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Auflösung und Nichtigkeit der Gesellschaft

Gesellschafterdarlehen und Zahlungsunfähigkeit

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt

  1. Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht S.d. § 64 Satz 3 GmbHG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist.
  2. Bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach 64 Satz 3 GmbHG ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen.
  3. Im Fall des 64 Satz 3 GmbHG kann die Gesellschaft die Zahlung an den Gesellschafter verweigern.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Bei der Finanzierung von Familienunternehmen spielen Gesellschafterdarlehen vielfach eine große Rolle. Ist das Unternehmen in einer finanziellen Krise, stellt sich dann die Frage, ob die Gesellschafter den Kredit wieder abziehen können oder in der Gesellschaft belassen müssen. Bei einer GmbH haben die Gerichte diese Frage bis vor wenigen Jahren nach den Regeln des Eigenkapitalersatzrechts gelöst. Dem lag folgender Gedanke zugrunde: Wenn die Gesellschafter Einlagen in das Vermögen der GmbH geleistet hatten, so dürfen sie diese nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen zurückerhalten. Aus der Kapitalerhaltungsregel (Ausschüttungsverbot) des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG folgt bei einer Unterbilanz demnach automatisch ein Zurückbehaltungsrecht für die Gesellschaft. Diese Regeln wandte der Bundesgerichtshof bis 2008 auch auf Leistungen an, die nicht als Einlagen, sondern als sog. „kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen“ in der Krise der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wurden oder stehengeblieben waren. Eine Klage auf Rückzahlung eines Darlehens war mithin unbegründet, wenn sich die Gesellschaft in einer Krise befand und zur Rückzahlung aus freiem Vermögen nicht in der Lage war.

Mit der GmbH-Reform von 2008 (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008 – MoMiG) hat der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung die Grundlage entzogen: Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. findet das Rückzahlungsverbot auf Darlehen nämlich ausdrücklich keine Anwendung mehr. Dafür wurde die Haftungsnorm des § 64 Satz 3 GmbHG eingeführt. Nach dieser Vorschrift haften die Geschäftsführer einer GmbH für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dass dies nicht erkennbar war. Die neue Norm hat große Diskussionen ausgelöst. Für die Geschäftsführer einer GmbH war oft unklar, wie sie sich verhalten sollen, wenn seitens eines Gesellschafters eine Zahlung verlangt wird. Mit dieser Frage beschäftigt sich das hier zu besprechende Urteil.

Zum Sachverhalt

Der Kläger und seine mittlerweile von ihm geschiedene Ehefrau, die alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin der beklagten GmbH ist, gewährten der Beklagten am 01.08.1995 ein Darlehen über 350.000,– DM (178.952,16 `) zur Finanzierung der Einrichtung und des Warenbestandes. Die Beklagte verpflichtete sich, das Darlehen bis spätestens 31.12.2005 zurückzuzahlen.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten die Hinterlegung des Darlehensbetrages zzgl. Zinsen zu seinen Gunsten und zugunsten seiner früheren Ehefrau. Die beklagte GmbH verweigert die Rückerstattung des Darlehens unter anderem mit der Begründung, die Rückzahlung führe zu ihrer Zahlungsunfähigkeit, sodass sie diese nach § 64 Satz 3 GmbH verweigern könne. Das Landgericht Mainz hat der Klage stattgegeben. Das OLG Koblenz hat sie auf die Berufung der Beklagten als derzeit unbegründet abgewiesen. Die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe

Zunächst stellt der Bundesgerichtshof fest, dass der Anwendungsbereich des § 64 Satz 3 GmbHG nur dann eröffnet ist, wenn die Zahlung der Gesellschaft an einen Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit verursacht. Wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist, könne eine Zahlung an den Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr verursachen. Von einer Zahlungsunfähigkeit sei regelmäßig auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10 % oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Ob bei der Prüfung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG im insolvenzrechtlichen Sinn fällige und durchsetzbare Ansprüche des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Liquiditätslücke einzustellen sind, war bisher äußerst umstritten. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass hierbei fällige Gesellschafterforderungen nicht auszuklammern sind. Wenn unter Berücksichtigung fälliger, d.h. ernsthaft eingeforderter Gesellschafterforderungen bereits eine Deckungslücke von 10 % oder mehr besteht, sei die Gesellschaft zahlungsunfähig und werde die Zahlungsunfähigkeit durch die Zahlung an den Gesellschafter nicht herbeigeführt. § 64 Satz 3 GmbHG verlange die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit und stelle nicht auch auf die Vertiefung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ab.

Insoweit bestehe auch keine Schutzlücke, die geschlossen werden müsste. Der Geschäftsführer hafte bereits nach § 64 Satz 1 GmbHG für geleistete Zahlungen, wenn die Gesellschaft unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung zahlungsunfähig ist. Eine erweiternde Auslegung des § 64 Satz 3 sei auch nicht erforderlich, um der Gesellschaft eine Einrede gegen die Gesellschafterforderung zu gewähren. Wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist, habe der Geschäftsführer den Anspruch des Gesellschafters nicht zu befriedigen, sondern Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Das entspreche auch der Konzeption des Gesetzes, nach der die (eingangs dargestellten) Rechtsprechungsregeln, die entsprechend § 30 Abs. 1 GmbHG a.F. zu einer Durchsetzungssperre für die Gesellschafterforderung führten, mit dem Inkrafttreten des MoMiG abgeschafft sind (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG). Der „Nachrang“ der Gesellschafterforderung gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger soll durch die insolvenzrechtlichen Regelungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bzw. § 135 Abs. 1 InsO) gewahrt werden; ernst zu nehmende Schutzlücken sollen nicht entstehen und durch die neuen Regelungen im Anfechtsungsrecht geschlossen werden. Mit einer Interpretation des § 64 Satz 3 GmbHG als Einrede der Gesellschaft gegen fällige Gesellschafterforderungen würde die Durchsetzungssperre aber für einen Teilbereich wieder eingeführt und die Insolvenzantragstellung, da Gesellschafterforderungen nicht durchsetzbar wären und nicht als fällige Forderungen in die Liquiditätsbilanz einzustellen wären, zeitlich verschleppt, obwohl nicht einmal der Gesellschafter die Gesellschaft weiterfinanzieren will.

Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass der Anwendungsbereich von § 64 Satz 3 GmbHG damit klein ist. Der Gesetzgeber sei nämlich ausdrücklich von einem eng begrenzten Anwendungsbereich ausgegangen. Er habe in der Vorschrift nur eine Ergänzung der Haftung der Gesellschafter auf Existenzvernichtung gesehen. Es bestehe auch über den Fall der – eher theoretischen – Vergrößerung einer Deckungslücke von weniger als 10 % durch die Zahlung hinaus ein Anwendungsbereich gerade im Bereich der unrechtmäßigen Vermögensverschiebung. So könne die Zahlung einer nicht im insolvenzrechtlichen Sinne fälligen und damit in der Liquiditätsbilanz einzustellende Forderung, etwa eine tatsächlich nicht ernsthaft eingeforderte oder einem Rangrücktritt unterliegende Gesellschafterforderung, die Zahlungsunfähigkeit erst verursachen. Ebenso könne das bei einer Zahlung auf eine Gesellschafterforderung der Fall sein, deren Befriedigung an und für sich nicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, von deren Belassen aber Kreditgeber außerhalb des Gesellschafterkreises den Fortbestand, die Verlängerung oder die Gewährung ihrer Kredite abhängig gemacht haben und deren Begleichung sie ihrerseits zum Anlass für eine Kreditrückführung nehmen. Insoweit bestehe nämlich unter Umständen keine anderweitige Haftung des Geschäftsführers, weil der Gesellschaft durch die Zahlung kein Vermögensschaden im i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG zugefügt werde und die Auszahlung auch nicht gegen § 30 Abs. 1 GmbHG verstoße.

Der Bundesgerichtshof bemängelt schließlich, dass das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt habe, dass die Rückzahlung des vom Kläger und der Gesellschafterin gewährten Darlehens die Zahlungsunfähigkeit verursachen würde. Hierzu habe das Berufungsgericht – ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien – noch Feststellungen zu treffen. Wenn die Zahlung bzw. die Hinterlegung allerdings die Zahlungsunfähigkeit der Beklagten verursacht, könne die Gesellschaft die Zahlung verweigern. Die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 3 GmbH und das damit verbundene „Zahlungsverbot“ soll der Gefahr vorbeugen, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden. Dieses Ziel könne nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann und der Geschäftsführer nicht den Mittelabfluss unter Inkaufnahme einer eigenen Haftung bewirken muss. Folgerichtig sei der Geschäftsführer auch an Weisungen der Gesellschafter nicht gebunden (§ 64 Satz 4 GmbHG i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 3 GmbHG). Wenn später Zahlungsunfähigkeit und damit Insolvenzreife eintreten, werde über das bis dahin bestehende Leistungsverweigerungsrecht ggf. ein Nachrang der Gesellschafterforderung realisiert (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), und der Insolvenzverwalter sei nicht darauf verwiesen, abgeflossene Mittel über die Insolvenzanfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO oder nach § 64 Satz 3 GmbHG zurückzuholen. Ebenso entfalle das Leistungsverweigerungsrecht, wenn die Gesellschaft der drohenden Zahlungsunfähigkeit begegnen kann und saniert wird.

Fazit

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil für erfreuliche Rechtssicherheit gesorgt. Für die Praxis steht nun fest, dass fällige und ernsthaft eingeforderte Zahlungspflichten gegenüber Gesellschaftern stets im Liquiditätsstatus zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind. Der insolvenzbedrohten Gesellschaft steht insoweit kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Gesellschaftern zu. Klar ist nach dem Urteil auch, dass die viel diskutierte Vorschrift des § 64 Satz 3 GmbHG (und die aktienrechtliche Parallelvorschrift des § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG) nur einen minimalen Anwendungsbereich hat. Nur wenige Ausnahmefälle werden so gelagert sein, dass nicht schon die Zahlungspflicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, sondern erst die Zahlung selbst. In diesen Ausnahmefällen – und nur in diesen – steht der Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Zahlungsverlangen des Gesellschafters zu.