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Steuerrecht

Beschluss des BFH zu der rückwirkenden Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei Ausschüttungen des Vermögens der Körperschaft an ihre steuerpflichtigen Gesellschafter

Andrea Seemann, Steuerberaterin

Ist die tatsächliche Geschäftsführungeinergemeinnützigen GmbH nicht während des gesamten Besteuerungszeitraums auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet, führt dies grundsätzlich nur zu einer Versagung der Steuerbefreiung für diesen Besteuerungszeitraum. Schüttet eine gemeinnützige GmbH jedoch die aus der gemeinnützgen Tätigkeit erzielten Gewinne überwiegend verdeckt an ihre steuerpflichtigen Gesellschafter aus, liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1–3 AO vor, der die Anwendung des 61 Abs. 3 AO ermöglicht.

Problemstellung und praktische Bedeutung

Die Anerkennung einer Körperschaft als gemeinnützige Organisation setzt u.a. voraus, dass die Mittel der Körperschaft nur für die in der Satzung festgelegten gemeinnützigen Zwecke verwendet werden. Demgemäß dürfen auch Gesellschafter einer gemeinnützigen GmbH keine Gewinnanteile oder bei ihrem Ausscheiden nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile erhalten. Die gemeinnützige Organisation darf auch keine Person durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen.

Es stellt sich daher die Frage, welche Folgen sich aus dem Verstoß gegen dieses Gebot der Selbstlosigkeit ergeben. In dem nachfolgend dargestellten Beschluss unterscheidet der BFH hinsichtlich der Folgen eines Verstoßes gegen das Gebot der Selbstlosigkeit zwischen einer nicht den Anforderungen der Gemeinnützigkeit entsprechenden Geschäftsführung einerseits und einem Verstoß gegen den Grundsatz der Vermögensbindung andererseits. Während eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsführung grundsätzlich nur zu einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit für diesen Besteuerungszeitraum führt, wird bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Vermögensbindung die Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt. Dies hat zur Folge, dass die Körperschaft für die letzten zehn Jahre ihre Steuerbefreiung verliert. Daneben kann es zu einer Haftung der Körperschaft und ihrer Organe für unzulässig erteilte Spendenbescheinigungen sowie für Spenden kommen, die nicht zu den in der Bestätigung angegebenen steuerbegünstigten Zwecken  verwendet wurden.

Zum Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, die eine private Fachhochschule betreibt. Die Gesellschaft verfolgt nach ihrer Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Im Jahr 1998 veräußerten die Eheleute A und E ihre Geschäftsanteile an der Klägerin an eine ebenfalls gemeinnützige B-gGmbH zum Kaufpreis von 100.000,– DM. Noch vor der Veräußerung der Anteile an die Klägerin wurde der Geschäftsführervertrag der Klägerin mit dem A neugefasst und u.a. das Jahresgehalt von 120.000,– DM auf 240.000,–  DM erhöht. Der Gesellschafter-Geschäftsführer der B-gGmbH (S) bestätigte auf dem Briefbogen der Klägerin, dass A ein Betrag von 1,2 Mio. DM geschuldet wird, mit dem sämtliche Zahlungen an A verrechnet werden sollen. Im selben Jahr kündigte A seinen Geschäftsführer- und Präsidentenvertrag mit der Klägerin fristlos. Er begründete dies damit, dass für die Anteile der Klägerin ein Kaufpreis von 1,3 Mio. DM vereinbart worden sei. Dieser Kaufpreis hätte über einen Fünfjahresvertrag als Geschäftsführer bzw. Präsident der Klägerin erbracht werden sollen. Nachdem S sich jedoch geweigert habe, den vereinbarten Kaufpreis über eine Darlehensregelung zu bezahlen, sei eine Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar. Die Klägerin und A einigten sich letztendlich, dass A im Rahmen der Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrages eine Abfindung in Höhe von 1,08 Mio. DM erhalten sollte.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Klägerin die Gemeinnützigkeit wegen der schädlichen Mittelverwendung abzuerkennen sei, da abweichend vom notariellen Kaufvertrag zwischen den Eheleuten A und E einerseits und der B-gGmbH andererseits ein Kaufpreis in Höhe von 1.300.000,– DM vereinbart und aus den Mitteln der Klägern gezahlt worden sei.

Zusammenfassung des Beschlusses

Das gemeinnützigkeitsrechtlich gebundene Vermögen darf nicht an einen steuerpflichtigen Gesellschafter ausgekehrt werden. Wird der Anteil an einer gemeinnützigen GmbH veräußert, ist diese für einen steuerpflichtigen Erwerber nicht mehr wert als höchstens den Nominalwert der Anteile zzgl. des gemeinen Werts der vom bisherigen Gesellschafter geleisteten Sacheinlagen. Denn nur diese, nicht dagegen Gewinne, dürfen an den Gesellschafter ausgekehrt werden. Zahlt eine steuerbegünstigte Körperschaft für Anteile an einer gemeinnützigen Kapitalgesellschaft einem steuerpflichtigen Anteilseigner mehr als diese Beträge, liegt darin regelmäßig eine Mittelfehlverwendung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 AO, da dem bisherigen Anteilseigner mehr als der Wert abgegolten wird, der den Anteilen bei Fortführung der steuerbegünstigten Zwecke zukommt. Gemeinnützigkeitsrechtliche Einschränkungen des § 55 Abs. 1 AO könnten ansonsten umgegangen werden, indem dem Gesellschafter mit seinem Ausscheiden über den Kaufpreis genau die Mittel der steuerbegünstigten Körperschaft zugewendet werden, die im Falle einer Ausschüttung wegen Verstoßes gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1–3 AO zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit der Körperschaft führen würden. Durch die verschleierten Kaufpreiszahlungen entsprach die tatsächliche Geschäftsführung nicht den gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen gemäß § 63 Abs. 1 AO. Vielmehr lag ein Verstoß gegen die Vorschrift über die Mittelverwendung vor, der einer Änderung des Zwecks gleich kam und damit als Verstoß gegen den Grundsatz der Vermögensbindung gewertet wurde. Die Gemeinnützigkeit der Gesellschaft wurde deshalb rückwirkend gemäß § 63 Abs. 2 i.V.m. § 61 Abs. 3 AO aberkannt. In diesem Fall können die Steuerbescheide für die Steuern, die innerhalb der letzten 10 Kalenderjahre vor der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung entstanden sind, erlassen, aufgehoben oder geändert werden. Die Steuern müssen also bis zu 10 Jahre nachentrichtet werden. Der BFH-Beschluss bestätigt die bereits bislang teilweise von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, wonach „Abfindungen“ (verschleierte Kaufpreiszahlungen) an steuerpflichtige Anteilseigner aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht immer unzulässig sind und zur Nachverteuerung führen. Denn das im Rahmen der Gemeinnützigkeit gebildete Vermögen unterliegt für „immer und ewig“ dem Gebot der Mittelverwendung nach § 55 AO.