BFH, Urteil vom 07.12.2010, IX R 40 / 09

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die
im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Mit
Gesellschaftsvertrag vom 20. September 2000 gründete der Kläger zusammen mit
fünf weiteren Personen eine GmbH; Gegenstand des Unternehmens der
–mittlerweile liquidierten—GmbH war nach § 2 des Gesellschaftsvertrages die
Verwaltung eigenen Vermögens. Das Stammkapital der GmbH betrug 350. 000 €, von
dem der Kläger sowie weitere vier Gesellschafter eine Bareinlage in Höhe von
jeweils 50. 000 € (entsprechend einem Anteil am Stammkapital von 14,29 v.H.)
sowie der Gesellschafter M eine Bareinlage in Höhe von 100. 000 € (entsprechend
einem Anteil von 28,55 v.H.) übernahmen.

Der Gesellschafter M, der nach den Bestimmungen des
Gesellschaftsvertrags vom 20. September 2000 zum Geschäftsführer der GmbH
bestellt war, übertrug mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung unter dem
30. November 2001 einen Teilanteil seines Geschäftsanteils in Höhe von 50. 000
€ unentgeltlich auf eine nahe stehende Person, so dass von diesem Zeitpunkt an
sieben Gesellschafter mit jeweils 50. 000 € (entsprechend einem Anteil am
Stammkapital von 14,29 v.H.) an der GmbH beteiligt waren.

Die GmbH handelte in den Jahren 2000 und 2001 fast
ausschließlich mit Aktien am Neuen Markt. Aufgrund der negativen
Börsenentwicklung betrug das in Wertpapieren angelegte Vermögen der GmbH zum
31. Dezember 2001 nur noch 94.575,73 DM. Vor diesem Hintergrund veräußerten
sechs der sieben Gesellschafter der GmbH mit Verträgen vom 14. und 17. Dezember
2001 ihre jeweilige Beteiligung von 14,29 v.H. zum Kaufpreis in Höhe von 7. 500
€ reihum an einen Mitgesellschafter und erwarben zeitgleich wieder eine
Beteiligung in gleicher Höhe von einem jeweils anderen Mitgesellschafter. In
diesem Zusammenhang veräußerte auch der Kläger mit notariell beurkundetem
Vertrag vom 17. Dezember 2001 seine Beteiligung an den Gesellschafter M und
erwarb mit Notarvertrag vom selben Tag eine Beteiligung in gleicher Höhe von
einem anderen Gesellschafter. Den Veräußerungs- und Erwerbsvorgängen lagen die
einstimmigen Beschlüsse der außerordentlichen Gesellschafterversammlungen vom
8. und 15. Dezember 2001 zugrunde. Nach den Veräußerungs und Erwerbsvorgängen
waren alle Gesellschafter wiederum mit 14,29 v.H., d.h. mit derselben
Beteiligungsquote wie vor den Veräußerungen an der GmbH beteiligt.

In seiner Einkommensteuererklärung 2001 machte der Kläger
einen Verlust nach § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2, 4 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) aus der Veräußerung der
GmbH Beteiligung in Höhe von 83. 123 DM (entspricht 42. 500 €) geltend,
resultierend aus der Differenz zwischen dem Wert der Stammeinlagen bei Gründung
der Gesellschaft in Höhe von 50. 000 € und dem Veräußerungspreis von 7. 500 €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust
im Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 17. Mai 2002 nur unter Vorbehalt sowie
in dem auf Grund einer Betriebsprüfung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung
(AO) geänderten Einkommensteuerbescheid vom 24. September 2002 wegen
Gestaltungsmissbrauchs nicht mehr an.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) folgte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 99
veröffentlichten Urteil der Auffassung des FA, die Berücksichtigung eines
Veräußerungsverlustes nach § 17 EStG komme im Streitfall nicht in Betracht, da
in dem gleichzeitig vereinbarten erneuten Erwerb der Gesellschaftsanteile, für
den es an einem wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen außersteuerlichen
Grund fehle, ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs.
1 AO) liege.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren nach
Berücksichtigung ihres Veräußerungsverlusts weiter. § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG
enthalte speziell normierte Verlustabzugsverbote zur Bekämpfung von
missbräuchlichen Gestaltungen; im Übrigen gehe das Gesetz aber davon aus, dass
Verluste abziehbar seien: Die Realisierung von Verlusten aus der Veräußerung
von Anteilen sei mithin im Gesetz als Normalfall der Besteuerung angelegt, ohne
dass auf solche Fälle § 42 AO Anwendung finden könne. Aber auch die im
Einzelfall gewählte Gestaltung werde von § 17 EStG nicht missbilligt. Soweit
das FG in diesem Zusammenhang eine Parallele zu den Fällen der Veräußerung und
des zeitnahen Rückerwerbs von Anteilen gezogen habe und –basierend auf dieser
Annahme– einen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 AO angenommen habe,
betreffe die insoweit einschlägige Rechtsprechung andere Fallgestaltungen. Das
angefochtene Urteil des FG weiche ferner von der aktuellen höchstrichterlichen
Rechtsprechung ab, welche in der Verlust verursachenden Veräußerung von
Anteilen i.S. des § 17 EStG keinen Verstoß gegen eine vom Gesetzgeber
vorgegebene Wertung, sondern lediglich eine dem Steuerpflichtigen durch das
Gesetz eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit gesehen habe. In der im Streitfall
von den Klägern verwirklichten Sachverhaltgestaltung liege schließlich auch
keine missbräuchliche Anteilsrotation.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid des FA für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16. Dezember 2004 dahin zu ändern, dass der geltend
gemachte Veräußerungsverlust in Höhe von 83. 123 DM (42. 500 €) bei den
Einkünften aus § 17 EStG berücksichtigt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung). Zu Unrecht hat das FG die Veräußerung der
Geschäftsanteile des Klägers an einen Mitgesellschafter nicht der Besteuerung
nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG zugrunde gelegt.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist die Veräußerung der
Geschäftsanteile an der GmbH kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des
Rechts i.S. des § 42 Satz 1 AO.

a) Ein Gestaltungsmissbrauch ist gegeben, wenn eine
rechtliche Gestaltung gewählt wird, die –gemessen an dem erstrebten Ziel–
unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche
oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Das
Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht
unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der
Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen
eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen
ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel
nicht erreichbar sein soll (Urteil des Bundesfinanzhofs — BFH– vom 29. Mai
2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, m.w.N.).

b) Dem Kläger stand es frei, ob, wann und an wen er seine
Anteile an der GmbH veräußert. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die
Veräußerung im Streitfall zu einem Verlust geführt hat. Denn die
Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht nicht nur im Einklang mit §
17 EStG, sondern entspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit. Unstreitig hat der Kläger mit seiner Veräußerung auch
keinen Fall des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr 2001
geltenden Fassung erfüllt und daher mit der Veräußerung seiner Anteile nicht gegen
eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer
ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Stimmt die
Gestaltung mit den gesetzlichen Zielen überein, bedarf es weiterer,
insbesondere außersteuerlicher Motive hierfür grundsätzlich nicht (BFH-Urteil
in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, m.w.N.).

c) Im Streitfall war der gewählte Weg des Anteilsverkaufs
zur Verlustnutzung nach der Wertung des Steuerrechts auch nicht ungewöhnlicher
als etwa der einer Liquidation, da nach § 17 Abs. 4 EStG die Rückzahlung des
Gesellschaftsvermögens anlässlich der Liquidation einer Kapitalgesellschaft wie
eine Anteilsveräußerung behandelt wird (BFH-Urteil vom 8. Mai 2003 IV R 54/01,
BFHE 202, 219, BStBl II 2003, 854). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger
wirtschaftlich seine Anteile überhaupt nicht veräußern wollte oder durch die
Anteilsveräußerung nur formal ein Rechtsträgerwechsel eintreten sollte,
bestehen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht. Im Gegenteil: Der
Kläger wollte endgültig veräußern, um den inzwischen eingetretenen Wertverlust
der Beteiligung im Einklang mit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung zu
realisieren.

d) Die vom Kläger gewählte Gestaltung wird auch nicht
dadurch rechtsmissbräuchlich, dass er im zeitlichen Zusammenhang mit der
Veräußerung wiederum Anteile an der GmbH in gleichem Umfang von einem
Mitgesellschafter erwarb. Zwar hat der Senat es im Einzelfall als
rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn Beteiligte zivilrechtlich mögliche (und
damit steuerrechtlich grundsätzlich zulässige) Gestaltungen durch gegenläufige
Rechtsgeschäfte –auf der Nutzungsebene– tatsächlich und wirtschaftlich
konterkarieren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2003 IX R 56/03, BFHE
205, 70, BStBl II 2004, 648). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor: Der
Erwerb von (anderen) Anteilen an der GmbH durch Vertrag vom 17. Dezember 2001
berührt die Vermögensebene des Klägers. Überdies hat sich durch den (erneuten)
Anteilserwerb die steuerrechtliche Ausgangslage für den Kläger geändert: Denn
der im Fall einer zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommenen Veräußerung dieser
Anteile bzw. im Falle der Liquidation der Gesellschaft zu ermittelnde Gewinn
oder Verlust i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG war nunmehr unter Berücksichtigung
der niedrigeren Anschaffungskosten aus dem Erwerbsvorgang vom 17. Dezember 2001
zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, die von § 17 Abs. 2
Satz 4 EStG selbst nicht missbilligte Gestaltung mit Hilfe des § 42 AO zu
korrigieren.

2. Die Sache ist spruchreif. Die Höhe des dem Kläger aus der
Veräußerung entstandenen Verlusts ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

 
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