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Kreditwesen-, Börsen- und Wertpapierrecht

Börsennotierte Familienunternehmen: Ad-hoc- Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Zu welchem Zeitpunkt haben börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt über interne, zeitlich gestreckte Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren? Eine Antwort auf diese Frage hatte der BGH mit seinem Vorlagebeschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09 (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 38 ff.) vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erbeten. Dieser hat nun durch vorstehendes, in seiner Konsequenz gerade für börsennotierte Familienunternehmen sehr bedeutsames Urteil entschieden. Zur Erinnerung (vgl. insoweit Wiedemann, FuS 2011, 39): Nach § 15 Abs. 1 WpHG sind börsennotierte Unternehmen (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtet, die sie selbst unmittelbar betreffen. Voraussetzung für das Vorliegen einer Insiderinformation ist dabei zunächst, dass der zur Kenntnis gelangte Sachverhalt konkretisiert ist und sich auf der Öffentlichkeit nicht bekannte Umstände bezieht. Zudem müssen diese Informationen die Eignung aufweisen, sollten sie öffentlich bekannt werden, den Börsen oder Marktpreis der jeweiligen Wertpapiere beachtlich zu beeinflussen (vgl.13 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Letzteres ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG dann zu bejahen, wenn ein verständiger Anleger die Information im Rahmen seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Als Umstände im Sinne der oben genannten sind dabei auch solche zu qualifizieren, welche bisher zwar noch nicht eingetreten sind, hinsichtlich derer aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie zukünftig eintreten werden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). Börsennotierte Familienunternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt in ihrem Emittentenleitfaden hierzu nicht abschließend Stellung (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Bei börsennotierten Familienunternehmen wird in aller Regel von einer Ad-hoc-Publizitätspflicht auszugehen sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen  beispielhaft geschilderten Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc-Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung des EuGH liegt ein prominenter Sachverhalt zu Grunde: Der Wechsel an der Vorstandsspitze der damaligen Daimler-Chrysler AG im Sommer 2005. Bereits seit der Hauptversammlung Anfang April desselben Jahres hegte der unter Anlegern heftig in die Kritik geratene damalige Vorstandsvorsitzende, Jürgen Schrempp, nach eigenen Angaben den Gedanken an seinen vorzeitigen Rückzug von der Unternehmensspitze. Mitte Mai 2005 unterrichtete er den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Hilmar Kopper, von seinem möglichen Vorhaben. Die Öffentlichkeit erfuhr von den personellen Veränderungen innerhalb des Daimler-Chrysler-Konzerns allerdings deutlich später. Erst am 28.07.2005 wurde der Rücktritt Schrempps sowie die Person seines Nachfolgers, Dieter Zetsche, via Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt gegeben. Diese Neuigkeit wurde von den Anlegern positiv aufgenommen. Eröffnete die Aktie des Automobilherstellers am 28.07.2005 mit 36,50 `, war sie zu Börsenschluss bereits 42,95 ` wert. Die Freude über den unerwarteten Kursanstieg wurde jedoch nicht von allen geteilt. Einige Anteilseigner erhoben Klage beim OLG Stuttgart und machten Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen geltend. Sie hatten ihre Anteile kurz vor dem beschriebenen Kursanstieg verkauft und sahen sich um ihren Gewinn gebracht. So hatten sich die Stuttgarter Richter mit der Frage zu befassen, wann während des zeitlich gestreckten unternehmensinternen Entscheidungsprozesses, einen Wechsel bzgl. der personellen Besetzung des Vorstandsvorsitzenden herbeizuführen, den Unternehmenslenkern erstmalig eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorlag. Das Gericht nahm dies erst zu dem Zeitpunkt an, als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Austausch des Vorstandsvorsitzenden ausgegangen werden konnte, mithin mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses einen Tag vor Veröffentlichung der Ad-hoc- Mitteilung. Auch ohne konkrete Entscheidung des Vorstands hätten zu diesem Zeitpunkt zudem die Voraussetzungen zur Selbstbefreiung nach 15 Abs. 3 WpHG vorgelegen; dies erachtete das Gericht für ausreichend, um auch die eintägige Verzögerung der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Anders beurteilte diesen Sachverhalt zeitgleich das OLG Frankfurt in einem von der BaFin eingeleiteten Verfahren und verurteilte die Daimler-Chrysler AG zu einem Bußgeld in Höhe von 200.000,– `. Der BGH hat auf die Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart den vorgenannten Vorlagebeschluss erlassen (Volltext bei Wiedemann, FuS 2011, 38 f.).

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der EuGH hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob bereits einzelne Zwischenschritte, wie z.B. bloße Absichten und Pläne im Rahmen eines zeitlich gestreckten Vorgangs für sich genommen als präzise Informationen und damit sollten diese Informationen zudem Kursrelevanz aufweisen als zu veröffentlichende Insiderinformationen anzusehen sind oder aber wie das Oberlandesgericht Stuttgart annahm derartige Entwicklungsschritte erst und nur dann zu publizieren sind, wenn man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das jedenfalls zu veröffentlichende Endziel in Zukunft eintreten wird. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei welchem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser abschließende Umstand oder dieses abschließende Ereignis als präzise Information angesehen und damit eine Insiderinformation darstellen kann, sondern grundsätzlich auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte. Das gilt nach Ansicht des EuGH nicht nur für Schritte, die bereits eingetreten sind oder existieren, sondern auch für Schritte, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Seine Argumentation stützt das Gericht auf die Tatsache, dass das Gesetz beim Vorliegen bestimmter Teilschritte börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit einer Selbstbefreiung einräumt (z.B. bei durch den Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands). Dies führt nach Ansicht des EuGH denknotwendig zu dem Umkehrschluss, dass generell auch beim Vorliegen von Zwischenschritten eine Publizitätspflicht begründet sein kann. Zudem verweist das Gericht auf den Sinn und Zweck der betroffenen EU-Richtlinien, welcher insbesondere darin zu sehen ist, die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der Anleger in eben diese zu stärken und zu schützen. Um diese Ziele zu erreichen ist es nach Meinung des EuGH unerlässlich, den Anwendungsbereich des Insiderrechts nicht durch eine restriktive Auslegung der dort verwendeten, unbestimmten Rechtsbegriffe zu beschränken. Der EuGH hatte sich weiter mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die zur Begründung einer Publizitätspflicht erforderliche „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ (so der Wortlaut in Art. 1 I der Richtlinie 2003/124 EG) erst dann vorliegt, wenn der Eintritt einer Reihe von Umständen oder eines Ereignisses mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ob insofern eine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ausreicht oder ob der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit gar abhängig ist vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten und es daher bei hoher Kursrelevanz als ausreichend anzusehen ist, wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses zwar ungewiss, jedenfalls aber nicht unwahrscheinlich ist (sog. probability/ magnitude-Ansatz). Der EuGH stellt zunächst fest, dass zumindest Ereignisse, deren Eintritt nicht wahrscheinlich ist, keiner Pflicht zur Veröffentlichung unterliegen. Publizitätspflichtig sind vielmehr nur solche Umstände oder Ereignisse, deren Eintreten nach allgemeiner Erfahrung und einer umfassenden Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden kann. Zu diesem rechtlichen Ergebnis kommt der EuGH im Rahmen seiner aufgrund der innerhalb der Mitgliedstaaten divergierenden Sprachfassungen der Richtlinie erforderlichen Auslegung. Alle anderen existierenden Sprachfassun- gen der hier relevanten EU-Richtlinie 2003/124/EG stellen anders als die deutsche Fassung nicht auf eine „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr darauf ab, ob der künftige Eintritt von Umständen oder Ereignissen „vernünftigerweise“ zu erwarten bzw. vorhersehbar ist. Nach Ansicht des EuGH hat die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung so zu erfolgen, dass sie den jeweiligen Marktteilnehmern Rechtssicherheit bietet und das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte schützt. Zum Schutze der Emittenten börsennotierter Wertpapiere einerseits müssen folglich zumindest Ereignisse, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, von einer Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden. Andererseits verbietet es der zu gewährende Anlegerschutz, allzu hohen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts von Umständen oder Ereignissen zu stellen. Der EuGH erteilt damit den zahlreichen Stimmen, die eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung für die Ad- hoc-Publizitätspflicht annehmen, eine klare Absage. Verneint hat der EuGH schließlich auch die Annahme, der Grad der zur Veröffentlichungspflicht erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit könne je nach Ausmaß der Auswirkung auf den Kurs von Finanzinstrumenten variieren. Dies hätte nämlich zur Folge, dass sich die beiden für eine Insiderinformation erforderlichen selbstständigen Tatbestandsmerkmale „Vorliegen einer präzisen Information“ sowie deren „Kursrelevanz“, gegenseitig beeinflussten, anstatt, wie in der Richtlinie gefordert, kumulativ und eigenständig gegeben zu sein. So ist es durchaus möglich, dass ein Ereignis, dessen Einritt auch nur wenig wahrscheinlich ist, eine hohe Kursrelevanz aufweist. Auf den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses nimmt diese Bewertung jedoch keinen Einfluss.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis kann einerseits Entwarnung gemeldet werden. Die durch den EuGH für die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ aufgestellten Kriterien (Eintritt von Ereignissen kann nach allgemeiner Erfahrung und umfassender Würdigung aller verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden) laufen letztlich auf die schon vom BGH geprägte 50 %+x-Regel hinaus, d.h. maßgeblich für das Eingreifen der Ad-hoc-Publizität bleibt eine „überwiegende“ (wenn auch keine „hohe“) Wahrscheinlichkeit. Der EuGH ist somit erfreulicherweise nicht dem Antrag des Generalanwalts Mengozzi gefolgt (vgl. die entsprechenden Schlussanträge v. 21.03.2012, ZIP 2012, 615), der auf das Kriterium des „nicht unwahrscheinlichen, wenn auch ungewissen“ Ereignisses abgestellt hat, was zu einer massiven und für die Praxis nicht beherrschbaren Aufweichung der 50 %+x-Regel geführt hätte. Positiv ist auch, dass der EuGH den probability/magnitude-Ansatz verworfen hat. Kritisch ist andererseits anzumerken, dass das Urteil des EuGH zukünftig dazu verleiten könnte, jegliche Zwischenschritte zu publizieren, um einer möglichen Haftungsgefahr zu entgehen. Ein solches Vorgehen könnte die Bedeutung von Ad-hoc Mitteilungen aus Sicht der Anleger jedenfalls dann deutlich schmälern, sollten die prognostizierten Ergebnisse häufiger entgegen der unternehmensseitigen Erwartung schließlich doch nicht eintreten. Ohne Zweifel wird der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG stark an Bedeutung gewinnen, ist die Selbstbefreiung doch die einzige Möglichkeit auch bei gestreckten Entscheidungsprozessen risikolos eine Ad-hoc-Mitteilung aufzuschieben, bis Klarheit darüber herrscht, ob sich die geplante Maßnahme, bspw. ein Unternehmenskauf, tatsächlich realisiert. Dies setzt aber insbesondere voraus, dass der Emittent die Wahrung der Vertraulichkeit bzgl. der in Rede stehenden Maßnahme bis zur tatsächlichen Veröffentlichung sicherstellen kann. Zu hoffen bleibt insofern, dass der BGH in seiner nun zu treffenden Entschei- dung Stellung nehmen wird zu der Annahme des OLG Stuttgart, dieser Selbstbefreiungstatbestand bedürfe nicht zwingend einer diesbezüglichen expliziten Unternehmensentscheidung, sondern könne bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch kraft Gesetzes eintreten. Bis in dieser Frage Rechtssicherheit eintreten wird, bleibt den betroffenen Unternehmen nur zu raten, derartige Selbstbefreiungs-Entscheidungen mittels protokolliertem Vorstandsbeschluss zu dokumentieren.

Steuerrecht, Körperschaftssteuer

Steuerliche Behandlung der Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in Mezzanine-Kapital

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Problemstellung

Wesentliche Säule der Finanzierung von Familienunternehmen ist die sog. Innenfinanzierung, also die Finanzierung durch einbehaltene, versteuerte Unternehmensgewinne. Auch dem Bereich der Innenfinanzierung zuzurechnen sind Darlehen, die Gesellschafter in ihr Unternehmen hineingeben. Neben diesen Instrumenten der Innenfinanzierung nehmen nach wie vor die überwiegende Anzahl der Familienunternehmen Bankkredite als Instrumente der Fremdfinanzierung in Anspruch. Gerät das Familienunternehmen wirtschaftlich in die Krise wird von den Banken für die Aufrechterhaltung der Kreditlinien oder die Gewährung eines „Überbrückungskredites“ regelmäßig die Verbesserung der Eigenkapitalquote gefordert. In solchen Konstellationen ist es in der Praxis durchaus üblich, Gesellschafterdarlehen im Rahmen eines sog. Debt-Mezzanine-Swap in Mezzanine- Finanzierungsinstrumente, beispielsweise Genussrechte, umzuwandeln. Die Genussrechte werden dabei so ausgestaltet, dass sie handelsbilanziell Eigenkapital darstellen. Dies ist möglich, wenn die Genussrechte dauerhaft gewährt und mit Nachrang gegenüber sonstigen Gläubigern ausgestaltet werden, eine Verlustbeteiligung vorgesehen ist und die Verzinsung zumindest teilweise gewinnabhängig erfolgt. Dadurch werden die Bilanzrelationen verbessert, was eine höhere Bonität und damit günstigere Kreditkonditionen bzw. eine Erweiterung des Kreditfinanzierungsspielraums zur Folge hat. Entgegen der handelsbilanziellen Betrachtung ist steuerlich regelmäßig gewünscht, dass die Mezzanine- Finanzierungsinstrumente Fremdkapitalcharakter haben. Dabei liegen die Vorteile einer unterschiedlichen Behandlung in der Handels- und Steuerbilanz auf der Hand. So können Zinsaufwendungen, die an den Mezzanine-Finanzierungsgeber bezahlt werden, steuerlich als Betriebsaus- gaben abgezogen werden. Die Rückzahlung der entsprechenden Finanzierungsinstrumente stellt steuerlich keine Gewinnausschüttung dar, führt also nicht zu unerwünschten ertrag- steuerlichen Folgen beim Finanzierungsgeber. Last but not least kann die Umwandlung des Gesellschafterdarlehens in Mezzanine-Finanzierungsinstrumente ertragsteuerneutral vollzogen werden. Die steuerbilanzielle Qualifizierung als Fremdkapital wird in der Praxis mit Hinblick auf 8 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 KStG zumeist dadurch versucht zu erreichen, dass eine Beteiligung am Liquidationserlös und/oder an den stillen Reserven vertraglich ausgeschlossen wird. Diese in der Praxis gängige Handhabung ist nun von der Finanzverwaltung in Frage gestellt worden. Die OFD Rheinland vertritt die Auffassung, dass die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 KStG nur Regelungen zur Einkommensermittlung beinhaltet und inhaltlich keine Aussage zur steuerbilanziellen Behandlung von Mezzaninen-Finanzierungsinstrumenten trifft. Nach Ansicht der OFD Rheinland zieht eine handelsbilanzielle Umqualifizierung von Gesellschafterdarlehen in Eigenkapital infolge des Maßgeblich- keitsprinzips steuerbilanziell ebenfalls eine Umqualifizierung in Eigenkapital nach sich. Folge dieser Auffassung der Finanzverwaltung ist, dass sämtliche vorgenannten Steuervorteile verloren gehen und durch die Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in Mezzanine-Finanzierungsinstrumente steuerbilanziell kein erfolgsneutraler Passivtausch vorliegt. Eine solche Umwandlung führt vielmehr handels- und steuerbilanziell zu einem Ertrag. Soweit das umgewandelte Gesellschafterdarlehen nicht werthaltig ist sind entsprechende Ertragsteuern die Folge. In der Höhe, in der das Gesellschafterdarlehen werthaltig ist, führt die Umwandlung zu einer verdeckten Einlage des Gesellschafters in das Gesellschaftsvermögen (vgl. BFH v. 09.06.1997 – GrS 1/94 – BStBl. II 1998, 307). Beim Gesellschafter führt dies zu einer nachträglichen Erhöhung der Anschaffungskosten seiner Beteiligung.

Abschließende Hinweise

Die Verfügung der OFD Rheinland ist soweit ersichtlich bundeseinheitlich noch nicht abgestimmt. Es muss also zunächst abgewartet werden, ob die Finanzverwaltung insgesamt auch in anderen Bundesländern diese Linie vertreten wird. In der Praxis ist Vorsicht anzuraten. Das gängige Instrument der Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in Eigenkapital zur Stärkung der Eigenkapitalquote kann in Sanierungssituationen derzeit nicht ohne erhebliche Steuerrisiken eingesetzt werden.

Aktiengesetz

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Beratungsverträge mit Mitgliedern von Aufsichtsräten und Beiräten

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Zahlungen des Vorstandes an ein Aufsichtsratsmitglied für Dienstverpflichtungen außerhalb seiner Tätigkeit als Aufsichtsrat sind nur dann erlaubt, wenn der Gesamtaufsichtsrat vorher zustimmt. Die nachträgliche Genehmigung des Gesamtaufsichtsrates ändert an der Pflichtwidrigkeit der Zahlungen nichts.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Aufsichtsräte und Beiräte spielen in Familienunternehmen eine wesentliche Rolle. Zu unterscheiden sind dabei sog. Pflichtaufsichtsräte, also Aufsichtsräte, die nach den gesetzlichen Vorschriften zwingend zu errichten sind, und fakultative Beiräte, also freiwillig von den Gesellschaftern eingesetzte Gremien, für die es keine gesetzlichen Regelungen gibt. Für die Einsetzung von freiwilligen Beiräten bestehen in der Praxis unterschiedlichste Motive, beispielsweise die Kontinuitätssicherung in der Unternehmensnachfolge, die Moderation zwischen verschiedenen Gesellschaftern oder Familienstämmen, die Beratung und Überwachung bei Einsetzung eines Fremdmanagements oder die Koordination auseinanderstrebender Gesellschafterinteressen (vgl. dazu Wiedemann/Kögel, Beirat und Aufsichtsrat  im Familienunternehmen, §4, S. 9 ff.). Häufig spielen Aufsichtsräte in Familienaktiengesellschaften oder freiwillig eingesetzte Beiräte bei der Umsetzung der Unternehmensnachfolge eine wesentliche Rolle, geben sie doch dem Unternehmer, der die operative Führung auf die nächste Generation überleitet, die Möglichkeit für einen stufenweisen Ausstieg durch die Wahrnehmung einer Funktion im Aufsichtsrat oder Beirat des Unternehmens. Eine solche Konstellation bietet einerseits die Möglichkeit, dass der übergebende Unternehmer den „Junioren“ weiterhin mit Rat und Tat zur Seite steht, gleichzeitig aber seine Funktion „kanalisiert“ wird. Häufig werden solche Mandate in Aufsichtsrats- und Beiratsgremien durch entsprechende Beraterverträge begleitet.

Die Rechtsprechung hat sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit der Frage der Zulässigkeit solcher Beratungsverträge beschäftigt. Hintergrund hierfür ist die Vorschrift des § 114 AktG, die klarstellt, dass ein Aufsichtsratsmitglied keine besonderen Vergütungen für Leistungen erhalten kann, die zum Bereich seiner Aufsichtsratstätigkeit gehören. Insofern hat die durch die Hauptversammlung bzw. Satzung festgelegte Aufsichtsratsvergütung abschließenden Charakter. Das Aktiengesetz lässt es aber zu, dass mit Aufsichtsratsmitgliedern Beratungsverträge abgeschlossen werden, stellt diese jedoch unter den Vorbehalt der Zustimmung durch das Gesamtgremium. Solchen Beratungsverträgen zugänglich sind aber nur Tätigkeiten, die von der eigentlichen Aufsichtsratstätigkeit klar getrennt sind. Ob es sich im Einzelfall um eine einer vertraglichen Regelung zugänglichen Tätigkeit handelt, war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand von höchstrichterlichen Entscheidungen. So hat der BGH bspw. klargestellt, dass die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen, auch die Pflicht beinhaltet, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten (vgl. dazu BGHZ 114, 127, 129 f. = NJW 1991, 1830, 1831). In einer anderen Entscheidung hat der BGH dargelegt, dass es nicht ausreicht, wenn der Beratungsvertrag die Beratung „in betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fragen“ durch das Aufsichtsratsmitglied vorsieht. Durch einen solchen Beratungsgegenstand ist keine hinreichende Abgrenzung zwischen der Beratungstätigkeit und der Organtätigkeit gewährleistet (vgl. dazu BGH, BB 2007, 1185 ff.).

Ob diese Grundsätze auch für freiwillige Beiräte gelten, bei denen die vorgenannte Vorschrift des § 114 AktG nicht unmittelbar Anwendung findet, wurde von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden. In der Literatur wird dies zumindest dann teilweise bejaht, wenn dem Beirat eine einem Pflichtaufsichtsrat vergleichbare Funktion und Aufgabenstellung zukommt (vgl. dazu bspw. Weiss BB 2007, 1853, 1858 ff.).

Großes Aufsehen hatte vor einigen Jahren eine Entscheidung des OLG Frankfurt erregt, die sich mit der Frage beschäftigt hat, ob ein Aufsichtsratsmitglied bei der Beschlussfassung über die Zustimmung zu dem ihn betreffenden Beratungsvertrag stimmberechtigt ist (OLG Frankfurt, AG 2005, 925). Das Gericht hat dies verneint und weiter ausgeführt, dass der Beschluss eines dreiköpfigen Aufsichtsrats über die Zustimmung mangels Beschlussfähigkeit auch dann unwirksam sei, wenn sich das betroffene Aufsichtsratsmitglied der Stimme enthalte (vgl. OLG Frankfurt AG 2005, 925). Folge dieser Entscheidung wäre gewesen, dass Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern in Aufsichtsräten, die sich lediglich aus drei Personen zusammensetzen, nicht genehmigungsfähig wären, da für die Beschlussfähigkeit eines Aufsichtsrats mindestens drei Personen an der Beschlussfassung teilnehmen müssen. Der BGH, der die Frage, ob diese Rechtsauffassung zutreffend ist, zunächst offengelassen hatte (vgl. BGH, NZG 2007, 103, 105), hat in einer späteren Entscheidung entgegen dem OLG Frankfurt entschieden, dass die Beschlussfähigkeit eines dreiköpfigen Aufsichtsrats auch dann besteht, wenn ein Aufsichtsratsmitglied nicht stimmberechtigt ist. Das vom Stimmverbot betroffene Aufsichtsratsmitglied kann – und muss – sich der Stimme enthalten und so durch seine „Teilnahme“ an der Abstimmung über die Genehmigung des Beratungsvertrags die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats herstellen (vgl. BGH, BB 2007, 1185, 1187).

Kaum hat sich nunmehr die Diskus- sion über die Zulässigkeit von Bera- tungsverträgen mit Aufsichtsrats- mitgliedern etwas beruhigt, ist es erneut das OLG Frankfurt, das für erhebliche Unruhe in der Gestaltungspraxis sorgt, indem es entgegen der ganz herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. dazu die Hinweise bei Wiedemann/Kögel, a.a.O., §11, Rn. 13, Fn. 25 und Drygala ZIP 2011, 428, Fn. 3) die nachträgliche Genehmigung von Beratungshonoraren als Gesetzesverstoß einstuft.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Das OLG Frankfurt hatte sich mit der Berufung der Fresenius SE gegen ein erstinstanzliches Urteil zu beschäftigen, mit dem die Entlastungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat aus der Hauptversammlung 2009 für nichtig erklärt worden waren. Diese Entlastungsbeschlüsse waren mit dem Argument von zwei Aktionären angefochten worden, dass einem Aufsichtsratsmitglied Beratungshonorare auf der Grundlage eines Beratungsvertrags ausgezahlt wurden, die nicht vorherig, also vor Zahlung der Beratungshonorare, durch den Aufsichtsrat, sondern erst nachträglich genehmigt wurden. Die beklagte Fresenius SE machte u.a. geltend, dass der Aufsichtsrat ein jährliches Budget vorab freigegeben hatte und nur die konkreten Zahlungen nachträglich genehmigt wurden.

Das OLG Frankfurt sieht in dieser der Praxis entsprechenden Handhabung „schwere und eindeutige Gesetzesverstöße, die zur Versagung der (Gesamt-)Entlastung nach § 120 Abs. 1 AktG führen mussten.“ Nach Ansicht des OLG Frankfurt beinhaltet § 114 AktG eine Verhaltensregelung mit dem Zweck, eine Abhängigkeit des überwachenden Organs vom überwachenden Organ zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund sollen Zahlungen an Aufsichtsratsmitglieder für Beratungsleistungen nur bei vorheriger Zustimmung durch den Aufsichtsrat erlaubt sein. Auch die nachträgliche Genehmigung kann nach Ansicht des OLG Frankfurt das „tatsächliche Fehlverhalten nicht ungeschehen machen“. Das OLG Frankfurt stellt dabei auf die „Pflichtwidrigkeit der Zahlung“ ab.

Sollte sich die Ansicht des OLG Frankfurt durchsetzen, wird dies sicherlich zu einer Neustrukturierung der Beratungsmandate in der Praxis in dem Sinne führen, dass Vergütungen vor deren Auszahlung stets dem Zustimmungsvorbehalt durch den Gesamtaufsichtsrat unterworfen werden. Diese Vorgehensweise kann wiederum im Widerspruch zu einem anderen oben bereits erwähnten Vorteil des OLG Frankfurt stehen, wonach eine nachträgliche Konkretisierung eines Beratungsvertrags ebenfalls unzulässig sein soll (vgl. AG 2005, 925). Die Anwendung beider Vorteile des OLG Frankfurt würde faktisch dazu führen, dass nur solche Beratungsleistungen genehmigungsfähig wären, die erstens vor Erbringung der Leistungen konkret definiert werden können und die zweitens einschließlich des dafür vorgesehen Beratungshonorars zuvor durch den Aufsichtsrat genehmigt werden. Ein Verfahren, das in vielen Fällen kaum praktikabel ist und dem Wortlaut des § 114 AktG, der gerade von der Zulässigkeit von Beratungsverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern ausgeht, zuwiderläuft.

Für die Gestaltungspraxis bleibt zu hoffen, dass der BGH, wie bereits in dem oben geschilderten Fall, nochmals die Möglichkeit bekommt, auch dieses Urteil des OLG Frankfurt „geradezurücken“. Anlass hierfür hätte der BGH ausreichend, spricht doch beispielsweise § 114 Abs. 1 AktG von „Zustimmung“, die, sofern das Gesetz hierzu keine andere Aussage trifft, sowohl als vorherige Einwilligung als auch als nachträgliche Genehmigung zu verstehen ist. Ferner hat sich das OLG Frankfurt überhaupt nicht mit dem Wortlaut des § 114 Abs. 2 AktG auseinandergesetzt, der explizit die (nachträgliche) Genehmigung durch den Aufsichtsrat zulässt. Das OLG Frankfurt hat die Revision zwar nicht zugelassen; die Nichtzulassungsbeschwerde ist aber derzeit beim BGH anhängig.

Wertpapierhandelsgesetz

Börsennotierte  Familienunternehmen: Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 / EG nur darauf abzustellen, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Information nach diesen Richtlinienbestimmungen anzusehen ist, und demgemäß zu prüfen, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder können bei einem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinn der genannten Richtlinienbestimmungen sein?

b) Verlangt hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/ EG eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit, oder ist unter Umständen, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von ihrer zukünftigen Existenz, oder Ereignissen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten werden, zu verstehen, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es bei hoher Einigung zur Kursbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahrscheinlich ist?

Problemstellung und praktische Bedeutung

Hat die damalige Daimler-Chrysler AG das Ausscheiden ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp zu spät ad hoc gemeldet?

Diese Frage beschäftigt nunmehr nach einem entsprechenden Vorlagebeschluss des BGH den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die vom EuGH abstrakt zu prüfenden Fragen haben dabei, wie auch der dem Vorlagebeschluss konkret zugrunde liegende Sachverhalt, für börsennotierte Familienunternehmen eine erhebliche praktische Bedeutung. So obliegt sämtlichen börsennotierten Unternehmen, (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) Insiderinformationen, die das Unternehmen unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen (vgl. § 15 Abs. 1 WpHG). Insiderinformationen sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG konkrete Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren, also bspw. börsennotierte Aktien oder Schuldverschreibungen, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen sind, oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Als Umstände i.d.S. gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden (§ 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG).

Gerade börsennotierte Familien- unternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich dann ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geht in ihrem Emittentenleitfaden davon aus, dass Veränderungen in den Organen eine Publizitätspflichtige Insiderinformation darstellen können (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Dies wird bei börsennotierten Familienunternehmen in aller Regel zumindest dann der Fall sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc- Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Hintergrund für den Vorlagebeschluss des BGH war eine Musterrechtsbeschwerde, die mehrere (ehemalige) Aktionäre der damaligen Daimler- Chrysler AG gegen einen Musterentscheid des OLG Stuttgart im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen einer verspäteten Ad-hoc-Mitteilung gegen die damalige Daimler-Chrysler AG wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp geltend gemacht hatten. Das OLG Stuttgart hat auch in seiner zweiten Entscheidung – die erste Entscheidung eines anderen Senats des OLG Stuttgart wurde durch den BGH aufgehoben und zur Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen – eine Insiderinformation erst zu dem Zeitpunkt angenommen, ab dem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, das das zukünftige Ereignis, also das einvernehmliche Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden, eintreten werde. Dies sah das OLG Stuttgart mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrates der damaligen Daimler- Chrysler AG, die einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung und der Ad-hoc- Mitteilung stattfand, gegeben. Das OLG Stuttgart ging weiter davon aus, dass die Daimler-Chrysler AG berechtigt war, die Ad-hoc-Mitteilung um einen Tag zu verschieben, weil die Voraussetzung einer Selbstbefreiung vorgelegen hätte, obwohl es hierzu keine bewusste Entscheidung durch den Vorstand der Daimler-Chrysler AG gegeben hatte.

Demgegenüber hatte das OLG Frankfurt im parallelen Bußgeldverfahren das von der BaFin verhängte Bußgeld in Höhe von ` 200.000,00 für rechtmäßig erkannt und somit den Zeitpunkt der Ad-hoc-Publizitätspflicht deutlich früher gesehen.

Im Zentrum dieser juristischen Auseinandersetzung steht die Frage, ob bei einem gestreckten Vorgang bzw. zukunftsbezogenen Sachverhalten eine – publizitätspflichtige – Insiderinformation bereits dann vorliegen kann, wenn Zwischenschritte zur Erreichung des angestrebten Ereignisse verwirklicht sind oder erst dann, wenn der Eintritt des angestrebten Ereignisses hinreichend wahrscheinlich ist.

Nach Ansicht des BGH kommt es zur Klärung dieser Rechtsfrage darauf an, wie die beiden dem § 13 WpHG zugrunde liegenden Artikel der relevanten Richtlinien (Art. 1 I der Marktmißbrauchsrichtlinie 2003/6/EG und Art. 1 I und II der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG) auszulegen sind. Der BGH lässt in seinem Vorlagebeschluss klar erkennen, dass es nicht zwingend für die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Umstandes darauf ankommt, ob ein damit verknüpfter zukünftiger Umstand hinreichend wahrscheinlich eintritt, sondern vielmehr darauf abzustellen ist, ob ein verständiger Anleger die Information (also den Teilschritt) selbst berücksichtigen oder wahrscheinlich als Teil seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Das Kriterium der „Kursrelevanz“ tritt demnach auch bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen selbständig in den Vordergrund; die Frage der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit dagegen in den Hintergrund.

Der EuGH muss als zweite Frage klären, ob für eine Publizitätspflicht eine „überwiegende“ oder sogar eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit erforderlich ist oder ob das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es somit bei hoher Eignung zur Kursbeeinflussung auch genügen kann, wenn der Eintritt des zukünftigen Ereignisses zwar offen, aber zumindest nicht unwahrscheinlich ist. Der BGH führt insoweit aus, dass zwar einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses für einen verständigen Anleger bei seiner Anlageentscheidung von besonderer Bedeutung sei, andererseits aber auch Entscheidungsprozesse mit offenem Ausgang für den Anleger bei seiner Entscheidung über den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren relevant sein können. Mit anderen Worten: Der BGH korrigiert seine bisherige Rechtsprechung, in der er eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für erforderlich gehalten hat (vgl. BGH, NZG 2008, 300) und hält nun offenbar auch eine Eintrittserwartung von unter 50 % für möglicherweise ausreichend. Zweifel an seiner bisherigen Rechtsprechung sind dem BGH vor dem Hintergrund einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2009 gekommen, die sich mit dem engen Zusammenhang zwischen dem Verbot von Insidergeschäften und dem Begriff der Insiderinformation und damit mit den Vorteilen befasst, die eine Insiderinformation dem Insider verschaffen kann (vgl. EuGH, NZG 2010, 107). Diese Zweifel sieht der BGH auch in der englischen und französischen Fassung der rele- vanten Richtlinie begründet.

Die Entscheidung des EuGH wird sicherlich einige Zeit auf sich warten lassen. Trotzdem dürfte der Vorlagebeschluss des BGH unmittelbare praktische Folgen für die börsennotierten Unternehmen haben. Die Tendenz geht eindeutig dahin, dass bereits einzelne Zwischenschritte für sich genommen als publizitätspflichtige Insiderinformationen anerkannt werden müssen. Ferner zeichnet sich klar ab, dass das Kriterium der „überwiegenden“ oder „hohen“ Wahrscheinlichkeit von dem Kriterium des Ausmaßes der Auswirkungen auf den Emittenten überlagert wird, sofern eine erhebliche Eignung zur Kursbeeinflussung vorliegt. Börsennotierten Unternehmen ist demnach vor dem Hintergrund der Schadenersatzregelungen und dem Bußgeldrisiko zu empfehlen, mit der Thematik der Ad- hoc-Publizität zukünftig noch sensibler umzugehen. Dabei wird das Instrument der Selbstbefreiung an Bedeutung gewinnen. Insofern ist es zu bedauern, dass der BGH hierzu nicht dezidiert Stellung genommen hat und insbesondere die Frage offen geblieben ist, ob das OGB Stuttgart festgestellt hat – der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG kraft Gesetzes eintreten kann. Dies steht im Widerspruch zur bisherigen Praxis der BaFin (vgl. dazu Emittentenleitfaden der BaFin, S. 65). Auch insoweit ist also Vorsicht geboten. Börsennotierte Unternehmen, die von der Selbstbefreiung Gebrauch machen, sollten eine bewusste und dokumentierte Entscheidung hierüber herbeiführen.

Willenserklärung

Sittenwidriges Rechtsgeschäft

Nichtigkeit eines gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots trotz gesellschaftsvertraglicher Befreiungsmöglichkeit

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit eines GmbH- Gesellschafters, der durch ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot bewirkt wird, das in gegenständlicher Hinsicht über die schützenswerten Interessen der Gesellschaft hinausgeht und den verpflichteten Gesellschafter übermäßig beschränkt, kann nicht durch eine gesellschaftsvertragliche Regelung gerechtfertigt werden, wonach durch Gesellschafterbeschluss Befreiung von dem Wettbewerbsverbot erteilt werden kann.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Familienunternehmen verfügen häufig über ein spezielles Know-how, das es ihnen ermöglicht, in bestimmten Nischen erfolgreich zu agieren. Der Schutz dieses Know-hows hat für Familienunternehmen erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Ein wichtiges Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, stellen gesellschaftsvertragliche Wettbewerbsverbote für Gesellschafter und Geschäftsführer dar. Vor diesem Hintergrund verdient die Entscheidung des OLG München Beachtung. Das OLG München hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot, das in gegenständlicher Hinsicht über die schützenswerten Interessen der Gesellschaft hinausgeht, dadurch Wirksamkeit erlangen kann, dass im Gesellschaftsvertrag eine Regelung vorhanden ist, wonach die Gesellschafter Befreiung von dem Wettbewerbsverbot erteilen können.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der Entscheidung des OLG München lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende GmbH macht gegen einen ihrer Minderheitsgesellschafter einen Vertragsstrafenanspruch gemäß den gesellschaftsvertraglichen Regelungen wegen des Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot durch Entwicklung und Vertrieb eines Konkurrenzprodukts geltend. Das im Gesellschaftsvertrag geregelte Wettbewerbsverbot hat folgenden wesentlichen Inhalt:

„[…] dementsprechend ist es den Gesellschaftern […] nicht gestattet, unmittelbar oder mittelbar, in eigenem oder fremdem Namen, für eigene oder fremde Rechnung, selbstständig oder unselbstständig in einem Betrieb tätig zu sein, der dem Betrieb einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Gesellschaft gleichartig ist oder mit ihm im Wettbewerb steht oder stehen könnte oder im wesentlichen Umfang Geschäftsbeziehungen mit einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft unterhält. Wesentlich i.d.S. sind Geschäftsbeziehungen mit Leistungsvergütungen im Wert von mindestens 10.000,- p.a.. Unzulässig ist insoweit auch eine freiberufliche oder beratende Tätigkeit […].

Das gesellschaftsvertragliche Wettbewerbsverbot enthält sodann noch eine Regelung für den räumlichen Anwendungsbereich (geografische Begrenzung) und die angesprochene Vertragsstrafenklausel.

Der Gesellschaftsvertrag weist schließlich folgende Regelung auf:

„Durch Gesellschafterbeschluss kann Befreiung von dem vorstehenden Wettbewerbsverbot erteilt werden.“

Das OLG München führt in seinen Entscheidungsgründen zutreffend aus, dass gesellschaftsvertragliche Wettbewerbsverbote vom Grundsatz zulässig sind, sich aber hinsichtlich ihrer Wirksamkeit an den von § 1 GWB und von Art. 101 Abs. 1 AEUV vorgegebenen Grenzen messen lassen müssen. Ferner sind Wettbewerbsverbote am Maßstab von Art. 12 GG, § 138 Abs. 1 BGB zu prüfen, da sie regelmäßig die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit tangieren. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt BGH, GmbHR 2010, 256) ist ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot nur zulässig, wenn es nach Ort, Zeit und Gegenstand nicht über die schützenswerten Interessen der begünstigten Gesellschaft hinausgeht und den verpflichteten Gesellschafter nicht übermäßig beschränkt. Hierzu ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls anzustellen.

Im vorliegenden Fall hatte das OLG München die Nichtigkeit des Wettbewerbsverbots angenommen, weil es in gegenständlicher Hinsicht über die schützenswerten Interessen der GmbH hinausgeht und den Gesellschafter übermäßig beschränkt, da ihm jegliche unmittelbare oder mittelbare Tätigkeit in einem Betrieb untersagt ist, der dem Betrieb einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der GmbH gleichartig ist oder mit ihm im Wettbewerb steht „oder stehen könnte“. Entscheidend war dabei für das OLG München, dass sich das Wettbewerbsverbot auch auf Tätigkeiten in Unternehmen erstreckt, die potentiell mit der Gesellschaft im Wettbewerb stehen könnten.

Die Entscheidung des OLG München verdeutlicht unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BGH, dass bei einem gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbot hohe Sorgfalt bei der Formulierung des räumlichen und gegenständlichen, aber auch zeitlichen Anwendungsbereichs verwendet werden muss. Der zeitliche Anwendungsbereich war im vorliegenden Fall nicht kritisch, da kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot im Gesellschaftsvertrag enthalten war. Insofern sollte eine zeitliche Erstreckung des Wettbewerbsverbots auf einen Zeitraum von mehr als zwei bis drei Jahren nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters nicht in Erwägung gezogen werden. Bei der Ausgestaltung des räumlichen und gegenständlichen Anwendungsbereichs ist stets darauf zu achten, dass ein Wettbewerbsverbot nur gerechtfertigt ist, um zu verhindern, dass die Gesellschaft durch einen Gesellschafter von innen her ausgehöhlt und ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt wird (vgl. dazu BGH, GmbHR 2010, 256). Zu berücksichtigen sind ferner die Besonderheiten des Einzelfalls, also beispielsweise, ob es sich bei dem von dem Wettbewerbsverbot betroffenen Gesellschafter um einen Mehrheitsgesellschafter handelt, der die Möglichkeit hat, strategischen Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben, oder ob er auch als Geschäftsführer der Gesellschaft fungiert. Beides war im vorliegenden Fall nicht gegeben, was das OLG München zugunsten des von der Vertragsstrafe betroffenen Gesellschafters gewürdigt hatte.

Die sorgfältige Formulierung des gegenständlichen Anwendungsbereichs eines gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbots hat auch vor folgendem Hintergrund hohe Relevanz: So ist ein Wettbewerbsverbot, das in gegenständlicher Hinsicht unzulässig ist, stets nichtig, ohne Rücksicht darauf, ob im Außenverhältnis tatsächlich eine Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist (vgl. hierzu BGH, NZG 2010, 76, BGH, NJW 2009, 1751). Zudem kommt eine sog. geltungserhaltende Reduktion, also eine Zurückführung des Wettbewerbsverbots auf den zulässigen Umfang, bei einem Verstoß gegen die gegenständlichen Grenzen nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht in Betracht. Etwas anderes gilt, wenn das Wettbewerbsverbot lediglich das zeitlich zulässige Maß überschreitet.

Das OLOG München hat schließlich festgestellt, dass eine gesellschaftsvertragliche Regelung, wonach einem Gesellschafter von dem Wettbewerbsverbot durch Gesellschafterbeschluss Befreiung erteilt werden kann, nicht genügt, um eine Überschreitung des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Wettbewerbsverbots zu rechtfertigen. Wird das Verlangen eines Gesellschafters, im konkreten Einzelfall Befreiung von dem gesellschaftsvertraglichen Wettbewerbsverbot erteilt zu bekommen, durch Gesellschafterbeschluss aus sachwidrigen Gründen zurückgewiesen, hätte der hiervon betroffene Gesellschafter zwar die Möglichkeit, den Gesellschafterbeschluss anzufechten, bis zum rechtskräftigen Ausgang des Gerichtsverfahrens bliebe er aber von dem Wettbewerbsverbot und insbesondere der Vertragsstrafenklausel betroffen. Eine solche Befreiungsregelung im Gesellschaftsvertrag ist deswegen nach Ansicht des OLG München nicht geeignet, einen unzulässigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit zu rechtfertigen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Befreiungsklausel im Gesellschaftsvertrag sachliche Kriterien enthält, bei deren Vorliegen jedem Gesellschafter ein Anspruch auf Befreiung von dem Wettbewerbsverbot zusteht. Kriterium hierfür kann beispielsweise die tatsächliche wesentliche Beeinträchtigung des in Rede stehenden Verhaltens eines Gesellschafters für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens sein.

Das OLG München hat die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist derzeit beim BGH anhängig.