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Finanzgerichtsordnung

Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung bei Erbschaftsteuerbescheiden

Günther Claß, Dipl.-Jurist, Dipl.-Betriebswirt (BA), Dr. Bertram Layer, Steuerberater

Problemstellung

Beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist auf Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Normenkontrollverfahren zu der Frage anhängig, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG (Tarifvorschrift) i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG (betreffend die Verschonungsabschläge von 85 % oder 100 % für betriebliches Vermögen) wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist. Nach Auffassung des BFH ist das ErbStG verfassungswidrig, da die in den §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen Teilen mit großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünsti- gungen nicht in Anspruch nehmen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden (vgl. zu diesem Vorlagebeschluss des BFH vom 27.09.2012, Az. II R 9/11, die Ausführungen in FuS 6/2012, 244). Mit einer Entscheidung des BVerfG in dieser Sache wird im 1. Halbjahr 2014 gerechnet. Bis zur Entscheidung des BVerfG stellt sich aber für die Steuerpflichtigen, die von der Festsetzung von Erbschaftsteuer bzw. Schenkungsteuer betroffen sind, die Frage, ob sie unter Berufung auf das beim BVerfG anhängige Verfahren Aussetzung der Vollziehung bezüglich der festgesetzten Steuer beantragen können. Eine Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden ist immer dann geboten, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung bestehen. Allerdings müsste dann gegen den Erbschaftsteuerbescheid Einspruch eingelegt werden.

Mit dieser Frage beschäftigt sich der hier dargestellte Beschluss des BFH vom 21.11.2013. Im Kern geht es um die Frage, ob eine Aussetzung der Vollziehung auch dann gerechtfertigt ist, wenn die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erb- schaftsteuerbescheides einzig auf der Verfassungswidrigkeit des ErbStG beruhen. In einer solchen Konstellation bedarf es neben der Prognose der Verfassungswidrigkeit auch der Prognose über die mögliche Entschei- dung des BVerfG, welches aufgrund der Tragweite der Entscheidung möglicherweise nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz feststellen und die begrenzte Weitergeltung anordnen könnte, sodass im Ergebnis trotz der Verfassungswid- rigkeit des ErbStG – die im Steuer- bescheid festgesetzte Steuerschuld bestehen bliebe.

Nach bisheriger gefestigter Rechtsprechung des BFH (zuletzt BFH v. 04.05.2011, Az. II B 151/10, BFH/NV 2011, 1395; zum ErbStG 2009 BFH v. 01.04.2010, Az. II B 168/09, BStBl. II 2010, 588) wurde dem Steuerpflichtigen, sofern als Entscheidung des BVerfG die begrenzte Fortgeltung des verfassungswidrigen Rechts zu erwarten war, einstweiliger Rechtsschutz in Form der Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt. Dies wurde in der Literatur unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG hef- tig kritisiert (vgl. u.a. Seer in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 96; Koch in Gräber, FGO, 7. Auflage, § 69 Rn. 113).

Zum Sachverhalt

Die Antragstellerin ist die geschiedene Ehefrau des im September 2011 verstorbenen Erblassers. Aufgrund eines Vermächtnisses auf Lebenszeit erhält sie eine monatliche Rente in Höhe von 2.700 €. Die dafür festgesetzte Erbschaftsteuer betrug 71.000 €, die die Antragstellerin zunächst im Jahre 2012 entrichtete.

Die Antragstellerin legte hiergegen unter Hinweis auf die anhängigen Verfahren zur Verfassungswidrigkeit des ErbStG Einspruch ein, beantragte das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung durch das BVerfG und die Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Beschwerde beim BFH ein.

Entscheidungsgründe

Der BFH gab der Beschwerde statt und gewährte der Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich der festgesetzten Erbschaftsteuer.

In Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschied der BFH, dass auch bei eingeschränkten Erfolgsaussichten des Einspruchs im Hauptsacheverfahren aufgrund der denkbaren Anordnung der zeitlich begrenzten Weitergeltung des verfassungswidrigen ErbStG durch das BVerfG eine Aussetzung der Vollziehung gewährt werden kann, sofern ein qualifiziertes Interesse des Steuerpflichtigen vorhanden ist. Dies sei ein Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Denn auch im Falle einer begrenzten Weitergeltung des als verfassungswidrig eingestuften Gesetzes sei es denkbar, dass Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet wird, auf Antrag von einer zukünftigen gesetzlichen Neuregelung, die den Anforderungen des BVerfG Rechnung trägt, Gebrauch zu machen.

Nach Auffassung des BFH bedarf es der Abwägung der widerstreitenden Interessen, wobei das besondere Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung des Steuerbescheids auf der einen Seite dem Vollzugsinteresse der öffentlichen Hand auf der anderen Seite gegenüberstehe. Dabei sei auf Seiten der Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, ob der steuerpflichtige Erwerb aus liquiden Mitteln in Form von Bargeld, Bankguthaben, fälligen Versicherungsforderungen etc. bestünde, oder ob zur Begleichung der fälligen Erbschaftsteuerschuld eigenes Vermögen eingesetzt oder die erworbenen (illiquiden) Vermögensgegenstände ggf. unter Wert veräußert oder belastet werden müssten.

Vorliegend sei entscheidend, dass die Antragstellerin aufgrund der ratierlichen Rentenzahlung mangels ausreichendem Zufluss aus dem Vermächtnis überwiegend eigenes Vermögen zur Begleichung der fälligen Erbschaftsteuer einsetzen müsse. Daher trete das öffentliche Interesse an einem ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug und an einer geordneten Haushaltsführung hinter das Interesse der Antragstellerin zurück.

Weitere Hinweise und Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BFH ist aus Sicht der Beratungspraxis zu begrüßen. Einen weitergehenden Rückschluss hinsichtlich des Ausgangs des beim BVerfG anhängigen Verfahrens in Bezug auf die grundsätzliche Frage der Verfassungswidrigkeit des ErbStG lässt sich dieser Entscheidung aber nicht entnehmen.

In der Praxis stellt die Erbschaftsteuer für den Steuerpflichtigen regelmäßig eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bereicherung des Erben oder Vermächtnisnehmers nicht aus Barvermögen, sondern aus betrieblich gebundenem Vermögen, Immobilienwerten oder anderweitig nicht liquiden Mitteln, wie beispielsweise eines (zukünftigen) Rentenanspruchs besteht. In diesen Fällen eröffnet die dargestellte Rechtsprechung des BFH dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, durch Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die Fälligkeit der Erbschaftsteuerschuld bis zur endgültigen Entscheidung des BVerfG über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG aufzuschieben.

Für die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung bedarf es allerdings eines berechtigten Interesses, sodass nicht in jedem Fall unter Hinweis auf das anhängige Verfahren vor dem BVerfG die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist. In den vorgenannten Fällen, in denen die Erbschaft aus nicht liquiden Mitteln besteht, ist dieses berechtigte Interesse aber mit Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 21.11.2013  regelmäßig darstellbar.

In diesem Zusammenhang dürfen aber auch die Zinsrisiken bei Erfolglosigkeit des dem Aussetzungsantrags zu Grunde liegenden Einspruchs nicht verkannt werden. Hat die Steuerfestsetzung aufgrund der Entscheidung des BVerfG weiterhin Bestand, werden für die „Steuerstundung“ Aussetzungszinsen gem. § 237 AO in Höhe von 0,5 % je Monat (6,0 % p.a.) fällig. Aufgrund des derzeitigen Zinsniveaus kann dies einen teuren Kredit vom Fiskus darstellen. Es gilt daher in jedem Einzelfall abzuwägen, ob ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung festgesetzter Erbschaftsteuer sinnvoll ist.