BGH, Urteil vom 25.01.2011, II ZR 196 / 09

 

Tatbestand

Der Beklagte war Geschäftsführer der I.
Bauingenieurgesellschaft mbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen
aufgrund eines Antrags vom 25. Januar 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet
wurde. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter. Er verlangt von dem Beklagten
zwei Zahlungen ersetzt, die dieser am 21. und 25. Oktober 2005 zu Lasten des
Gesellschaftsvermögens an das Finanzamt D. und die AOK H. geleistet hat. Der
Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits
überschuldet gewesen.

Die Zahlung an die AOK in Höhe von 51.640,24 € diente der
Begleichung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen. Davon zahlte die
AOK aufgrund einer Anfechtung des Klägers 27.817,56 € zurück. Der Restbetrag in
Höhe von 23.822,68 € und die an das Finanzamt gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von
51.371,19 € sind Gegenstand der Klage.

Hilfsweise hat der Kläger seine Klage darauf gestützt, dass
auf dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin bei der
Raiffeisenbank O. eG in der Zeit zwischen dem 21. und 25. Oktober 2008
Überweisungen in Höhe von 121.212,50 € gutgeschrieben worden sind.

Das Landgericht hat die Klage bezüglich der beiden Zahlungen
des Beklagten an die AOK und das Finanzamt abgewiesen und ihn bezüglich der auf
dem Konto gutgeschriebenen Zahlungen unter Zurückweisung des weitergehenden
Antrags verurteilt, an den Kläger 18.501,07 € zu zahlen, nämlich die Differenz
zwischen den Gutschriften auf dem Geschäftskonto und den an das Finanzamt und
die AOK gezahlten Beträgen.

Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung des
Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers in vollem
Umfang abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision führt in Bezug auf die Zahlung an die AOK in
Höhe von 23.822,68 € – nach Abzug der zurückgezahlten 27.817,56 € – zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht. Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt
begründet:

Der Beklagte habe mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsleiters gehandelt, als er 51.371,19 € an das Finanzamt und 51.640,24 €
an die AOK gezahlt habe. Denn mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung
könne einem Geschäftsführer nicht angesonnen werden, sich strafbar und
ersatzpflichtig zu machen, indem er fällige Umsatzsteuern und
Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe. Das gelte nicht nur für die nach
Ablauf der Insolvenzantragsfrist fällig werdenden Beträge, sondern ebenso für
die Rückstände.

Auch hinsichtlich der auf dem Konto der Schuldnerin
gutgeschriebenen Beträge sei die Klage unbegründet. Zwar müsse ein
Geschäftsführer, wenn er schon den fälligen Insolvenzantrag nicht stelle,
wenigstens dafür sorgen, dass die verteilungsfähige Vermögensmasse nicht durch
Zahlungen auf ein debitorisches Geschäftskonto zugunsten der Bank geschmälert
werde. Die Pflichtverletzung des Beklagten habe aber nicht zu einem ihm
zurechenbaren Schaden geführt. Die allen Gläubigern zur Verfügung stehende
Insolvenzmasse wäre auch dann vermindert worden, wenn der Beklagte ein neues
Konto bei einer anderen Bank eingerichtet hätte. Denn zwischen der Schuldnerin
und ihrer Hausbank, der Raiffeisenbank O. eG, sei eine Globalzession vereinbart
gewesen. Damit wäre der Auszahlungsanspruch der Schuldnerin aus dem neu
eingerichteten Konto ohnehin an die Hausbank gefallen.

II. Das hält rechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die Klage
abgewiesen, soweit sie auf Ersatz der Zahlung an das Finanzamt in Höhe von
51.371,19 € gerichtet ist. Insoweit hat der Kläger keinen Anspruch aus § 64
Satz 1 GmbHG gegen den Beklagten. Denn diese Zahlung war mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftleiters vereinbar i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG.

Wenn der Geschäftsführer einer GmbH – auch nach Eintritt der
Insolvenzreife – fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen, ebenso
wie einbehaltene Lohnsteuer, nicht an das Finanzamt abführt, begeht er eine mit
einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i.V.m.
§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und setzt sich außerdem der
persönlichen Haftung gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus (vgl. BFH, Urteil vom 27.
Februar 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604 Rn. 16 ff.; Beschluss vom 4. Juli
2007 – VII B 268/06, BFH/ NV 2007, 2059 Tz. 6; Urteil vom 23. September 2008 –
VII R 27/07, ZIP 2009, 122, jeweils zur Lohnsteuer; KG, Beschluss vom 22.
September 1997 – 2 Ss 250/97, juris; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche
Nebengesetze, Stand: Juni 2004, § 380 AO Rn. 3 ff., jeweils zum
Bußgeldtatbestand; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 77). Die
dadurch bewirkte Pflichtenkollision hat den Senat bewogen, die Zahlung von
Umsatz- oder Lohnsteuer als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
vereinbar anzusehen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265
Rn. 11 f.; Urteil vom 29. September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn.
10).

Diese Rechtsprechung bezieht sich – wie das Berufungsgericht
zutreffend erkannt hat – nicht nur auf laufende, erst nach Eintritt der
Insolvenzreife fällig werdende Steuerforderungen, sondern auch auf
Steuerrückstände. Zwar erfüllt der Geschäftsführer schon mit der Nichtabführung
der laufenden Steuer den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit und macht sich
persönlich ersatzpflichtig. Dennoch besteht der Interessenkonflikt zwischen der
Befolgung der Massesicherungspflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG und der Erfüllung
der steuerlichen Abführungspflicht fort. Zum einen ist die freiwillige
Nachzahlung der Steuer ein Umstand, der bei der Verhängung und Bemessung der
Geldbuße jedenfalls nach § 17 Abs. 3, 4 OWiG, § 377 Abs. 2 AO zugunsten des
Geschäftsführers zu berücksichtigen ist. Zum anderen entfällt mit der
Nachzahlung auch die persönliche Haftung des Geschäftsführers nach §§ 69, 34
Abs. 1 AO. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dem Geschäftsführer nicht
zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die
Möglichkeit zu verzichten, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens
nach § 47 OWiG oder jedenfalls für die Verhängung einer geringeren Geldbuße zu
schaffen und sich von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu
befreien.

Entgegen der Auffassung der Revision kann diese
Fallgestaltung nicht damit verglichen werden, dass einem Vertretungsorgan eine
bereits abgeschlossene unerlaubte Handlung zur Last fällt und es nun versucht,
durch Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen den Schaden wiedergutzumachen. Die
Nichtabführung der Steuer ist ein Dauerdelikt, das bei Fälligkeit zwar
vollendet, aber erst bei Erlöschen der Abführungspflicht beendet ist (vgl. KG,
Beschluss vom 22. September 1997 – 2 Ss 250/97, juris Rn. 15; Göhler/Gürtler,
OWiG, 15. Aufl., Rn. 17 vor § 19). Daher geht es bei der nachträglichen Abführung
der Steuer nicht nur um Schadenswiedergutmachung, sondern um die Erfüllung der
mit einer Geldbuße bewehrten Pflicht.

2. Die Abweisung der Klage ist aber von den bisherigen
Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gedeckt, soweit sie auf Erstattung
der an die AOK gezahlten und nicht zurückgezahlten 23.822,68 € gerichtet ist.

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob es sich bei
den vom Beklagten gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen um Arbeitnehmer- oder
Arbeitgeberanteile gehandelt hat. Waren es Arbeitnehmeranteile, ist die Klage
auch insoweit unbegründet. Waren es dagegen Arbeitgeberanteile, ist der
Beklagte nach § 64 Satz 1 GmbHG zur Erstattung verpflichtet.

a) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats handelt ein
Geschäftsführer einer GmbH grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsmanns i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG und haftet deshalb nicht nach § 64
Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle
zahlt (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.;
Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 6). Denn es kann ihm
mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, diese Zahlung
im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger
in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach
§ 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
§ 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen
Erwägungen wie zu den Steuerforderungen.

Das gilt auch für die Frage, ob von der Privilegierung nur
die laufenden, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdenden
Arbeitnehmerbeiträge oder auch die Beitragsrückstände erfasst werden. Das
Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Geschäftsführer auch die
Rückstände zahlen kann, ohne sich der Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG
auszusetzen. Es kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des
Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, sich
Straffreiheit nach § 266a Abs. 6 Satz 1, 2 StGB oder jedenfalls eine
Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 a.E. StGB oder eine Einstellung des
Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit nach §§ 153, 153a StPO zu verdienen
und sich von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu befreien.

b) Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass eine
Zahlung an die Einzugsstelle der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
widerspricht, wenn sie zur Tilgung von Arbeitgeberanteilen zur
Sozialversicherung geleistet wird. Denn nur das Vorenthalten von
Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt und begründet eine
Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile
fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den
Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG einzuschränken
(BGH, Urteil vom 8. Juni 2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 6 f.).

Für einen Vertrauensschutz wegen einer zuvor gegenteiligen
Rechtsprechung besteht – anders als die Revisionserwiderung meint – kein
Anlass. Aus der Rechtsprechung des Senats hat sich auch vor der Entscheidung
vom 8. Juni 2009 (aaO) kein Anhaltspunkt für eine Privilegierung der Zahlung
von Arbeitgeberanteilen ergeben. Die durch das Urteil des Senats vom 14. Mai
2007 vollzogene Rechtsprechungsänderung betrifft allein die Frage, ob der
Anwendungsbereich der § 64 Satz 1, 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG bei
einer Zahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung wegen der
Strafandrohung in § 266a StGB und der deliktischen Schadensersatzhaftung aus §
823 Abs. 2 BGB einzuschränken ist (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007- II ZR 48/06,
ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.; ebenso Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ
146, 264, 274 f.; Urteil vom 18. April 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026,
1029; Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678). Dass eine
Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung nach der Rechtsprechung
des Senats mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S. der § 64
Satz 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG vereinbar sei, wurde seit Inkrafttreten der
Insolvenzordnung zu keiner Zeit ernsthaft angenommen (s. etwa Streit/Bürg, DB 2008,
742, 744; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 82 ff.).

3. Die Abweisung der Klage hinsichtlich der auf dem
Geschäftskonto der Schuldnerin gutgeschriebenen Beträge beanstandet die
Revision im Ergebnis nicht. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken.

III. Danach ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben, als
der Anspruch auf Erstattung der Zahlung an die AOK abgewiesen worden ist.

Für die wiedereröffnete mündliche Verhandlung weist der
Senat auf Folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht wird festzustellen haben, ob die
Zahlung an die AOK Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberanteile betroffen hat. Eine
Vermutung für Arbeitnehmeranteile besteht nicht (BGH, Urteil vom 8. Juni 2009 –
II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 7). Die Tilgungsreihenfolge richtet sich
vielmehr nach § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung,
Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages –
Beitragsverfahrensverordnung (BVV).

2. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht der Frage
nachzugehen haben, ob die Zahlung an die AOK deshalb nicht zu einem
Ersatzanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG geführt hat, weil sie dem debitorisch
geführten Geschäftskonto der Schuldnerin belastet worden ist. Damit könnte
insoweit ein bloßer – haftungsrechtlich unschädlicher – Gläubigertausch
vorliegen.

Von einem Gläubigertausch in diesem Sinne ist grundsätzlich
dann auszugehen, wenn – wie hier – aus einem debitorisch geführten Bankkonto
eine Gesellschaftsschuld beglichen wird. Dann wird lediglich der befriedigte
Gläubiger durch die Bank als Gläubigerin ersetzt, ohne dass die Insolvenzmasse
geschmälert würde und die gleichmäßige Verteilung der Masse unter den übrigen
Gläubigern beeinträchtigt wäre. Das gilt aber nur, wenn die Bank nicht über
freie Sicherheiten verfügt, die sie zu einer abgesonderten Befriedigung nach §§
50 f. InsO berechtigen. Denn dann wird die Gemeinschaft der Gläubiger durch die
Zahlung insoweit geschädigt, als zur gleichmäßigen Verteilung nur noch eine
geringere Vermögensmasse zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 29. November 1999
– II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 187 f.; Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05,
ZIP 2007, 1006, 1007; Urteil vom 25. Januar 2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470
Rn. 10).

Das Berufungsgericht hat zu den im Hinblick auf den
Debetsaldo bestehenden freien Sicherheiten der Bank keine Feststellungen
getroffen. Es hat zwar im Zusammenhang mit dem Hilfsbegehren des Klägers
ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Globalzession den Debetsaldo des Geschäftskontos „weit überstiegen“
habe. Das kann sich aber nur auf die Grenze beziehen, ab der eine ursprüngliche
Übersicherung zur Nichtigkeit der Sicherungsabtretung nach § 138 Abs. 1 BGB
führt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256, 1259;
Urteil vom 12. März 1998 – IX ZR 74/95, ZIP 1998, 684, 685). Diese Grenze ist
erst bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen dem realisierbaren Wert der Sicherheit
und der gesicherten Forderung erreicht. Im vorliegenden Zusammenhang geht es
dagegen um die Frage, in welchem Umfang die Globalzession werthaltig war. Wenn
die Bank schon vor der Überweisung an die AOK ihre Forderungen gegen die Schuldnerin
aus der Globalzession und den ihr eingeräumten sonstigen Sicherheiten nicht
decken konnte, hätte die Zahlung keinen Einfluss auf die zur gleichmäßigen Befriedigung
aller Gläubiger zur Verfügung stehende Masse gehabt. In diesem Fall würde eine
Ersatzpflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG ohne Rücksicht darauf entfallen, ob es sich
bei der Zahlung der AOK um Arbeitgeber- oder Arbeitnehmeranteile gehandelt hat.

3. Von Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits kann auch
sein, ob die Zahlung an die AOK aufgrund einer Kontopfändung erfolgt ist.
Sollte das zutreffen, würde der Beklagte nicht aus § 64 Satz 1 GmbHG haften,
weil er die Zahlung nicht veranlasst hätte (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009
– II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 13 f., zu § 130a Abs. 2 HGB). Das
Berufungsgericht, das dazu keine Feststellungen getroffen hat, wird der Frage
im Hinblick auf den vorgetragenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19.
Oktober 2005 gegebenenfalls nachzugehen haben.

4. Gegebenenfalls wird festzustellen sein, ob die
Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung am 25. Oktober 2005 insolvenzreif war. Ob
die Zahlung den Zeitraum der Insolvenzantragsfrist betraf, ist dagegen
unerheblich. Während der Insolvenzantragsfrist besteht zwar ein
Rechtfertigungsgrund für den Geschäftsführer, der die Arbeitnehmeranteile zur
Sozialversicherung nicht abführt. Dadurch wird aber nach Ablauf der
Insolvenzantragsfrist der Interessenkonflikt für den Geschäftsführer nicht
ausgeschlossen. Denn der Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der
Geschäftsführer den Insolvenzantrag nicht fristgerecht stellt (BGH, Urteil vom 29.
September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10 a.E.; Beschluss vom 9.
August 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678, 1679).

5. Schließlich wird gegebenenfalls zu beachten sein, dass
dem Beklagten, wenn er aus § 64 Satz 1 GmbHG haften sollte, in dem Urteil
vorzubehalten ist, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den
Insolvenzverwalter zu verfolgen; dabei deckt sich der ihm zustehende Anspruch
nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger
im Insolvenzverfahren erhalten hätte (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR
88/99, BGHZ 146, 264, 279).
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