnehmer nicht in allen, sondern nur in bestimmten Fällen mit zu berücksichtigen sind. Leiharbeitnehmer sind dann mitzuzählen, wenn ihre Beschäftigung dem „Regelzustand“ des Betriebes entspricht, also wenn dauerhaft bestehende Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Leiharbeitnehmer sind dagegen nicht mitzuzählen, wenn sie zur Vertretung von Stammarbeitnehmern beschäftigt sind. Ebenso wenig zählen sie mit, wenn sie zur Bewältigung von Auftragsspitzen eingesetzt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich damit gegen die Instanzenrechtsprechung und gegen die überwiegende Auffassung in der Literatur gestellt. Dabei ist es bemerkenswert, dass sich das Bundesarbeitsgericht recht einfach über die Unterschiede zwischen Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern hinweg setzt. Immerhin zeichnet das Bundesarbeitsgericht ein differenziertes Bild dazu, unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigen sind. Es ist damit keineswegs so, dass in jedem Fall Leiharbeitnehmer berücksichtigt werden müssen; vielmehr muss jeder Arbeitsplatz danach bewertet werden, ob es ein Dauerarbeitsplatz ist, ob nur eine Vertretung erfolgt, oder ob nur ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf besteht. Für Argumentationen im Einzelfall bleibt damit in erheblichem Umfang Raum. Das Bundesarbeitsgericht hat damit einige Aspekte, die ähnlich auch bei anderen Wertungsfällen wie ruhenden Arbeitsverhältnissen, vorübergehenden Arbeitsverhältnissen, befristeten Arbeitsverhältnissen oder Langzeiterkrankten Berücksichtigung finden, aufgenommen.

Darüber hinaus ist die Entscheidung deshalb interessant, weil einige weitere Gesetze ähnliche oder vergleichbare Regelungen aufweisen. Beispielsweise regelt § 1 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz , dass in Unternehmen, die „in der Regel mehr als 2.0 Arbeitnehmer beschäftigen“ die Mitarbeiter ein Mitbestimmungsrecht. Hierzu gibt es regelmäßige Abgrenzungsschwierigkeiten dazu, wie die Unternehmungsgröße zu bestimmen ist. Dies betrifft auch die Frage, ob Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa Henssler, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Auflage 2013, § 3 MitbestG RZ. 34 ff.). Es ist dabei zweifelhaft, ob die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes Hinweise dafür geben kann, wie vergleichbare Fragen hinsichtlich anderer Gesetze zu entscheiden sind. Denn das Bundesarbeitsgericht hat sich sehr spezifisch mit dem Sinn und dem Zweck der Kleinbetriebsklausel auseinandergesetzt, und dabei eine grundrechtsorientierte Argumen- tation vorgenommen. Diese Argumentation dürfte kaum auf andere Gesetze übertragbar sein, sodass die Beantwortung dortiger Fragen hinsichtlich der Bestimmung der Betriebs- und Unternehmensgröße originär aus diesen Gesetzen heraus zu erfolgen haben wird.

Einkommensteuergesetz

Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 35 EStG; Nießbrauch an einem Mitunternehmeranteil und Gewerbesteueranrechnung

Andrea Seemann, Steuerberaterin

Seit der Unternehmensteuerreform 2008 ist die Gewerbesteuer nicht mehr als Betriebsausgabe abzugsfähig. Die Möglichkeit der Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer gemäß § 35 EStG hat dadurch erheblich an Bedeutung gewonnen.

Praktische Bedeutung

Um die Doppelbelastung von gewerblichen Einkünften mit Gewerbesteuer und Einkommensteuer zumindest abzumildern, kann die Gewerbesteuer gemäß § 35 EStG teilweise auf die Einkommensteuer angerechnet werden. Bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2007 war das 1,8-fache des Gewerbesteuer-Messbetrags auf die Einkommensteuer anrechenbar. Dieser Faktor wurde ab dem Veranlagungszeitraum 2008 im Rahmen der Unternehmensteuerreform auf das 3,8-fache angehoben. Die in § 35 EStG normierten Regelungen zur Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer sind aufgrund ihrer Typisierung mit einigen Fallstricken behaftet. So soll u.a.  der Gewerbesteuer- Messbetrag einer Personengesellschaft nach Maßgabe des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels aufgeteilt werden. Vorabgewinnanteile sind ebenso wenig zu berücksichtigen wie Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben. Dies kann zum überraschenden Ergebnis führen, dass sich ein Großteil des Gewerbesteueranrechnungsvolumens tatsächlich nicht auswirkt. Vermietet bspw. ein nur zu 10 % beteiligter Kommanditist das Betriebsgrundstück an die Personengesellschaft, sind die Vermietungseinkünfte gewerbesteuerpflichtige Sonderbetriebseinnahmen. Die Gewerbesteuer der Gesellschaft, also auch die Gewerbesteuer auf die Mieteinkünfte, kann dieser Kommanditist aber nur nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel, also nur i.H.v. 10 %, auf seine Einkommensteuer anrechnen. Dadurch erhöht sich seine Steuerbelastung auf die Mieteinkünfte erheblich. Der Frage der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer kommt folglich eine wesentliche Bedeutung zu.

Ist ein Gesellschaftsanteil mit einem Nießbrauch belastet, so z.B. wenn im Rahmen der Nachfolge der Gesellschaftsanteil unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen wurde, sind die Einkünfte regelmäßig auch vom Nießbraucher zu versteuern. Im Hinblick auf die Handhabung der Gewerbesteueranrechnung fehlte es für diesen Fall bisher an einer eindeutigen Regelung. Die Finanzverwaltung hat sich mit BMF-Schreiben vom 18.01.2013 nun zu dieser Frage geäußert.

Regelung des BMF-Schreibens vom 18.01.2013

Ist ein Mitunternehmeranteil mit einem Nießbrauch belastet, ist dies für die Gewerbesteueranrechnung nach Maßgabe des neuen BMF-Schreibens nicht nachteilig. Vielmehr folgt auf einer ersten Stufe die vorab beschriebene Aufteilung des Gewerbesteuer- Messbetrags nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel der Personengesellschaft. Das nach dieser Verteilung dem Gesellschafter zustehende Anrechnungsvolumen ist sodann auf einer zweiten Stufe entsprechend der Verteilung des Gewinns zwischen Gesellschafter und Nießbraucher erneut aufzuteilen. Soweit der Gewinnanteil vom Gesellschafter zu versteuern ist, ist diesem auch quotal der anteilige Gewerbesteuer- Messbetrag zuzurechnen. Soweit der Gewinnanteil vom Nießbraucher zu versteuern ist, ist diesem der anteilige Gewerbesteuer-Messbetrag zuzurechnen.

Ausblick

Der Nießbraucher wird steuerlich einem Gesellschafter gleichgestellt, wenn der Nießbrauch unternehmerisch ausgestaltet ist, also der Nießbraucher zumindest bei den laufenden Geschäften ein Stimmrecht hat. Es ist folglich nur konsequent, dem Nießbraucher die Anrechnung der Gewerbesteuer entsprechend seinem Gewinnanteil zu gewähren. Die Klarstellung dieser Frage seitens der Finanzverwaltung ist daher zu begrüßen. Die Aussage der Finanzverwaltung muss zudem ebenso im Falle einer atypisch stillen Unterbeteiligung  gelten.

Erbrecht

Volljährig Adoptierter als Kind des Erblassers i.S. einer qualifizierten Nachfolgeklausel

Prof. Dr. Rainer Lorz, LL.M., Rechtsanwalt/Dr. Maximilian Hermann, Rechtsanwalt

Bei einer auf Kinder beschränkten qualifizierten Nachfolgeklausel im Gesellschaftsvertrag einer Personenhandelsgesellschaft umfasst der Begriff „Kind“ auch einen als Kind angenommenen volljährigen Enkel.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Bei der Gestaltung der Erbfolge in Personengesellschaften ist es in rechtlicher Hinsicht unerlässlich, die erbrechtliche Verfügung mit den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben abzustimmen, um Komplikationen bei einer erbrechtlichen Übertragung von Gesellschaftsanteilen zu vermeiden. Hierbei entsprechen die gesetzlich angeordneten Folgen des Todes eines Gesellschafters in Familienunternehmen in der Regel nicht der typischen Interessenlage der Gesellschafter. Sie spielen in der Praxis daher meist nur eine subsidiäre Rolle und werden durch entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelungen ergänzt oder ersetzt.

Der Gesellschaftsvertrag kann insbesondere einfache oder qualifizierte Nachfolgeklauseln enthalten, wenn die Beteiligung vererblich gestellt werden soll. Die einfache Nachfolgeklausel sieht die freie Vererblichkeit des Gesellschaftsanteils und die Fortführung der Gesellschaft allgemein „mit dem/den Erben“ des verstorbenen Gesellschafters vor. Die Bestimmung der in die Gesellschaft im Wege der Sonderrechtsnachfolge unmittelbar nachrückenden Personen erfolgt allein nach den erbrechtlichen Vorgaben (gesetzliche Regelung bzw. Verfügung von Todes wegen), wobei die Höhe der Erbquote über die Höhe der Beteiligung an der Gesellschaft entscheidet. Durch die Verwendung einer – vor allem bei Familienunternehmen häufig gewählten – qualifizierten Nachfolgeklausel wird demgegenüber sichergestellt, dass die Beteiligung des Erblassers nur auf einen oder einzelne, durch Alter, Ausbildung, Familienzugehörigkeit etc. besonders qualifizierten Erben unter Ausschluss der übrigen Erben übergeht. Die Beteiligung wird direkt und in voller Höhe auf den wiederum kraft Sonderrechtsnachfolge einrückenden, die Qualifikationsvoraussetzungen erfüllenden Erben übergeleitet. Sind mehrere Miterben als Nachfolger vorgesehen, wird die Mitgliedschaft nicht Gesamthandseigentum der Erbengemeinschaft, sondern geht unmittelbar im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf die Miterben über. Der Umfang des Rechtserwerbs richtet sich nach dem Verhältnis der Erbquoten der bedachten Miterben untereinander.

Die Nachfolge im Wege einer qualifizierten Nachfolgeklausel vollzieht sich kraft Erbrechts. Aus diesem Grund muss der gesellschaftsvertraglich vorgesehene Nachfolger zum Kreis der Erben gehören, zumindest zu einem Bruchteil, da die Klausel andernfalls bildlich gesprochen „ins Leere“ geht. Umgekehrt bleibt die Erbenstellung ohne Bedeutung in Bezug auf die Nachfolge in den Anteil, sofern der Erbe nicht die gesellschaftsvertraglichen Qualifikationsvoraussetzungen erfüllt. Mit dem Problem, ob ein Erbe die in der Nachfolgeklausel definierten Eigenschaften aufweist, hatte sich das OLG Stuttgart zu beschäftigen.

Entscheidungsgründe

In dem vom OLG Stuttgart zu entschei- denden Fall war im Gesellschaftsvertrag eine qualifizierte Nachfolgeklausel enthalten, die die Berechtigung der Gesellschafter vorsah, ihre Anteile erbrechtlich auf ihre Kinder zu übertragen. Nur diese sollten also nachfolgeberechtigt sein. Der Senat hatte die Frage zu klären, ob der Begriff „Kind“ im Sinne der Nachfolgeklausel auch volljährig Adoptierte umfasst. Anderenfalls wäre der vom Erblasser volljährig adoptierte Enkel aufgrund der testamentarischen Verfügung zwar Erbe, jedoch nicht Gesellschafter geworden, hätte also nicht in die Gesellschafterstellung nachrücken können. Im Ausgangspunkt seiner Überlegungen geht das Gericht vom allgemeinen Sprachgebrauch aus und stellt fest, dass der Begriff „Kind“ – sofern nicht ausdrücklich durch das Attribut „leiblich“ eingeschränkt – neben leiblichen Kindern auch adoptierte Kinder umfasst. Der Begriff „Kind“  lege anders als  der Begriff „Abkömmling“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keine leibliche Abstammung nahe. Dieses Verständnis liegt nach Ansicht des Gerichts auch dem juristischen Sprachgebrauch zugrunde, da nach § 1754 Abs. 1 und 2 BGB der Adoptierte die rechtliche Stellung eines (leiblichen) Kindes hat. Insoweit sei nicht zwischen einer Volljährigenadoption und Minderjährigenadoption zu unterscheiden. Dem Verweis auf die „schwache“ Wirkung der Volljährigenadoption erteilt der Senat eine Absage, da diese „schwa- che“ Wirkung im Wesentlichen darin bestehe, dass ein Verwandtschaftsverhältnis nach § 1770 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zum Annehmenden selbst, nicht aber zu dessen Verwandten begründet wird; dies – so der Senat – ändere nichts daran, dass der Angenommene durch die Adoption zum Kind des Annehmenden Damit hat das OLG Stuttgart die Nachfolgeberechtigung eines als Kind angenommenen volljährigen Enkels bei einer auf Kinder beschränkten qualifizierten Nachfolgeklausel zutreffend bejaht. Bei mehrdeutigen Begriffen sollte man sich jedoch nicht auf die Auslegung durch Gerichte verlassen, sondern sinnvollerweise den Kreis der Nachfolger genau bezeichnen (Kind, Abkömmling, (nicht) ehelich, leiblich, adoptiert).

Weitere Hinweise

Die Ausgleichsansprüche weichender Erben bei Verwendung einer qualifizierten Nachfolgeklausel sind erbrechtlicher Natur und richten sich gegen den qualifizierten Erben. Er schuldet also den nichtqualifizierten und somit nicht in die Gesellschafterstellung nachrückenden Miterben einen Wertausgleich, sofern der Wert der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung den Betrag übersteigt, der ihm aufgrund seiner Erbquote zustehen würde. Anders ist dies nur dann, wenn der Erblasser dem qualifizierten Nachfolger den Anteil ohne Anrechnung auf den Erbteil zukommen lassen wollte (Vorausvermächtnis). Obwohl – aufgrund der ungeschmälerten Vererbung der Mitgliedschaft – keine Abfindungsansprüche gegen die Gesellschaft entstehen, bleibt deren Liquidität von einer Erbauseinandersetzung dennoch regelmäßig nicht unberührt. Ist der qualifizierte Erbe zu hohen Zahlungen an die weichenden Miterben verpflichtet, die er aus seinen sonstigen Vermögenswerten nicht leisten kann, wird er zur Erfüllung des Ausgleichsanspruchs etwa durch Entnahmen oder durch Privatdarlehen auf die Aktiva der Gesellschaft zurückgreifen. In diesem Zusammenhang kann sich eine testamentarische Anordnung empfehlen, wonach den ausgleichsberechtigten Miterben anstelle einer Ausgleichszahlung eine Unterbeteiligung am Anteil des Erblassers ein- zuräumen ist. Zur Streitvermeidung empfiehlt es sich ferner, ein Verfahren zur Wertermittlung vorzugeben oder mit den weichenden Erben eine Abfindungsvereinbarung bzgl. der zu erbringenden Ausgleichsleistung – in der Gestalt eines Erbverzichts oder Pflichtteilsverzichts – zu treffen.

Auflösung und Nichtigkeit der Gesellschaft

Gesellschafterdarlehen und Zahlungsunfähigkeit

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt

  1. Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht S.d. § 64 Satz 3 GmbHG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist.
  2. Bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach 64 Satz 3 GmbHG ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen.
  3. Im Fall des 64 Satz 3 GmbHG kann die Gesellschaft die Zahlung an den Gesellschafter verweigern.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Bei der Finanzierung von Familienunternehmen spielen Gesellschafterdarlehen vielfach eine große Rolle. Ist das Unternehmen in einer finanziellen Krise, stellt sich dann die Frage, ob die Gesellschafter den Kredit wieder abziehen können oder in der Gesellschaft belassen müssen. Bei einer GmbH haben die Gerichte diese Frage bis vor wenigen Jahren nach den Regeln des Eigenkapitalersatzrechts gelöst. Dem lag folgender Gedanke zugrunde: Wenn die Gesellschafter Einlagen in das Vermögen der GmbH geleistet hatten, so dürfen sie diese nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen zurückerhalten. Aus der Kapitalerhaltungsregel (Ausschüttungsverbot) des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG folgt bei einer Unterbilanz demnach automatisch ein Zurückbehaltungsrecht für die Gesellschaft. Diese Regeln wandte der Bundesgerichtshof bis 2008 auch auf Leistungen an, die nicht als Einlagen, sondern als sog. „kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen“ in der Krise der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurden oder stehengeblieben waren. Eine Klage auf Rückzahlung eines Darlehens war mithin unbegründet, wenn sich die Gesellschaft in einer Krise befand und zur Rückzahlung aus freiem Vermögen nicht in der Lage war.

Mit der GmbH-Reform von 2008 (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008 – MoMiG) hat der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung die Grundlage entzogen: Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. findet das Rückzahlungsverbot auf Darlehen nämlich ausdrücklich keine Anwendung mehr. Dafür wurde die Haftungsnorm des § 64 Satz 3 GmbHG eingeführt. Nach dieser Vorschrift haften die Geschäftsführer einer GmbH für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dass dies nicht erkennbar war. Die neue Norm hat große Diskussionen ausgelöst. Für die Geschäftsführer einer GmbH war oft unklar, wie sie sich verhalten sollen, wenn seitens eines Gesellschafters eine Zahlung verlangt wird. Mit dieser Frage beschäftigt sich das hier zu besprechende Urteil.

Zum Sachverhalt

Der Kläger und seine mittlerweile von ihm geschiedene Ehefrau, die alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der beklagten GmbH ist, gewährten der Beklagten am 01.08.1995 ein Darlehen über 350.000,– DM (178.952,16 `) zur Finanzierung der Einrichtung und des Warenbestandes. Die Beklagte verpflichtete sich, das Darlehen bis spätestens 31.12.2005 zurückzuzahlen.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Hinterlegung des Darlehensbetrages zzgl. Zinsen zu seinen Gunsten und zugunsten seiner früheren Ehefrau. Die beklagte GmbH verweigert die Rückerstattung des Darlehens unter anderem mit der Begründung, die Rückzahlung führe zu ihrer Zahlungsunfähigkeit, sodass sie diese nach § 64 Satz 3 GmbH verweigern könne. Das Landgericht Mainz hat der Klage stattgegeben. Das OLG Koblenz hat sie auf die Berufung der Beklagten als derzeit unbegründet abgewiesen. Die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe

Zunächst stellt der Bundesgerichtshof fest, dass der Anwendungsbereich des § 64 Satz 3 GmbHG nur dann eröffnet ist, wenn die Zahlung der Gesellschaft an einen Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit verursacht. Wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist, könne eine Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr verursachen. Von einer Zahlungsunfähigkeit sei regelmäßig auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10 % oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Ob bei der Prüfung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG im insolvenzrechtlichen Sinn fällige und durchsetzbare Ansprüche des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Liquiditätslücke einzustellen sind, war bisher äußerst umstritten. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass hierbei fällige Gesellschafterforderungen nicht auszuklammern sind. Wenn unter Berücksichtigung fälliger, d.h. ernsthaft eingeforderter Gesellschafterforderungen bereits eine Deckungslücke von 10 % oder mehr besteht, sei die Gesellschaft zahlungsunfähig und werde die Zahlungsunfähigkeit durch die Zahlung an den Gesellschafter nicht herbeigeführt. § 64 Satz 3 GmbHG verlange die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit und stelle nicht auch auf die Vertiefung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ab.

Insoweit bestehe auch keine Schutzlücke, die geschlossen werden müsste. Der Geschäftsführer hafte bereits nach § 64 Satz 1 GmbHG für geleistete Zahlungen, wenn die Gesellschaft unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung zahlungsunfähig ist. Eine erweiternde Auslegung des § 64 Satz 3 sei auch nicht erforderlich, um der Gesellschaft eine Einrede gegen die Gesellschafterforderung zu gewähren. Wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist, habe der Geschäftsführer den Anspruch des Gesellschafters nicht zu befriedigen, sondern Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Das entspreche auch der Konzeption des Gesetzes, nach der die (eingangs dargestellten) Rechtsprechungsregeln, die entsprechend § 30 Abs. 1 GmbHG a.F. zu einer Durchsetzungssperre für die Gesellschafterforderung führten, mit dem Inkrafttreten des MoMiG abgeschafft sind (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG). Der „Nachrang“ der Gesellschafterforderung gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger soll durch die insolvenzrechtlichen Regelungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bzw. § 135 Abs. 1 InsO) gewahrt werden; ernst zu nehmende Schutzlücken sollen nicht entstehen und durch die neuen Regelungen im Anfechtsungsrecht geschlossen werden. Mit einer Interpretation des § 64 Satz 3 GmbHG als Einrede der Gesellschaft gegen fällige Gesellschafterforderungen würde die Durchsetzungssperre aber für einen Teilbereich wieder eingeführt und die Insolvenzantragstellung, da Gesellschafterforderungen nicht durchsetzbar wären und nicht als fällige Forderungen in die Liquiditätsbilanz einzustellen wären, zeitlich verschleppt, obwohl nicht einmal der Gesellschafter die Gesellschaft weiterfinanzieren will.

Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass der Anwendungsbereich von § 64 Satz 3 GmbHG damit klein ist. Der Gesetzgeber sei nämlich ausdrücklich von einem eng begrenzten Anwendungsbereich ausgegangen. Er habe in der Vorschrift nur eine Ergänzung der Haftung der Gesellschafter auf Existenzvernichtung gesehen. Es bestehe auch über den Fall der – eher theoretischen – Vergrößerung einer Deckungslücke von weniger als 10 % durch die Zahlung hinaus ein Anwendungsbereich gerade im Bereich der unrechtmäßigen Vermögensverschiebung. So könne die Zahlung einer nicht im insolvenzrechtlichen Sinne fälligen und damit in der Liquiditätsbilanz einzustellende Forderung, etwa eine tatsächlich nicht ernsthaft eingeforderte oder einem Rangrücktritt unterliegende Gesellschafterforderung, die Zahlungsunfähigkeit erst verursachen. Ebenso könne das bei einer Zahlung auf eine Gesellschafterforderung der Fall sein, deren Befriedigung an und für sich nicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, von deren Belassen aber Kreditgeber außerhalb des Gesellschafterkreises den Fortbestand, die Verlängerung oder die Gewährung ihrer Kredite abhängig gemacht haben und deren Begleichung sie ihrerseits zum Anlass für eine Kreditrückführung nehmen. Insoweit bestehe nämlich unter Umständen keine anderweitige Haftung des Geschäftsführers, weil der Gesellschaft durch die Zahlung kein Vermögensschaden im i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG zugefügt werde und die Auszahlung auch nicht gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoße.

Der Bundesgerichtshof bemängelt schließlich, dass das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt habe, dass die Rückzahlung des vom Kläger und der Gesellschafterin gewährten Darlehens die Zahlungsunfähigkeit verursachen würde. Hierzu habe das Berufungsgericht – ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien – noch Feststellungen zu treffen. Wenn die Zahlung bzw. die Hinterlegung allerdings die Zahlungsunfähigkeit der Beklagten verursacht, könne die Gesellschaft die Zahlung verweigern. Die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 3 GmbH und das damit verbundene „Zahlungsverbot“ soll der Gefahr vorbeugen, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann und der Geschäftsführer nicht den Mittelabfluss unter Inkaufnahme einer eigenen Haftung bewirken muss. Folgerichtig sei der Geschäftsführer auch an Weisungen der Gesellschafter nicht gebunden (§ 64 Satz 4 GmbHG i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Wenn später Zahlungsunfähigkeit und damit Insolvenzreife eintreten, werde über das bis dahin bestehende Leistungsverweigerungsrecht ggf. ein Nachrang der Gesellschafterforderung realisiert (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), und der Insolvenzverwalter sei nicht darauf verwiesen, abgeflossene Mittel über die Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO oder nach § 64 Satz 3 GmbHG zurückzuholen. Ebenso entfalle das Leistungsverweigerungsrecht, wenn die Gesellschaft der drohenden Zahlungsunfähigkeit begegnen kann und saniert wird.

Fazit

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil für erfreuliche Rechtssicherheit gesorgt. Für die Praxis steht nun fest, dass fällige und ernsthaft eingeforderte Zahlungspflichten gegenüber Gesellschaftern stets im Liquiditätsstatus zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind. Der insolvenzbedrohten Gesellschaft steht insoweit kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Gesellschaftern zu. Klar ist nach dem Urteil auch, dass die viel diskutierte Vorschrift des § 64 Satz 3 GmbHG (und die aktienrechtliche Parallelvorschrift des § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG) nur einen minimalen Anwendungsbereich hat. Nur wenige Ausnahmefälle werden so gelagert sein, dass nicht schon die Zahlungspflicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, sondern erst die Zahlung selbst. In diesen Ausnahmefällen – und nur in diesen – steht der Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Zahlungsverlangen des Gesellschafters zu.

 

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz

Verfassungswidrigkeit des neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts? – Vorlagebeschluss des BFH an das BVerfG

Dr. Bertram Layer, Steuerberater

Problemstellung und praktische Bedeutung

Die erneute Vorlage der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an das Bundesverfassungsgericht mit dem hier dargestellten Beschluss vom 27.09.2012 kommt nicht überraschend. Bereits in der FuS 2012, S. 39 f. haben wir über das durch den BFH eingeleitete Verfahren berichtet. In seinem Beschluss vom 05.10.2011 hatte das Gericht Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen (§§ 13a, 13b und 19a ErbStG) geäußert. In dem damaligen Beschluss hat der BFH das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten. Entgegen der vom BMF geäußerten Auffassung, dass die gültigen Vorschriften des ErbStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, ist der BFH der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 13a und 13b ErbStG in der auf den 01.01.2009 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.2009 gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verstoßen, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen (Freistellung von Betriebsvermögen zu 85 % bzw. 100 %) in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass auch unter Berücksichtigung der Freibeträge des § 16 ErbStG und der umfangreichen Verschonungsregelungen die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme ist. Deshalb muss sich das BVerfG nun zum dritten Mal in Folge mit der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG beschäftigen. Wann das Bundesverfassungsgericht über diese Vorlage entscheiden wird, ist derzeit nicht bekannt. Das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2006 ist erst rund viereinhalb Jahre nach der entsprechenden Vorlage durch den BFH entschieden worden. Eine ähnlich lange Verfahrensdauer angenommen, würde somit erst im Jahr 2017 mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen sein. Die spannende Frage ist nun, wie der Gesetzgeber und auch die Finanzverwaltung auf die Argumentation des BFH und die aus seiner Sicht zu beanstandenden Ungereimtheiten und Missstände des bestehenden Rechts reagieren werden. Jedenfalls drohen weitere Jahre der Unsicherheit bezüglich der Weiterentwicklung des Erbschaftsteuergesetzes. Schon jetzt werden Stimmen laut, die Erbschaftsteuer endgültig abzuschaffen, weil der Gesetzgeber eingestehen müsse, dass er es zum dritten Mal in Folge nicht geschafft hat, ein den Vorgaben der Verfassung entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Andererseits werden auch diejenigen Stimmen lauter, die eine Reduzierung oder gar Abschaffung der Verschonungsregelungen auf unternehmerisches Vermögen fordern. Letztlich wird die BFH-Entscheidung erneut zum Gegenstand scharfer politischer Auseinandersetzungen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf werden. Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist wohl damit zu rechnen, dass die Finanzverwaltung, wie auch in den vorangegangenen Vorlagebeschlüssen an das Bundeverfassungsgericht, die Steuerfestsetzungen nach dem Erbschaft und Schenkungsteuergesetz mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wird. Die Folge eines solchen Vorläufigkeitsvermerks wäre, dass die Festsetzung von Erbschaft oder Schenkungsteuer im Umfang der Vorläufigkeit aufgehoben oder geändert werden kann. Solange noch kein solcher Vorläufigkeitsvermerk in aktuell ergangenen Steuerbescheiden enthalten ist, sollte vorsorglich unter Hinweis auf den BFH-Beschluss und eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- steuergesetzes Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt werden. Sollte das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung gelangen, dass das geltende Erbschaft und Schenkungsteuergesetz verfassungswidrig ist, so würden sich im Falle eines Vorläufigkeitsvermerks keine Rechtsnachteile, z.B. in Gestalt eines Wegfalls von Verschonungsabschlägen ergeben, da unter Hinweis auf § 176 Abs. 1 Satz 1 AO bereits erlassene Steuerbescheide zumindest nach herrschender Meinung nicht zu Ungunsten der Steuerpflichtigen abgeändert werden dürfen (vgl. beispielsweise Eisele, NWB 2012, S. 3453 ff., 3466 mit weiteren Nachweisen). Sollte das Bundesverfassungsgericht wider Erwarten das geltende Erbschaft und Schenkungsteuergesetz rückwirkend für verfassungswidrig erklären und nicht, wie in den vorangegangenen Verfahren, den Gesetzgeber auffordern, bis zu einem in der Zukunft gelegenen Zeitpunkt den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende gesetzliche Regelungen zu verabschieden, so wäre in der Tat in allen noch nicht bestandskräftigen Fällen (z.B. mit Vorläufigkeitsvermerk versehene Steuerbescheide oder aber Steuerbescheide, gegen die Einspruch eingelegt wurde) die Steuerfestsetzung aufzuheben. Mit diesem für den Steuerpflichtigen günstigsten Fall ist aber wohl nicht zu rechnen.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung der Vorinstanz (Finanzgericht Düsseldorf) sowie dem BFH-Beschluss lag folgender Sachver- halt zu Grunde:

Ein Neffe war zu einem Viertel Miterbe des im Januar 2009 verstorbenen Onkels. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und eines Steuererstattungsanspruchs zusammen und belief sich auf 51.266,– `. Unter Berücksichtigung eines persönlichen Freibetrags von 20.000,– ` setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360,– ` fest, basierend auf dem in der Steuerklasse II vorgesehenen Steuersatz von damals noch 30 %. Der Neffe begehrte die Herabsetzung der Steuer auf 4.680,– ` und machte geltend, dass mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 der Steuersatz für die Steuerklasse II in seinem Fall auf 15 % reduziert wurde, allerdings nicht rückwirkend zum 01.01.2009, sondern erst für die Steuer, die nach dem 31.12.2009 entsteht. Gegen die Gleichstellung von Personen in der Steuerklasse II und III beim Steuersatz im Veranlagungszeitraum 2009 äußerte der Kläger verfassungsrechtliche Bedenken und wollte die ab 2010 gültige Besserstellung der Steuerklasse II bereits für sich geltend machen. Das Finanzgericht Düsseldorf hat seine Klage abgewiesen und entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, Personen in der Steuerklasse II erbschaftsteuerlich besser zu behandeln als Personen in der Steuerklasse III. Gegen diese Entscheidung hat sodann der Kläger Revision beim BFH eingelegt, der zu dem Beschluss geführt hat.

Entscheidungsgründe

Der BFH stützt seine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht insbesondere auf folgende Kritikpunkte am geltenden Erbschaft und Schenkungsteuergesetz:

Nach Auffassung des BFH stellt die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von Anteilen an Kapitalgesellschaften eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar. Nach Auffassung des BFH kann nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde. Dabei verweist der BFH auch auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMF aus dem Jahre 2012, das auf der Homepage des BMF abgerufen werden kann. Nach Auffassung des BFH ist auch der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzer- halt“ nicht tragfähig, weil mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten und schon deshalb nicht unter die Arbeitsplatzklausel fielen. In diesem Zusammenhang weist der BFH auch auf Gestaltungmöglichkeiten hin, die es seiner Auffassung nach auf einfache Art und Weise ermöglichen, diese Vorschriften zu umgehen. Sodann setzt sich der BFH ausführlich mit rechtlichen Gestaltungen auseinander, die dazu führen, dass nicht betriebsnotwendiges Vermögen ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung auf die Nachfolgegeneration übertragen werden kann. Hier stellt er beispielsweise auf die Möglichkeit der Übertragung von liquiden Vermögen im Rahmen der sogenannten Cash-GmbH oder Cash-Personengesellschaft ab. Der BFH führt aus, dass beispielsweise ein Anteil an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, deren Betriebsvermögen aus 100 Mio. ` Festgeldguthaben besteht, nach Maßgabe der erbschaftsteuerlichen Regelungen übertragen werden kann, ohne dass Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer anfällt und ohne dass dieses Vermögen einer besonderen Gemeinwohlbindung oder Gemeinwohlverpflichtung unterliegt.

Ergänzende Hinweise

Wie oben bereits vor dem Hintergrund der verfahrensrechtlichen Situation dargestellt, sollte gegen aktuell ergangene Erbschaft- oder Schenkungsteuerbescheide Einspruch eingelegt werden, sofern der Steuerbescheid nicht bereits von der Finanzverwaltung mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wird. Aus Sicht des Steuerpflichtigen und seiner Berater sollten auch die Bemühungen des Gesetzgebers, „Steuersparmodelle“ wie die Cash-GmbH oder andere Gestaltungen einzudämmen, kritisch verfolgt und im Hinblick auf die konkreten Auswirkungen auf die Gestaltung der Unternehmensnachfolge im Auge behalten werden. Die Erweiterung des Verwaltungsvermögensbegriffs in der Stellungnahme des Bundesrats zum Jahressteuergesetz 2013 zeigt hier exemplarisch, welche Dimension gesetzgeberische Gegenmaßnahmen erreichen können. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen, jetzt aber nicht in die vom Bundestag beschlossene Fassung des Jahressteuergesetzes aufgenommenen Gesetzesformulierungen wären mit sehr weitgehenden Konsequenzen für die Unternehmensnachfolge bei solchen Unternehmen verbunden, die liquiditätsmäßig Vorsorge getroffen haben und würden viele Familienunternehmen bei Schenkungen oder im Erbfall ins Mark treffen. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden längeren Unsicherheitsphase bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollten Schenkungsverträge mit Widerrufsklausel versehen werden, die auch den Fall umfassen, dass das derzeit gültige Erbschaft und Schenkungsteuergesetz für verfassungswidrig erklärt wird und z.B. durch Zeitablauf außer Kraft gesetzt wird. Es wäre dann eine erbschaft- und schenkungsteuerfreie Zeit gekommen, die es ermöglichen würde, Schenkungen zu widerrufen und eine unter Inanspruchnahme des 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ursprünglich festgesetzte Schenkungsteuer zum Erlöschen zu bringen. Die erneute Schenkung zu einem Zeitpunkt, in dem kein gültiges Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz mehr vorhanden wäre, würde somit auch zu keiner Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer führen. Allerdings ist bei der Ausgestaltung solcher Widerrufsklauseln Vorsicht geboten. Es dürfen daraus keine grundsätzlichen Zweifel an der Wirksamkeit der Schenkung entstehen.

Steuerrecht

Unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils bei gleichzeitiger Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen

Andrea Seemann, Steuerberaterin

Nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG in seiner seit dem Veranlagungszeitraum 2001 gültigen Fassung scheidet die Aufdeckung der stillen Reserven im unentgeltlich übertragenen Mitunternehmeranteil auch dann aus, wenn ein funktional wesentliches Betriebsgrundstück des Sonderbetriebsvermögens vorher bzw. zeitgleich zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG übertragen worden ist.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Die Übertragung eines Anteils an einer gewerblichen Personengesellschaft (Mitunternehmeranteil) stellt grundsätzlich eine Betriebsaufgabe gemäß § 16 EStG dar und führt zur Aufdeckung der stillen Reserven. Dieser Grundsatz gilt nicht nur im Rahmen einer entgeltlichen, sondern auch bei unentgeltlichen Übertragungen. Nur wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllt werden, erfolgt bei einer unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils (zwingend) eine Fortführung der steuerlichen Buchwerte.

Gehört zum Mitunternehmeranteil sog. Sonderbetriebsvermögen (z.B. ein im Eigentum des Gesellschafters befindliches Grundstück, das an die Gesellschaft vermietet wird), ist nach der Auffassung der Finanzverwaltung bei einer Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils auch dieses Sonderbetriebsvermögen, sofern es funktional wesentlich ist, auf den Erwerber zu übertragen. Die Finanzverwaltung vertritt insbesondere die Auffassung, dass es die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG hinsichtlich der Übertragung des Mitunternehmeranteils hindert, wenn funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen zurückbehalten oder zuvor oder gleichzeitig in ein anderes Betriebsvermögen bzw. Sonderbetriebsvermögen des Steuerpflichtigen gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG unter Fortführung der steuerlichen Buchwerte übertragen wird. Nach dem Urteil des BFH soll hingegen weder eine im Vorfeld stattfindende noch eine gleichzeitige Überführung von Sonderbetriebsvermögen gemäß § 6 Abs. 5 EStG schädlich sein. Diese Rechtsauffassung eröffnet für den Steuerpflichtigen einen weitaus größeren Gestaltungsspielraum, insbesondere im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge.

Zum Sachverhalt

An der Klägerin, einer GmbH & Co. KG, ist F als alleiniger Kommanditist sowie 100 %-iger Gesellschafter- Geschäftsführer der Komplementär- GmbH beteiligt. Als Alleineigentümer hielt er zudem ein an den Betrieb verpachtetes Grundstück (Tankstelle und Verwaltungsgebäude). Mit Wirkung zum 01.10.2002 übertrug F im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Zurückbehaltung des Grundstücks seinen gesamten Kommanditanteil unentgeltlich auf seine Tochter Z, die allerdings 20 % des Anteils fortan treuhänderisch für F halten sollte. Zudem übertrug F ebenfalls mit Wirkung zum 01.10.2002 100 % der Beteiligung an der Komplementär-GmbH  unentgeltlich auf Z. Das zurückbehaltene Grundstück übertrug F am 19.12.2002 unter Fortführung der steuerlichen Buchwerte auf die von ihm neu gegründete I-KG, die den Pachtvertrag mit der Klägerin fortsetzte. Alleiniger Kommanditist der I-KG ist F. Ebenfalls am 19.12.2002 wurde das Treuhandverhältnis bezüglich des Kommanditanteils i.H.v. 20 % beendet, und damit der noch zurückbehaltene Kommanditanteil auf Z übertragen. Das Finanzamt vertrat daraufhin die Ansicht, dass eine Buchwertfortführung gemäß § 6 Abs. 3 EStG aufgrund Übertragung des Sonderbetriebsvermögens auf die I-KG nicht möglich sei. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Auffassung des Finanzamts.

Entscheidungsgründe

Der BFH widersprach sowohl der Ansicht der Finanzverwaltung als auch des Finanzgerichts. Nach Auffassung des BFH ist eine Übertragung von Sonderbetriebsvermögen vor der Übertragung des Mitunternehmeranteils insgesamt unschädlich, da es für die Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG auf das zum Stichtag der Übertragung vorhandene Betriebsvermögen ankommt. Eine zeitgleiche Übertragung hingegen soll für die Fortführung der steuerlichen Buchwerte grundsätzlich schädlich sein. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Übertragung auf den Dritten oder die Überführung in ein anderes Betriebsvermögen des bisherigen Mitunternehmers jeweils nach § 6 Abs. 5 EStG unter Fortführung der steuerlichen Buchwerte erfolgt. Die gleichzeitige Überführung des Wirtschaftsguts unter Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG hindert nach Auffassung des BFH die Buchwertfortführung für den übertragenen Anteil nach § 6 Abs. 3 EStG nicht. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn der Zurückbehalt des Sonderbetriebsmögens einer Zerschlagung des Betriebs gleichkommt. Ob auch andere Fälle der zeitgleichen Übertragung (z.B. Veräußerung an einen Dritten oder Entnahme) unschädlich sein können, hat der BFH offengelassen.

Der BFH hat zudem klargestellt, dass die beiden Übertragungsvorgänge nicht als einheitliche Übertragung zu werten sind, sondern eine getrennte Beurteilung der zeitlich gestaffelten Übertragungsvorgänge zu erfolgen hat. Bei der ersten Übertragung handelt es sich damit um die Übertragung eines Teilanteils. Mit der Übertragung verbunden war die Übertragung der 100 %-igen Beteiligung an der Komplementär-GmbH. Das sich im Sonderbetriebsvermögen befindliche Grundstück wurde hingegen zurückbehalten. Es stellte sich zunächst die Frage, ob die Fortführung der Buchwerte bzgl. der überquotalen Übertragung der Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH i.H.v. 20 % gemäß § 6 Abs. 3 EStG oder gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG zu erfolgen hat. Der Anwendung des § 6 Abs. 5 EStG auf einen überquotalen Teil des Sonderbetriebsvermögens steht nach Ansicht des BFH entgegen, dass dieser Vorgang i.V.m. der Übertragung eines Mitunternehmeranteils zu sehen ist und es sich deshalb nicht um die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern handelt, sondern um die Übertragung von Sachgesamtheiten. Die Frage, ob die steuerlichen Buchwerte fortzuführen sind, richtet sich damit auch für den überquotal übertragenen Anteil am Sonderbetriebsvermögen ausschließlich nach den Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG. Dabei hat der BFH auch klargestellt, dass für die Frage, ob eine unter- bzw. überquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen vorliegt, eine wertmäßige und nicht gegenständliche (wirtschaftsgutbezogene) Betrachtungsweise herangezogen werden muss. Dies hat Bedeutung für die Anwendbarkeit der Sperrfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG, die eingreift, wenn ein Teilmitunternehmeranteil nebst einem unterquotalen Anteil des Sonderbetriebsvermögens übertragen wird.

Zusammenfassend kommt der BFH damit zum Ergebnis, dass weder die erste noch die zweite Übertragung zu einer Aufdeckung von stillen Reserven geführt hat.

Weitere Hinweise

Aus dem vorab dargestellten BFH- Urteil können zusammenfassend insbesondere für die Nachfolgeplanung bei Familienunternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft folgende Erkenntnisse gewonnen werden:

  • Eine Überführung von Sonderbetriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen bzw. Sonderbetriebsvermögen unter Fortführung der steuerlichen Buchwerte gemäß § 6 Abs. 5 EStG vor bzw. im Rahmen der Übertrag des Mitunternehmeranteils hindert die Buchwertfortführung gemäß § 6 Abs. 3 EStG nicht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Zurückbehalt des Sonderbetriebsmögens einer Zerschlagung des Betriebs gleichkommt.
  • Bei Übertragung eines Teilanteils ist § 6 Abs. 3 EStG auf die gesamte Übertragung auch dann anwendbar, wenn das Sonderbetriebsvermögen überquotal übertragen wird. Eine Anwendung von § 6 Abs. 5 EStG in Höhe des überquotalen Anteils erfolgt nicht. Die Sperrfristen des § 6 Abs. 5 EStG sind damit nicht einschlägig.
  • Für die Frage, ob bei einer Übertragung von Teilmitunternehmerantei- len eine unterquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen vorliegt und damit gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG eine fünfjährige Behaltensfrist eingreift, gilt eine wertmäßige Betrachtungsweise. Das vorhandene Sonderbetriebsvermögen ist wertmäßig in entsprechendem Anteil zu übertragen, um die Anwendbarkeit der Sperrfrist zu vermeiden. Die Sperrfrist greift nur dann nicht ein, wenn der Gesamtwert der übertragenen Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens den Wert des gesamten quotalen Anteils des Sonderbetriebsvermögens abdeckt.
  • § 6 Abs. 3 EStG greift bei unterquotaler Übertragung von Sonderbetriebsvermögen nach dem Gesetzeswortlaut nur dann ein, wenn das Sonderbetriebsvermögen weiterhin Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft bleibt. Die spätere Entnahme von Sonderbetriebsvermögen durch den Schenker ist laut BFH für eine laufende Sperrfrist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG aber unschädlich. Die Sperrfrist endet spätestens dann, wenn dem Rechtsnachfolger in den Teilanteil auch der restliche Bruchteil des Anteils am Gesellschaftsvermögen übertragen wurde.

Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung, die für den Steuerpflichtigen positive Entscheidung des BFH im Bundessteuerblatt veröffentlicht und ihre bisherige Rechtsauffassung korrigiert. Insoweit müsste nicht nur das oben genannte BMF-Schreiben zu § 6 Abs. 3 EStG, sondern auch die Erbschaftsteuerrichtlinien (RE 13b.5 Abs. 3 ErbStR 2011) angepasst werden. Es wäre wünschenswert, dass sich die Finanzverwaltung hierzu zeitnah positioniert.

Aktiengesetz

Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt, Dr. Anton Ederle, Rechtsanwalt

Die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer ist grundsätzlich zulässig und stellt auch dann, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind, keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist zuständig für die Bestellung der Vorstandsmitglieder. Die Bestellung darf auf höchstens fünf Jahre erfolgen. Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig, bedarf aber eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann.

Geregelt ist das in § 84 Abs. 1 AktG, einer Bestimmung, die insbesondere für Familienunternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft von großer Bedeutung ist. Denn die auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgerichtete Unternehmensstrategie von Familienunternehmen findet ihren Ausdruck auch in der Verweildauer der Unternehmensführung. Eine Studie der Stiftung Familienunternehmen 2010 hat gezeigt: Geschäftsführer und Vorstände von Familienunternehmen bleiben mit im Schnitt 9,4 Jahren signifikant länger im Amt als die entsprechende Führungsriege bei Unternehmen im Streubesitz, die durchschnittlich nur auf eine Verweildauer von 6,3 Jahren kommen. Auch bei isolierter Betrachtung von Aktiengesellschaften ist die Verweildauer von Vorstandsmitgliedern in Familienunternehmen mit 8,2 Jahren deutlich höher als bei Unternehmen im Streubesitz mit einer Verweildauer von 6,3 Jahren. Diese Zahlen zeigen, dass die Wiederbestellung bzw. Verlängerung der Amtszeit von Vorstandsmitgliedern und die daran zu stellenden Anforderungen besonders bei Familienunternehmen bedeutsam sind.

Eine bislang ungeklärte Frage war, ob und ggf. wie § 84 Abs. 1 AktG es zulässt, die Amtszeit eines Vorstandsmitglieds schon früher als ein Jahr vor ihrem Ablauf zu verlängern. Die Fragestellung ist dabei nicht nur für Aktiengesellschaften relevant, sondern auch für paritätisch mitbestimmte Gesellschaften mit beschränkter Haftung; denn auch bei diesen ist bei der Bestellung von Geschäftsführer § 84 AktG zu beachten (§ 31 Abs. 1 MitbestG).

Eine solche vorzeitige Wiederbestellung kann aus unterschiedlichen Gründen gewünscht sein, beispielsweise um einem Vorstandsmitglied, das abgeworben zu werden droht, frühzeitig eine gesicherte Stellung für weitere fünf Jahre zu bieten, aber auch um die Amtsperioden der Vorstandsmitglieder einander anzugleichen oder sie zeitlich zu staffeln. Möglich ist auch das Bestreben, vor Erreichen der Schwelle zum paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat und der Mitsprache der Arbeitnehmervertreter bei der Bestellung der Vorstandsmitglieder noch ein letztes Mal (ohne deren Einfluss) die vorhandenen Vorstandsmitglieder für weitere fünf Jahre zu bestellen.

Weitere Gründe sind denkbar, wie die vorliegende Entscheidung zeigt.

Zum Sachverhalt

Der Aufsichtsrat einer mittelständischen Familiengesellschaft hatte am Tag vor der Hauptversammlung einstimmig beschlossen, die Bestellung zweier Vorstandsmitglieder zweieinhalb bzw. knapp vier Jahre vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit einvernehmlich aufzuheben und sie erneut auf fünf Jahre als Vorstandsmitglieder zu bestellen. Die Aktionäre des Unternehmens gehörten zwei zerstrittenen Familienstämmen an, die den Aufsichtsrat paritätisch besetzt haben. Im Rahmen der auf die Aufsichtsratssitzung folgenden Hauptversammlung wurde ein neuer Aufsichtsrat gewählt. Versuche in der Folgezeit, die erneut bestellten Vorstandsmitglieder abzuberufen, scheiterten an einer Pattsituation im neuen Aufsichtsrat.

Eines der neuen Aufsichtsratsmitglieder klagte daraufhin gegen die vorzeitige Wiederbestellung der beiden Vorstandsmitglieder. Sie sei eine unzulässige Umgehung des in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG normierten Verbots und damit nach § 134 BGB nichtig. Jedenfalls aber sei die Zulässigkeit dieses Vorgehens auf eng begrenzte Ausnahmefälle begrenzt. Durch eine Neubestellung schon früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Amtszeit habe der Aufsichtsrat zudem in unzulässiger Weise die Möglichkeit, einen künftigen Aufsichtsrat für fünf Jahre an den Vorstand zu binden.

Während das Landgericht Frankenthal dieser Argumentation nicht gefolgt war, gab das OLG Zweibrücken der Klage statt und stellte die Nichtigkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse fest. Unter Aufhebung dieser Entscheidung stellte der BGH nun das landgerichtliche Urteil wieder her.

Entscheidungsgründe

Der Aufsichtsrat des Familienunternehmens habe § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG seinem Wortlaut nach beachtet. Durch die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung der betreffenden Vorstandsmitglieder sei deren „bisherige Amtszeit“ i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG beendet worden. Die sich daran anschließende (wiederholte) Bestellung sei demnach nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschlossen worden.

Diese Vorgehensweise stelle auch keine unzulässige Umgehung des Verbots des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar. Die Vorschrift solle lediglich sicherstellen, dass der Aufsichtsrat zumindest alle fünf Jahre einen Beschluss über die wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit der Vorstandsmitglieder fasst. Ferner solle verhindert werden, dass sich die Aktiengesellschaft länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied bindet und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen können. Der Aufsichtsrat soll vielmehr spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, sich von einem Vorstandsmitglied ohne einen wichtigen Grund und ohne eine Abfindung zu trennen. Als weiterer Zweck käme hinzu, dass der Aufsichtsrat spätestens alle fünf Jahre gezwungen sein soll, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden.

Dieser Gesetzeszweck werde durch die vorliegende Fallgestaltung weder vereitelt noch beeinträchtigt. Indem das Vorstandsmitglied nach Amtsniederlegung ab diesem Zeitpunkt für fünf Jahre neu bestellt wird, sei die Bindungsfrist des Aufsichtsrats sogar kürzer, als es die gesetzliche Regelung für den Fall, dass die bisherige Bestellung nicht vorzeitig endet, als äußerste Grenze zulässt. Danach kann sich der Aufsichtsrat, wenn er über eine fünfjährige Verlängerung ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit befindet, sogar für sechs Jahre binden. Auch finde eine verantwortliche Beratung und Beschlussfassung über die Neubestellung statt. Der Aufsichtsrat fasse genauso einen Beschluss wie er es nach der gesetzlichen Regelung im letzten Jahr der laufenden Amtszeit des Vorstandsmitglieds tun würde. Auch der Einwand, der Aufsichtsrat binde einen künftigen Aufsichtsrat in unzulässiger Weise, verfängt beim BGH nicht. Nach der gesetzlichen Regelung könne ein neuer Aufsichtsrat sogar für sechs Jahre an die Vorstandsbestellung gebunden sein, wenn die Jahresfrist des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kurz vor Ende der Amtszeit des alten Aufsichtsrats beginnt und dieser Aufsichtsrat eine Verlängerung der Bestellung des Vorstandsmitglieds beschließt. Der neue Aufsichtsrat müsse den Vorstand so akzeptieren, wie er ihn vorfinde und wie er vom alten Aufsichtsrat bestellt wurde.

Ein Rechtsmissbrauch sei nicht erkennbar. Die Annahme, die Verlängerungsbeschlüsse beruhten offenkundig nicht auf sachlichen Erwägungen, sondern seien vor dem Hintergrund der Streitigkeiten zwischen den Familienstämmen gefasst worden, um für den am nächsten Tag von der Hauptversammlung zu wählenden neuen Aufsichtsrat „vollendete Tatsachen“ zu schaffen, reiche für einen Rechtsmissbrauch nicht aus.

Praxishinweise

Die Entscheidung hat die schon seit langem in der Literatur geführte Auseinandersetzung über die gesetzliche Zulässigkeit von Neufestsetzungen der Amtszeiten von Vorstandsmitgliedern (vgl. nur Willemer, AG 1977, 130) für die Praxis in dankenswerter Klarheit im Sinne derjenigen entschieden, die die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer selbst dann für zulässig halten, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind. Das schafft Rechtssicherheit und ist zu begrüßen.

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt, Dr. Anton Ederle, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Im ersten Heft der FuS (FuS 2011, 35) besprach Wiedemann ein Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 15.02.2011, Az. 5 U 30/10, das für erhebliche Unruhe in der Gestaltungspraxis sorgte. Das OLG Frankfurt erklärte die Auszahlung von Beratungshonoraren an ein Aufsichtsratsmitglied der Fresenius SE für pflichtwidrig, weil sie ohne vorherige Zustimmung des Gesamtaufsichtsrates erfolgte, obwohl der Gesamtaufsichtsrat die Zahlung im Nachhinein genehmigte. Es handele sich so das OLG Frankfurt um einen schweren und eindeutigen Gesetzesverstoß, der zur Versagung der Entlastung nach 120 Abs. 1 AktG führen müsse. Direkte Relevanz hat diese Thematik für Pflichtaufsichtsräte in der Aktiengesellschaft, der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und der mit bestimmten GmbH. Ob sie auch freiwillige Beratungsgremien wie Beiräte, Verwaltungsräte und Gesellschafterausschüsse betrifft, wie sie insbesondere in Familiengesellschaften verbreitet sind (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 35), wurde von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden, wird in der Literatur aber teilweise bejaht (Wiedemann, FuS 2011, 36).

Die Entscheidung des OLG Frankfurt sorgte deshalb für große Unruhe, weil sich viele Unternehmen die Expertise einzelner ihrer Aufsichtsratsmitglieder häufig nicht nur im Rahmen der allgemeinen Aufsichtsratstätigkeit, sondern auch in speziellen Fragen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit nutzbar machen wollen, wofür die Betroffenen aber freilich die Zahlung eines gesonderten, über die bloße Aufsichtsratsvergütung hinausgehenden Beratungshonorars erwarten. In der Praxis hat sich dabei eingebürgert, der Zahlung von Beratungshonoraren nicht bereits im Voraus zuzustimmen, sondern sie erst nachträglich zu genehmigen. Denn ob ein Beratungsvertrag überhaupt genehmigungsfähig ist, kann oft erst im Nachhinein beurteilt werden, ist doch der Umfang des Beratungsgegenstands und der mit der Beratung verbundene Aufwand beispielsweise bei der Übernahme von Prozessvertretungen im Voraus regelmäßig kaum einzuschätzen und damit auch die Angemessenheit der Vergütung sowie die Abgrenzung zur bloßen Organtätigkeit im Voraus nur schwer zu beurteilen.

Dennoch erklärte das OLG Frankfurt diese Praxis für rechtswidrig. Viele Autoren, darunter auch Wiedemann, äußerten die Hoffnung, der BGH werde diese Entscheidung „geraderücken“. Eine Hoffnung, die nun enttäuscht wurde.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der BGH hat sich der Entscheidung des OLG Frankfurt weitgehend angeschlossen: Die Vergütung für einen Beratungsvertrag dürfe grundsätzlich erst dann gezahlt werden, wenn der Aufsichtsrat dem Beratungsvertrag zugestimmt hat. Begründet wird dies mit dem Regelungszweck der §§ 113 und 114 AktG. Nach § 113 AktG hat die Hauptversammlung über die Höhe der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder zu entscheiden soweit das nicht bereits in der Satzung geschehen ist. Gemäß § 114 AktG hängt die Wirksamkeit eines Beratervertrages mit einem Aufsichtsratsmitglied von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. Der Zweck des § 114 AktG besteht nach Auffassung des BGH zum einen darin, Umgehungen des 113 AktG zu verhindern, indem es dem Aufsichtsrat ermöglicht wird, den vom Vorstand geschlossenen Beratungsvertrag präventiv darauf zu überprüfen, ob er tatsächlich in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Gebot des § 113 AktG nur Dienstleistungen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat.

Der dadurch bewirkte Zwang, den Beratungsvertrag offenzulegen und dem Aufsichtsrat zur Zustimmung zu unterbreiten, soll diesem zugleich die Möglichkeit eröffnen, sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Aktiengesellschaft an einzelne Aufsichtsratsmitglieder etwa in Form überhöhter Vergütungen und damit eine denkbare unsachliche, der Erfüllung seiner Kontrollaufgabe abträgliche Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand verhindern.

Eine nachträgliche Genehmigung schaffe zwar einen Rechtsgrund für die Vergütungszahlung; das betreffende Aufsichtsratsmitglied muss die bereits vereinnahmte Vergütung also nicht zurückzahlen. Eine nachträgliche Genehmigung ersetze aber nicht die präventive Kontrolle durch den Aufsichtsrat, die das Gesetz erfordere. Schon die Zahlung einer zum Zahlungszeitpunkt rechtsgrundlosen Vergütung stelle regelmäßig eine Privilegierung des Aufsichtsratsmitglieds dar, die durch § 114 AktG gerade verhindert werden soll. Die Vergütungszahlung bleibe daher rechtswidrig. Zwar fehle es im vorliegenden Fall anders als vom OLG Frankfurt angenommen an einem schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzverstoß, der eine Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen rechtfertige. Dies aber nur deshalb, weil die Frage, ob eine nachträgliche Genehmigung nicht nur auf den Rechtsgrund der Zahlung, sondern auch auf die Frage der Pflichtgemäßheit der Auszahlung bezogen werden könne, im Jahr 2008 noch nicht höchstrichterlich entschieden war. Die Rechtslage sei damals nicht eindeutig gewesen. Jetzt, mit seiner Entscheidung so wird man den BGH wohl verstehen müssen, ist sie es aber. Auch wenn der BGH zum Gewicht des Gesetzesverstoßes selbst keine Ausführungen macht, droht also künftig die erfolgreiche Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen, wenn Aufsichtsratsmitgliedern ein Beratungshonorar ausgezahlt wird, bevor der Aufsichtsrat dem Beratungsvertrag  zugestimmt hat.

Die zeitliche Verzögerung der Honorarzahlung, so der BGH, sei der Preis, den ein Aufsichtsratsmitglied zahlen müsse, wenn es von der Gesellschaft Aufträge bekommen wolle. Dass das Aufsichtsratsmitglied damit das Risiko eingehen muss, in Vorleistung zu treten und unter Umständen umsonst gearbeitet zu haben, lässt er unerwähnt.

Weitere Hinweise

Bei der Fresenius SE sollen am Anfang jedes Jahres vom Aufsichtsrat eine Obergrenze für Mandate an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder oder deren Sozietäten festgelegt und die einzelnen Verträge dann am Ende des Jahres dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt worden sein. Ob die Zahlung eines Beratungshonorars vor Zustimmung des Aufsichtsrates unter diesen Umständen ausnahmsweise rechtmäßig ist, ließ der BGH ausdrücklich offen. Dies wird im Einzelfall davon abhängen, ob dem Zweck des § 114 AktG, durch eine preventive Kontrolle eine Umgehung der 113 AktG und eine Beeinflussung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds zu verhindern, durch hinreichende Konkretisierung ausreichend Rechnung getragen wurde. Für die Praxis empfiehlt es sich künftig, vor der Auszahlung von Beratungshonoraren die Genehmigung durch den Aufsichtsrat abzuwarten, wenn aufgrund der Aktionärsstruktur mit der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen zu rechnen ist.

Willenserklärung

Rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot

Gibt es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach schuldrechtliche Verpflichtungen auch dann, wenn sie vom Vertragswortlaut her unbefristet sind, nach 30 Jahren unwirksam werden?

Prof. Rainer Kirchdörfer, Rechtsanwalt, Dr. Olivia Sarholz, Rechtsanwältin

Problemstellung und praktische Bedeutung

Im vorliegenden Sachverhalt geht es um eine klassische Fragestellung im Zusammenhang mit langfristigen Verträgen. In der Praxis erfordern Vermögensdispositionen häufig eine langfristige vertragliche Sicherheit. Dies hat zur Folge, dass Verträge über viele Jahre, häufig auch Jahrzehnte, nicht oder nur aus wichtigem Grund kündbar sein sollen. Da das Bürgerliche Gesetzbuch in einer ganzen Reihe von Sachverhalten, in welchen solche langfristigen Bindungen in der Natur der Sache liegen, eine maximale Bindungsdauer von 30 Jahren vorgesehen hat, stellt sich die allgemeine Frage, ob die in diesen Spezialregelungen angeordnete „Enddauer“ der vertraglichen Bindung einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts enthält, dass ganz grundsätzlich schuldrechtliche vertragliche Bindungen, welche über einen solchen 30-jährigen Zeitraum hinausgehen, unwirksam sind.

Zum Sachverhalt

In dem dem Urteil des Bundesgerichtshofes zugrunde liegenden Sachverhalt übertrug die Mutter desBeklagten diesem im Jahre 1980 einen Eigentumsanteil an einem Grundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. In dem Übertragungsvertrag verpflichtete sich der Beklagte dazu, das erhaltene Grundstück während eines Zeitraums von 35 Jahren nicht zu veräußern. Ein Verstoß gegen dieses Veräußerungsverbot sollte den Rückfall des Grundstückes an die Mutter zur Folge haben. Auch nach dem Tod der Mutter bestand dieses Veräußerungsverbot fort und sollte dann dem Kläger zugutekommen. Die Mutter war im Jahr 2007 verstorben und der Kläger behauptet nun, einen solchen Rückfallanspruch zu haben. Der Beklagte wendet u.a. ein, das Veräußerungsverbot sei 30 Jahre nach dem im Übergabevertrag vereinbarten Zeitpunkt erloschen, weil Unterlassungsverpflichtungen nach 137 Satz 2 BGB nach Ablauf von 30 Jahren nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam würden. Das OLG Frankfurt am Main gab insoweit dem Beklagten Recht. Das Verfügungsverbot sei in der Tat 30 Jahre nach der Übergabe nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam geworden.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Um das Urteil richtig einzuordnen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass es der zentrale Rechtsgrundsatz der Privatautonomie den Vertragsparteien grundsätzlich freistellt, Beginn und Ende einer vertraglichen Vereinbarung und deren Kündigungsmöglichkeiten frei zu regeln. Andererseits ist jedes langfristige (Dauer-)Schuldverhältnis ohne Rücksicht darauf, was die Parteien im Detail geregelt haben, aus wichtigem Grund kündbar, d.h. in dem Fall, dass Festhalten an dem Vertrag für eine der Parteien unzumutbar ist. Es stellt sich nun die Frage, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gibt, welcher die Privatautonomie insoweit begrenzt, als vertragliche Bindungen, welche die ordentliche Kündigung für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren ausschließen, generell oder jedenfalls in der Regel unwirksam sind. Einen solchen Rechtsgrundsatz im Zusammenhang mit Unterlassungsverpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB vertritt u.a. etwa Armbrüster (in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 137 Rdnr. 25), wenn er ausführt, dass aus Rechtssicherheitsgründen ein fester Zeitraum, (in Rechtsanalogie zu §§ 544, 2044 Abs. 2  Satz 1,  2109 Abs. 1 Satz 1, 2162 Abs. 1, 2210 S. 1 BGB), richtigerweise 30 Jahre, die Dauer der Verpflichtung begrenzen sollte. Auch Großfeld/Gersch (in: JZ 1988, 937, 943 ff.) vertreten die Ansicht, dass über 30 Jahre hinausgehende Verfügungsverbote unwirksam sind und erstrecken diese Frist auf Gesellschaftsverträge. Bindet ein Gesellschaftsvertrag die Gesellschafter an die Gesellschaft länger als 30 Jahre und liegen hierfür keine ganz besonderen Umstände vor, soll die Bindung unwirksam sein. Ulmer/Schäfer (in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 723 Rdnr. 61) gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, „dass das Eingehen persönlicher und wirtschaftlicher Bindungen ohne zeitliche Begrenzung und ohne Kündigungsmöglichkeit mit der persönlichen Freiheit der Vertragschließenden unvereinbar ist und von ihnen daher auch nicht wirksam vereinbart werden kann.“ Der Bundesgerichtshof hat dieser Ansicht nunmehr eine eindeutige Absage erteilt. Er hat nicht nur ausgeführt, dass „Unterlassungsverpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB […] nicht nach 30 Jahren nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam (werden)“, er hat vielmehr generalisierend formuliert: „Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält keine Bestimmung zur höchst zulässigen Geltungsdauer vertraglicher Verpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB.“ In diesem Zusammenhang hat er klargestellt, dass diejenigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, welche ausdrücklich eine 30-jährige Höchstlaufzeit vorsehen, Bestimmungen mit einer speziellen Zielsetzung sind, die sich nicht verallgemeinern lassen. Im Ergebnis schränkt der Bundesgerichtshof die zulässige Dauer der Unkündbarkeit von schuldrechtlichen Verpflichtungen jedoch wieder ein, indem er sehr lang für unkündbar erklärte Verpflichtungen als Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB wertet, wenn sie „die Verfügungsbefugnis des Schuldners auf übermäßige Dauer einschränken“. Ob das der Fall ist, ist unter Würdigung aller Umstände, insbesondere des Maßes der Beeinträchtigung des Schuldners, der Dauer der Bindung und des durch die Verfügungsbeschränkung geschützten Interesses des Begünstigten zu entscheiden. Für die Gestaltungspraxis ist zunächst wichtig, dass schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere auch solche im Zusammenhang mit Unternehmensnachfolgeregelungen, nicht automatisch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam werden, wenn diese Verpflichtungen auch über 30 Jahre bindend sein sollen. So finden sich in Verträgen zur Vorwegnahme der Erbfolge (in der Regel sind dies Schenkungen) nicht selten Regelungen, wonach der Beschenkte die von ihm erhaltenen Unternehmensanteile (oder sonstige Vermögensgegenstände) nicht an Personen außerhalb der eigenen Familie verschenken, veräußern oder sonstwie zugunsten solcher Dritter verfügen darf. Solche Regelungen sind nach dem vorstehenden Urteil des Bundesgerichtshofes auch dann möglich, wenn sie über die 30-jährige Dauer hinausgehen. Freilich muss nun und darauf weist der Bundesgerichtshof ganz deutlich hingeprüft werden, ob sich aus einer „übermäßigen Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit“ im konkreten Einzelfall die Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der schuldrechtlichen Verpflichtung ergibt. So sind etwa vertragliche Verfügungsverbote unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Knebelung des Schuldners als sittenwidrig anzusehen, wenn sie sich auf dessen gesamtes Vermögen erstrecken. Im vorliegenden Fall erfasste das Verfügungsverbot zwar das gesamte Immobiliarvermögen des landwirtschaftlichen Betriebs, es erstreckte sich aber nicht auf das bewegliche Betriebsvermögen und nicht auf das Privatvermögen. Der Bundesgerichtshof ist aber in mehreren Sachverhalten bereits in früheren Urteilen zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Verfügungsverbot sittenwidrig ist, welches dem Erwerber ohne Ausnahme jede Verfügung über das Vermögen des Betriebs oder über dessen Grundvermögen untersagt und damit die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Übernehmers in einem Maße beschränkt, dass dieser seine Selbstständigkeit und wirtschaftliche Handlungsfreiheit in einem wesentlichen Teil einbüßt. Dies gilt auch dann, wenn sich der Grundbesitz seit vielen Generationen im Besitz einer Familie befindet. Gemessen an den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien war das Verfügungs und Belastungsverbot im vorliegenden Sachverhalt daher wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Dem Beklagten waren nämlich alle Veräußerungen (sofern nicht an eheliche, leibliche Abkömmlinge) und ausnahmslos auch alle Verpfändungen verboten. Für die Praxis hat das Urteil zur Folge, dass künftig sehr viel differenzierter mit langfristigen vertraglichen Bindungen, insbesondere mit langfristigen Verfügungsverboten, umzugehen ist. Zwar sind solche nicht auf eine Zeitdauer von 30 Jahren begrenzt, zur Verhinderung eines Sittenwidrigkeitsvorwurfes müssen solche langfristigen Verträge jedoch eine ausdifferenzierte Wirkung der Bindung enthalten.

Kreditwesen-, Börsen- und Wertpapierrecht

Börsennotierte Familienunternehmen: Ad-hoc- Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Zu welchem Zeitpunkt haben börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt über interne, zeitlich gestreckte Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren? Eine Antwort auf diese Frage hatte der BGH mit seinem Vorlagebeschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09 (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 38 ff.) vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erbeten. Dieser hat nun durch vorstehendes, in seiner Konsequenz gerade für börsennotierte Familienunternehmen sehr bedeutsames Urteil entschieden. Zur Erinnerung (vgl. insoweit Wiedemann, FuS 2011, 39): Nach § 15 Abs. 1 WpHG sind börsennotierte Unternehmen (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtet, die sie selbst unmittelbar betreffen. Voraussetzung für das Vorliegen einer Insiderinformation ist dabei zunächst, dass der zur Kenntnis gelangte Sachverhalt konkretisiert ist und sich auf der Öffentlichkeit nicht bekannte Umstände bezieht. Zudem müssen diese Informationen die Eignung aufweisen, sollten sie öffentlich bekannt werden, den Börsen oder Marktpreis der jeweiligen Wertpapiere beachtlich zu beeinflussen (vgl.13 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Letzteres ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG dann zu bejahen, wenn ein verständiger Anleger die Information im Rahmen seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Als Umstände im Sinne der oben genannten sind dabei auch solche zu qualifizieren, welche bisher zwar noch nicht eingetreten sind, hinsichtlich derer aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie zukünftig eintreten werden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). Börsennotierte Familienunternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt in ihrem Emittentenleitfaden hierzu nicht abschließend Stellung (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Bei börsennotierten Familienunternehmen wird in aller Regel von einer Ad-hoc-Publizitätspflicht auszugehen sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen  beispielhaft geschilderten Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc-Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung des EuGH liegt ein prominenter Sachverhalt zu Grunde: Der Wechsel an der Vorstandsspitze der damaligen Daimler-Chrysler AG im Sommer 2005. Bereits seit der Hauptversammlung Anfang April desselben Jahres hegte der unter Anlegern heftig in die Kritik geratene damalige Vorstandsvorsitzende, Jürgen Schrempp, nach eigenen Angaben den Gedanken an seinen vorzeitigen Rückzug von der Unternehmensspitze. Mitte Mai 2005 unterrichtete er den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Hilmar Kopper, von seinem möglichen Vorhaben. Die Öffentlichkeit erfuhr von den personellen Veränderungen innerhalb des Daimler-Chrysler-Konzerns allerdings deutlich später. Erst am 28.07.2005 wurde der Rücktritt Schrempps sowie die Person seines Nachfolgers, Dieter Zetsche, via Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt gegeben. Diese Neuigkeit wurde von den Anlegern positiv aufgenommen. Eröffnete die Aktie des Automobilherstellers am 28.07.2005 mit 36,50 `, war sie zu Börsenschluss bereits 42,95 ` wert. Die Freude über den unerwarteten Kursanstieg wurde jedoch nicht von allen geteilt. Einige Anteilseigner erhoben Klage beim OLG Stuttgart und machten Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen geltend. Sie hatten ihre Anteile kurz vor dem beschriebenen Kursanstieg verkauft und sahen sich um ihren Gewinn gebracht. So hatten sich die Stuttgarter Richter mit der Frage zu befassen, wann während des zeitlich gestreckten unternehmensinternen Entscheidungsprozesses, einen Wechsel bzgl. der personellen Besetzung des Vorstandsvorsitzenden herbeizuführen, den Unternehmenslenkern erstmalig eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorlag. Das Gericht nahm dies erst zu dem Zeitpunkt an, als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Austausch des Vorstandsvorsitzenden ausgegangen werden konnte, mithin mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses einen Tag vor Veröffentlichung der Ad-hoc- Mitteilung. Auch ohne konkrete Entscheidung des Vorstands hätten zu diesem Zeitpunkt zudem die Voraussetzungen zur Selbstbefreiung nach 15 Abs. 3 WpHG vorgelegen; dies erachtete das Gericht für ausreichend, um auch die eintägige Verzögerung der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Anders beurteilte diesen Sachverhalt zeitgleich das OLG Frankfurt in einem von der BaFin eingeleiteten Verfahren und verurteilte die Daimler-Chrysler AG zu einem Bußgeld in Höhe von 200.000,– `. Der BGH hat auf die Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart den vorgenannten Vorlagebeschluss erlassen (Volltext bei Wiedemann, FuS 2011, 38 f.).

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der EuGH hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob bereits einzelne Zwischenschritte, wie z.B. bloße Absichten und Pläne im Rahmen eines zeitlich gestreckten Vorgangs für sich genommen als präzise Informationen und damit sollten diese Informationen zudem Kursrelevanz aufweisen als zu veröffentlichende Insiderinformationen anzusehen sind oder aber wie das Oberlandesgericht Stuttgart annahm derartige Entwicklungsschritte erst und nur dann zu publizieren sind, wenn man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das jedenfalls zu veröffentlichende Endziel in Zukunft eintreten wird. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei welchem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser abschließende Umstand oder dieses abschließende Ereignis als präzise Information angesehen und damit eine Insiderinformation darstellen kann, sondern grundsätzlich auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte. Das gilt nach Ansicht des EuGH nicht nur für Schritte, die bereits eingetreten sind oder existieren, sondern auch für Schritte, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Seine Argumentation stützt das Gericht auf die Tatsache, dass das Gesetz beim Vorliegen bestimmter Teilschritte börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit einer Selbstbefreiung einräumt (z.B. bei durch den Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands). Dies führt nach Ansicht des EuGH denknotwendig zu dem Umkehrschluss, dass generell auch beim Vorliegen von Zwischenschritten eine Publizitätspflicht begründet sein kann. Zudem verweist das Gericht auf den Sinn und Zweck der betroffenen EU-Richtlinien, welcher insbesondere darin zu sehen ist, die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der Anleger in eben diese zu stärken und zu schützen. Um diese Ziele zu erreichen ist es nach Meinung des EuGH unerlässlich, den Anwendungsbereich des Insiderrechts nicht durch eine restriktive Auslegung der dort verwendeten, unbestimmten Rechtsbegriffe zu beschränken. Der EuGH hatte sich weiter mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die zur Begründung einer Publizitätspflicht erforderliche „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ (so der Wortlaut in Art. 1 I der Richtlinie 2003/124 EG) erst dann vorliegt, wenn der Eintritt einer Reihe von Umständen oder eines Ereignisses mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ob insofern eine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ausreicht oder ob der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit gar abhängig ist vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten und es daher bei hoher Kursrelevanz als ausreichend anzusehen ist, wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses zwar ungewiss, jedenfalls aber nicht unwahrscheinlich ist (sog. probability/ magnitude-Ansatz). Der EuGH stellt zunächst fest, dass zumindest Ereignisse, deren Eintritt nicht wahrscheinlich ist, keiner Pflicht zur Veröffentlichung unterliegen. Publizitätspflichtig sind vielmehr nur solche Umstände oder Ereignisse, deren Eintreten nach allgemeiner Erfahrung und einer umfassenden Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden kann. Zu diesem rechtlichen Ergebnis kommt der EuGH im Rahmen seiner aufgrund der innerhalb der Mitgliedstaaten divergierenden Sprachfassungen der Richtlinie erforderlichen Auslegung. Alle anderen existierenden Sprachfassun- gen der hier relevanten EU-Richtlinie 2003/124/EG stellen anders als die deutsche Fassung nicht auf eine „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr darauf ab, ob der künftige Eintritt von Umständen oder Ereignissen „vernünftigerweise“ zu erwarten bzw. vorhersehbar ist. Nach Ansicht des EuGH hat die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung so zu erfolgen, dass sie den jeweiligen Marktteilnehmern Rechtssicherheit bietet und das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte schützt. Zum Schutze der Emittenten börsennotierter Wertpapiere einerseits müssen folglich zumindest Ereignisse, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, von einer Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden. Andererseits verbietet es der zu gewährende Anlegerschutz, allzu hohen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts von Umständen oder Ereignissen zu stellen. Der EuGH erteilt damit den zahlreichen Stimmen, die eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung für die Ad- hoc-Publizitätspflicht annehmen, eine klare Absage. Verneint hat der EuGH schließlich auch die Annahme, der Grad der zur Veröffentlichungspflicht erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit könne je nach Ausmaß der Auswirkung auf den Kurs von Finanzinstrumenten variieren. Dies hätte nämlich zur Folge, dass sich die beiden für eine Insiderinformation erforderlichen selbstständigen Tatbestandsmerkmale „Vorliegen einer präzisen Information“ sowie deren „Kursrelevanz“, gegenseitig beeinflussten, anstatt, wie in der Richtlinie gefordert, kumulativ und eigenständig gegeben zu sein. So ist es durchaus möglich, dass ein Ereignis, dessen Einritt auch nur wenig wahrscheinlich ist, eine hohe Kursrelevanz aufweist. Auf den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses nimmt diese Bewertung jedoch keinen Einfluss.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis kann einerseits Entwarnung gemeldet werden. Die durch den EuGH für die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ aufgestellten Kriterien (Eintritt von Ereignissen kann nach allgemeiner Erfahrung und umfassender Würdigung aller verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden) laufen letztlich auf die schon vom BGH geprägte 50 %+x-Regel hinaus, d.h. maßgeblich für das Eingreifen der Ad-hoc-Publizität bleibt eine „überwiegende“ (wenn auch keine „hohe“) Wahrscheinlichkeit. Der EuGH ist somit erfreulicherweise nicht dem Antrag des Generalanwalts Mengozzi gefolgt (vgl. die entsprechenden Schlussanträge v. 21.03.2012, ZIP 2012, 615), der auf das Kriterium des „nicht unwahrscheinlichen, wenn auch ungewissen“ Ereignisses abgestellt hat, was zu einer massiven und für die Praxis nicht beherrschbaren Aufweichung der 50 %+x-Regel geführt hätte. Positiv ist auch, dass der EuGH den probability/magnitude-Ansatz verworfen hat. Kritisch ist andererseits anzumerken, dass das Urteil des EuGH zukünftig dazu verleiten könnte, jegliche Zwischenschritte zu publizieren, um einer möglichen Haftungsgefahr zu entgehen. Ein solches Vorgehen könnte die Bedeutung von Ad-hoc Mitteilungen aus Sicht der Anleger jedenfalls dann deutlich schmälern, sollten die prognostizierten Ergebnisse häufiger entgegen der unternehmensseitigen Erwartung schließlich doch nicht eintreten. Ohne Zweifel wird der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG stark an Bedeutung gewinnen, ist die Selbstbefreiung doch die einzige Möglichkeit auch bei gestreckten Entscheidungsprozessen risikolos eine Ad-hoc-Mitteilung aufzuschieben, bis Klarheit darüber herrscht, ob sich die geplante Maßnahme, bspw. ein Unternehmenskauf, tatsächlich realisiert. Dies setzt aber insbesondere voraus, dass der Emittent die Wahrung der Vertraulichkeit bzgl. der in Rede stehenden Maßnahme bis zur tatsächlichen Veröffentlichung sicherstellen kann. Zu hoffen bleibt insofern, dass der BGH in seiner nun zu treffenden Entschei- dung Stellung nehmen wird zu der Annahme des OLG Stuttgart, dieser Selbstbefreiungstatbestand bedürfe nicht zwingend einer diesbezüglichen expliziten Unternehmensentscheidung, sondern könne bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch kraft Gesetzes eintreten. Bis in dieser Frage Rechtssicherheit eintreten wird, bleibt den betroffenen Unternehmen nur zu raten, derartige Selbstbefreiungs-Entscheidungen mittels protokolliertem Vorstandsbeschluss zu dokumentieren.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf Geschäftsführer

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Auf den Geschäftsführer einer GmbH, dessen Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung abläuft und der sich erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt, sind gemäß 6 Abs. 3 AGG die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und § 22 AGG entsprechend anwendbar.
  2. Entscheidet ein Gremium über die Bestellung und Anstellung eines Bewerbers als Geschäftsführer, reicht es für die Vermutungswirkung des 22 AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das vor rund sechs Jahren in Kraft getretene allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Benachteiligung von Beschäftigten u.a. aus Gründen des Alters verbietet, findet in bestimmtem Umfang auch Anwendung auf Organmitglieder juristischer Personen, wie Geschäftsführer und Vorstände. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nun erstmals Gelegenheit, zur Anwendung des AGG auf Organmitglieder Stellung zu nehmen.

Das Urteil betrifft vor allem solche Familienunternehmen, bei denen die Geschäftsleitung nicht (mehr) von Familienmitgliedern wahrgenommen wird, sondern in den Händen von Fremdgeschäftsführern- und vorständen liegt, die regelmäßig für eine bestimmte Amtsperiode  bestellt werden.

Zum Sachverhalt

Der Kläger war medizinischer Geschäftsführer der als GmbH organisierten beklagten Kliniken der Stadt Köln. Seine auf fünf Jahre begrenzte Amtsperiode und sein zeitlich gleichlaufender Anstellungsvertrag liefen zum 31.08.2009 aus. Der Anstellungsvertrag des Klägers sah vor, dass die Vertragsparteien spätestens zwölf Monate vor Vertragsablauf mitteilten, ob sie zu einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der beklagten Gesellschaft hatte über den Abschluss, die Aufhebung und die Änderung des Dienstvertrags der Geschäftsführer ein bei der Gesellschaft eingerichteter Aufsichtsrat zu entscheiden. Nachdem der Kläger der Gesellschaft seine Bereitschaft zur Vertragsverlängerung mitgeteilt hatte, beschloss der Aufsichtsrat der Gesellschaft im Oktober 2008 mit neun Ja – und drei Nein-Stimmen, den zum 31.08.2009 auslaufenden Dienstvertrags mit dem dann 62 Jahre alten Kläger nicht zu verlängern.

Die Stelle des medizinischen Geschäftsführers wurde sodann für weitere fünf Jahre statt mit dem Kläger mit einem 41-jährigen Mitbewerber besetzt.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm sei der Neuabschluss seines Dienstvertrags sowie die weitere Bestellung als Geschäftsführer nur aus Altersgründen versagt worden. Dies verstoße gegen das in §§ 1, 7 AGG festgeschriebene Verbot der Altersdiskriminierung und begründe Schadenersatzansprüche.

Entscheidungsgründe und Praxishinweise

Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanz, der Kläger sei in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden, bestätigt.

  1. Geschäftsführer unterfällt dem Schutzbereich des 6 Abs. 3 AGG

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG findet das AGG Anwendung auf Organmitglieder, also neben z.B. Vorstandsmitgliedern einer AG auch Geschäftsführer einer GmbH, „soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“. Nach dem Urteil des BGH erfasst das Merkmal „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ nicht nur den Abschluss des Geschäftsführeranstellungsvertrages, sondern auch die gesellschaftsrechtliche Bestellung zum Geschäftsführer. Denn ohne Bestellung zum Geschäftsführer könne der Anstellungsvertrag nicht durchgeführt werden.

Das Vertragsverhältnis des Klägers war infolge des Ablaufs der Befristung bereits beendet. § 6 Abs. 3 AGG beschränkt die Anwendbarkeit des AGG auf den Zugang zur Beschäftigung und nimmt Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) davon aus. Dennoch – oder vielmehr: gerade deshalb – findet das AGG nach Auffassung des BGH hier Anwendung: bewerbe sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer wiederum um die Stelle des Geschäftsführers, so erstrebe er damit einen – neuen – Zugang zu dieser Tätigkeit. Damit unterfalle er gemäß § 6 Abs. 3 AGG dessen Schutzbereich. Daraus folgt für die Praxis, dass eine Entscheidung über die Nichtverlängerung eines ausgelaufenen Anstellungsvertrages mit einem Organmitglied nur noch dann frei von diskriminierungsrechtlichen Einschränkungen möglich ist, wenn die Position künftig unbesetzt bleiben soll. Die eigentlich vom Gesetzgeber intendierte Ermessensfreiheit bei der Beendigung von Organ- und Anstellungsverhältnissen wird damit faktisch auf Null reduziert, wenn diese eine Befristung vorsehen. Der naheliegen- den Umgehungskonstruktion, den Bewerber, dessen Anstellungsvertrag ausgelaufen ist, zunächst (erneut) zum Geschäftsführer zu bestellen und dann sogleich wieder abzuberufen, um den an sich gewünschten, aber wegen des Diskriminierungsverbots des AGG zunächst nicht berücksichtigten Kandidaten zum Geschäftsführer zu bestellen, schiebt der BGH einen Riegel vor: Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, die wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre.

Künftig kann es sich daher eher anbieten, jedenfalls den Geschäftsführer einer GmbH von Anfang an unbefristet zu bestellen und anzustellen und erforderlichenfalls ohne diskriminierungsrechtliche Kontrolle abzuberufen (s. aber unten zu weitergehenden Implikationen).

  1. Unzulässige Benachteiligung und die Beweiserleichterung § 22 AGG

Somit steht für den BGH fest, dass der Anwendungsbereich des AGG grundsätzlich eröffnet ist. Bei der Prüfung, ob der Kläger durch den Nichtabschluss eines neuen Anstellungsvertrages und die Nichtwiederbestellung zum Geschäftsführer altersbedingt und damit unzulässigerweise im Sinne der § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 1 AGG benachteiligt worden ist, kommt dem Kläger laut BGH die Beweiserleichterung des § 22 AGG zu Gute. Nach dieser Vorschrift muss der Bewerber zunächst nicht selbst den vollen Beweis führen, dass er diskriminiert wurde. Vielmehr muss er zunächst nur Indizien beweisen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Das Unternehmen hat dann zu beweisen, dass der Bewerber nicht wegen seines Alters oder aus anderen unzulässigen Gründen benachteiligt worden ist.

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG, der – wie oben beschrieben – den Anwendungsbereich des AGG für Organmitglieder eröffnet, gelten für Organmitglieder (nur) die Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG. Die Beweiserleichterung des § 22 AGG steht im 4. Abschnitt. Dass § 22 AGG trotz des eigentlich eindeutigen Wortlauts auch auf Organmitglieder Anwendung findet, soll nach Auffassung des BGH aus Schutzzweckerwägungen zu § 6 Abs. 3 AGG folgen.

Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des „Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt“ einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen „langfristig in den Wind stellen“ könne. Das sieht der BGH als ausreichend für das Eingreifen der Vermutungswirkung für eine Diskriminierung nach § 22 AGG an. Ausdrücklich hält das Gericht fest, es komme nicht darauf an, ob Indizien darauf hindeuten, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Abstimmung den Bewerber aus unzulässigen Gründen benachteiligt hätten. Der Aufsichtsratsvorsitzende repräsentiere vielmehr das gesamte Gremium, soweit sein Verhalten eine unzulässige Diskriminierung indiziere. Der BGH verkennt damit allerdings insofern die gesellschaftsrechtliche Stellung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan, in dem nicht „der Aufsichtsratsvorsitzende den Ton angibt“, sondern die einzelnen Mitglieder frei und unabhängig ihre Entscheidung treffen. Die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als „primus inter pares“ bleibt hingegen auf organisatorische und repräsentative Tätigkeiten beschränkt. Deuten Indizien – wie hier Presseäußerungen – darauf hin, dass diskriminierende Motive bei der Stimmabgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden eine Rolle gespielt haben, so können diese somit nicht ohne weiteres den einzelnen anderen Aufsichtsratsmitgliedern im Gremium zugerechnet werden. Vielmehr hätte der BGH die Indizienkette zur Motivation der einzelnen anderen Gremienmitglieder näher begründen und sodann zur umstrittenen Frage Stellung nehmen müssen, wieviele Mitglieder Träger einer verbotenen Motivation sein müssen, damit die Gremienentscheidung AGG-widrig ist.

Weiterhin hält der BGH fest, es genüge, dass das Alter unzulässigerweise lediglich als Teil eines „Motivbündels“ der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder die Entscheidung beeinflusst habe, es sei nicht erforderlich, dass dieses Kriterium ausschlaggebend oder allein entscheidend war. Die Beklagte berief sich darauf, für die Entscheidung seien Mängel der Amtsführung des Klägers ausschlaggebend gewesen. Diese Behauptung reichte nach Auffassung des BGH nicht aus, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG zu entkräften, weil der diesbezügliche Abstimmungsprozess innerhalb des Aufsichtsrats nicht ausreichend offengelegt worden sei.

Aus dem vom BGH vertretenen weiten Verständnis des § 22 AGG bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Entkräftung der durch diese Vorschrift ausgelösten Vermutungswirkung für eine unzulässige Diskriminierung durch Offenlegung des internen Entscheidungsprozesses folgt für die Praxis, dass im Rahmen der Willensbildung der bestellenden Organe (Aufsichtsrat, Beirat, Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung) keines der nach §§ 1, 7 AGG verbotenen Differenzierungsmerkmale auch nur angesprochen werden sollte. Gleiches gilt sodann für die Außenkommunikation der getroffenen Entscheidung. Um später beweisen zu können, dass diskriminierungsfrei entschieden wurde, empfiehlt sich zudem eine detaillierte schriftliche Dokumentation der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat.

  1. Keine Rechtfertigung durch bloßen Wunsch einer vollen Amtszeit

Nach Auffassung des BGH steht somit eine unzulässige Altersdiskriminierung fest. Diese kann, so das Gericht, zwar nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt werden, wenn sie objektiv angemessen ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, wobei als legitime Ziele auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen in Betracht kommen. Die beklagte Gesellschaft machte hier geltend, sie strebe eine fünfjährige Bindung des Geschäftsführers wegen des „Umbruchs im Gesundheitsmarkt“ an (während der Kläger schon vor Ablauf dieser Frist das allgemeine Renteneintrittsalter vor 65 Jahren erreicht hätte). Der BGH hält hierzu aber fest, der bloße nicht weiter substanziierte Wunsch, einen Geschäftsführer auf fünf Jahre zu bestellen, verdiene dann keinen Schutz, wenn der Geschäftsführer schon zuvor in diesem Amt tätig war. Für die Praxis lässt sich daraus jedenfalls die Konsequenz ziehen, dass es nicht ausreichend ist, die Ablehnung der Wiederbe- und anstellung eines Bewerbers mit allgemeinen Höchstaltersgrenzen, z.B. im Gesellschaftsvertrag einer GmbH zu begründen. Die Ablehnung muss vielmehr stets mit auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen begründet werden. Allerdings verdienen diese hohen Anforderungen des BGH Kritik, weil sie letztlich auf eine gerichtliche Kontrolle prognostischer unternehmerischer Ermessensentscheidungen hinauslaufen, die sonst aus gutem Grund von ebendieser Kontrolle frei sind, und zudem noch einmal zur Erhöhung des administrativen Aufwands (s. auch Editorial dieser Ausgabe) beitragen.

Weitergehende Hinweise

Weitergehend dürften die Erwägungen des BGH zur Reichweite des AGG- Schutzes für Organmitglieder nicht nur gelten, wenn das Organmitglied durch Zeitablauf aus seinem Amt ausscheidet und sich wieder um Neube- und anstellung bewirbt, sondern auch dann, wenn z.B. der Fremdgeschäftsführer von der Gesellschafterversammlung einer GmbH abberufen wird und sich daraufhin um Wiederbestellung bewirbt. Dem abberufenen Fremdgeschäftsführer eröffnen sich so Möglichkeiten, die vormals von ihm geleitete Gesellschaft unter Druck zu setzen, wenngleich je nach Grund der Abberufung die Rechtfertigung für die Gesellschaft leichter fallen mag. Die vorstehenden praktischen Hinweise sollten daher über die konkrete Fallkonstellation hinaus bei jeder Form der Neubesetzung von Gesellschaftsorganen Beachtung finden. Die Rechtsprechung führt dabei vor allem zur Erhöhung des dokumentarischen Aufwands – der sog. „paper trail“ sollte stets gangbar sein, um im Streitfall nachweisen zu können, dass über die Neubesetzung eines Organs diskriminierungsfrei entschieden wurde.