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Aktiengesetz

Vorzeitige Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt, Dr. Anton Ederle, Rechtsanwalt

Die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer ist grundsätzlich zulässig und stellt auch dann, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind, keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist zuständig für die Bestellung der Vorstandsmitglieder. Die Bestellung darf auf höchstens fünf Jahre erfolgen. Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig, bedarf aber eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann.

Geregelt ist das in § 84 Abs. 1 AktG, einer Bestimmung, die insbesondere für Familienunternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft von großer Bedeutung ist. Denn die auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgerichtete Unternehmensstrategie von Familienunternehmen findet ihren Ausdruck auch in der Verweildauer der Unternehmensführung. Eine Studie der Stiftung Familienunternehmen 2010 hat gezeigt: Geschäftsführer und Vorstände von Familienunternehmen bleiben mit im Schnitt 9,4 Jahren signifikant länger im Amt als die entsprechende Führungsriege bei Unternehmen im Streubesitz, die durchschnittlich nur auf eine Verweildauer von 6,3 Jahren kommen. Auch bei isolierter Betrachtung von Aktiengesellschaften ist die Verweildauer von Vorstandsmitgliedern in Familienunternehmen mit 8,2 Jahren deutlich höher als bei Unternehmen im Streubesitz mit einer Verweildauer von 6,3 Jahren. Diese Zahlen zeigen, dass die Wiederbestellung bzw. Verlängerung der Amtszeit von Vorstandsmitgliedern und die daran zu stellenden Anforderungen besonders bei Familienunternehmen bedeutsam sind.

Eine bislang ungeklärte Frage war, ob und ggf. wie § 84 Abs. 1 AktG es zulässt, die Amtszeit eines Vorstandsmitglieds schon früher als ein Jahr vor ihrem Ablauf zu verlängern. Die Fragestellung ist dabei nicht nur für Aktiengesellschaften relevant, sondern auch für paritätisch mitbestimmte Gesellschaften mit beschränkter Haftung; denn auch bei diesen ist bei der Bestellung von Geschäftsführer § 84 AktG zu beachten (§ 31 Abs. 1 MitbestG).

Eine solche vorzeitige Wiederbestellung kann aus unterschiedlichen Gründen gewünscht sein, beispielsweise um einem Vorstandsmitglied, das abgeworben zu werden droht, frühzeitig eine gesicherte Stellung für weitere fünf Jahre zu bieten, aber auch um die Amtsperioden der Vorstandsmitglieder einander anzugleichen oder sie zeitlich zu staffeln. Möglich ist auch das Bestreben, vor Erreichen der Schwelle zum paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat und der Mitsprache der Arbeitnehmervertreter bei der Bestellung der Vorstandsmitglieder noch ein letztes Mal (ohne deren Einfluss) die vorhandenen Vorstandsmitglieder für weitere fünf Jahre zu bestellen.

Weitere Gründe sind denkbar, wie die vorliegende Entscheidung zeigt.

Zum Sachverhalt

Der Aufsichtsrat einer mittelständischen Familiengesellschaft hatte am Tag vor der Hauptversammlung einstimmig beschlossen, die Bestellung zweier Vorstandsmitglieder zweieinhalb bzw. knapp vier Jahre vor Ablauf ihrer regulären Amtszeit einvernehmlich aufzuheben und sie erneut auf fünf Jahre als Vorstandsmitglieder zu bestellen. Die Aktionäre des Unternehmens gehörten zwei zerstrittenen Familienstämmen an, die den Aufsichtsrat paritätisch besetzt haben. Im Rahmen der auf die Aufsichtsratssitzung folgenden Hauptversammlung wurde ein neuer Aufsichtsrat gewählt. Versuche in der Folgezeit, die erneut bestellten Vorstandsmitglieder abzuberufen, scheiterten an einer Pattsituation im neuen Aufsichtsrat.

Eines der neuen Aufsichtsratsmitglieder klagte daraufhin gegen die vorzeitige Wiederbestellung der beiden Vorstandsmitglieder. Sie sei eine unzulässige Umgehung des in § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG normierten Verbots und damit nach § 134 BGB nichtig. Jedenfalls aber sei die Zulässigkeit dieses Vorgehens auf eng begrenzte Ausnahmefälle begrenzt. Durch eine Neubestellung schon früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Amtszeit habe der Aufsichtsrat zudem in unzulässiger Weise die Möglichkeit, einen künftigen Aufsichtsrat für fünf Jahre an den Vorstand zu binden.

Während das Landgericht Frankenthal dieser Argumentation nicht gefolgt war, gab das OLG Zweibrücken der Klage statt und stellte die Nichtigkeit der Aufsichtsratsbeschlüsse fest. Unter Aufhebung dieser Entscheidung stellte der BGH nun das landgerichtliche Urteil wieder her.

Entscheidungsgründe

Der Aufsichtsrat des Familienunternehmens habe § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG seinem Wortlaut nach beachtet. Durch die einvernehmliche Aufhebung der Bestellung der betreffenden Vorstandsmitglieder sei deren „bisherige Amtszeit“ i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG beendet worden. Die sich daran anschließende (wiederholte) Bestellung sei demnach nicht früher als ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschlossen worden.

Diese Vorgehensweise stelle auch keine unzulässige Umgehung des Verbots des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar. Die Vorschrift solle lediglich sicherstellen, dass der Aufsichtsrat zumindest alle fünf Jahre einen Beschluss über die wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit der Vorstandsmitglieder fasst. Ferner solle verhindert werden, dass sich die Aktiengesellschaft länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied bindet und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen können. Der Aufsichtsrat soll vielmehr spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, sich von einem Vorstandsmitglied ohne einen wichtigen Grund und ohne eine Abfindung zu trennen. Als weiterer Zweck käme hinzu, dass der Aufsichtsrat spätestens alle fünf Jahre gezwungen sein soll, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden.

Dieser Gesetzeszweck werde durch die vorliegende Fallgestaltung weder vereitelt noch beeinträchtigt. Indem das Vorstandsmitglied nach Amtsniederlegung ab diesem Zeitpunkt für fünf Jahre neu bestellt wird, sei die Bindungsfrist des Aufsichtsrats sogar kürzer, als es die gesetzliche Regelung für den Fall, dass die bisherige Bestellung nicht vorzeitig endet, als äußerste Grenze zulässt. Danach kann sich der Aufsichtsrat, wenn er über eine fünfjährige Verlängerung ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit befindet, sogar für sechs Jahre binden. Auch finde eine verantwortliche Beratung und Beschlussfassung über die Neubestellung statt. Der Aufsichtsrat fasse genauso einen Beschluss wie er es nach der gesetzlichen Regelung im letzten Jahr der laufenden Amtszeit des Vorstandsmitglieds tun würde. Auch der Einwand, der Aufsichtsrat binde einen künftigen Aufsichtsrat in unzulässiger Weise, verfängt beim BGH nicht. Nach der gesetzlichen Regelung könne ein neuer Aufsichtsrat sogar für sechs Jahre an die Vorstandsbestellung gebunden sein, wenn die Jahresfrist des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kurz vor Ende der Amtszeit des alten Aufsichtsrats beginnt und dieser Aufsichtsrat eine Verlängerung der Bestellung des Vorstandsmitglieds beschließt. Der neue Aufsichtsrat müsse den Vorstand so akzeptieren, wie er ihn vorfinde und wie er vom alten Aufsichtsrat bestellt wurde.

Ein Rechtsmissbrauch sei nicht erkennbar. Die Annahme, die Verlängerungsbeschlüsse beruhten offenkundig nicht auf sachlichen Erwägungen, sondern seien vor dem Hintergrund der Streitigkeiten zwischen den Familienstämmen gefasst worden, um für den am nächsten Tag von der Hauptversammlung zu wählenden neuen Aufsichtsrat „vollendete Tatsachen“ zu schaffen, reiche für einen Rechtsmissbrauch nicht aus.

Praxishinweise

Die Entscheidung hat die schon seit langem in der Literatur geführte Auseinandersetzung über die gesetzliche Zulässigkeit von Neufestsetzungen der Amtszeiten von Vorstandsmitgliedern (vgl. nur Willemer, AG 1977, 130) für die Praxis in dankenswerter Klarheit im Sinne derjenigen entschieden, die die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer selbst dann für zulässig halten, wenn für diese Vorgehensweise keine besonderen Gründe gegeben sind. Das schafft Rechtssicherheit und ist zu begrüßen.

Aktiengesetz

Bestellung und Abberufung des Vorstands

Nichtigkeit der wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds bei gleichzeitiger Beendigung des Mandats während  der Amtszeit

Dr.  Maximilian Hermann, Rechtsanwalt

§ 84 Abs. 1 S. 3 AktG enthält ein gesetzliches Verbot i.S. von § 134 BGB. Ein Beschluss eines Aufsichtsrates über die Verlängerung der Bestellung eines Vorstandsmitglieds, der außerhalb der Jahresfrist des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG gefasst wird, beinhaltet eine unzulässige Umgehung dieses Verbots. Aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ergibt sich nichts Entgegen stehendes.

Problemstellung und praktische Bedeutung:

Die Möglichkeit, die Amtszeit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft zu verlängern oder eine Bestellung zu wiederholen, ist in § 84 Abs. 1 AktG geregelt. Die Verlängerung der Amtszeit oder die Wiederbestellung unterliegen dabei gesetzlichen Grenzen. So sind sie – wie auch die erstmalige Bestellung – nur für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zulässig. Der dafür erforderliche Verlängerungs- Wiederbestellungsbeschluss des Aufsichtsrats darf frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden (§ 84 Abs. 1 S. 3 AktG); erfolgt der Beschluss zu einem früheren Zeitpunkt, so ist er unwirksam. Diese Grundsätze gelten sinngemäß für den Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds (§ 84 Abs. 15 AktG).

Der gesetzliche Ein-Jahres-Zeitraum bereitet gerade in Familien-Aktiengesellschaften unter anderem dann Probleme, wenn das Bedürfnis einer vorzeitigen Verlängerung der Amtszeit bzw. einer Wiederbestellung während einer laufenden Amtsperiode des Vorstandsmitglieds (etwa bei Abwerbebemühungen eines Konkurrenzunternehmens) besteht. Diesem Bedürfnis wird in der Unternehmenspraxis häufig dadurch Rechnung getragen, dass eine einvernehmliche Abberufung des Vorstandsmitglieds mit dessen anschließender Neubestellung und Neufestsetzung der Amtszeit erfolgt. Der Beschluss über die Neubestellung wird damit – um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen – rechtstechnisch erst nach der Beendigung der ursprünglichen Amtsperiode gefasst. Da jedoch faktisch die Bestellung während der Amtszeit erneuert wird, werden Zweifel an der Gesetzeskonformität dieser Vorgehensweise geäußert, die nach Maßgabe des Deutschen Corporate Governance Kodex nur bei Vorliegen „besonderer Umstände“ gerechtfertigt sein soll (vgl. Ziff. 5.1.2 DCGM)

Mit der in der aktienrechtlichen Fachliteratur umstrittenen Frage der Zulässigkeit dieser Gestaltungspraxis hat sich mit der vorstehenden Entscheidung des OLG Zweibrücken erstmals auch die obergerichtliche Rechtsprechung befasst. In dem vom Gericht zu entscheidenden Fall wurde die Bestellung von zwei Vorstandsmitgliedern, die ursprünglich für jeweils fünf Jahre berufen wurden, nach etwa zwei Jahren durch Beschlüsse des Aufsichtsrats „mit Zustimmung der Vorstände“ einvernehmlich aufgehoben; der Aufsichtsrat bestellte beide zugleich für die Dauer von fünf Jahren erneut zu Mitgliedern des Vorstands. Das OLG Zweibrücken hat sich zu diesem Vorgehen kritisch geäußert und ihm im Grundsatz eine Absage erteilt.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise:

Das Gericht erblickt in der einvernehmlichen Abberufung und der erneuten Bestellung eines Vorstandsmitglieds eine unzulässige Umgehung des Gesetzeszwecks des § 84 Abs. 1 S. 3 AktG; damit sind die entsprechenden Aufsichtsratsbeschlüsse nichtig. Die Norm soll laut OLG die Personalkompetenz des Aufsichtsrats sichern und der Gesellschaft alle fünf Jahre die Möglichkeit geben, ihren Vorstand zu überprüfen, um sich so ggf. ohne finanzielles Risiko oder rechtliche Auseinandersetzung von diesem trennen zu können. Deshalb sei die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für den Aufsichtsrat „keine bloße Pflichtübung“, sondern setze wie bei der erstmaligen Bestellung eine konkrete Auseinandersetzung mit der Person des jeweiligen Kandidaten voraus. Bei einer frühzeitigen Wiederbestellung fehlten wegen der verhältnismäßig kurzen Amtszeit des Vorstands die nötigen Bewertungsmöglichkeiten für eine „verantwortungsbewusste Prüfung“ durch den Aufsichtsrat. Das Gericht ließ dabei ausdrücklich offen, ob beim Vorliegen „sachlicher Erwägungen“ wie etwa bei langjährig bewährten Vorständen eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könne.

Auch die angesprochene Haltung des Deutschen Corporate Governance Kodex soll mangels Gesetzeskraft keine vom Aktiengesetz abweichende Auslegung rechtfertigen. Das OLG befasste sich hilfsweise aber auch mit der Frage (und verneinte sie im Ergebnis), ob im zur Entscheidung stehenden Fall „besondere Gründe“ vorlagen, die eine vorzeitige Neubestellung unter Zugrundelegung der Auffassung des Kodex gerechtfertigt hätten. Besondere Gründe in diesem Sinne sieht das Gericht etwa bei Änderung der Sachbereichszuständigkeit, Berufung des betroffenen Vorstandsmitglieds zum Vorstandsvorsitzenden oder einem Angebot von dritter Seite.

Die Entscheidung des OLG Zweibrücken ist u.E. falsch. Der Gesetzeszweck liegt zunächst in der zeitlichen Begrenzung der Bestellung von Vorstandsmitgliedern. Die Gesellschaft soll zu keinem Zeitpunkt für mehr als sechs Jahre (fünf Jahre Höchstbestelldauer plus Jahresfrist bei vorzeitiger Wiederbestellung) an ein Vorstandsmitglied gebunden sein. Zudem soll sich der Aufsichtsrat in regelmäßigen Abständen über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig werden (vgl. BGHZ 10, 187, 194f.). Beide Zwecke werden bei einer einvernehmlichen Aufhebung des Vorstandsamtes mit der anschließenden Neubestellung des Vorstands erreicht, sofern die Wiederbestellung ihrerseits für höchstens fünf Jahre erfolgt. Der Möglichkeit einer vorzeitigen Wiederbestellung liegen zudem praktische Bedürfnisse zugrunde. So kann es z.B. erforderlich sein, bei einem längerfristigen Projekt den Vorstand bereits vor dem Ein-Jahres- Zeitraum längerfristig an die Gesellschaft zu binden. Auch im Rahmen der Einführung eines nachhaltigen Vorstandsentlohnungssystems mit langfristigen Komponenten kann eine vorzeitige Verlängerung der Amtszeit erforderlich sein.

Der höchstrichterlichen Klärung durch den BGH in der Revision kann mit Spannung entgegengesehen werden. Bis dahin ist in der Unternehmenspraxis bei der vorzeitigen Wiederbestellung von Vorständen Zurückhaltung geboten.