Vorbehaltsnießbrauch
Vorbehaltsnießbrauch
Dr. Sebastian Matenaer, Steuerberater, Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz
Die Anwendung des § 6 Abs. 3 S. 1 EStG setzt voraus, dass der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt. Daran fehlt es, wenn die einzige wesentliche Betriebsgrundlage aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauchs vom bisherigen Betriebsinhaber weiterhin gewerblich genutzt wird (Bestätigung von BFH v. 2.9.1992 –XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161, und v. 12.6.1996 –XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl. II 1996, 527 = DStR 1996, 1399; in Abgrenzung zur Rechtsprechung zur Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, vgl. BFH v. 26.2.1987 – IV R 325/84, BFHE 150, 321, BStBl. II 1987, 772 = BeckRS 1987, 22007992, und v. 7.4.2016 – IV R 38/13, BFHE 253, 390, BStBl. II 2016, 765 = DStRE 2016, 968). Es ist insoweit unerheblich, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter Betrieb unter Vorbehaltsnießbrauch übertragen wird.
I. Problemstellung
Der Bestellung von Nießbrauchsrechten an Einzelunternehmen und an Anteilen von Personengesellschaften kommt im Rahmen der Beratungspraxis der vorweggenommenen Erbfolge von Familienunternehmen eine hohe Bedeutung zu. Auf diese Weise kann der Übertragende weiter Einfluss auf das Unternehmensgeschehen ausüben und an den Erträgen partizipieren, während die Vermögenssubstanz bereits an die nachfolgende Generation übergeben wird. Auch für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist die Vereinbarung eines Nießbrauchs attraktiv, insbesondere wenn die Steuerbefreiung für Betriebsvermögen nicht genutzt werden kann. Denn der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs kann von der Bemessungsgrundlage des Übertragungsgegenstands abgezogen werden. Die Vereinbarung von Nießbrauchsrechten im Zusammenhang mit Betriebsvermögen ist aber ertragsteuerlich nur ohne Aufdeckung von stillen Reserven möglich, wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllt werden. Im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen der steuerneutralen Übertragung bestand schon bisher aufgrund divergierender Rechtsprechung der Finanzgerichte Rechtsunsicherheit, sodass Übertragungen regelmäßig mit einer verbindlichen Auskunft abgesichertwerden mussten.
II. Problemstellung
Die Klägerin hatte ein bebautes Grundstück auf ihren Sohn unter Vorbehalt des Nießbrauchs übertragen. Im Gebäude befanden sich eine Gaststätte sowie vermietete Wohnungen und Büros. Die Gaststätte wurde zunächst selbst zur Erzielung von gewerblichen Einkünften genutzt, später verpachtet und als sog. Betriebsverpachtung im Ganzen weiter als gewerblich behandelt. Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat die Finanzverwaltung die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Betriebsübertragung nicht erfüllt waren. Der streitbefangene Vorgang wurde als Entnahmegewinn im Zuge einer Betriebsaufgabe behandelt. Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg.
III. Entscheidungsgründe
Zunächst stellte der BFH fest, dass trotz der Bestellung des Nießbrauchsrechts der Kläger wirtschaftlicher und rechtlicher Eigentümer des Grundstücks geworden ist. Sodann führte der BFH weiter aus, dass die Betriebsübertragung unentgeltlich erfolgte, da die Bestellung des Nießbrauchs keine Gegenleistung des Klägers als Erwerber darstellt. Insoweit hielt der BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Weiterhin könne auch ein ruhender, verpachteter und nicht aufgegebener Betrieb Übertragungsgegenstand des § 6 Abs. 3 EStG sein. Nach Meinung des BFH setzte die Steuerneutralität der Übertragung allerdings voraus, dass der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt. Die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs erfordere, dass das Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang unter Aufrechterhaltung des geschäftlichen Organismus auf einen Erwerber übertragen wird. Dabei sei der Begriff des Betriebs nicht nur gegenstandsbezogen, sondern auch tätigkeitsbezogen zu verstehen.Im Übrigen könne die Rechtsprechung des IV. Senats zum Vorbehaltsnießbrauch bei der unentgeltlichen Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs nicht auf den Übergang eines Gewerbebetriebs übertragen werden. Außerdem sei es für die Frage der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 EStG auch unerheblich, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter und insofern ruhender Betrieb unter Vorbehaltsnießbrauch übertragen wird. Im Ergebnis waren im Streitfall die Voraussetzungen für eine steuerneutrale Übertragung des Verpachtungsbetriebs nicht erfüllt und die Übertragung des Betriebs stellte eine gewinnrealisierende Entnahme dar.
IV. Kontext der Entscheidung
Der Streitfall betrifft einen eher speziell gelagerten Fall der Betriebsverpachtung im Ganzen. Bei dieser wird dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht nach § 16 Abs. 3b EStG zugestanden, den gewerblichen Betrieb fortzuführen (grundlegend BFH, Urteil vom 13.11.1963, GrS 1/63 S, BStBl. III 1964, 124), obwohl die Verpachtung eigentlich die Einstellung der gewerblichen Tätigkeit bedeuten würde. Bei Ausübung des Wahlrechts entstehen zwei Gewerbebetriebe: der durch den Pächter fortgeführte ursprüngliche Betrieb und der in der Verpachtung des ursprünglichen Betriebes bestehende Betrieb des ehemaligen Unternehmers.
Daran anknüpfend hat der IV. Senat des BFH für land- und forstwirtschaftliche Betriebe entschieden, dass bei Vereinbarung eines Nießbrauchs zwei Forstbetriebe entstehen, ein ruhender in der Hand des nunmehrigen Eigentümers (und Nießbrauchsverpflichteten) und ein wirtschaftender in der Hand des Nießbrauchsberechtigten und bisherigen Eigentümers (BFH, Urteil vom 25.1.1996, IV R 19/94, BFH/NV 1996, 600). Insoweit ist es durchaus diskussionswürdig, ob ein Verpachtungsbetrieb, wie im vorliegenden Streitfall, nochmals auf zwei Betriebe aufgeteilt werden kann, da die gewerbliche Tätigkeit schon vor der Übertragung nur in der Verpachtung eines Betriebes bestand. Andererseits hat der X. Senat in seinem Beschluss vom 26.7.2005 (X R 10/05, BFH/NV 2006, 2072) entschieden, dass trotz eines Zuwendungsnießbrauchs zugunsten der Ehefrau des Verstorbenen die Tatbestandsvoraussetzungen einer unentgeltlichen Betriebsaufgabe gemäß § 7 Abs. 1 EStDV (heute § 6 Abs. 3 S. 1 EStG) erfüllt sein können. Insoweit scheint es in der Rechtsprechung des BFH entscheidend darauf anzukommen, dass der Gewerbetreibende die im Rahmen des übertragenen Betriebs ausgeübte gewerbliche Tätigkeit aufgibt (so auch schon BFH, Urteil vom 2.9.1992, XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161).
Der X. Senat scheint seine Rechtsprechungsgrundsätze auch auf originär gewerblich tätige Betriebe übertragen zu wollen. Sollte dies zutreffend sein, könnten zukünftig ggf. noch Übertragungen gegen Einräumung von Versorgungsleistungen im Sinne des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 EStG erfüllen, wenn hierin aus Sicht des BFH keine Fortsetzung der gewerblichen Tätigkeit zu sehen wäre. Alternativ könnte ggf. auch durch Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs die Einstellung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit erreicht werden. Allerdings wäre im Hinblick auf die Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs wiederrum die Tatbestandsvoraussetzung der Unentgeltlichkeit stärker infrage zu stellen (so Wälzholz, DStR 2010, 1931). Mittelbar wird das Besprechungsurteil schließlich auch die Inanspruchnahme der Befreiungsvorschriften nach §§ 13a, 13b und 13c ErbStG gefährden, weil § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG für den Betriebsbegriff auf § 15 EStG verweist.
Darüber hinaus ist für die Beratungspraxis von großer Bedeutung, ob das Urteil des X. Senats auch auf die Zuwendung von Mitunternehmeranteilen unter Nießbrauchsvorbehalt übertragbar ist. Bisher gingen sowohl die herrschende Meinung (Gratz/ Uhl-Ludäscher, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 6 Rn. 1222 m.w.N.) als auch die Finanzverwaltung von Übertragungen mit der Möglichkeit der Buchwertfortführung aus (BMF vom 13.1.1993, IV B 3 – S 2190 – 37/92, BStBl. I 1993, 80 Tz. 10 und 24).
Bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen können nach inzwischen ständiger und von der Finanzverwaltung anerkannter (BMF vom 2.11.2012, BStBl. I 2012, 1101) BFH-Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 1.9.2011, II R 67/09, BStBl. II 2013, 210) sowohl der Nießbraucher als auch der Erwerber Mitunternehmer sein. Darüber hinaus ist auch bei einer Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils nach § 6 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG die Fortführung der Buchwerte vorgesehen. Wird nur ein Teil eines Mitunternehmeranteils übertragen, kann der Übertragende seine gewerbliche Tätigkeit nicht gleichzeitig einstellen, sondern führt diese als Mitunternehmer weiter. Der Gesetzgeber schreibt daher im Hinblick auf Mitunternehmeranteile keine Beendigung der gewerblichen Tätigkeit vor, um die Voraussetzungen der Buchwertfortführung zu erfüllen.
Sollte der BFH, trotz der aufgezeigten Unterschiede bei der Zuwendung von Mitunternehmeranteilen, dennoch eine Übertragung seiner Rechtsprechungsgrundsätze auf die Übergabe von Mitunternehmeranteilen vornehmen, könnte über die Vereinbarung eines Ertragsnießbrauchs grundsätzlich die Mitunternehmerstellung des Übertragenden vermieden werden (Reiß, in: Kirchhof, EStG, 16. Auflage 2017, § 15 Rn. 201). Alternativ wäre, analog zur Übertragung von Betrieben, eine Übertragung gegen Versorgungsleistungen denkbar, um eine Aufdeckung der stillen Reserven zu vermeiden.
V. Praktische Bedeutung
Die Entscheidung führt zu einem hohen Risiko, dass bei der Übertragung von Betrieben unter Nießbrauchsvorbehalt die stillen Reserven aufgedeckt werden müssen. Zudem ist zu befürchten, dass die erbschaftsteuerlichen Befreiungsvorschriften nicht in Anspruch genommen werden können. Unklar bleibt, ob die Rechtsprechungsgrundsätze des Besprechungsurteils analog auch auf die Zuwendung von Mitunternehmeranteilen unter Bestellung von Nießbrauchsrechten anzuwenden sind. Im Ergebnis verbleiben daher nach dem Urteil des X. Senats erhebliche Unsicherheiten für den Rechtsanwender, die sich durch alternative Gestaltungen zwar reduzieren, aber nicht vermeiden lassen. Das Besprechungsurteil des X. Senats wird daher die Tendenz in der Beratungspraxis, Übertragungen unter Vereinbarung eines Nießbrauchs durch verbindliche Auskünfte abzusichern, weiter verstärken.