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Familienrecht

„Beckengurt und Bettgitter“ bedürfen trotz Vorsorgevollmacht der gerichtlichen Genehmigung

Christian Klein-Wiele, Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt

Trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht ist bei Anordnung und Durchführung ärztlicher Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen zusätzlich die Genehmigung durch das Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 5 BGB erforderlich.

I. Hintergrund

Viele Familienunternehmer treffen nach wie vor keine Vorsorge für eine unter Umständen lange Zeit der Handlungsunfähigkeit vor ihrem Tod (Vgl. Hennerkes/Kirchdörfer, Die Familie und ihr Unternehmen, 2. Aufl. 2015, S. 231 ff.). Dieses Problem gewinnt durch die Fortschritte in der Medizin täglich eine größere Bedeutung. Prominente Fälle wie der von Michael Schumacher rücken die Tatsache ins Bewusstsein, dass auch jeder Unternehmer in eine schwierige Lage geraten kann, in der private und geschäftliche Angelegenheiten von anderen wahrgenommen werden müssen.

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung geht die Entscheidungsbefugnis in solchen Fällen nicht einfach auf die Angehörigen über. Wenn rechtlich verbindliche Erklärungen oder Entscheidungen gefordert sind, besitzen der Ehegatte oder die Kinder keine gesetzliche Vertretungsmacht. Ist keine anderweitige Vorsorge getroffen worden, so bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, der für den Betroffenen die Entscheidung trifft.

Hierbei ist jedoch keineswegs zwingend, dass das Gericht einen nahen Angehörigen, z.B. den Ehegatten, zum Betreuer bestellt. Dies bedeutet für Familienunternehmer, dass unter Umständen fremde Dritte, wie z.B. Angestellte von Betreuungsvereinen, die Geschicke des Unternehmens leiten und die Familie keinen entscheidenden Einfluss mehr nehmen kann. Um diese Unsicherheiten im gerichtlichen Bestellungsverfahren zu vermeiden, sollte jeder Familienunternehmer über eine umfassende Vorsorgevollmacht verfügen, die der Vollmachtgeber einer oder mehreren Personen seines Vertrauens erteilt. Die Bevollmächtigten können den Vollmachtgeber dann in allen Angelegenheiten vertreten, wenn dieser alters-, unfall- oder krankheitsbedingt dazu selbst nicht mehr fähig ist, sodass eine gerichtliche Betreuerbestellung nicht erforderlich ist. Weitere Vorteile sind, dass sich der Familienunternehmer die zu bevollmächtigende Person selbst aussuchen und auch eine etwaige Vergütung des Bevollmächtigten bestimmen kann.

Allerdings sieht das Gesetz in bestimmten Ausnahmefällen vor, dass trotz Vorsorgevollmacht oder Betreuung zusätzlich die Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich ist. Eine solche Genehmigung ist u.a. nach § 1906 Abs. 4, Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 BGB dann nötig, wenn dem Vollmachtgeber durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hat nun über die Frage geurteilt, ob durch eine entsprechend formulierte Vorsorgevollmacht dieses gerichtliche Genehmigungserfordernis vermieden werden kann.

II. zum Sachverhalt

Eine in einem Seniorenpflegeheim untergebrachte Frau erteilte im Jahr 2000 ihrem Sohn eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht, mit der sie ihn bevollmächtigte, „soweit gesetzlich zulässig, in allen persönli-chen Angelegenheiten, auch soweit sie meine Gesundheit betreffen, sowie in allen Vermögens-, Steuer- und sonstigen Rechtsangelegenheiten in jeder denkbaren Hinsicht zu vertreten und Entscheidungen für mich und an meiner Stelle ohne Einwilligung des Vormundschaftsgerichts zu treffen und diese auszuführen bzw. zu voll- ziehen.“ Die Vollmacht umfasste auch die Befugnis zur Vornahme von Freiheitsentziehungsmaßnahmen durch mechanische Vorrichtung, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum.

Nachdem die Frau mehrfach aus einem Stuhl oder ihrem Bett auf den Boden gefallen war und sich dabei Verletzungen zugezogen hatte, willigte der Sohn in Ausübung der Vollmacht ein, Gitter am Bett der Frau zu befestigen und diese tagsüber mit einem Beckengurt im Rollstuhl zu fixieren.

Das Amtsgericht Heilbronn erteilte die Genehmigung zu den Maßnahmen, allerdings nur befristet. Daraufhin legte der Sohn Rechtsmittel gegen das Genehmigungserfordernis bis hin zum Bundesgerichtshof ein und zog schließlich sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Das Genehmigungserfordernis verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Ein staatliches Genehmigungserfordernis komme einer Bevormundung gleich.

III. tragende Gesichtspunkte des Beschlusses des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das gerichtliche Genehmigungserfordernis bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht durch eine weit formulierte Vorsorgevollmacht abbedungen werden kann. Zwar greife die in § 1906 Abs. 5 BGB festgeschriebene Verpflichtung, vor zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen trotz Einwilligung der durch Vorsorgevollmacht Bevollmächtigten eine gerichtliche Genehmigung der Einwilligung einholen zu müssen, in das Selbstbestimmungsrecht der Frau aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Das Bundesverfassungsgericht erkennt zudem ausdrücklich die Vorsorgevollmacht als wichtiges Institut an, das darauf gerichtet ist, bei Verlust eigener Entscheidungsfähigkeit nicht unter staatliche Fürsorge gestellt zu werden, sondern durch vertraute Privatpersonen verantwortungsvoll versorgt zu werden. Allerdings sei der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet, sich schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo die Grundrechtsberechtigten selbst nicht mehr dazu in der Lage sind. Im Rahmen dieses Freiheitsschutzes komme es allein auf den tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen an. Könne dem Betroffenen die Notwendigkeit der Freiheitsbeschränkung nicht näher gebracht werden, stelle sich die durch Dritte vorgenommene Beschränkung der Freiheit als besonders bedrohlich dar.

Dieses Bedrohlichkeitsempfinden werde auch nicht dadurch gemindert, dass die Betroffenen im zeitlichen Vorfeld zu einem Zeitpunkt umfassender Vernunft und Geschäftsfähigkeit vorgreiflich in derartige Beschränkungen eingewilligt oder erklärt hätten, die Entscheidung über solche Beschrän- kungen in die alleinige Verantwortung bestimmter Vertrauenspersonen legen zu wollen. Im konkreten Moment der Fixierung stelle sich die Maßnahme unabhängig von vorangegangenen Einverständniserklärungen als Beschränkung der persönlichen Freiheit dar. Daher entspreche es der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten, wenn der Gesetzgeber in § 1906 Abs. 5 BGB die Zulässigkeit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Einwilligung des Bevollmächtigten in derartige Freiheitsbeschränkungen unter ein gerichtliches Genehmigungserfordernis stelle.

IV. Stellungnahme

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist konsequent und entspricht dem Wortlaut des Gesetzes. In bestimmten Ausnahmefällen ist trotz Vorliegens einer Vorsorgevollmacht eine gerichtliche Überprüfung ärztlicher Sicherungs- und Zwangsmaßnahmen angezeigt und sinnvoll. Diese sind für den Betroffenen in der konkreten Situation mit starken Einschränkungen verbunden, die er im Vorfeld nicht überblicken kann.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dies kein Nachteil der Vorsorgevollmacht gegenüber der gerichtlichen Bestellung eines Betreuers ist. Denn auch im Fall der Bestellung eines Betreuers hätte nach dem vorliegenden Sachverhalt zusätzlich eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund ist wegen der mit der Vorsorgevollmacht verbundenen Vorteile insbesondere Familienunternehmern und -gesellschaftern dringend anzuraten, eine solche zu errichten und damit persönlich schwierigen Situationen rechtlich möglichst vorzubeugen.