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Kündigungsschutzgesetz

Kleinbetriebsklausel – Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern

Dr.  Wolfram Sitzenfrei, Rechtsanwalt

Bei der Bestimmung der Betriebsgröße i.S.v. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG sind im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf  beruht.

I. Problemstellung und praktische Bedeutung

Da § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auf die „in der Regel“ im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße nicht auf die zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten im Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Maßgebend ist die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung; Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen.

Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hängt unter anderem von der Betriebsgröße ab. Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes zieht einige zu beachtende Aspekte nach sich. Insbesondere ist für eine Kündigung eine soziale Rechtfertigung erforderlich.

Hinsichtlich der Bestimmung der Betriebsgröße gibt es einige Streitfragen. Einer der wesentlichen, bisher streitigen Fragen ist es, ob bei der Bestimmung der Betriebsgröße Leiharbeitnehmer Berücksichtigung finden.

Es hat bisher sowohl in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, als auch im Schrifttum der deutlich überwiegenden Auffassung entsprochen, dass Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße nicht zu berücksichtigen sind. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass Leiharbeitnehmer nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen. Darüber hinaus werden Leiharbeitnehmer beim Verleihunternehmen, zu dem ein Arbeitsverhältnis besteht, zur Bestimmung der Betriebsgröße berücksichtigt.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der genannten Entscheidung gegen die instanzgerichtliche Rechtsprechung und gegen die überwiegende Auffassung des Schrifttums gestellt und entschieden, dass Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße hinzuzuzählen sind.

II. Zum Sachverhalt

Der Kläger war als Hilfskraft bei der Beklagten beschäftigt; das Arbeitsverhältnis wurde nach etwas mehr als dreijähriger Dauer von der Beklagten ordentlich gekündigt. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes hat der Kläger vorgebracht, dass die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Hierzu hat er insbesondere auf die bei der Beklagten eingesetzten Leiharbeitnehmer verwiesen, die nach seiner Auffassung wie eigene Arbeitnehmer im Betrieb eingesetzt würden. Die Beklagte hat sich damit verteidigt, dass ohne die Leiharbeitnehmer weniger als zehn Mitarbeiter im Betrieb tätig seien. Für die Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet, kam es daher darauf an, ob Leiharbeitnehmer für die Bestimmung der Betriebsgröße hinzuzurechnen sind.

III. Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass bei der Bestimmung der Betriebsgröße die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer mit zu berücksichtigen sind. Weitere Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit von Leiharbeitnehmern ist dabei, dass ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht. Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG keinen eindeutigen Aufschluss darüber gebe, ob für die Berücksichtigungsfähigkeit der Mitarbeiter ein Arbeitsverhältnis erforderlich sei, oder ob Leiharbeitnehmer – bei denen zum Entleihbetrieb kein Arbeitsverhältnis bestehen würde – dennoch mitzuzählen seien. Auch die Gesetzessystematik und der Regelungszusammenhang würden keinen Aufschluss geben, wie die Frage zu entscheiden sei. Ferner lasse die Entstehungsgeschichte zur vorliegenden Frage keine hinreichenden Schlüsse zu. Die aus seiner Sicht zutreffende Lesart nimmt das Bundesarbeitsgericht aus dem Regelungszweck des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Die Benachteiligung von Arbeitnehmern in Kleinbetrieben bedürfe der verfassungsrechtlichen Legitimation. Der Grund für die Privilegierung von Kleinbetrieben soll darin liegen, dass Kleinbetriebe regelmäßig „eine geringere Finanzausstattung aufweisen, die sie häufig außer Stande setzt, Abfindungen bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen und dass der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen belastet“. Diese Argumentation zu Grunde gelegt, mache es keinen Unterschied, ob Arbeitsplätze mit eigenen oder mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Daher seien unter bestimmten Voraussetzungen auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.

Hieraus leitet das Bundesarbeitsgericht eine weitere Differenzierung ab, der zu Folge Leiharbeitnehmer nicht in allen, sondern nur in bestimmten Fällen mit zu berücksichtigen sind. Leiharbeitnehmer sind dann mitzuzählen, wenn ihre Beschäftigung dem „Regelzustand“ des Betriebes entspricht, also wenn dauerhaft bestehende Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Leiharbeitnehmer sind dagegen nicht mitzuzählen, wenn sie zur Vertretung von Stammarbeitnehmern beschäftigt sind. Ebenso wenig zählen sie mit, wenn sie zur Bewältigung von Auftragsspitzen eingesetzt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich damit gegen die Instanzenrechtsprechung und gegen die überwiegende Auffassung in der Literatur gestellt. Dabei ist es bemerkenswert, dass sich das Bundesarbeitsgericht recht einfach über die Unterschiede zwischen Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern hinweg setzt. Immerhin zeichnet das Bundesarbeitsgericht ein differenziertes Bild dazu, unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigen sind. Es ist damit keineswegs so, dass in jedem Fall Leiharbeitnehmer berücksichtigt werden müssen; vielmehr muss jeder Arbeitsplatz danach bewertet werden, ob es ein Dauerarbeitsplatz ist, ob nur eine Vertretung erfolgt, oder ob nur ein vorübergehender Beschäftigungsbedarf besteht. Für Argumentationen im Einzelfall bleibt damit in erheblichem Umfang Raum. Das Bundesarbeitsgericht hat damit einige Aspekte, die ähnlich auch bei anderen Wertungsfällen wie ruhenden Arbeitsverhältnissen, vorübergehenden Arbeitsverhältnissen, befristeten Arbeitsverhältnissen oder Langzeiterkrankten Berücksichtigung finden, aufgenommen.

Darüber hinaus ist die Entscheidung deshalb interessant, weil einige weitere Gesetze ähnliche oder vergleichbare Regelungen aufweisen. Beispielsweise regelt § 1 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz , dass in Unternehmen, die „in der Regel mehr als 2.0 Arbeitnehmer beschäftigen“ die Mitarbeiter ein Mitbestimmungsrecht. Hierzu gibt es regelmäßige Abgrenzungsschwierigkeiten dazu, wie die Unternehmungsgröße zu bestimmen ist. Dies betrifft auch die Frage, ob Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa Henssler, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Auflage 2013, § 3 MitbestG RZ. 34 ff.). Es ist dabei zweifelhaft, ob die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes Hinweise dafür geben kann, wie vergleichbare Fragen hinsichtlich anderer Gesetze zu entscheiden sind. Denn das Bundesarbeitsgericht hat sich sehr spezifisch mit dem Sinn und dem Zweck der Kleinbetriebsklausel auseinandergesetzt, und dabei eine grundrechtsorientierte Argumen- tation vorgenommen. Diese Argumentation dürfte kaum auf andere Gesetze übertragbar sein, sodass die Beantwortung dortiger Fragen hinsichtlich der Bestimmung der Betriebs- und Unternehmensgröße originär aus diesen Gesetzen heraus zu erfolgen haben wird.