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LG München I, Urteil vom 10.12.2013, 5 HK O 1387 / 10

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 15.000.000,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.9.2010 zu bezahlen.

 

II. Die Klägerin wird verurteilt, dem Beklagten 8442 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2003/2004 und 8146 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2004/2005 zu übertragen sowie an den Beklagten € 134.599,60 und weitere € 49.764,– zu zahlen Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages von € 15.000.000,–.

 

III. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

 

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/14, der Beklagte 13/14.

 

V. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Das Urteil ist für den Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.500.000,–.

 

VI. Der Streitwert wird auf € 16.293.864,– festgesetzt.

 

Tatbestand

1

Die Parteien streiten mittels offener Teilklage und Widerklage um das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Klägerin sowie Vergütungsansprüchen des Beklagten aus dessen Tätigkeit als Vorstand der Klägerin.

 

I.

 

2

1. Der Beklagte begann seine Tätigkeit bei der Klägerin – einem weltweit tätigen Unternehmen mit rund 400.000 Mitarbeitern und Aktivitäten in den Gebieten Industrie, Energie- und Gebäudetechnik, dessen Aktien unter anderem an der Frankfurter Wertpapierbörse und seit März 2001 auch an der New York Stock Exchange notiert sind – im Jahr 1989 und wurde in der Folgezeit stellvertretender Leiter der Zentralabteilung Finanzen sowie stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Klägerin. Mit Wirkung zum Februar 1998 rückte er zum Leiter der Zentralabteilung Corporate Finance auf und wurde damit zugleich ordentliches Vorstandsmitglied der Klägerin sowie Mitglied des Zentralvorstandes, aus dem er im April 2006 ausschied.

 

3

Der Gesamtvorstand der Klägerin nahm nach § 5 Ziff. 1 der Geschäftsordnung des Vorstandes die nach dem Aktiengesetz festgelegten Rechte und Pflichten des Vorstandes wahr. Er entwickelte die strategische Ausrichtung des Unternehmens und sorgte für ihre Umsetzung. Zudem hatte er nach § 2 Ziff. 2 der Geschäftsordnung die Aufgabe, für ein angemessenes Risikomanagement und -controlling Sorge zu tragen. Die übrigen nicht durch Gesetz oder Satzung dem Gesamtvorstand zugewiesenen Aufgaben nahm der Zentralvorstand der Klägerin aufgrund von § 5 Ziff. 2 der Geschäftsordnung wahr. Dabei war der Zentralvorstand der Klägerin ein Ausschuss des Gesamtvorstandes; er hatte die Aufgabe, das in den Geschäftsbereichen der Klägerin geführte operative Geschäft zu überwachen. Ihm gehörten neben dem Vorstandsvorsitzenden und den Leitern der Zentralabteilungen Finanzen und Personal weitere Vorstandsmitglieder an, die mit Zustimmung des Aufsichtsrats vom Vorstand gewählt wurden. Mitglieder des Gesamtvorstandes, die nicht zugleich auch Mitglied des Zentralvorstandes waren, wurden innerhalb der Klägerin auch als „stellvertretende Vorstände“ bezeichnet. Den einzelnen Zentralvorständen waren nach § 10 Ziff. 1 der Geschäftsordnung einzelne Geschäftsbereich sowie bestimmte Regionen der Welt zur Betreuung zugeordnet. Die Zentralabteilungen der Klägerin wurden entweder von Zentralvorständen selbst geführt oder wurden ihnen zur Überwachung zugewiesen. Die Geschäftsbereiche der Klägerin waren eigenständige unternehmerische Einheiten, die von sogenannten Bereichsvorständen geleitet wurden, die im Rahmen der Unternehmenspolitik und der Geschäftspolitik der Klägerin selbständig handelten. Den Bereichsvorständen kam indes keine Organeigenschaft im aktienrechtlichen Sinne zu; sie unterlagen der Überwachung durch den Zentralvorstand und hatten diesem gemäß § 10 Ziff. 2 der Geschäftsordnung zu berichten.

 

4

Die vom Beklagten geführte Zentralabteilung Finanzen umfasste die Hauptabteilung Treasury (zuständig für das Disponieren und Anlegen der vorhandenen oder zufließenden finanziellen Mittel sowie die Sicherung finanzieller Risiken), das Reporting sowie die Rechtsabteilung. Zusätzlich gehörte zur Zuständigkeit des Beklagten im Zentralvorstand die Betreuung der S…Financial Services und der S…Real Estate.

 

5

Der Vorstandsdienstvertrag des Beklagten mit der Klägerin in der Fassung des Briefs vom 5.12.2003 (Anlage K 2) enthielt u. a. folgende Bestimmungen:

 

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„2. Bezüge

 

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2.2 Aktienorientierte Vergütung

 

9

Neben den Bezügen gemäß Ziffer 2.1 werden Ihnen nach Ablauf eines Geschäftsjahres eine bestimmte Anzahl von Bezugsrechten auf Aktien aus dem Aktienoptionsplan der Gesellschaft zugeteilt sowie eine bestimmte Anzahl an Aktien der Gesellschaft gewährt, die Ihnen nach Ablauf von vier Jahren übertragen werden („Restricted Stocks“).

 

10

Die Gesellschaft behält sich vor, bei der Ausübung der Bezugsrechte anstelle der Auslieferung von Aktien einen Barausgleich vorzunehmen.

 

11

…“

 

12

Für das Geschäftsjahr 2003/2004 stand dem Kläger ein Anspruch auf die Lieferung von 8.442 Aktien der Klägerin als Bonus zu; für das Geschäftsjahr 2004/2005 belief sich der Bonus auf 8.146 Aktien. Die Dividendenzahlungen der Klägerin an ihre Aktionäre beliefen sich entsprechend der Beschlüsse der jeweiligen Hauptversammlung für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 auf jeweils € 1,60, für das Geschäftsjahr 2010 auf € 2,70 sowie für die Geschäftsjahre 2011 und 2011 auf jeweils € 3,–. Mit Schreiben ihres Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn Dr. … C…, vom 12.11.2008 (Anlage W 1) und vom 12.11.2009 (Anlage W 3) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Aktien geltend.

 

13

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieser Schreiben sowie des Inhalts des Vorstandsdienstvertrages mit seinen Abänderungen wird in vollem Umfang auf die Anlage W 1 und W 3 sowie K 3 Bezug genommen.

 

14

Die Klägerin gab mit ihren Business Conduct Guidelines vom 5.2.2001 (Anlage K 1), die Gegenstand auch des Vorstandsdienstvertrages waren, verbindliche Regeln vor, die helfen sollten, ethische und rechtliche Herausforderungen bei der täglichen Arbeit zu bewältigen. Diese Richtlinien enthielten u. a. folgendeRegelungen:

 

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„A. Grundsätzliche Verhaltensanforderungen

 

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A 1. Gesetzestreues Verhalten

 

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Die Beachtung von Gesetz und Recht ist für unser Unternehmen oberstes Gebot. Jeder Mitarbeiter hat die gesetzlichen Vorschriften derjenigen Rechtsordnung zu beachten, in deren Rahmen er handelt. Gesetzesverstöße müssen unter allen Umständen vermieden werden, insbesondere Verstöße, die mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Geldbuße geahndet werden.

 

18

Jeder Mitarbeiter muss im Falle eines Verstoßes – unabhängig von den im Gesetz vorgesehenen Sanktionen – wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen.

 

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A 4. Führung, Verantwortung und Aufsicht

 

21

Jede Führungskraft trägt die Verantwortung für die ihr anvertrauten Mitarbeiter. Sie muss sich deren Anerkennung durch vorbildliches persönliches Verhalten, Leistung, Offenheit und soziale Kompetenz erwerben. Sie setzt klare, ehrgeizige und realistische Ziele, führt durch Vertrauen und räumt den Mitarbeitern so viel Eigenverantwortung und Freiraum wie möglich ein. Sie ist für die Mitarbeiter auch bei beruflichen und persönlichen Sorgen ansprechbar.

 

22

Jede Führungskraft hat Organisations- und Aufsichtspflichten zu erfüllen.

 

23

Sie ist dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich keine Gesetzesverstöße geschehen, die durch gehörige Aufsicht hätten verhindert oder erschwert werden können. Auch bei Delegation einzelner Aufgaben behält sie die Verantwortung.

 

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Im Einzelnen gilt folgendes:

 

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1. Die Führungskraft muss die Mitarbeiter nach persönlicher und fachlicher Eignung sorgfältig auswählen. Die Sorgfaltspflicht steigt mit der Bedeutung der Aufgabe, die der Mitarbeiter wahrzunehmen hat (Auswahlpflicht).

 

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2. Die Führungskraft muss die Aufgaben präzise, vollständig und verbindlich stellen, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (Anweisungspflicht).

 

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3. Die Führungskraft muss dafür sorgen, dass die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen laufend kontrolliert wird (Kontrollpflicht).

 

28

4. Die Führungskraft muss den Mitarbeitern klar vermitteln, dass Gesetzesverstöße missbilligt werden und arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.“

 

29

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Business Conduct Guidelines wird in vollem Umfang auf Anlage K 1 Bezug genommen.

 

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2. Vor allem in den Bereichen ICN (Information & Communications Network) und ICM (Information & Communication Mobile), die ab September 2005 unter der Bezeichnung Com (Communication) zusammengefasst wurden, hatte sich – beginnend in den 80er-Jahren im Bereich ICN bzw. dessen Vorgängerbereich ÖN (Öffentliche Netze) – ein System „schwarzer Kassen“ entwickelt, aus denen mit den dort geparkten finanziellen Mitteln Korruptionszahlungen geleistet wurden. Nachdem bis in die Jahre 2001 bzw. 2002 Gelder über Bargeldabhebungen oder durch Verwendung von Barschecks von deutschen Banken der Klägerin entzogen und nach Österreich geschleust wurden, installierten mehrere Mitarbeiter der Klägerin danach ein neues System, wonach Gelder der Klägerin über Scheinberaterverträge abgezogen wurden. Dieses neue System, das vor allem von dem mittlerweile strafrechtlich verurteilten Mitarbeiter, Herrn … Si…, aus dem Bereich ICN entwickelt wurde, funktionierte im Wesentlichen dergestalt, dass Herr Si… Scheinberaterverträge mit verschiedenen Firmen von Herrn H… A… vereinbarte, auf deren Grundlage Scheinrechnungen gestellt wurden. Ein weiteres System mit Herrn P… F… wies eine dritte Ebene auf. Hier wurden wiederum zwischen der Klägerin und Drittgesellschaften von Herrn Paolo F… Scheinberaterverträge geschlossen und Scheinrechnungen gestellt. Zur weiteren Verschleierung wurden sodann durch Herrn P… F… zwischen dessen Gesellschafter und anderen auf den British Virgin Islands registrierte Briefkastenfirmen Kommissionsverträge abgeschlossen, die zur Weiterleitung der Geldflüsse dienten. Keine dieser Firmen wurde für die Klägerin tätig. Nach dem Entzug der Gelder aus dem Verantwortungsbereich der Klägerin hatte diese keine Kontrolle mehr über die entsprechenden finanziellen Mittel. Dieses System wurde vor allem bei einem Treffen im Restaurant „A… “ in M…-F… beraten, bei dem außer Herrn Si… vor allem Herr H… H… als Leiter des Rechnungswesens, Herr A… K… als Leiter Audit, Herrn C… St… als kaufmännischer Leiter Carrier Networks sowie Herr M… K… teilnahmen.

 

31

3. Bereits bei einer Sitzung des Gesamtvorstands am 16.4.1999, an der ausweislich der Niederschrift auch der Beklagte teilnahm, wurden die Auswirkungen des Inkrafttretens des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Rechtsverkehr diskutiert. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Klägerin, Herr H… P…, bezeichnete die Vielzahl von Ermittlungsverfahren als besorgniserregend. Der Vorstand wiederholte dann in einem einstimmig gefassten Beschluss die Anweisung an alle Mitarbeiter und Dienststellen, die jeweiligen örtlichen Gesetze und Rechtsvorschriften zu beachten; zugleich wies der Vorstand in dem Beschluss die Führungskräfte an, im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs und ihrer Aufsichtspflicht für die Einhaltung der gesetzlichen und innerdienstlichen Vorschriften zu sorgen.

 

32

Am 19.7.1999 zirkulierte der Beklagte ein Memorandum (Anlage K 8) an die Mitglieder des Gesamtvorstandes; darin wies er auf den vom US-amerikanischen Gesetzgeber erlassenen Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) hin, wonach dieser für alle an einer US-Börse notierten Gesellschaften gelte und neben dem Verbot der Bestechung ausländischer Amtsträger auch Buchführungsvorschriften enthalte, die das Erzeugen und Verbergen von Schmiergeldern verhindern sollten. Unter dem 20.3.2000 bejahte der damalige Mitarbeiter der Rechtsabteilung, Herr Dr. … W…, die Frage des Beklagten ob alles unternommen worden sei, um auf die Regeln des FCPA und der amerikanischen Börsenaufsicht hinzuweisen; zugleich verwies Herr Dr. W… aber auch darauf, dass es im Falle einer Anklage wegen Verstößen gegen den FCPA maßgeblich auf die Effizienz des gesamten Compliance-Systems, insbesondere auf die Erfüllung der Kontrollpflichten ankomme. In einem weiteren Memorandum vom 22.5.2000 (Anlage K 10) verwies Herr Dr. W… darauf, dass die Verletzung des FCPA in Betracht komme, wenn es Anhaltspunkte gebe, dass Gelder von einem nicht in den Büchern des Unternehmens mitgebuchten Konto für die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers verwendet würden.

 

33

Der Leiter der Rechtsabteilung, Herr Dr. … Sc…, leitete ein Schreiben des österreichischen Innenministeriums an den Raiffeisenverband Salzburg vom 6.9.2000 (Anlage K 11) an den Beklagten weiter; dieses Schreiben ging auf ein Rechtshilfeersuchen Schweizer Gerichtsbehörden betreffend Gelder des nigerianischen Ex-Diktators S… Ab… ein. Unter den in dem Schreiben aufgeführten Kontoverbindungen befand sich auch ein Konto in Salzburg, das ein Mitarbeiter der Klägerin ohne Kenntnis und Billigung des Vorstandes außerhalb der Bücher der Klägerin führte und das im Bereich ICN seit längerem für die anonymisierte Zahlung „nützlicher Aufwendungen“ genutzt wurde.

 

34

In einer Vorstandssitzung vom 23.7.2002 wies das Vorstandsmitglied Prof. Pr… auf die Notwendigkeit eines Systems zur Überprüfung der Einhaltung der Compliance-Regeln hin.

 

35

Im Oktober 2003 fielen im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung Zahlungen aus dem Bereich ICN auf der Grundlage zweifelhafter Beraterverträge an die Gesellschaft K… T… Corp. F… des Herrn A… auf. Am 27.11.2003 fand ein Treffen der kaufmännischen Leiter statt, in dessen Verlauf Folgendes protokolliert wurde (Anlage K 23):

 

36

„Herr N… berichtete über einige unerfreuliche Themen bezüglich des Business Conduct, die in den letzten Wochen des Abschlusses aufkamen.

 

37

Beispielsweise sind Steuerprüfer auf Beraterverträge gestoßen. Die Bereiche müssen im Vorfeld derartige Verträge prüfen, um sicherzustellen, dass sich keine Briefkastenfirmen unter derartigen Adressen verbergen.

 

38

In der Regel werden derartige Informationen sofort an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.

 

39

Es kam vor, dass Mitarbeiter mit viel Bargeld im Koffer verreisen, um Agentenverträge zu bedienen. Ein Mitarbeiter sagte aus, damit die Baukasse aufzufüllen, jedoch kam das Geld dort nicht an.

 

40

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang die Steuerproblematik. Falsche Steuererklärungen zu unterschreiben, wird nicht als Kavaliersdelikt behandelt. Daher wird auch überlegt, Bestätigungen von den Bereichen über die Richtigkeit des steuerbaren Ergebnisses einzuholen.

 

41

Die Konsequenz daraus ist, dass die Compliance Organisation gestrafft werden muss. Die Bereiche sind dafür verantwortlich, dass die entsprechenden Richtlinien und Informationen in die Bereiche und Bereichsgesellschaften hineingetragen werden.

 

42

Insbesondere informierte er darüber, was sich an der Rechtslage in den USA zu diesem Thema künftig ändern wird.“

 

43

Im Spätsommer 2003 fiel den Abschlussprüfern von K… im Rahmen der Prüfungsarbeiten für den Com-Bereich die Abhebung größerer Geldbeträge an der Kasse in der H…straße in München auf, wobei der zuständige Prüfungsleiter bei K… den Sachverhalt Herrn M… K… sowie dem Beklagten schilderte. Am 24.10.2003 übermittelte Herr K… dem Beklagten eine E-Mail (Anlage K 24) in der er Folgendes schrieb:

 

44

„Danke für Deine schnelle Reaktion!! Das hat uns sehr geholfen. Ich möchte nochmal betonen, dass der ICN-Mitarbeiter, über den wir gesprochen haben, auf keinen Fall beschädigt werden darf, das wäre fatal.

 

45

Nochmal danke, ich werde mich revanchieren. …“

 

46

In der Folgezeit leitete der Beklagte eine interne Untersuchung durch Herrn Dr. Sc… ein. Dessen Mitarbeiter, Herr Dr. … M… ermittelte durch Befragungen mehrerer Mitarbeiter der Klägerin, dass insgesamt über € 4 Mio. von der Kasse in der H…straße und bei der D… Bank abgehoben worden waren und deklariert als Baukassengeld durch ausgewählte Mitarbeiter nach Nigeria verbracht worden war. Den darüber erstellten Vermerk (Anlage K 25) leitete Herr Dr. M… am 11.11.2003 an den Beklagten weiter. Unter der Überschrift „rechtliche Bewertung“ führte Herr Dr. M… u. a. aus:

 

47

Auf folgende Punkte ist weiter hinzuweisen:

 

48

– Aufgrund der Höhe der Provisionszahlungen (gemessen am Auftragswert) und der Art ihrer Abwicklung bestehen Anhaltspunkte für den Verdacht der Amtsträger- bzw. Angestelltenbestechung im Ausland, wie ggf. für deutsche Behörden Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das IntBestG bzw. § 299 Abs. 3 StGB sein könnten.

 

49

– Die Verwendung der übergebenen Bargeldbeträge ist nach deren Übergabe an die mit deren Verbringung nach Nigeria beauftragten Mitarbeiter nicht mehr belegt. Schuldbefreiende Quittungen werden nicht erteilt. Damit fehlt es an einem schriftlichen Nachweis darüber, ob der Provisionsanspruch der Contec erfüllt wurde.

 

50

– Gemäß Kapitel E 1. der Business Conduct Guidelines müssen alle Aufzeichnungen und Berichte, die intern angefertigt oder nach außen gegeben werden, korrekt und wahrheitsgemäß sein. Gegen diese Vorgabe wurde verstoßen, soweit in den für die Zollbehörden bestimmte Bescheinigung erklärt wird, dass die mitgeführten Bargeldbeträge für die Baukasse in Nigeria bestimmt sind, intern dagegen von einer direkten Verteilung an die Consultants ausgegangen wird.

 

51

– Die FFS hat ihre mit der Abwicklung von Zahlungsaufträgen befassten Mitarbeiter mit Schreiben vom 4.8.2000 angewiesen, den ausgehenden Zahlungsverkehr aus Effizienzgründen ausschließlich maschinell über die einschlägigen Zahlungssysteme durchzuführen. Bei Bedenken, ob die Zahlung den in Betracht kommenden gesetzlichen und sonstigen Vorschriften genügt, ist die Durchführung der Zahlung gegenüber der Auftrag gebenden Konzerneinheit abzulehnen. Diese FFS-interne Arbeitsanweisung schließt die Abwicklung von Bartransaktionen über die SFS aus. Dagegen ist es den Konzerneinheiten nicht verboten, selbst Bartransaktionen durchzuführen.“

 

52

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten dieses Vermerks wird in vollem Umfang auf Anlage K 25 Bezug genommen.

 

53

Die Rechtsabteilung der Klägerin übermittelte am 18.11.2003 einen Vorschlag zur Reform des Compliance-System (Anlage K 30), die vom Vorstand der Klägerin nicht umgesetzt wurde. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird in vollem Umfang auf Anlage K30 Bezug genommen. Im Oktober 2004 kam es zu einer Neuorganisation der Compliance-Organisation, die in dem Z-Rundschreiben Nummer 5/2005 „Compliance“ vom 01.10.2004 (Anlage K32) innerhalb des Unternehmens zirkuliert wurde. Nach der Ausarbeitung dieser Vorschläge zu einer Compliance-Reform durch die Rechtsabteilung (Anlage K 30) wies Herr Dr. Sc… entsprechend einer Notiz vom 1.12.2003 (Anlage K 31) darauf hin, der seit 18.11.2003 vorliegende Vorschlag für die Änderung der Compliance-Organisation sei bislang nicht besprochen worden. Unter dem 1.10.2004 verfasste der Zentralvorstand sodann ein Z-Rundschreiben Nr. 5/2005 (Anlage K 32) in dem ausgeführt wurde, dass die Wahrnehmung der Compliance-Aufgaben bei Corporate Personal (CP) zusammengefasst sei und dass in Erfüllung dieser Aufgaben ein Chief Compliance Officer (CCO) bestellt werde; zum CCO wurde mit Wirkung vom 1.10.2004 Herr Dr. … Sc… zusätzlich zu seinen Aufgaben als Leiter der Hauptabteilung CP W bestellt; zudem wurde in dem Rundschreiben auf die Einrichtung eines dem CCO unterstellten Compliance Office hingewiesen. Ein Rundschreiben zum Thema „Beraterverträge“ (Anlage K44) datierte vom 29.6.2005. In der Vorstandssitzung vom 09.11.2004 berichtete Herr Dr. Sc… über die laufenden Ermittlungen in Sachen E… und gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der Klägerin aus dem GP-Bereich, zu dem auch der ehemalige kaufmännische Leiter gehörte.

 

54

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Vorschläge sowie der Notiz und der Rundschreiben wird in vollem Umfang auf die Anlage K 30, K 31, K 32 und K 44 Bezug genommen.

 

55

Am 4.8.2004 initiierte der Beklagte ein Rundschreiben, wonach Barabhebungen von Konten in einer Höhe, die aufgrund der lokalrechtlichen Bedingungen bezüglich Geldwäsche zu einer Meldepflicht führen würden, nur nach einer ausdrücklichen Genehmigung des Chief Financial Officers des Kontoinhabers gestattet seien und dass die Verwendung der abzuhebenden Mittel im Detail zu dokumentieren sei.

 

56

Das Landgericht München I verhängte gegen die Klägerin als Nebenbeteiligte im Strafverfahren gegen Herrn … Si… mit Beschluss vom 4.10.2007, Az. 5 KLs 563 Js 45994/07 (Anlage K 58) ein Bußgeld in Höhe von € 201.000.000,–, das sich aus einem Ahndungsteil in Höhe von € 1.000.000,– und einem Abschöpfungsteil von € 200.000.000,– zusammensetzte. Unter dem 15.12.2008 erließ die Staatsanwaltschaft München I einen Bußgeldbescheid (Anlage K 59) gegen die Klägerin über € 395.000.000,–, wovon € 394,75 Mio. eine Abschöpfung und € 250.000,– eine Ahndung bedeuteten. Aufgrund des Sentencing Memorandum des District of Columbia vom 12.12.2008 (Anlage K 60) wurde gegen die Klägerin ein Bußgeld in Höhe von 450 Mio. US-Dollar verhängt. Die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC sprach ebenfalls am 12.12.2008 eine Gewinnabschöpfung von 350 Mio. US-Dollar aus.

 

57

Zur Aufklärung des Systems „schwarzer Kassen“ schaltete die Klägerin die US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien D… und De… LLP ein.

 

58

4. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom 29.7.2008 (Anlage K 64) auf, binnen einer Frist von sechs Wochen seine Ersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen und einen Vorschlag zur Schadensregulierung zu unterbreiten. Zuvor hatte der Aufsichtsratsvorsitzende in dem Schreiben dargestellt, dass eine vom Aufsichtsrat beauftragte Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen sei, die amtierenden Mitglieder des Zentralvorstandes hätten ihre Verpflichtung zur Verhinderung von Bestechungen in vorwerfbarer Weise verletzt und seien daher der Klägerin für den entstandenen Schaden ersatzpflichtig. Er verwies insbesondere auf die danach mangelhafte Organisation des Compliance-Systems und eine unzureichende Aufsicht über die Einhaltung der Compliance-Regeln. Auf Seite 2 des Schreibens legte Herr Dr. C… in der Person des Beklagten liegende Umstände dar, aufgrund derer auch der Beklagte haften solle. Mit Schreiben vom 30.9.2008 (Anlage K 65) wandte sich Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. M… H…-B… aus der Kanzlei der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin für diese bzw. deren Aufsichtsrat an den nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten und wies darauf hin, der Aufsichtsrat bzw. dessen Compliance-Ausschuss hätten ihn zur Aufnahme von Gesprächen über eine mögliche vergleichsweise Beilegung der Angelegenheit wegen der Verletzung von Vorstandspflichten autorisiert. Bei einem Gespräch am 13.11.2008 nannte die Klägerin einen Betrag von € 4 Mio. als Gegenstand eines möglichen Vergleichs. Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte des Beklagten teilte mehreren Rechtsanwälten aus der Kanzlei der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in einem Schreiben vom 23.12.2008 (Anlage B 2) mit, er sehe in dem Gespräch vom 13.11.2008 die Aufnahme von Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB; sodann legte er dar, warum er den Anspruch weder dem Grunde nach noch auch der Höhe nach weder für begründet noch für akzeptabel halte. Mit Datum vom 3.7.2009 übersandte Rechtsanwalt Prof. Dr. M… H…-B… unter anderem dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein Schreiben, dem die Eckpunkte eines angestrebten Vergleichs beigefügt waren, wobei eine abschließende Entscheidung zur Unterzeichnung der Eckpunktevereinbarung mit dem individuellen Betrag bis Ende August 2009 erwartet worden war (Anlage B 9/7).

 

59

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Schreiben wird in vollem Umfang auf die Anlagen K 64, K 65, B 2 und B 9/7 Bezug genommen.

 

60

Die Klägerin schloss mit insgesamt neun Vorstandsmitgliedern Vergleiche, die der Hauptversammlung vom 26.1.2010 zur Zustimmung vorgelegt und deren Inhalte zusammen mit der Einladung den Aktionären bekanntgegeben wurde. Die Vergleiche mit den Vorstandsmitgliedern wurden mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam. Ein weiterer Vergleich mit den D & O-Versicherern, dem diese Hauptversammlung gleichfalls zustimmte, enthielt unter anderem folgende Regelung:

 

61

㤠4

 

62

Begrenzung von Ansprüchen gegenüber versicherten Personen

 

63

Soweit zwischen S…und versicherten Personen keine Haftungsvergleiche zustande kommen, wird S…die versicherten Personen so stellen, als hätten die Versicherer an S…einen Betrag in Höhe von 250 Mio. Euro auf die Schadensersatzforderung von S…geleistet. Dies gilt nicht zugunsten solcher versicherten Personen, die ihre Pflichten absichtlich oder wissentlich im Sinne der D & O-Vertragsbestimmungen des Grundvertrages Nr. EHV 70/493/7999060 aus der Versicherungsperiode 2006/2007 verletzt haben.“

 

64

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der abgeschlossenen Vergleiche wird in vollem Umfang auf Anlage K 66 Bezug genommen.

 

II.

 

65

Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe seine Vorstandspflichten zur Sicherstellung eines rechtmäßigen Verhaltens der Gesellschaft und ihrer Mitarbeiter verletzt. Er habe nicht dafür gesorgt, dass die Klägerin ein effizientes Compliance-System erhalte, das auch tatsächlich angewandt und kontrolliert werde. Das im Zusammenhang mit dem Listing an der New York Stock Exchange eingeführte Compliance System stelle sich als ein solches ohne Präventionswirkung in der Praxis dar. Es habe nach der Einführung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen gerade zur Bekämpfung der Korruption im internationalen Bereich an einer Durchsetzung der neuen Rechtsgrundlagen sowohl in der Person des Beklagten wie auch des gesamten Zentralvorstandes gefehlt. Die Einrichtung eines Compliance-Systems entbinde den Vorstand gerade nicht von seinen Kontroll- und Überwachungspflichten. Der Beklagte habe trotz wiederholter ihm zur Kenntnis gebrachter Hinweise auf ernsthafte Verstöße gegen Compliance-Vorschriften keine bzw. keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung der Verstöße, zur Abstellung von Verstößen und zur Bestrafung von betroffenen Mitarbeitern ergriffen. Zwar seien teilweise interne Ermittlungen eingeleitet worden, ihre Ergebnisse indes ohne Konsequenzen geblieben. Auch habe der Beklagte sich beispielsweise bei der Existenz der österreichischen Konten aus seinem unmittelbaren Verantwortungsbereich nicht um die Aufklärung der Hintergründe bemüht. Aus dem Memorandum von Herrn Dr. M…, dem Vorschlag von Dr. Sc… zur Neuorganisation der Compliance Organisation vom 18.11.2003, der Hinweise auf eine mangelnde Effizienz des Compliance-Systems sowie Hinweise auf mangelnde Verlässlichkeit der Original Compliance Officer enthalten habe, habe der Beklagte keine Maßnahmen ergriffen, um gegen diese Missstände vorzugehen und das Compliance System der Klägerin effizienter zu gestalten. Er habe es bei bloßen Lippenbekenntnissen belassen, Mitarbeiter des Bereichs Com gegenüber KPMG gedeckt und gegenüber dem Prüfungsausschuss verharmlosende, irreführende und zum Teil sogar schlicht falsche Aussagen im Zusammenhang mit Compliance relevanten Sachverhalten gemacht. Ebenso wenig sei er seiner Aufgabe nachgekommen, entsprechend der Vorgaben des FCPA das Kontrollsystem für die Buchführung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Im Jahr 2004 sei es im Rahmen des Projekts „Expansion of 3 OF Cable Links“ der staatlichen Gesellschaft N… über die als Business Consultant zwischen geschaltete Firma C. W… (Nigeria) Ltd. zu Zahlungen von € 590.000,– am 22.4.2004, von € 480.000,– am 29.4.2004, von € 470.000,– am 10.5.2004 und von € 610.000,– am 16.5.2004 gekommen.

 

66

Angesichts der Feststellung ungeklärter Zahlungen von insgesamt über € 190 Mio. im Jahr 2005 hätte der Beklagte aktiv werden müssen. Weitere Ermittlungen über die Verwendung der Mittel, über beteiligte Mitarbeiter oder verwendete Konten bzw. Zahlungssysteme hätten zwingend angeordnet werden müssen, was jedoch unterblieben sei. Auch könne sich der Beklagten nicht durch den Hinweis auf eine Delegation von Vorstandsaufgaben entlasten, weil die praktische Durchführung Aufgabe der Bereichsvorstände gewesen sei. Aufsichts- und Kontrollpflichten dürfe ein Vorstand nämlich nur beschränkt delegieren.

 

67

Aufgrund dieser Pflichtverletzungen des Beklagten seien der Klägerin auch die geltend gemachten Schäden entstanden. Eine effektive Aufsicht müsse nämlich als grundsätzlich geeignet angesehen werden, Rechtsverletzungen von Mitarbeitern vorzubeugen. Bei einer konsequenten Aufklärung und Abhilfe wäre das System „schwarzer Kassen“ Ende des Jahres 2003 beendet gewesen. Zu den ersatzfähigen Kosten gehöre auch der Aufwand für die Rechtsverfolgung und dabei vor allem auch die Kosten eines beauftragten Rechtsanwalts. Daher seien die für die juristische Beratung angefallenen Kosten der Rechtsanwaltskanzlei D… entsprechend den monatlichen Rechnungsstellungen dieser Kanzlei aus dem Zeitraum von März bis September 2007 in Höhe von US-Dollar 17.748.228,04 bzw. € 12.974.530,– entsprechend den Anlagen K 91, K 93, K 95, K 97, K 99, K 101 und K 103 in vollem Umfang ersatzfähig. Hiervon mache die Klägerin einen Teilbetrag von € 12,85 Mio. geltend. Ebenso ersatzfähig sei der Geldabfluss über € 2,15 Mio. an W… im Frühjahr 2004. Ein Schaden sei nämlich hinreichend dargelegt, wenn Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen an Dritte erbracht werden, ohne dass geklärt werden könne, es habe eine berechtigte Forderung bestanden.

 

68

Der Schlüssigkeit der Klage stehe auch nicht die von den Versicherern gemäß § 4 des Deckungsvergleichs fiktiv geleistete Betrag von € 250 Mio. entgegen, weil der Klägerin auch nach Anrechnung der fiktiven Leistung ein Schaden in mindestens dreistelliger Millionenhöhe verbleibe. Bei einem Gesamtschaden von € 1,6 Mrd. hafte bei einer Verteilung nach Köpfen auf die 11 im Jahr 2008 in Anspruch genommenen Organmitglieder jedes Mitglied für rund € 137 Mio.; bei einer kopfteiligen Anrechnung der Deckungssumme hätten die Versicherer fiktiv rund € 22 Mio. pro Organmitglied geleistet, weshalb bei jedem Organmitglied ein Restbetrag von rund € 123 Mio. verbleibe. Die im Deckungsvergleich vereinbarte Regelung beinhalte keinen Ausschluss der Geltendmachung des weitaus höheren Restschadens, weshalb die Klägerin insgesamt einen um € 250 Mio. geminderten Schaden geltend machen könne. Die Vergleichsabschlüsse zwischen den Gesellschaftern und anderen Gesamtschuldnern mit der Vereinbarung eines Freistellungsanspruches hätten nur Einzelwirkung zwischen den Parteien des Vergleichs, weshalb die Haftung des Beklagten unberührt bleibe. Selbst bei einer beschränkten Gesamtwirkung gelte indes nichts anderes, weil die Klägerin gegen den Beklagten den ihm zuzurechnenden Schaden geltend mache, für den er auch im Innenverhältnis verantwortlich wäre. Auf Verjährung könne sich der Beklagte angesichts der eingetretenen Hemmung durch Verhandlungen nicht berufen, die spätestens mit dem Anspruchsschreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden eingetreten sei. Abgesehen davon werde die Verjährung auch gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB angesichts der Zustellung am 19.9.2010 gehemmt, wobei dies als demnächst erfolgt angesehen werden müsse.

 

69

Die Klägerin beantragt daher:

 

70

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 15.000.000,– nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

III.

 

71

Der Beklagte beantragt demgegenüber:

 

72

Klageabweisung.

 

73

Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen darauf, es bestehe mangels Pflichtverletzung bereits keine Haftung dem Grunde nach. Beim W…-Geschäft kenne der Beklagte weder den Vertrag mit der Firma C. W… noch den angeblichen Zusammenhang mit dem Projekt einer staatlichen Gesellschaft noch die behaupteten Zahlungen. Die konzernweit agierende Zentrale Finanzabteilung könne nur die geordnete technische Abwicklung der Zahlungsvorgänge sicherstellen, nicht aber die Berechtigung einer einzelnen Forderung prüfen, weshalb die Betreuerfunktion des Beklagten im Zentralvorstand für die S…Financial Services keine Verantwortlichkeit für die einem Zahlungsvorgang zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle begründe. Aus dem M…-Memorandum vom November 2003 könne den Beklagten keine Verantwortung für Zahlungsabflüsse wie solche nach Nigeria nach diesem Zeitpunkt treffen. Vielmehr habe es keinen Anlass und keine praktikable Möglichkeit gegeben, den gesamten Zahlungsfluss zwischen der Muttergesellschaft und der Regionalgesellschaft in Nigeria und ihren Geschäftspartnern zu unterbinden. Zudem habe der Beklagte über den Einzelfall hinaus für Vorkehrungen gegen zweifelhafte Zahlungen gesorgt. Eine „korrupte Tradition“ sei für den Beklagten schon mangels entsprechender Hinweise aus dem Aufsichtsrat nicht erkennbar gewesen. Mehr als das Erstellen von Richtlinien im Rahmen seiner funktionalen Zuständigkeit könne von ihm nicht verlangt werden, weil die praktische Durchführung den Bereichsvorständen obliege und den Beklagten keine Ressortzuständigkeit für Compliance angesichts der Delegation auf das Vorstandressort ZP und den COC und ab Sommer 2004 auf den CCO getroffen habe. Das von den Teilnehmern im Restaurant „A…“ mit hoher krimineller Energie entwickelte Umgehungssystem bedeute keinen Beweis für die Insuffizienz des bei der Klägerin damals installierten Compliance-Systems. Nach dem Erhalt des M…-Vermerks und dem Auftrag an Herrn K…, für Ordnung zu schaffen, habe der Beklagte keinen weiteren Handlungsbedarf erkennen können. Zudem habe er systematische Kontrollen initiiert und überprüft. Personalmaßnahmen seien nicht in sein Zuständigkeitsressort gefallen.

 

74

Auch fehle es an der Kausalität zwischen den ihm vorgeworfenen, aber ohnehin nicht gegebenen Pflichtverletzungen. Dies zeige sich daran, dass die US-amerikanischen Behörden wegen aller anderen Fälle neben denen der Telekommunikation in Nigeria genauso ermittelt hätten. Somit fehle es an der schlüssigen Darlegung eines Schadens durch die Klägerin. Die im Dezember des Jahres 2008 eingereichte Klage des Departement of Justice könne unmöglich die Ursache für die ihr zeitlich vorangegangenen Tätigkeiten der Anwälte der Kanzlei D… in den Monaten März bis September 2007 sein. Zudem trage die Klägerin selbst vor, unter Umständen wäre es gar nicht zu den Verfahren und der Beratung und Vertretung durch diese Kanzlei gekommen, wenn der Beklagte die illegalen Praktiken rechtzeitig unterbunden hätte. Hinsichtlich des abgeflossenen Betrages von € 2,15 Mio. müsse die Klägerin angesichts des Vorhandenseins von Geschäftsbeziehungen zwischen der angeblichen Bestechungsempfängerin C. W… (Nigeria) Ltd., der Zahlungsempfängerin C. W… GmbH & Co. KG in Hamburg und der Klägerin darlegen und beweisen, dass es an einem Rechtsgrund fehle. Der Finanzvorstand eines weltweit tätigen Konzerns könne schließlich nicht jeden einzelnen geschäftlichen Vorgang selbst kennen und überprüfen.

 

75

Der mit den D & O-Versicherern abgeschlossene Vergleich über eine „virtuelle“ Einstandspflicht führe dazu, dass die Klägerin einen innerhalb dieses Betrages liegenden Betrag nicht vom Beklagten klageweise verlangen dürfe. Ebenso stelle sich die Berufung auf eine Einzelwirkung der Vergleiche mit den anderen Vorstandsmitgliedern der Klägerin als treuwidrig dar.

 

76

In jedem Falle aber könne sich der Beklagte auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich aller vor dem 19.9.2005 zu Schäden führenden Pflichtverletzungen berufen. Da das W…-Geschäft nie Gegenstand der Verhandlungen gewesen sei, könne es ohnehin keine zur Hemmung führenden Verhandlungen gegeben haben. Bezüglich des vom Beklagten zu leistenden Eigenbeitrags sei über nie mehr als € 4 Mio. verhandelt worden. Der Beginn der Verhandlungen könne vor allem nicht im Abwehrschreiben des Beklagten und seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten liegen, weil keines der Schreiben Aufforderungen zu Verhandlungen enthalte. Angesichts der erst am 19.9.2010 erfolgten Zustellung der Klage, könne auch nicht die Einreichung der Klage zur Hemmung geführt haben.

 

IV.

 

77

Zur Begründung seiner mit Schriftsatz vom 15.1.2013 (Bl. 332/336 d.A.) erhobenen Widerklage macht der Beklagte im Wesentlichen geltend, ihm stehe aufgrund seines Vorstandsdienstvertrages ein Anspruch auf 8.442 S…-Aktien als Bonus für das Geschäftsjahr 2003/2004 sowie von 8.146 S…-Aktien als Bonus für das Geschäftsjahr 2004/2005 zu. Die Höhe des bezifferten Zahlungsanspruches richte sich nach den jeweiligen Dividendenzahlungen.

 

78

Der Beklagte beantragt daher mittels Widerklage:

 

79

Die Klägerin wird verurteilt, dem Beklagten 8.442 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2003/2004 und 8.146 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2004/2005 zu übertragen sowie an den Beklagten € 134.599,60 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und weitere € 49.764,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.1.2013 zu bezahlen.

 

V.

 

80

Die Klägerin beantragt demgegenüber:

 

81

Abweisung der Widerklage.

 

82

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, angesichts der sich aus den Pflichtverletzungen des Beklagten ergebenden Schadensersatzansprüche stehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Anspruch des Beklagten zu.

 

VI.

 

83

1. Mit Beschluss vom 15.11.2012 (Bl. 293/295 d.A.) hat das Gericht der Klägerin aufgegeben, die Verträge der Klägerin mit den Firmen C. W… (Nigeria) Ltd. und C. W… (Hamburg) im Zusammenhang mit dem Projekt „Expansion of 3 OF Cable Links“, den Schriftwechsel über die Abwicklung dieser Verträge sowie den Beratervertrag mit der nigerianischen Firma C… vorzulegen.

 

84

2. Der Beklagte hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 3.2.2012 (Bl. 165/167 d.A.) Herrn … F… und mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 14.12.2012 (Bl. 317/319 d.A.) Herrn Prof. Dr. … W… den Streit verkündet,, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten. Ein Beitritt ist nicht erfolgt.

 

VII.

 

85

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Protokolle der Güteverhandlung vom 29.5.2012 (Bl. 249/251 d.A.) sowie der mündlichen Verhandlung vom 2.5.2013 (Bl. 404/407 d.A.) und 5.9.2013 (Bl. 484/485 d.A.).

 

Entscheidungsgründe

I.

 

86

Die zulässige Klage ist begründet, weil der Klägerin gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch in Höhe von € 15 Mio. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.9.2010 zusteht.

 

87

1. Die Klägerin kann vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 15 Mio. auf der Grundlage der Vorschrift des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG verlangen, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Danach sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.

 

88

a. Der Beklagte hat bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab, wie er in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG normiert ist, verletzt, weshalb er dem Grunde nach haftet.

 

89

(1) Ein Vorstandsmitglied muss im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen. Dazu gehören zum einen die Vorschriften des Bilanzrechts ebenso wie die Bestimmungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts (vgl. nur Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., Rdn. 23 zu § 93; Hopt in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., Rdn. 98 ff. zu § 93; Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 71 zu § 93; Landwehrmann in: Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rdn. 10 ff. zu § 93). Dabei gilt dies auch in Bezug auf die Einhaltung ausländischer Rechtsvorschriften, zu denen jedenfalls seit der auch im innerstaatlichen Recht gültigen Vorgaben des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 gehört. Namentlich seit der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch Artikel 2 § 1 EUBestG und Art. 2 § 2 IntBestG sind Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates ebenso unter Strafe gestellt wie Schmiergeldzahlungen an ausländische Privatpersonen, für die § 299 Abs. 3 StGB gilt. Demgemäß bedeuten grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen eine Gesetzesverletzung, die sich auch nicht aus der Erwägung heraus rechtfertigen lässt, anderenfalls seien wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nicht mehr möglich (vgl. Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., Rdn. 27 zu § 93; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., Rdn. 7 zu § 93; Bicker AG 2012, 542, 543). Im Rahmen dieser Legalitätspflicht darf ein Vorstandsmitglied somit zum einen bereits keine Gesetzesverstöße anordnen. Zum anderen muss ein Vorstandsmitglied aber auch dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfinden. Diese Überwachungspflicht wird namentlich durch § 91 Abs. 2 AktG dadurch konkretisiert, dass ein Überwachungssystem installiert wird, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind (vgl. BT-Drucks.13/9712 S. 15; Mertens/Cahn in : Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 34 f. zu § 91; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 38 zu § 91; Bayer in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 85, 89 f.). Einer derartigen Organisationspflicht genügt der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ob diese Pflicht bereits unmittelbar aus § 91 Abs. 2 AktG oder aus der allgemeinen Leitungspflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG herzuleiten ist (vgl. Fleischer AG 2003, 291, 299; Bicker AG 2012, 542, 543 f.; Hauschka AG 2004, 461 ff., insb. 465 ff.; Mertens/Cahn in : Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 35 zu § 91; Lutter in: Festschrift Goette, 2011, S. 289, 291). Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch die Verdachtsfälle aus der Vergangenheit (vgl. Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 36 zu § 91).

 

90

Bei der Klägerin hatte sich ein System „schwarzer Kassen“ entwickelt, das zunächst durch Ausschleusung von Bargeld oder von Schecks gekennzeichnet war und später in dem Zeitraum nach der Jahrtausendwende durch ein System der Existenz von Beraterverträgen abgelöst wurde, bei denen Gelder aus der Klägerin abgezweigt wurden, ohne dass diese von den Vertragspartnern eine entsprechende Beratungsleistung als Gegenleistung erhielt. Dieser Umstand der Existenz „schwarzer Kassen“ ist unstreitig, weil der Beklagte dies nicht gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten kann. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Die Vorgänge, die zu der unzulässigen Zahlung von Schmiergeldern im Ausland führten, gehörten zum eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich des Beklagten; Vorgänge in diesem Bereich stehen den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO gleich. Eine Partei kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss innerhalb desselben Erkundigen anstellen; sie ist verpflichtet, die ihr zugänglichen Informationen in ihrem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. BGH NJW 1995, 130, 131; NJW-RR 2002, 612, 613; Zöller-Greger, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 16 zu § 138). Erfolgt ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen durch die andere Partei, so gilt der entsprechende Vortrag der Klägerin als zugestanden. Dies muss auch dann gelten, wenn das Organmitglied der Gesellschaft nicht mehr angehört, weil ihm insoweit ein Anspruch auf Einsicht in die entsprechenden Unterlagen gem. § 810 BGB zusteht. Die Klägerin hat dem Beklagten eine Vielzahl von entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt.

 

91

(2) Zu den Grundlagen einer Pflichtverletzung hat die Klägerin hinreichend vorgetragen; der Beklagte hat dies nicht widerlegt. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 hat die Gesellschaft – gegebenenfalls mit der Erleichterung des § 287 ZPO – darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihr durch ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis, das möglicherweise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist. Das Vorstandsmitglied hat dagegen nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre (vgl. BGH ZIP 2011, 766, 767 = AG 2011, 378, 379; NJW 2013, 1958, 1959 = NZG 2013, 293, 294 = AG 2013, 259 = ZIP 2013, 455, 456 = DB 2013, 507, 508 = MDR 2013, 472; Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., Rdn. 221 zu § 93; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 167 zu § 93; Hüffer, AktG, 10. Aufl., Rdn. 16 zu § 93; Bürgers/Israel in: Bürgers/Körber, a.a.O., Rdn. 26 zu § 93; Eckert in: Wachter, AktG, 1. Aufl., Rdn. 31 zu § 93).

 

92

(a) Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin gerecht. Sie hat hinreichend konkret dargelegt, der Beklagte habe trotz wiederholter in zur Kenntnis gebrachter Gesetzesverletzungen keine bzw. jedenfalls keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen, deren Abstellen und der Ahndung der betroffenen Mitarbeiter eingeleitet. Die vom Beklagten im Zusammenhang mit den Vorfällen in Nigeria und dem Zusammenhang mit den Korruptionsfällen bei E… eingeleiteten Maßnahmen seien wie im Fall Nigeria ohne Konsequenzen oder wie im Fall E… ohne Bedeutung geblieben angesichts der Ausklammerung der tatsächlichen Hintergründe aus den Ermittlungen. Auch nach dem Erhalt weiterer Informationen wie dem Memorandum von Herrn Dr. M… über Barzahlungen in Nigeria, dem Vorschlag von Herrn Dr. Sc… und Herrn Dr. Z… zur Neuorganisation der Compliance-Strukturen vom 18.11.2003, immer wiederkehrender Hinweise auf die Existenz „schwarzer Kassen“, Hinweise auf die mangelnde Effizienz des Compliance-Systems und auf mangelnde Verlässlichkeit der Regional Compliance Officer habe der Beklagte keine Maßnahmen in Richtung auf eine Effizienzsteigerung des Compliance-Systems ergriffen. Vielmehr habe er Mitarbeiter aus dem Bereich Com gegenüber den Abschlussprüfern von K… gedeckt und gegenüber dem Personalausschluss des Aufsichtsrats verharmlosende, irreführende bzw. falsche Aussagen gemacht.

 

93

Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und auch deren unzureichende Überwachung, worauf der Vortrag der Klägerin vor allem auch abzieht, bedeutet eine Pflichtverletzung. Damit wurde aber die Klägerin ihrer Darlegungslast im Rahmen des § 93 AktG gerecht.

 

94

(b) Der Vortrag des Beklagten ist nicht geeignet, eine Pflichtverletzung zu widerlegen. Dabei muss vor allem berücksichtigt werden, dass die Einrichtung eines Systems zur Verwendung von Korruptionszahlungen bei der Klägerin strengen Sorgfaltsmaßstäben genügen muss. Dies ergibt sich vor allem auch aus dem Umstand, dass die Klägerin in Ländern Aktivitäten entfaltete, die ohne jeden Zweifel besonders korruptionsanfällig waren wie beispielsweise Nigeria. Das für das Jahr 2001 intendierte und dann auch durchgeführte Listing an der New York Stock Exchange machte ebenfalls ein ausgefeiltes Compliance-System erforderlich, um vor allem auch Konten außerhalb der regulären Buchführung der Klägerin aufzudecken. Deshalb muss ein funktionierendes Kontrollsystem auch sicherstellen, dass jeder Zahlungsvorgang jederzeit nachvollzogen werden kann. Gerade dieses strenge System macht ein effizientes Überwachungssystem unerlässlich.

 

95

Weiterhin ist unstreitig, dass der damalige Vorstandsvorsitzende der Klägerin bereits im Rahmen einer Vorstandssitzung unter Teilnahme des Beklagten am 16.4.1999 auf eine erschreckend hohe Zahl von Bestechungsfällen im Ausland hingewiesen hatte.

 

96

Auch in der Folgezeit erhielten die Vorstandsmitglieder einschließlich des Beklagten immer wieder Kenntnis von Korruptionsfällen bei der Klägerin. Nach dem vom Beklagten nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vortrag der Klägerin erhielt er im November 2003 das Memorandum der amerikanischen Anwaltskanzlei K… LLP über mögliche Konsequenzen hinsichtlich des Falles E…. Ebenso unstreitig erfolgten im Spätsommer 2003 Hinweise der Abschlussprüfer von K… für den Com-Bereich auf die Abhebung größerer Geldbeträge an der Kasse in der Hofmannstraße. Ebenso erhielt der Beklagte im November 2003 den Vermerk von Herrn Dr. M… über Vorgänge in Nigeria und die Schwächen des Compliance-Systems.

 

97

Gerade weil dem Vorstand und dem Beklagten immer wieder verdächtigte Fälle von Bestechungszahlungen geschildert wurden, hätte es einer Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems bedurft. Hinreichende Maßnahmen zur Verbesserung wurden allerdings nicht veranlasst.

 

98

(aa) Für den Beklagten wie den gesamten Vorstand hätte vor allem die Verpflichtung bestanden, eine klare Regelung zu schaffen, wer auf der Ebene des Gesamtvorstandes die Hauptverantwortung zu tragen hat. Angesichts der Größe des Unternehmens und auch der Gefährdungslage, die sich in der Vergangenheit für den Vorstand erkennbar realisiert hatte, ist eine klare organisatorische Zuordnung der Compliance-Verantwortung unerlässlich. Insoweit schuf auch das Z 5/2005 hier keine klaren Zuständigkeiten. Ebenso konnte eine tatsächliche Umsetzung von Compliance Vorgaben nicht wirksam erfolgen. Dies gilt gerade auch mit Blick auf die Beraterverträge. Insoweit kann dem Vortrag der Beklagten nicht entnommen werden, dass eine zentrale Erfassung sämtlicher Beraterverträge mit Dritten als eine geeignete Maßnahme eingeführt worden wäre. Dabei hätte sich dies sehr wohl als geeignete Maßnahme dargestellt, weil auf dieser Grundlage hätte überprüft werden können, ob und welche Leistungen wirklich erbracht wurden oder ob es sich um Scheinverträge handelte, auf deren Basis Korruptionszahlungen erfolgten.

 

99

(bb) Ebenso hätte darauf hingewirkt werden müssen, dass die mit der Überwachung der Compliance Vorgaben beauftragten Personen hinreichende Befugnisse haben, Konsequenzen aus Verstößen zu ziehen. Gerade die Häufung von verdächtigen Vorfällen zeigte den Vorstandsmitgliedern, dass das bisherige im Jahr 2001 eingeführte Programm „Compliance im Wettbewerb“ nicht geeignet war, Schmiergeldzahlungen hinreichend sicher zu unterbinden.

 

100

(cc) Soweit der Beklagte sich darauf beruft, gegenüber den kaufmännischen Leitern der Bereiche keine Weisungsrechte gehabt zu haben, zeigt gerade dieser Umstand das Fehlen eines funktionierenden Compliance-Systems, das der Vorstand im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für die Einhaltung des Legalitätsprinzips hätte einrichten müssen. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, es habe für ihn kein Weisungsrecht gegenüber Einzelpersonen oder Konzerneinheiten außerhalb der von ihm geleiteten Finanzabteilung gegeben, weil ansonsten die umfassende unternehmerische und geschäftliche Gesamtverantwortung der jeweiligen Bereichsvorstände für ihre Bereiche und das Funktionieren der Arbeitsweise im Zentralvorstand gestört worden wäre, ist dieses Argument nicht zur Entlastung des Beklagten geeignet, weil dies den Widerspruch zur Gesamtverantwortung des Vorstands für ein funktionierendes Compliance-System steht. Gerade weil es keine Berichtslinie mit daraus abzuleitenden Kompetenzen für disziplinarische Maßnahmen gab, hätten der Vorstand und damit der Beklagte eingreifen müssen und eine entsprechenden Organisationsstruktur schaffen müssen.

 

101

(dd) Die Verpflichtung zur Schaffung eines funktionierenden Compliance-Systems wie auch zur Überwachung von dessen Effizienz traf auch den Beklagten als Mitglied des Gesamtvorstands der Beklagten. In gleicher Weise bestand für den Gesamtvorstand und den Beklagten eine Verpflichtung, sich umfassend zu den einzelnen bekanntgewordenen Vorfällen insbesondere auch aus dem Vermerk von Herrn Dr. M… in Nigeria oder auch zu den Vorgängen um E… fortlaufend zu informieren. So bestand für den Beklagten vor allem auch die Verpflichtung, sich in regelmäßigen Abständen darüber in Kenntnis setzen zu lassen, welche Ergebnisse interne Ermittlungen brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen worden und vor allem ob und wie ein dahinter stehendes System bekämpft wird. So kann eine Überwachung der Geeignetheit des Compliance-Systems erreicht werden. Dem Vortrag des insoweit darlegungspflichtigen Beklagten kann nicht entnommen werden, nach Kenntniserlangung der einzelnen Vorgänge hinreichend tätig geworden zu sein. Das Protokoll der Sitzung der kaufmännischen Leiter vom 27.11.2003 spricht zwar an, dass die einzelnen Bereiche Prüfungen im Vorfeld durchführen müssen, um nachzuvollziehen, dass sich keine Briefkastenfirmen hinter derartigen Adressen verbergen und das derartige Informationen sofort an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden. Es wird aber gerade nicht klar, wie die Compliance-Organisation gestrafft werden sollte. Vor allem aber trägt der Beklagte nicht vor, auf welche Art und Weise die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen vom Vorstand überprüft werden sollte. Dem vorgelegten E-Mail-Verkehr ist erst ab November 2004 zu entnehmen, dass der Beklagte überhaupt eine Rückmeldung über die Implementierung der Vorgaben aus den Rundschreiben wünschte. Gerade die zeitliche Verzögerung nach Kenntniserlangung weiterer zumindest korruptionsverdächtiger Sachverhalte stellt sich beim Beklagten wiederum als Pflichtverletzung dar. Seinem Vortrag kann nicht entnommen werden, ob die Prüfungsaufträge aus dem Sommer 2004 in der gebotenen Schnelligkeit umgesetzt wurden, soweit es namentlich um die Einschaltung von Treuhandgesellschaften durch Dritte und die schnellere elektronische Prüfung von Zahlungsverkehrsdateien ging.

 

102

(ee) Eine Pflichtverletzung muss gerade auch im Zusammenhang mit den Zahlungen in Höhe von € 2,15 Mio. im Zusammenhang mit dem als Anlage K 78 vorlegten Vertrag angenommen werden. Dieser Vertrag wurde vor dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem der Beklagte Kenntnis vom Vermerk von Dr. M… erhielt. Die Provisionen in Höhe von 18 % des Vertragswerts legte den Verdacht auf Bestechung nahe, worauf gerade auch in dem Vermerk von Herrn Dr. M… hingewiesen worden war. Dann aber hätte die Verpflichtung des Beklagten bestanden, dafür Sorge zu tragen, dass alle Verträge, die einen klaren Bezug zu Nigeria aufweisen, einer Überprüfung zugeführt werden. Der Beklagte hat allerdings nicht hinreichend dazu vorgetragen, derartige Maßnahmen in die Wege geleitet zu haben. Da diese Vertragsunterlagen offensichtlich bei der Klägerin vorhanden waren, nachdem sie von ihr im Laufe des Verfahrens vorgelegt wurden, hätte der Beklagte bei der Überprüfung des Vorgangs und der Kontrolle der veranlassten Ermittlungen auch auf sie stoßen können.

 

103

Diese Unterlassungen namentlich der Implementierung eines effizienten Compliance-Systems und der Überprüfung von dessen Wirksamkeit stellen sich auch als Pflichtverletzungen des Beklagten dar, der sich hier gerade nicht auf die Ressortverantwortlichkeit innerhalb des Zentral-und Gesamtvorstandes berufen kann. Als Mitglied des Zentral- wie des Gesamtvorstands gehört die Einrichtung eines funktionierenden Systems zur Vermeidung von Gesetzesverstößen zu den Aufgaben auch des Beklagten. Dies stellt sich als Aufgabe des Gesamtvorstandes dar, der insbesondere zur überprüfen hat, ob das implementierte System geeignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu unterbinden. Dabei kann sich der Beklagte vor allem nicht darauf berufen, für die Durchsetzung im Einzelnen seien die Bereichsvorstände zuständig gewesen. Der sogenannte „Bereichsvorstand“ ist nämlich gerade nicht Vorstand im Sinne der §§ 76 ff. AktG, weshalb eine Delegation dieser zentralen Aufgabe des aktienrechtlichen Organs „Vorstand“ auf unterhalb dieser Ebene angesiedelte Mitarbeiter eine Pflichtverletzung darstellt (vgl. Hüffer, AktG, a.a.O., Rdn. 14 zu § 93; Krause BB 2009, 1370, 1373).

10.12.2013, 5 HK O 1387 / 10
Fundstelle
FuS Ausgabe 3 / 2014, S. 123
 
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