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Handelsrecht, Gesellschaftsrecht

Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes im Personengesellschaftsrecht – erweiterte Gestaltungsfreiheit bei Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft festlegen, dass Gesellschafterbeschlüsse nicht einstimmig, sondern mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit gefasst
  2. Es reicht aus, wenn dem Gesellschaftsvertrag nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu entnehmen ist, dass für den Beschlussgegenstand eine Mehrheitsentscheidung genügen soll (formelle Legitimation, Stufe 1). Der frühere sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz gilt hierfür  nicht
  3. Allgemeine Mehrheitsklauseln können sich deshalb auch auf Grundlagen- oder ungewöhnliche Geschäfte der Gesellschaft
  4. Liegt eine derartige formelle Grundlage für einen Mehrheitsbeschluss vor, so ist in einem weiteren Prüfungsschritt (materielle Legitimation, Stufe 2) zu prüfen, ob die Mehrheitsentscheidung als solche im Einzelfall inhaltlich wirksam ist. Das ist nicht der Fall, wenn sie sich als treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit (Leitsätze des Verfassers)

 

I. Hintergrund

Die Gesellschaftsverträge von Familienunternehmen, die als Personengesellschaft (OHG, KG, GmbH & Co. KG) organisiert sind, enthalten oft umfangreiche Kataloge, in denen en détail die Beschlussgegenstände aufgeführt sind, über die die Gesellschafterversammlung mit Mehrheitsbeschluss entscheiden kann. Die Beratungspraxis hat derart ausführliche Kataloge in Reaktion auf die vormals von der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommene Geltung des sogenannten Bestimmtheitsgrundsatzes eingeführt.

Danach konnten die Gesellschafter von Personengesellschaften zwar vom eigentlich kraft Gesetzes geltenden, jedoch unpraktikablen Einstimmigkeitsprinzip für Gesellschafterbeschlüsse abweichen, indem sie im Gesellschaftsvertrag Regelungen zu Mehrheitsentscheidungen aufnahmen. Sofern jedoch im Gesellschaftsvertrag nur allgemein vorgesehen war, dass für Gesellschafterbeschlüsse die einfache Stimmenmehrheit genügen sollte, galt diese Bestimmung nach herkömmlichen Verständnis nur für Geschäftsführungsfragen und laufende Angelegenheiten. Erstreckte sich die Mehrheitskompetenz auch (ausdrücklich) auf Änderungen des Gesellschaftsvertrages, so wurden davon nur Beschlüsse über gewöhnliche Vertragsänderungen erfasst. Ein Gesellschafterbeschluss ungewöhnlicher Art war demgegenüber selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag Vertragsänderungen durch Mehrheitsbeschluss zuließ, nur wirksam, wenn der Beschlussgegenstand sich unzweideutig – d.h. hinreichend bestimmt – aus dem Gesellschaftsvertrag ergab (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn,  HGB, 3. Aufl. 2014, § 109, Rn. 18 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Das Erfordernis, im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festzuschreiben, welche ungewöhnlichen Gesellschafterbeschlüsse mit Mehrheit (statt einstimmig) getroffen werden können, sollte dem Minderheitenschutz dienen, indem für den einzelnen Gesellschafter zumindest erkennbar war, welche Entscheidungen die Gesellschaftermehrheit ohne seine Stimmen treffen konnte. Als Instrument des Minderheitenschutzes wurde der Bestimmtheitsgrundsatz jedoch in der jüngeren rechtswissenschaftlichen Diskussion zunehmend in Zweifel gezogen, weil die extensive Auflistung von Beschlussgegenständen, die der Mehrheitsentscheidung unterworfen sind, im Gesellschaftsvertrag für den einzelnen von der jeweiligen Maßnahme betroffenen Gesellschafter im konkreten Fall als bloß formalabstrakte Regel keinen wirksamen Schutz bietet, andererseits aber die – grundsätzlich sinnvolle und praktikable Möglichkeit, statt des gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzips im Personengesellschaftsvertrag Mehrheitsentscheidungen zuzulassen, mit unnötiger Rechtsunsicherheit belastet (Vgl. Schäfer, NZG 2014, 1401 m.w.N.). Auch der BGH war bereits in zwei jüngeren Entscheidungen (BGHZ 170, 283 – „Otto“; BGHZ 179, 13 – „Schutzgemeinschaftsvertrag  II“) von dem so verstandenen Bestimmtheitsgrundsatz abgerückt: Das Verständnis, eine Mehrheitsklausel müsse stets die betroffenen Beschlussgegenstände minutiös auflisten, denaturiere den Bestimmtheitsgrundsatz zu einer Förmelei. Es genüge vielmehr, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag – sei es auch durch dessen Auslegung – eindeutig ergebe, dass der in Frage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein solle.

Sodann sei in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Mehrheitsbeschluss als solcher inhaltlich wirksam sei.

Diese Rechtsprechung führt der BGH in dem vorliegenden Urteil konsequent fort und gibt dabei nunmehr den Bestimmtheitsgrundsatz ausdrücklich auf.

II. Zum Sachverhalt

Der Kläger war Minderheits-Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Er klagte auf Feststellung der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen, mit denen der Übertragung u.a. seines Kommanditanteils auf eine Stiftung zugestimmt worden war. Dabei waren die Beschlüsse mit den Stimmen der übrigen Kommanditisten mit einfacher Mehrheit gefasst worden. Diese hatten sich dabei auf eine Klausel im Gesellschaftsvertrag gestützt, die allgemein und ohne Einschränkung auf bestimmte Beschlussgegenstände Beschlussfassungen mit einfacher Mehrheit zuließ. Der Kläger war der Ansicht, die Beschlüsse seien nichtig, weil die Reichweite allgemeiner Mehrheitsklauseln durch den Bestimmtheitsgrundsatz auf gewöhnliche Beschlussgegenstände beschränkt sei. Die Zustimmung zur Anteilsübertragung sei davon nicht umfasst. Diese hätte als ungewöhnliche Maßnahme ausdrückliche Erwähnung in der Mehrheitsklausel finden müssen.

Dieser einigermaßen kuriose Sachverhalt wird nur erklärlich, wenn man weiß, dass u.a. der Kläger mit den Mehrheitsgesellschaftern in einem schädigungslos auf eine Stiftung übertragen zu müssen.

III. Entscheidungsgründe

Der BGH verdeutlicht zunächst nochmals seinen in der jüngeren Rechtsprechung bereits angelegten zweistufigen Prüfungsansatz für die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in Personengesellschaften: Danach ist auf der ersten Stufe wertneutral die formelle Legitimation für eine Mehrheitsbeschlussfassung zu prüfen. Diese ist schon dann gegeben, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Erst auf einer zweiten Stufe wird die materielle (inhaltliche) Wirksamkeit des Beschlusses unter individual- und minderheitsschützen- den Gesichtspunkten geprüft.

Dabei hält der BGH fest, dass die Prüfung auf der ersten Stufe (formelle Legitimation) allein nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu erfolgen hat. Der Gesellschaftsvertrag ist also dahingehend auszulegen, ob eine Mehrheitsklausel nach dem Willen der Gesellschafter auch den in Frage stehenden Beschlussgegenstand erfassen sollte. Das gilt allgemein für alle Beschlussgegenstände, auch für sogenannte „Grundlagengeschäfte“ oder Maßnahmen, die in den sog. „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte bzw. in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen. Dabei kommt dem früheren Bestimmtheitsgrundsatz laut BGH keine Bedeutung mehr zu. Es bedarf also keinesfalls mehr einer ausdrücklichen Spezifizierung tauglicher Mehrheitsbeschlüsse im Gesellschaftsvertrag, die so eindeutig ist, dass über ihren Wortlaut hinaus keine Auslegung möglich ist. Insbesondere ist es nicht mehr erforderlich, dass ungewöhnliche Geschäfte explizit in Mehrheitsklauseln  erwähnt werden.

Der Schutz von Minderheitsgesellschaftern  bei Mehrheitsbeschlüssenwird vielmehr stets dadurch bewirkt, dass auf der zweiten Prüfungsstufe der jeweilige Mehrheitsbeschluss im Einzelfall inhaltlich daraufhin untersucht wird, ob die Mehrheit gesellschafterliche Treuepflichten gegenüber der Minderheit verletzt hat, indem sie den konkreten Beschluss gefasst hat. Der BGH unterwirft nun- mehr alle Beschlussgegenstände, also auch sog. „Grundlagengeschäfte“ und Maßnahmen, die in den sog. „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte eingreifen, dieser zweiten Prüfungsstufe, die im Ergebnis auf eine Interessensabwägung hinauslaufen dürfte.

Dabei ist zusätzlich zu vermerken, dass der BGH von der früher gebräuchlichen Begrifflichkeit „Kernbereich“ abrückt und – wie in der gesamten jüngeren Rechtsprechung zum Themenkreis – stattdessen von „absolut unverzichtbaren“ oder „relativ unentziehbaren Rechten“ spricht. Werde in derartige Rechte eines Gesellschafters durch Mehrheitsbeschluss eingegriffen, habe dies nunmehr lediglich die Bedeutung, dass regelmäßig eine treuepflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht indiziert sei. Das ist praktisch vor allem für die Beweislastverteilung relevant: Der Minderheitsgesellschafter muss bei festgestellten Eingriffen in derartige Rechte nicht mehr, wie in den sonstigen Fällen, den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung führen. Hier bietet das Urteil durchaus Anlass zur Kritik, da sich der Kernbereichsschutz, der systematisch bisher eine eigene Prüfungskategorie gebildet hatte und stärker an der Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters ansetzte, nicht ohne Weiteres unter die gesellschafterliche Treuepflicht fassen lässt. (Hier näher Schäfer, NZG 2014, 1401, 1403). Im konkreten Fall war dies aber nicht entscheidungserheblich.

Hier kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass die Zustimmungsbeschlüsse zu der Anteilsübertragung zwar ein Grundlagengeschäft betrafen, allerdings mangels (Fort-) Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes aufgrund der allgemeinen Mehrheitsklausel mit einfacher Mehrheit entschieden werden konnten. Im Rahmen der materiellen Prüfung auf der zweiten Stufe stellt der BGH ebenfalls keine Mängel der Beschlüsse fest: Eine Verletzung der Treuepflicht der Mehrheitsgesellschafter läge nicht vor, da eine Beeinträchtigung der Minderheitsgesellschafter bei Wahrnehmung ihrer Rechte durch den Zustimmungsbeschluss zur Anteilsübertragung nicht ersichtlich sei.

IV. Folgen für die Praxis

Der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz und mit ihm wohl auch die sogenannte „Kernbereichslehre“ in ihrer bisherigen systematischen Ausgestaltung sind endgültig Rechtsgeschichte. Die bisher übliche extensive und minutiöse Auflistung einzelner Beschlussgegenstände, die die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit treffen kann, in Personengesellschaftsverträgen ist somit obsolet.

Es genügt, dass der Gesellschaftsvertrag eine ausdrückliche Mehrheitsklausel enthält, der zumindest im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, dass sie anstelle des sonst gelten- den Einstimmigkeitsprinzips auch den jeweils infrage stehenden Beschlussgegenstand erfassen soll. Um eine derartige Auslegung zu gewährleisten, sollten Gesellschaftsverträge statt der bisher üblichen ausführlichen Kataloge von Beschlussgegenständen zumindest generell festhalten, ob bzw. dass Mehrheitsklauseln (auch) für Gesellschaftsvertragsänderungen und (sonstige) Grundlagenentscheidungen, seien sie gewöhnlich oder außergewöhnlich, gelten sollen. Damit ist insoweit ein Zugewinn an Rechtssicherheit verbunden, als nicht mehr das Risiko besteht, dass ein Gegenstand, über den später eine mehrheitliche Beschlussfassung möglich sein soll, bei Erstellung des Gesellschaftsvertrages noch gar nicht bedacht werden konnte.

Auch für die betroffenen Minderheitsgesellschafter dürfte sich die Rechtsprechungslinie, deren vorläufigen Schlusspunkt das Urteil bildet, in vielen Fällen Zugewinn an Rechtsschutz darstellen, weil der BGH Mehrheitsentscheidungen ausdrücklich einer Inhaltskontrolle im Einzelfall anhand der gesellschafterlichen Treuepflicht unterwirft, anstatt wie früher abstrakt – terminologisch darauf abzustellen, ob der jeweilige Beschlussgegenstand bestimmt genug im Gesellschaftsvertrag der Mehrheitsentscheidung unterworfen wurde. So sind Minderheitsgesellschafter auch künftig nicht der Willkür der Mehrheit ausgeliefert.

Von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung wird allerdings abhängen, inwieweit die früher sogenannte „Kernbereichslehre“ – ggf. unter anderem Namen und systematisch anders verortet – auch weiterhin eine Rolle zum Minderheitenschutz spielen wird (Dafür: Priester, EWiR 2015, 71, 72; Schäfer, NZG 2014, 1401, 1404). Im praktischen Ergebnis dürfte sich insoweit aber durch das vorliegende Urteil zunächst nichts geändert haben.

Abschließend bleibt noch darauf hinzuweisen, dass zumindest einzelne grundlegende oder ungewöhnliche Maßnahmen, für die vormals der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz galt, in aller Regel für die Gesellschafter insgesamt ohnehin so bedeutsam sind, dass der Gesellschaftsvertrag für sie jeweils besonders qualifizierte Mehrheitserfordernisse vorsehen sollte. Hätte beispielsweise der Gesellschaftsvertrag im Urteilssachverhalt ausdrücklich vorgesehen, dass die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Verfügung über Gesellschaftsanteile nur mit einer qualifizierten Mehrheit von z.B. 80 % der vorhandenen Stimmen erteilt werden kann, hätte sich die strittige Frage, ob ein entsprechender Beschluss einstimmig oder mit Mehrheit zu fassen ist, von vorneherein nicht gestellt.

Willenserklärung

Abfindungsausschluss in Gesellschaftsvertrag für Verletzung von Gesellschaftsinteressen oder Gesellschafterpflichten  ist nichtig

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

Eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, nach der im Fall einer (groben) Verletzung der Interessen der Gesellschaft oder der Pflichten des Gesellschafters keine Abfindung zu leisten ist, ist sittenwidrig, damit nichtig und nicht grundsätzlich als Vertragsstrafe zulässig.

I. Hintergrund

Das Urteil reiht sich ein in die verästelte Rechtsprechung rund um die Bemessung der Abfindung eines aus einer Gesellschaft ausscheidenden Gesellschafters. Diese unterliegt in Personengesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) und Kapitalgesellschaften (insbesondere GmbH) im Wesentlichen den gleichen richterrechtlichen Vorgaben (Siehe dazu näher Kirchdörfer/Lorz, FuS 2012, 176 ff.). Danach hat grundsätzlich jeder – gleich aus welchem Grund – aus der Gesellschaft ausscheidende Gesellschafter einen sofort fälligen Anspruch auf die Abgeltung des vollen wirtschaftlichen Werts seiner Beteiligung (Grundlegend BGH 01.04.1953 – II ZR 253/52, BGHZ 9, 157.). In den Gesellschaftsverträgen von Familienunternehmen wird dieser Abfindungsanspruch aber zur Liquiditätssicherung hinsichtlich Fälligkeit, Berechnungsmethodik und Höhe in der Regel modifiziert. Damit einhergehende Abfindungsbeschränkungen sind grundsätzlich zulässig, soweit sie nicht zu einem groben Missverhältnis zwischen der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Abfindung und dem vollen wirtschaftlichen Wert der Beteiligung des ausscheidenden Gesellschafters führen. Ergibt sich ein solches grobes Missverhältnis erst aufgrund der Wertentwicklung des Unternehmens im Laufe der Zeit, nimmt die Rechtsprechung lediglich eine Anpassung der als solchen unzulässigen Abfindungsklausel auf einen zulässigen Wert durch sog. ergänzende Vertragsauslegung vor. Abfindungsklauseln, die dem ausscheidenden Gesellschafter die Beteiligung am Unternehmenswert hingegen von vorneherein gezielt abschneiden, wer- den hingegen grundsätzlich als sit- tenwidrig i.S.v. § 138 BGB und damit nichtig verworfen, was zur Abfindung nach dem vollen wirtschaftlichen Wert führt.

Letzteres gilt grundsätzlich insbesondere für den vollständigen Ausschluss jeglicher Abfindung. In besonderen Fallgruppen, bei denen ein sachlicher Grund für den Abfindungsausschluss erkennbar ist, lässt der BGH diesen jedoch zu. Der BGH hatte nunmehr zu entscheiden, ob auch die Anteilseinziehung wegen pflichtwidrigen Verhaltens eines Gesellschafters oder wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht zu diesen Ausnahmefällen zählt.

II. Zum Sachverhalt

Die Klägerin war mit 49,6 % als Gesellschafterin an der beklagten GmbH beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag der GmbH konnte der Geschäftsanteil eines Gesellschafters durch Beschluss der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingezogen werden, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund vorlag, der bei einer Personengesellschaft seine Ausschließung aus der Gesellschaft rechtfertigen würde (§ 140 HGB). Außerdem heißt es in dem Gesellschaftsvertrag: „Hat der Gesellschafter die Interessen der Gesellschaft verletzt, so erfolgt die Einziehung ohne Entgelt. In allen anderen Fällen gegen Entgelt (…). Sollte im Fall der Einziehung wegen grober Pflichtverletzung rechtlich ein Entgelt zwingend vorgeschrieben sein, so ist dieses so niedrig wie möglich zu bemessen.“

Die Gesellschafterversammlung stellte zweimal nacheinander fest, dass in der Person der Klägerin wichtige Gründe vorlägen, die dazu berechtigten, sie auszuschließen. Die Gesellschafterversammlung beschloss daraufhin den Ausschluss der Klägerin nebst der Feststellung, dass nach dem Gesellschaftsvertrag kein Abfindungsentgelt geschuldet sei, hilfsweise, dass das Abfindungsentgelt nur nach Maßgabe eines Gerichtsurteils geschuldet sei, mit dem die im Ausschluss des Abfindungsanspruchs liegende Vertragsstrafe herabgesetzt werde. In Vollzug der Ausschließung wurde mit sofortiger Wirkung die Einziehung des Geschäftsanteils beschlossen. Hiergegen wandte sich die Klägerin: Nach Auffassung des BGH hinsichtlich des Abfindungsausschlusses  zu Recht.

III. Entscheidungsgründe

Der BGH hält in seinen Urteilsgründen im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung zunächst fest, dass das Recht eines Gesellschafters, bei Ausscheiden aus der Gesellschaft eine Abfindung zu erhalten, zu seinen Grundmitgliedschaftsrechten gehört und ein vollständiger gesellschaftsvertraglicher Abfindungsausschluss grundsätzlich sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB und nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Der Gesellschafter habe durch seinen Kapitaleinsatz und ggf. Mitarbeit zu dem im Wert seines Geschäftsanteils repräsentierten Gesellschaftsvermögens beigetragen, weshalb die Gesellschafterstellung nicht ohne Wertausgleich verloren gehen dürfe. Sodann referiert der BGH die von diesem Grundsatz anerkannten Ausnahmefallgruppen, in denen eine Abfindung ausgeschlossen werden darf. Dies sind: (i) Verfolgung eines ideellen Zwecks durch die Gesellschaft, (ii) Abfindungsklauseln auf den Todesfall und (iii) auf Zeit abgeschlossene Mitarbeiter- oder Managementbeteiligung ohne Kapitaleinsatz (Vgl. im Einzelnen die Nachweise aus der Recht- sprechung in der Urteilsbegründung, BGH Urt. v. 29.04.2014 – II ZR 216/13, DStR 2014, 2306, 2307.). In allen diesen Ausnahmefällen bestehe ein sachlicher Grund für den Ausschluss der Abfindung darin, dass die ausscheidenden Gesellschafter entweder kein Kapital eingesetzt hätten ((ii) und (iii)) oder mit Verfolgung eines ideellen Ziels von vornherein auf die Vermehrung des eigenen Vermögens zugunsten der Förderung des uneigennützigen Zwecks verzichtet hätten ((i)).

Der Abfindungsausschluss bei Einziehung wegen pflichtwidrigen Verhaltens eines Gesellschafters oder wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht zählt hingegen nach Auffassung des BGH nicht zu diesen Ausnahmefällen. In der Literatur wird hingegen bislang von einer starken Meinungsströmung vertreten, dass ein derartiger Ausschluss der Abfindung zulässig ist, wenn er sich auf den Fall der Zwangseinziehung aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verstoßes des Betroffenen gegen seine Pflichten als Gesellschafter beschränkt. Ein solcher Abfindungsausschluss trüge den Charakter einer Verfallklausel als einer Form der Vertragsstrafe §§ 339 ff. BGB (Vgl. etwa Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rn. 66; Großkomm. GmbHG/Ulmer, 2006, 34 Rn. 104.). Die Gegenansicht im Schrifttum hält hingegen eine solche Abfindungsklausel für unzulässig und lässt eine Abfindungsbeschränkung nur zu, wenn sie erforderlich ist, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft und die Fortführung des Unternehmens zu sichern (Vgl. etwa Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rn. 34a; Henssler/Strohn/Fleischer, Ge- sellschaftsrecht, 2. Aufl. 2014, GmbHG, § 34 Rn. 19; Münch.Komm. GmbHG/Strohn, 2. Aufl. 2015, § 34 Rn. 228.).

Nach Auffassung des BGH fehlt jedoch ein sachlicher Grund dafür, eine Abfindung allein aufgrund einer (groben) Pflichtverletzung eines Gesellschafters auszuschließen, was aus gesellschaftlicher Sicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klausel wäre. Der Abfindungsausschluss führe insbesondere zu der unangemessenen Rechtsfolge, dass dem Gesellschafter wegen einer – unter Umständen – einzigen (groben) Pflichtverletzung der Wert seiner Mitarbeit und seines Kapitaleinsatzes entschädigungslos entzogen werden könne. Damit steht für den BGH fest, dass die (grobe) Verletzung von Gesellschafterpflichten keinen den anerkannten Fallgruppen vergleichba- ren Fall, in dem der Abfindungsausschluss zulässig wäre, darstellt.

Der Abfindungsausschluss bei (grober) Pflichtverletzung eines Gesellschafters habe auch keinen Vertragsstrafencharakter und könne deshalb nicht als allgemeizivilrechtliche Vertragsstrafenregelung (§§ 339 ff. BGB) aufrechterhalten werden, obwohl sich hierfür ein älteres BGH-Urteil anführen ließe (BGH v. 29.09.1983, III ZR 213/82, WM 1983, 1207, 1208; dagegen BGH v. 19.09.1977, II ZR 11/176, NJW 1977, 2316.). Eine Vertragsstrafe solle als Druckmittel zur ordnungsgemäßen Leistung anhalten und/oder einen Schadensersatzanspruch pauschalieren. Der vollständige Abfindungsausschluss bei Pflichtverletzung diene hingegen keinem dieser charakteristischen Zwecke, sondern in der Regel dem Bestandsschutz der Gesellschaft. Dem vollständigen Abfindungsaus- schluss komme, über die Sanktion des Verlustes der Gesellschafterstellung aufgrund Einziehung des Geschäftsanteils hinaus, keine gesteigerte verhaltenssteuernde Wirkung zu, den Gesellschafter zu pflichtgemäßem Verhalten anzuhalten. Als Pauschalierung eines Schadensersatzanspruchs wiederum sei die Regelung eines vollständigen Abfindungsausschlusses zu undifferenziert, zumal dann, wenn jeder Bezug zu einem möglicherweise eingetretenen Schaden fehle. Habe hingegen der Gesellschafter, der ausgeschlossen werden solle oder dessen Anteil zwangsweise eingezogen werden solle, die Gesellschaft über die Pflichtverletzung als solche hinaus durch sein Verhalten geschädigt, könne der Schaden konkret berechnet und von ihm eingefordert werden. Schließlich setze die Verwirkung einer Vertragsstrafe stets Verschulden des Ausgeschlossenen voraus, das bei einer bloßen Pflichtverletzung oder einem bloßen Verstoß gegen die Gesellschaftsinteressen nicht vorliegen muss.

Da der vollständige Abfindungsausschluss nach der Räson des BGH von Anfang an zu einem groben Missverhältnis zwischen Anteilswert und Abfindung führte und somit nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig war, war die entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung nichtig, ebenso der darauf aufbauende Gesellschafterbeschluss (analog § 241 Nr. 4 AktG). Gerade weil der Abfindungsausschluss bei Ausschluss aus wichtigem Grund auch nicht als zivilrechtliche Vertragsstrafenregelung aufrechterhalten werden kann, fehlt laut BGH auch die rechtliche Grundlage für eine teilweise Aufrechterhaltung des Abfindungsausschlusses als bloßer Abfindungsbeschränkung im Wege einer an § 343 BGB orientierten Zuteilung eines angemessenen Betrags durch das Gericht i.S.d. Vertragsklausel „so niedrig wie möglich“.

IV. Weiterführende Hinweise

Mit der sehr stringenten und klaren Entscheidung ist ein Zugewinn an Rechtssicherheit verbunden. Für die Vertragspraxis steht fest, dass Straf-Abfindungsklauseln, die einen vollständigen Abfindungsausschluss als bloße weitere Sanktion für (allgemein) pflichtwidriges Verhalten eines Gesellschafters über dessen Ausschluss als solchen hinaus vorsehen, grundsätzlich nicht in Gesellschaftsverträge gehören. Zugleich bestätigt der BGH, dass der vollständige Abfindungsausschluss in den drei Fallgruppen ideeller Zweck/Tod/ Managementbeteiligung ausnahmsweise zulässig ist.

Da der BGH in seinem Urteil keinerlei Ansatzpunkte erkennen lässt, Abfindungsbeschränkungen bei Ausschluss eines pflichtwidrig handelnden Gesellschafters gegenüber sonstigen Abfindungsbeschränkungen aus anderen Gründen zu privilegieren, sollte auch eine „bloße“ gesellschaftsvertragliche Reduktion des Abfindungsbetrags in diesen Fällen (z.B. „Abschlag von 25 %“) gegenüber der Abfindung bei sonstigen im Gesellschaftsvertrag definierten Ausschlusstatbeständen mit Vorsicht gehandhabt werden:

Werden  Abfindungsbeschränkungen/-modifikationen vorgesehen, sollten diese möglichst für alle Ausscheidensfälle gleichermaßen gelten und nicht bestimmte Tatbestände lediglich sanktionieren oder privilegieren, soweit sich hierfür kein besonderer sachlicher Grund anführen lässt wie beispielsweise die Bestandssicherung des Unternehmens gerade durch die für den konkreten Fall vorgesehene Abfindungsbeschränkung.

Das gilt insbesondere für Gesellschaftsverträge von Familiengesellschaften, die oftmals ausdrückliche Regelungen enthalten, in welchen konkreten Fällen ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen bzw. seine Gesellschaftsanteile eingezogen werden können. Dazu zählen insbesondere Ausschlusstatbestände bei Nichtabschluss eines bestimmten Ehevertrags oder mangelnder Einholung von Pflichtteilsverzichten von Ehepartnern. Hierbei handelt es sich in aller Regel, gerade wenn die Klauseln an ein bestimmtes Verhalten oder die Person anknüpfen, um Konkretisierungen des allgemeinen gesetzlichen Ausschlusstatbestandes „wichtiger Grund“/„(grobe) Pflicht-verletzung“, um den es in dem Urteil ging.

Gerade bei den vorgenannten Tatbeständen (Ehevertrag/ Pflichtteilsverzicht) hat eine Abfindungsbeschränkung (-reduktion) im Gesellschaftsvertrag aber nicht nur zum Ziel, pflichtwidriges Verhalten über den Ausschluss aus der Gesellschaft hinaus zu sanktionieren. Vielmehr begründet in diesen Fällen das pflichtwidrige Verhalten selbst eine latente Gefahr für den Bestand des Unternehmens. Denn die einschlägigen Gesellschafterpflichten dienten gerade dazu, den Bestand der Gesellschaft dadurch zu sichern, dass Ansprüche Dritter (z.B. geschiedener Ehegatte/enterbte Pflichtteilsberechtigte) gegen den Gesellschafter ausgeschlossen bzw. reduziert werden. Ein Gesellschafter, der sich mit derartigen Forderungen konfrontiert sieht, unterläge nämlich einem Anreiz, der Gesellschaft Liquidität zu entziehen. Dementsprechend haben an die Verletzung dieser Pflichten anknüpfende Abfindungsbeschränkungen auch einen eigenständigen Nutzen zur Bestandsicherung der Gesellschaft, der über die bloße Möglichkeit zum Ausschluss eines pflichtwidrig handelnden Gesellschafters hinausgeht: Sie stellen sicher, dass ein Gesellschafter, in dessen Person sich dieses Risiko realisiert, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, ohne dass es gerade dadurch zu einem übermäßigen Liquiditätsabfluss kommt – der ja durch die verletzte Gesellschafterpflicht verhindert werden sollte. Derartige sachliche Gründe für Abfindungsreduktionen in bestimmten Fällen sollten jedoch möglichst dokumentiert werden (z.B. in einer Präambel zum Gesellschaftsvertrag).