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Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder

Persönliche Haftung des Vorstandes bei nicht ausreichend implementiertem Compliance-System im Unternehmen

Jesko Trahms, Rechtsanwalt, Düsseldorf

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das Landgericht München hat mit dieser spektakulären Entscheidung den ehemaligen Finanzvorstand von Siemens verurteilt, an seinen früheren Arbeitgeber Schadensersatz in Höhe von 15 Mio. € zu zahlen. Die persönliche Haftung des ehemaligen Finanzvorstandes wurde damit begründet, dass er seine Verpflichtung zur Einrichtung und Überwachung eines funktionierenden Compliance-Systems nicht erfüllt habe. Nach der Entscheidung ist die Entstehung des Schadensersatzanspruches nicht mehr von der persönlichen (Mit-)Verursachung eines Gesetzesverstoßes abhängig, sondern wird alleine daran geknüpft, dass abstrakt nicht alles Zumutbare unternommen wurde, um Gesetzesverstöße innerhalb der Organisation zu verhindern. Die Entscheidung gilt auch für Verantwortliche anderer Gesellschaftsformen, insbesondere auf GmbHs dürfte sie uneingeschränkt übertragbar sein.

Sachverhalt

Die Klägerin, die Siemens AG, ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit rund 400.000 Mitarbeitern und Aktivitäten in den Gebieten Industrie, Energie und Gebäudetechnik. Der Beklagte war in der Zeit von 1998 bis 2006 ordentliches Vorstandsmitglied sowie Mitglied des Zentralvorstandes und für den Bereich Finanzen zuständig. Im November 2003 erarbeitete die Rechtsabteilung des Unternehmens einen Vorschlag zur Reform des Compliance-Systems, der vom Vorstand der Klägerin und damit auch vom Beklagten nicht umgesetzt wurde. Im Unternehmen hatte sich ein System „Schwarzer Kassen“ entwickelt, das zunächst durch Ausschleusung von Bargeld oder von Schecks gekennzeichnet war und später durch ein System der Existenz von Beraterverträgen abgelöst wurde, bei denen Gelder gezahlt wurden, ohne dass Siemens von den Vertragspartnern eine entsprechende Beratungsleistung als Gegenleistung erhielt. Dass der Beklagte von diesen Vorgängen Kenntnis hatte, konnte das Gericht nicht feststellen. Die Vorgänge führten zur Einleitung von zahlreichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Ende 2008 erließ die Staatsanwaltschaft München I gegen die Siemens AG einen Bußgeldbescheid über 395 Mio. €. In den USA wurden u.a. durch die Börsenaufsicht Bußgelder in Höhe von ca. 800 Mio. US-$ verhängt. Die Vorgänge wurden von einer weltweiten Berichterstattung begleitet, die zu einem erheblichen Reputationsverlust der Firma führten.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Landgerichts München I kann Siemens von seinem ehemaligen Vorstand Schadensersatz in Höhe von 15 Mio. € auf der Grundlage des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG verlangen. Durch die Nichtimplementierung eines ausreichenden Compliance-Systems habe der Beklagte bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters außer Acht gelassen, weshalb er dem Grunde nach persönlich hafte. Das Gericht bezieht sich auf die herrschende Meinung, wonach ein Vorstandsmitglied dafür verantwortlich sei, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Geset- zesverletzungen stattfinden. Diese Überwachungspflicht werde namentlich durch § 91 Abs. 2 AktG dahingehend konkretisiert, dass ein Überwachungssystem installiert wird, welches geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind. Einer derartigen Organisationspflicht genüge der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen seien dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit. Kommt der Vorstand dieser Verpflichtung nicht nach, dann haftet er auch für die Schäden aus einem rechtswidrigen und ggfs. strafrechtlich relevanten Verhalten Dritter, von denen er noch nicht einmal Kenntnis hat! Schließlich betont das Gericht, dass ein System zur Schadensprävention insbesondere im Bereich der Korruptionsbekämpfung strengen Sorgfaltsmaßstäben genügen müsse.

Praktische Bedeutung

Das Urteil hat für alle Unternehmensleiter und insbesondere solche in Organfunktion dramatische Bedeutung. Es verpflichtet die Betroffenen zur Einrichtung und Organisation eines präventiven Compliance-Systems in ihren Unternehmen. Es stellt sich also nicht mehr die Frage des „ob“, sondern lediglich des „wie“ der Umsetzung. An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass die Implementierung von präventiven Systemen, die den Anforderungen dieser Rechtsprechung genügen, gerade im deutschen Mittelstand und insbesondere auch bei Familienunternehmen oft noch „verbesserungswürdig“ ist. Diese Unternehmen, die oft weltweit aktiv sind, haben insbesondere in den Bereichen Korruption und Kartellrecht eine erhöhte Gefährdungslage, die bei entsprechenden Verstößen zu (existenziellen) Belastungen führen können. Die Rechtsprechung verlangt mit dieser Entscheidung präventiv mit der Einrichtung eines entsprechenden Compliance-Systems Vorsorge zu betreiben. Erfolgt dies nicht, muss das Organ im Schadensfall mit einer persönlichen Inanspruchnahme durch das Unternehmen rechnen. Unkenntnis schützt also nicht mehr vor persönlicher Haftung!