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Erbrecht

Nachweis des Erbrechts gegenüber dem Kreditinstitut durch eigenhändiges Testament

Dr. Sebastian von Thunen, Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz, Stuttgart

I. SACHVERHALT

Die Kläger sind die Söhne der im August 2013 verstorbenen Erblasserin. Diese hatte mit ihrem im Jahr 2001 verstorbenen Ehemann, dem Vater der Kläger, ein handschriftliches Testament errichtet, in dem beide sich gegenseitig zu Erben einsetzen. Nach dem Ableben des Letzten von ihnen sollte „das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Vermögen auf unsere beiden aus unserer ehelichen Verbindung geborenen Kinder“ übergehen. Das Testament wurde nach dem Tod des Vaters der Kläger eröffnet und der beklagten Sparkasse vorgelegt. Nach dem Tod der Mutter wurde es vom zuständigen Nachlassgericht erneut eröffnet. Die Sparkasse lehnte nach dem Tod der Mutter unter Vorlage einer beglaubigten Abschrift des Testaments und des Eröffnungsprotokolls des Nachlassgerichts die geforderte Freigabe der Konten ab und verlangte hierfür, dass ein Gericht bestätige, dass in dem Testament die Kläger als Erben genannt seien. Daraufhin erwirkten die Kläger einen gemeinschaftlichen Erbschein. Die Erstattung der dafür verauslagten Gerichtskosten in Höhe von 1.770,00 Euro forderten sie von der Sparkasse.

II. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Der BGH hält zunächst fest, dass mangels gesetzlicher Sonderregelung der Erbe nicht verpflichtet ist, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern die Möglichkeit hat, diesen Nachweis auch in anderer Form zu erbringen. Dazu gehörten neben dem öffentlichen (notariell beurkundeten) Testament auch das eigenhändige Testament oder, im Falle gesetzlicher Erbfolge, Urkunden, aus denen sich diese ergibt Die Bank könne bei einem eigenhändigen Testament auch nicht regelmäßig auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen. Diese habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, in den Genuss der Rechtswirkungen der §§ 2366, 2367 BGB (Gutglaubensvorschriften) zu kommen, um so der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu entgehen.

Daraus folge aber nicht, dass bei einem eigenhändigen Testament einschränkungslos oder auch nur im Regelfall ein Erbschein verlangt werden könne. Ein schutzwürdiges Interesse daran bestehe in eindeutigen Fällen nicht. So bestehe insbesondere beim eröffneten öffentlichen Testament auch im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber eine widerleg bare Vermutung zum Nachweis der Erbfolge.

Dem eigenhändigen Testament könne im Verhältnis zwischen Bank und Kontoinhaber zwar eine solche Vermutungswirkung zum Nachweis der Erbfolge nicht beigelegt werden. Es sei aber eine Frage des Einzelfalls, ob ein eigenhändiges Testament mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit die Erbfolge nachweist. Abstrakte Zweifel des Kreditinstituts diesbezüglich genügten jedoch nicht. Nur bei konkreten und begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der durch das eigenhändige Testament belegten Erbfolge sei das Kreditinstitut berechtigt, ergänzende Erklärungen der Beteiligten einzuholen oder sich weitere Unterlagen, wie z.B. das Familienstammbuch oder einen Erbschein, vorlegen zu lassen. Im vorliegenden Testament seien die Erklärungen eindeutig als Erbeinsetzung der Kläger (und insbesondere nicht als Vermächtnis) auszulegen.

Die Forderung der Vorlage eines Erbscheins sei somit im Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunde vertragswidrig und löse deshalb einen Schadensersatzanspruch in Höhe der Erbscheinkosten aus.

III. PRAKTISCHE BEDEUTUNG

Vielfach werden Testamente eigenhändig handschriftlich errichtet. Beweggrund hierfür ist nicht nur die – gerade bei unternehmerischen Vermögen – u.U. erhebliche Kostenersparnis einer notariellen Beurkundung, sondern auch die Erwägung, dass letztwillige Verfügungen stets der sich wandelnden persönlichen Lebenssituation angepasst werden müssen. Dann erlaubt eine handschriftliche Testamentserrichtung ein rasches und umstandsloses Vorgehen.

Während das (beurkundete) öffentliche Testament aber dem Erben insofern eine stärkere Stellung im Verhältnis namentlich zur Bank des Erblassers einräumt, als ihm nach der Rechtsprechung eine widerlegbare Vermutung zum Nachweis der Erbfolge beizumessen ist, kommt es nach dem vorliegenden Urteil bei eigenhändigen Testamenten auf die Auslegung im Einzelfall an, ob das Testament die Erbfolge mit der im Rechtsverkehr erforderlichen Eindeutigkeit nachweist.

Das bedeutet für Erblasser und ihre Erben, dass letztwillige Verfügungen in einem eigenhändigen Testament gerade auch dann besonders klar und rechtlich unzweideutig formuliert werden sollten, wenn die Beantragung eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts gegenüber Kreditinstituten vermieden werden soll. Parallel ist es sinnvoll, dass der Erblasser zu Lebzeiten über den Tod hinaus wirkende Vollmachten − gerade auch speziell gegenüber den kontoführenden Kreditinstituten − an die Erben erteilt. Diese können dann ungeachtet des Erbnachweises über die ererbten Konten verfügen.

Insgesamt ist zu beobachten, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit des Erbscheins als Erbnachweis gegenüber Kreditinstituten weiter ausweitet (s. bereits die Urteile BGH ZIP 2005, 1588 und ZIP 2013, 2194), was für die Erblasser und Erben in unproblematischen Fällen eine gute Nachricht ist. Allerdings sind hiermit auch gewisse Gefahren für Erblasser, Erben und den Rechtsverkehr verbunden. Ist beispielsweise ein zeitlich später errichtetes Testament als das der Bank vorgelegte vorhanden, besteht, abgesehen von den allgemeinen Gutglaubensvorschriften, kein Schutz für den Rechtsverkehr. Ein Kreditinstitut, das ein privatschriftliches Testament samt Eröffnungsniederschrift nach dem vorstehenden Urteil als Erbnachweis akzeptieren muss, kann umgekehrt kaum von den (wahren) Erben in Regress genommen werden, wenn sich später ein davon abweichendes Erbrecht herausstellt.

 

 

Erbrecht

Digitaler Nachlass – Vererbbarkeit von Benutzerkonten in sozialen Netzwerken

Dr. Sebastian von Thunen, Rechtsanwalt

I. Sachverhalt

Die minderjährige Erblasserin E. registrierte sich 2011 im Alter von 14 Jahren bei dem sozialen Internet-Netzwerk Facebook. 2012 verunglückte E. unter bisher ungeklärten Umständen tödlich. Sie wurde von ihren sorgeberechtigten Eltern beerbt, die hofften, über das Benutzerkonto (Account) von E. etwaige Hinweise über mögliche Absichten oder Motive für den Fall zu erhalten, dass es sich bei dem Tod um ein Suizid handelte. Dies war jedoch nicht möglich, da Facebook das Benutzerkonto nach Erhalt der Todesnachricht durch einen anderen Nutzer in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte. Dieser bewirkte, dass ein Zugang zum Benutzerkonto auch bei Eingabe der regulären Zugangsdaten nicht mehr möglich war. Bei Eingabe der Zugangsdaten erschien lediglich der Hinweis auf den Gedenkzustand. Damit war für die Eltern jeglicher Zugriff auf die sie interessierenden Daten gesperrt. Die Mutter von E. begehrte nun von der Betreibergesellschaft Facebook Ireland Ltd. Zugang zum Benutzerkonto ihrer Tochter.

II. Entscheidungsgründe

Das Gericht schließt sich der wohl herrschenden Meinung in der Literatur an, dass auch die höchstpersönlichen Daten im digitalen Nachlass des Erblassers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB als Bestandteil des zwischen ihm und dem jeweiligen Anbieter, hier Facebook, bestehenden Vertragsverhältnisses auf die Erben übergehen. Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, nach der nur die vermögensrechtlichen Teile des digitalen Nachlasses, nicht hingegen die nicht vermögensrechtlichen vererblich sein sollen, lehnt das Gericht ab, weil eine eindeutige Bestimmung des vermögensrechtlichen Charakters eines Teils des digitalen Nachlasses praktisch nicht möglich sei. Eine unterschiedliche Behandlung des digitalen und des „analogen“ Nachlasses sei außerdem nicht zu rechtfertigen; die Situation entspreche wertungs mäßig vielmehr derjenigen bei Briefen und Tagebüchern, die anerkanntermaßen vererblich sind.

Die von Facebook vertretene Anwendbarkeit irischen Datenschutzrechts lehnt das Gericht ab, lässt sie aber letztlich dahinstehen, weil auch dieses dem Zugriff der Eltern auf das Benutzerkonto jedenfalls nicht entgegenstünde. Im Übrigen stünden weder Vorschriften des deutschen Datenschutzrechts noch Persönlichkeitsrechte Dritter oder höchstpersönliche Rechte der E. dem Zugriff der Eltern als Erben auf das Benutzerkonto entgegen. Insbesondere eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts von E. verneinte das Gericht mit dem Argument, dass Erben hier die sorgeberechtigten Eltern der minderjährigen E. waren, die als solche zugleich bereits zu deren Lebzeiten Sachwalter des Persönlichkeitsrechts ihres minderjährigen Kindes gewesen seien. Wenn der Zugriff zu Lebzeiten den Sorgeberechtigten der E. möglich gewesen sei, könne im Zugriffsrecht auf die Daten nach deren Tod keine  Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts liegen. Dem Zugriff der Eltern auf das Benutzerkonto stehe schließlich auch nicht die sogenannte Gedenkzustandsrichtlinie des Anbieters entgegen, weil in deren Regelungen, die den Zugriff auf das Benutzerkonto „sperren“, eine in derartigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach § 307 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB unangemessene Benachteiligung des Nutzers und seiner Erben liege.

III. Bewertung und praktische Bedeutung

Die Diskussion um den sogenannten digitalen Nachlass ist in vollem Gange. Mit dem Urteil des LG Berlin liegt nun auch eine erste Gerichtsentscheidung dazu vor, die allerdings nicht rechtskräftig ist. Die Berufung ist beim Kammergericht Berlin anhängig (Az. 21 U 9/16). Zu Recht verneint das Landgericht die von Teilen der Fachliteratur vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einem vermögensrechtlichen, deshalb vererbbaren, und einem nicht vermögensrechtlichen, deshalb nicht vererbbaren, Teil des digitalen Nachlasses, die praktisch kaum rechtsicher durchzuführen wäre und im Widerspruch zu sonstigen erbrechtlichen Wertungen, etwa zur Vererbbarkeit von Tagebüchern und persönlichen Briefen, stünde. Gut begründet ist auch die Unzulässigkeit der Regelungen der sogenannten Gedenkzustandsrichtlinie in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook.
Entscheidend für die rechtliche Behandlung des digitalen Nachlasses dürfte das postmortale Persönlichkeitsrecht werden. Es gehört als solches nicht zum Nachlass, vielmehr sind die nächsten Angehörigen lediglich berechtigt, Angriffe auf die Würde des Verstorbenen abzuwehren. Deshalb ist das Urteil des Landgerichts Berlin auf den digitalen Nachlass volljähriger Erblasser nur eingeschränkt übertragbar. Im vorliegenden Fall konnte das Gericht ausdrücklich offenlassen, ob der Zugriff auf das Benutzerkonto durch die Erben das Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen verletzen kann, weil vorliegend die klagende Erbin als Mutter zugleich berechtigt war, das postmortale Persönlichkeitsrecht ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter wahrzunehmen. Fälle, in denen die Erben nicht identisch sind mit den Wahrnehmungsberechtigten des postmortalen Persönlichkeitsrechts, sind unter Umständen anders zu entscheiden.

Facebook erlaubt es seinen Nutzern neuerdings, einen sogenannten Nachlasskontakt zu benennen, der bestimmte Inhalte des Benutzerkontos herunterladen kann, individuelle Kommunikation des Verstorbenen jedoch nicht. Diese will Facebook aber bei Nachweis eines „gültigen Testaments oder eines  eindeutigen Einverständnisses“ herausgeben. Auch vor diesem Hintergrund empfehlen sich somit eindeutige Regelungen zum digitalen Nachlass in einer postmortalen Handlungsvollmacht und/oder in letztwilligen Verfügungen. Allerdings  existieren keine Erfahrungswerte, ob die Betreiber sozialer Netzwerke den Berechtigten den Zugriff aufgrund derartiger Regelungen tatsächlich gewähren. Grundsätzlich besteht für die Nutzer die pragmatische Möglichkeit, ihren Hinterblie benen den Datenzugriff zu ermöglichen, indem sie diesen ihre Zugangsdaten zugänglich machen, womit sie sich aber in der Regel gegenüber ihrem Vertragspartner, dem sozialen Netzwerk, vertragswidrig (und möglicherweise auch Persönlichkeitsrechte Drit ter beeinträchtigend) verhalten. Die praktischen Konsequenzen eines solchen Verstoßes dürften gering sein. Im vorliegenden Fall verhinderte jedoch der zwischenzeitig aktivierte „Gedenkzustand“ auch bei Eingabe der regulären Zugangsdaten jeglichen Zugang zum Benutzerkonto bei Facebook.

Insgesamt ist die Diskussion um den digitalen Nachlass insbesondere im Hinblick auf Persönlichkeitsrechte Dritter, deren Korrespondenz mit dem Verstorbenen mitbetroffen ist, sowie die AGB-rechtliche Zulässigkeit eines Totalausschlusses der Erben, die vor allem im wirtschaftlichen Interesse des Betreibers an der Vermeidung von Arbeitsaufwand für Einzelfallprüfungen der Berechtigungsnachweise von Erben liegt, noch längst nicht beendet.

Grunderberbsteuer

Ersatzbemessungsgrundlage im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Die Ersatzbemessungsgrundlage nach 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG für die Grunderwerbsteuer, die u.a. bei Erwerbsvorgängen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage sowie bei Übertragung von mindestens 95 % der Anteile an Gesellschaften zur Anwendung kommt, führt zu einem Bewertungsniveau deutlich unterhalb der bei unmittelbaren Grundstücksveräußerungen maßgeblichen Verkehrswerte. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig.
  1. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum Juni 2016 rückwirkend zum 1. Januar 2009 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum 31. Dezember 2008 ist die Ersatzbemessungsgrundlage weiter anwendbar. (Leitsätze des Bearbeiters)

 

I. Problemstellung

Die Grunderwerbsteuer bemisst sich bei „unmittelbaren“ Erwerbsvorgängen, z.B. aufgrund eines Kaufvertrags über ein Grundstück, nach dem Wert der Gegenleistung, beispielsweise dem Kaufpreis (§ 1 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG)). Diese wird aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage von Veräußerer und Erwerber i.d.R. dem Verkehrswert entsprechen.

Wird jedoch nicht unmittelbar das Grundstück selbst veräußert, sondern die Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, kann es sich unter bestimmten Voraussetzungen zwar auch um einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang handeln. Das ist namentlich dann der Fall, wenn zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und sich der Gesellschafterbestand dieser Personengesellschaft innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar dergestalt ändert, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen (§ 1 Abs. 2a GrEStG). Oder wenn alle oder zumindest 95 % der Gesellschaftsanteile an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, in einer Hand ver- einigt werden und somit die im Vermögen der Gesellschaft befindlichen Grundstücke mittelbar übergehen (sog. Anteilsvereinigung). In diesen Fällen gibt es aber keine konkrete Gegenleistung für das Grundstück als solches, nach der sich die Grunderwerbsteuer bemessen könnte. Denn der Kaufpreis für die Anteile kann nicht maßgebend sein, weil mit ihm nicht nur der Erwerb des Grundstücks abgegolten wird.

Deshalb muss der Wert des (mittelbar) veräußerten Grundbesitzes nach einer Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt werden. Hierbei kommen hypothetische Grundbesitzwerte zum Ansatz, die nach dem Bewertungsgesetz (BewG) zu ermitteln sind. Die entsprechenden Regelungen in § 138 Abs. 2 und 3 BewG sowie den Folgeparagrafen erweisen sich jedoch insofern als problematisch, als sie sich nur unzureichend am gemeinen Wert bzw. Verkehrswert der Grundstücke orientieren. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seiner vorletzten Erbschaftsteuer-Entscheidung festgestellt, dass der Ansatz bewusst zu niedriger Grundbesitzwerte im Kontext der Erbschaftsteuer verfassungswidrig ist (BVerfG, Beschluss vom 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, NJW 2007, 573).

II. Sachverhalt

Dem hier besprochenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lagen zwei Ausgangsverfahren zugrunde. Im einen Ausgangsverfahren hatte eine US-Körperschaft im Jahr 2001 alle Anteile an einer GmbH und einer GbR gekauft, zu deren jeweiligem Gesellschaftsvermögen zahlreiche unbebaute, bebaute sowie land- und forstwirtschaftliche Grundstücke gehörten. Die Klägerin des anderen Ausgangsverfahrens war eine GmbH, die im Jahr 2002 von ihrer Alleingesellschafterin, einer AG, den einzigen Geschäftsanteil an einer anderen GmbH, die Eigentümerin eines unbe- bauten und eines bebauten Grundstücks war, erworben hatte – also ein konzerninterner Vorgang. Nach- dem die Einsprüche der Klägerinnen gegen den jeweiligen Grunderwerbsteuerbescheid und ihre Klagen vor dem Finanzgericht erfolglos gewesen waren, hatte der sodann angerufene Bundesfinanzhof die beiden Ausgangsverfahren  ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die – von den Klägerinnen bestrittene – Verfassungsmäßigkeit der Ersatzbemessungsgrundlage vorgelegt.

III. Entscheidungsgründe

Das Bundesverfassungsgericht stellt eine erhebliche Ungleichbehandlung derjenigen Steuerschuldner, deren Grunderwerbsteuer nach der Ersatzbemessungsgrundlage des § 8 Abs. 2 GrEStG mit Hilfe der Bewertungsvorschriften (§§ 138 ff. BewG) bestimmt wird, gegenüber denjenigen Steuer- schuldnern fest, deren Grunderwerbsteuer auf Grundlage der Regelbe- messungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG u.a. anhand der Gegenleistung berechnet wird. Da die Vertragschließenden bei einer unmittelbaren Grundstücksveräußerung meist gegenläufige Interessen verfolgten, werde die Gegenleistung, die Grundlage der Regelbemessungsgrundlage sei, regelmäßig dem gemeinen Wert, d.h. dem Verkehrswert des Grundstücks entsprechen. Falls die vereinbarte Gegenleistung im Einzelfall deutlich darunter oder darüber liege, gehe die Rechtspraxis davon aus, dass insoweit eine Schenkung vorliege, die dementsprechend der Schenkungsteuer unterfiele und somit jedenfalls nicht steuerfrei erworben würde.

Demgegenüber wichen die Werte, die nach den Bewertungsregeln der §§ 138 ff. BewG als Ersatzbemessungsgrundlage ermittelt würden, erheblich vom gemeinen Wert ab. Dies ergäbe sich aus den Feststellungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer (siehe oben). Diese Feststellungen seien insoweit auch für die Anwendung der Bewertungsvorschriften für Zwecke der Grunderwerbsteuer verwertbar. Entscheidend sei, dass die Anwendung der Bewertungsregeln in beiden Steuerarten letztlich auf das gleiche Ziel gerichtet sei, den gemeinen Wert festzustellen.

Das für bebaute Grundstücke angeordnete vereinfachte Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 BewG) führe zu Werten, die im Durchschnitt 50 % unter dem gemeinen Wert lägen. Der starre Vervielfältigungsfaktor von 12,5, mittels dessen aus laufenden Erträgen der (ggf. fiktiven) Jahresmiete ein Wert bestimmt werde, sei strukturell ungeeignet, um nahe genug an den gemeinen Wert zu kommen und eine gleichheitsgerechte Besteuerung sicherzustellen.

Des Weiteren werde für unbebaute Grundstücke durchschnittlich lediglich ein Bewertungsniveau von im Ergebnis rund 70 % der Verkehrswerte erreicht, da deren Wert bislang nach § 145 Abs. 3 BewG bei 80 % der amtlichen Bodenrichtwerte angesetzt wird.

Schließlich erfassten die Bewertungsregeln für land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitz im Durchschnitt sogar lediglich 10 % des Verkehrswertes.

Ein hinreichend gewichtiger Sachgrund zur Rechtfertigung dieser erheblichen Ungleichbehandlungen gegenüber der Steuerfestsetzung aufgrund der Regelbemessungsgrundlage sei nicht ersichtlich. Sie seien daher mit Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgebot) unvereinbar. Insbesondere könnten die mit der Ersatzbemessungsgrundlage regelmäßig verbundenen Abweichungen vom gemeinen Wert nicht mit etwaigen staatlichen Lenkungszielen gerechtfertigt werden. Verfolge das Gesetz mit der Gegenleistung als Regelbemessungsgrundlage offensichtlich ausschließlich das fiskalische Ziel, die steuerrelevanten Grunderwerbsvorgänge nach dem Verkehrswert zu besteuern, dürfe es bei der Ersatzbemessungsgrundlage keinen anderen Zielen nachgehen. Die Unterschiede seien auch nicht vom Versuch des Gesetzgebers getragen, die Regeln durch Typisierung oder Pauschalierung möglichst einfach handhabbar zu machen. Selbst wenn sie es wären, könnten sie aufgrund ihrer Größenordnung nicht mehr als verfassungsrechtlich hinnehmbare Vernachlässigungen der Besonderheiten des Einzelfalls anerkannt werden.

Die Ungleichbehandlung aufgrund der starken Divergenzen zwischen Regel- und Ersatzbemessungsgrundlage, insbesondere im Hinblick auf die generelle Unterbewertung von Grundvermögen sowie von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, sei somit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und verfassungswidrig.

IV. Praktische Bedeutung

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ersatzbemessungsgrundlage § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. § 138 Abs. 2 und 3 BewG rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 nicht mehr anwendbar und ist spätestens bis zum 30. Juni 2016 vom Gesetzgeber durch eine Neuregelung zu ersetzen. Die Steuererhebung in Fällen der Regelbemessungsgrundlage (§ 8 Abs. 1 GrEStG) bleibt hier- von unberührt. Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch § 8 Abs. 2 GrEStG führt nicht zur Nichtigkeit dieser Norm, sondern zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Fortgeltung bis zum 31. Dezember 2008 angeordnet. Für die Zeit danach bleibt es bei deren Unanwendbarkeit; der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2016 Zeit, eine Neuregelung rückwirkend zum 1. Januar 2009 zu beschließen.

Zu dieser verfassungsrechtlich nicht unproblematischen, vom Gericht zwingend angeordneten Rückwirkung einer (steuerverschärfenden) Neuregelung wäre sicher eine detailliertere Begründung angebracht gewesen. Stattdessen belässt es das Bundesverfassungsgericht sinngemäß bei dem Hinweis, dass es nach dem entsprechenden Beschluss vom 7.11.2006 zur Erbschaftsteuer auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen in den Bestand der (fortgeltenden!) Bewertungsregeln im Rahmen der Grunderwerbsteuer geben könne.

Nach dem 1. Januar 2009 bereits ergangene Steuerbescheide dürfen jedoch nach § 176 der Abgabenordnung (AO) aufgrund der vorstehenden Entscheidung nicht rückwirkend zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. Das gilt aber nur, wenn bereits eine formell bestandskräftige Steuerfestsetzung erfolgt ist. Dagegen darf das Finanzamt in Fällen, in denen derzeit ein Einspruchsverfahren gegen eine Grunderwerbsteuerfestsetzung anhängig ist, die nunmehr festgestellte Unanwendbarkeit der Ersatzbemessungsgrundlage berücksichtigen (367 Abs. 2 Satz 2 AO). Deshalb ist in derartigen Fällen eine Einspruchsrücknahme zu erwägen.

Soweit jedoch bestandskräftige Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig erfolgt sind (§§ 164, 165 AO), verbietet die Vertrauensschutzregelung § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ebenfalls eine Berücksichtigung des Urteils in abändernden Steuerbescheiden.

Für künftig verwirklichte Erwerbsvorgänge ist jedoch davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung die Grunderwerbsteuer bis zur Neuregelung der Ersatzbemessungsgrundlage durch den Gesetzgeber nur vorläufig festsetzt (§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und den entsprechenden Steuerbescheid aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung ändert.

Im Ergebnis ist damit zu rechnen, dass künftig die Grunderwerbsteuer auf Vorgänge auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage oder bei gesellschaftsrechtlichen Anteilsvereinigungen aufgrund der dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich vorgegebenen Orientierung am Verkehrswert von Grundstücken deutlich höher ausfällt als bisher.

Mit ihrer Rüge der Verfassungswidrig- keit haben also die Klägerinnen – und mit ihnen alle anderen Steuerpflichtigen – vom Bundesverfassungsgericht Steine statt Brot bekommen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass auch hinsichtlich der Bewertungsregeln bei der Grundsteuer ein Vorlageverfahren des Bundesfinanzhofs (BFH) beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist (BFH, Beschluss v. 22.10.2014 – II R 16/13). Anknüpfungspunkt ist auch hier die letzte Erbschaftsteuer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit deren Erwägungen der BFH seine Ansicht von der Verfassungswidrigkeit der insoweit geltenden Bewertungsregeln begründet. Folgt das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation, ist wohl absehbar auch für die Grundsteuer mit deutlich höheren Werten (und damit Steuern) zu rechnen.

Handelsrecht, Gesellschaftsrecht

Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes im Personengesellschaftsrecht – erweiterte Gestaltungsfreiheit bei Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Die Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft festlegen, dass Gesellschafterbeschlüsse nicht einstimmig, sondern mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit gefasst
  2. Es reicht aus, wenn dem Gesellschaftsvertrag nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu entnehmen ist, dass für den Beschlussgegenstand eine Mehrheitsentscheidung genügen soll (formelle Legitimation, Stufe 1). Der frühere sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz gilt hierfür  nicht
  3. Allgemeine Mehrheitsklauseln können sich deshalb auch auf Grundlagen- oder ungewöhnliche Geschäfte der Gesellschaft
  4. Liegt eine derartige formelle Grundlage für einen Mehrheitsbeschluss vor, so ist in einem weiteren Prüfungsschritt (materielle Legitimation, Stufe 2) zu prüfen, ob die Mehrheitsentscheidung als solche im Einzelfall inhaltlich wirksam ist. Das ist nicht der Fall, wenn sie sich als treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit (Leitsätze des Verfassers)

 

I. Hintergrund

Die Gesellschaftsverträge von Familienunternehmen, die als Personengesellschaft (OHG, KG, GmbH & Co. KG) organisiert sind, enthalten oft umfangreiche Kataloge, in denen en détail die Beschlussgegenstände aufgeführt sind, über die die Gesellschafterversammlung mit Mehrheitsbeschluss entscheiden kann. Die Beratungspraxis hat derart ausführliche Kataloge in Reaktion auf die vormals von der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommene Geltung des sogenannten Bestimmtheitsgrundsatzes eingeführt.

Danach konnten die Gesellschafter von Personengesellschaften zwar vom eigentlich kraft Gesetzes geltenden, jedoch unpraktikablen Einstimmigkeitsprinzip für Gesellschafterbeschlüsse abweichen, indem sie im Gesellschaftsvertrag Regelungen zu Mehrheitsentscheidungen aufnahmen. Sofern jedoch im Gesellschaftsvertrag nur allgemein vorgesehen war, dass für Gesellschafterbeschlüsse die einfache Stimmenmehrheit genügen sollte, galt diese Bestimmung nach herkömmlichen Verständnis nur für Geschäftsführungsfragen und laufende Angelegenheiten. Erstreckte sich die Mehrheitskompetenz auch (ausdrücklich) auf Änderungen des Gesellschaftsvertrages, so wurden davon nur Beschlüsse über gewöhnliche Vertragsänderungen erfasst. Ein Gesellschafterbeschluss ungewöhnlicher Art war demgegenüber selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag Vertragsänderungen durch Mehrheitsbeschluss zuließ, nur wirksam, wenn der Beschlussgegenstand sich unzweideutig – d.h. hinreichend bestimmt – aus dem Gesellschaftsvertrag ergab (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn,  HGB, 3. Aufl. 2014, § 109, Rn. 18 m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Das Erfordernis, im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festzuschreiben, welche ungewöhnlichen Gesellschafterbeschlüsse mit Mehrheit (statt einstimmig) getroffen werden können, sollte dem Minderheitenschutz dienen, indem für den einzelnen Gesellschafter zumindest erkennbar war, welche Entscheidungen die Gesellschaftermehrheit ohne seine Stimmen treffen konnte. Als Instrument des Minderheitenschutzes wurde der Bestimmtheitsgrundsatz jedoch in der jüngeren rechtswissenschaftlichen Diskussion zunehmend in Zweifel gezogen, weil die extensive Auflistung von Beschlussgegenständen, die der Mehrheitsentscheidung unterworfen sind, im Gesellschaftsvertrag für den einzelnen von der jeweiligen Maßnahme betroffenen Gesellschafter im konkreten Fall als bloß formalabstrakte Regel keinen wirksamen Schutz bietet, andererseits aber die – grundsätzlich sinnvolle und praktikable Möglichkeit, statt des gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzips im Personengesellschaftsvertrag Mehrheitsentscheidungen zuzulassen, mit unnötiger Rechtsunsicherheit belastet (Vgl. Schäfer, NZG 2014, 1401 m.w.N.). Auch der BGH war bereits in zwei jüngeren Entscheidungen (BGHZ 170, 283 – „Otto“; BGHZ 179, 13 – „Schutzgemeinschaftsvertrag  II“) von dem so verstandenen Bestimmtheitsgrundsatz abgerückt: Das Verständnis, eine Mehrheitsklausel müsse stets die betroffenen Beschlussgegenstände minutiös auflisten, denaturiere den Bestimmtheitsgrundsatz zu einer Förmelei. Es genüge vielmehr, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag – sei es auch durch dessen Auslegung – eindeutig ergebe, dass der in Frage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein solle.

Sodann sei in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Mehrheitsbeschluss als solcher inhaltlich wirksam sei.

Diese Rechtsprechung führt der BGH in dem vorliegenden Urteil konsequent fort und gibt dabei nunmehr den Bestimmtheitsgrundsatz ausdrücklich auf.

II. Zum Sachverhalt

Der Kläger war Minderheits-Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Er klagte auf Feststellung der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen, mit denen der Übertragung u.a. seines Kommanditanteils auf eine Stiftung zugestimmt worden war. Dabei waren die Beschlüsse mit den Stimmen der übrigen Kommanditisten mit einfacher Mehrheit gefasst worden. Diese hatten sich dabei auf eine Klausel im Gesellschaftsvertrag gestützt, die allgemein und ohne Einschränkung auf bestimmte Beschlussgegenstände Beschlussfassungen mit einfacher Mehrheit zuließ. Der Kläger war der Ansicht, die Beschlüsse seien nichtig, weil die Reichweite allgemeiner Mehrheitsklauseln durch den Bestimmtheitsgrundsatz auf gewöhnliche Beschlussgegenstände beschränkt sei. Die Zustimmung zur Anteilsübertragung sei davon nicht umfasst. Diese hätte als ungewöhnliche Maßnahme ausdrückliche Erwähnung in der Mehrheitsklausel finden müssen.

Dieser einigermaßen kuriose Sachverhalt wird nur erklärlich, wenn man weiß, dass u.a. der Kläger mit den Mehrheitsgesellschaftern in einem schädigungslos auf eine Stiftung übertragen zu müssen.

III. Entscheidungsgründe

Der BGH verdeutlicht zunächst nochmals seinen in der jüngeren Rechtsprechung bereits angelegten zweistufigen Prüfungsansatz für die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen in Personengesellschaften: Danach ist auf der ersten Stufe wertneutral die formelle Legitimation für eine Mehrheitsbeschlussfassung zu prüfen. Diese ist schon dann gegeben, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Erst auf einer zweiten Stufe wird die materielle (inhaltliche) Wirksamkeit des Beschlusses unter individual- und minderheitsschützen- den Gesichtspunkten geprüft.

Dabei hält der BGH fest, dass die Prüfung auf der ersten Stufe (formelle Legitimation) allein nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu erfolgen hat. Der Gesellschaftsvertrag ist also dahingehend auszulegen, ob eine Mehrheitsklausel nach dem Willen der Gesellschafter auch den in Frage stehenden Beschlussgegenstand erfassen sollte. Das gilt allgemein für alle Beschlussgegenstände, auch für sogenannte „Grundlagengeschäfte“ oder Maßnahmen, die in den sog. „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte bzw. in absolut oder relativ unentziehbare Rechte der Minderheit eingreifen. Dabei kommt dem früheren Bestimmtheitsgrundsatz laut BGH keine Bedeutung mehr zu. Es bedarf also keinesfalls mehr einer ausdrücklichen Spezifizierung tauglicher Mehrheitsbeschlüsse im Gesellschaftsvertrag, die so eindeutig ist, dass über ihren Wortlaut hinaus keine Auslegung möglich ist. Insbesondere ist es nicht mehr erforderlich, dass ungewöhnliche Geschäfte explizit in Mehrheitsklauseln  erwähnt werden.

Der Schutz von Minderheitsgesellschaftern  bei Mehrheitsbeschlüssenwird vielmehr stets dadurch bewirkt, dass auf der zweiten Prüfungsstufe der jeweilige Mehrheitsbeschluss im Einzelfall inhaltlich daraufhin untersucht wird, ob die Mehrheit gesellschafterliche Treuepflichten gegenüber der Minderheit verletzt hat, indem sie den konkreten Beschluss gefasst hat. Der BGH unterwirft nun- mehr alle Beschlussgegenstände, also auch sog. „Grundlagengeschäfte“ und Maßnahmen, die in den sog. „Kernbereich“ der Mitgliedschaftsrechte eingreifen, dieser zweiten Prüfungsstufe, die im Ergebnis auf eine Interessensabwägung hinauslaufen dürfte.

Dabei ist zusätzlich zu vermerken, dass der BGH von der früher gebräuchlichen Begrifflichkeit „Kernbereich“ abrückt und – wie in der gesamten jüngeren Rechtsprechung zum Themenkreis – stattdessen von „absolut unverzichtbaren“ oder „relativ unentziehbaren Rechten“ spricht. Werde in derartige Rechte eines Gesellschafters durch Mehrheitsbeschluss eingegriffen, habe dies nunmehr lediglich die Bedeutung, dass regelmäßig eine treuepflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht indiziert sei. Das ist praktisch vor allem für die Beweislastverteilung relevant: Der Minderheitsgesellschafter muss bei festgestellten Eingriffen in derartige Rechte nicht mehr, wie in den sonstigen Fällen, den Nachweis einer treupflichtwidrigen Mehrheitsentscheidung führen. Hier bietet das Urteil durchaus Anlass zur Kritik, da sich der Kernbereichsschutz, der systematisch bisher eine eigene Prüfungskategorie gebildet hatte und stärker an der Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters ansetzte, nicht ohne Weiteres unter die gesellschafterliche Treuepflicht fassen lässt. (Hier näher Schäfer, NZG 2014, 1401, 1403). Im konkreten Fall war dies aber nicht entscheidungserheblich.

Hier kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass die Zustimmungsbeschlüsse zu der Anteilsübertragung zwar ein Grundlagengeschäft betrafen, allerdings mangels (Fort-) Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes aufgrund der allgemeinen Mehrheitsklausel mit einfacher Mehrheit entschieden werden konnten. Im Rahmen der materiellen Prüfung auf der zweiten Stufe stellt der BGH ebenfalls keine Mängel der Beschlüsse fest: Eine Verletzung der Treuepflicht der Mehrheitsgesellschafter läge nicht vor, da eine Beeinträchtigung der Minderheitsgesellschafter bei Wahrnehmung ihrer Rechte durch den Zustimmungsbeschluss zur Anteilsübertragung nicht ersichtlich sei.

IV. Folgen für die Praxis

Der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz und mit ihm wohl auch die sogenannte „Kernbereichslehre“ in ihrer bisherigen systematischen Ausgestaltung sind endgültig Rechtsgeschichte. Die bisher übliche extensive und minutiöse Auflistung einzelner Beschlussgegenstände, die die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit treffen kann, in Personengesellschaftsverträgen ist somit obsolet.

Es genügt, dass der Gesellschaftsvertrag eine ausdrückliche Mehrheitsklausel enthält, der zumindest im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, dass sie anstelle des sonst gelten- den Einstimmigkeitsprinzips auch den jeweils infrage stehenden Beschlussgegenstand erfassen soll. Um eine derartige Auslegung zu gewährleisten, sollten Gesellschaftsverträge statt der bisher üblichen ausführlichen Kataloge von Beschlussgegenständen zumindest generell festhalten, ob bzw. dass Mehrheitsklauseln (auch) für Gesellschaftsvertragsänderungen und (sonstige) Grundlagenentscheidungen, seien sie gewöhnlich oder außergewöhnlich, gelten sollen. Damit ist insoweit ein Zugewinn an Rechtssicherheit verbunden, als nicht mehr das Risiko besteht, dass ein Gegenstand, über den später eine mehrheitliche Beschlussfassung möglich sein soll, bei Erstellung des Gesellschaftsvertrages noch gar nicht bedacht werden konnte.

Auch für die betroffenen Minderheitsgesellschafter dürfte sich die Rechtsprechungslinie, deren vorläufigen Schlusspunkt das Urteil bildet, in vielen Fällen Zugewinn an Rechtsschutz darstellen, weil der BGH Mehrheitsentscheidungen ausdrücklich einer Inhaltskontrolle im Einzelfall anhand der gesellschafterlichen Treuepflicht unterwirft, anstatt wie früher abstrakt – terminologisch darauf abzustellen, ob der jeweilige Beschlussgegenstand bestimmt genug im Gesellschaftsvertrag der Mehrheitsentscheidung unterworfen wurde. So sind Minderheitsgesellschafter auch künftig nicht der Willkür der Mehrheit ausgeliefert.

Von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung wird allerdings abhängen, inwieweit die früher sogenannte „Kernbereichslehre“ – ggf. unter anderem Namen und systematisch anders verortet – auch weiterhin eine Rolle zum Minderheitenschutz spielen wird (Dafür: Priester, EWiR 2015, 71, 72; Schäfer, NZG 2014, 1401, 1404). Im praktischen Ergebnis dürfte sich insoweit aber durch das vorliegende Urteil zunächst nichts geändert haben.

Abschließend bleibt noch darauf hinzuweisen, dass zumindest einzelne grundlegende oder ungewöhnliche Maßnahmen, für die vormals der sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz galt, in aller Regel für die Gesellschafter insgesamt ohnehin so bedeutsam sind, dass der Gesellschaftsvertrag für sie jeweils besonders qualifizierte Mehrheitserfordernisse vorsehen sollte. Hätte beispielsweise der Gesellschaftsvertrag im Urteilssachverhalt ausdrücklich vorgesehen, dass die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Verfügung über Gesellschaftsanteile nur mit einer qualifizierten Mehrheit von z.B. 80 % der vorhandenen Stimmen erteilt werden kann, hätte sich die strittige Frage, ob ein entsprechender Beschluss einstimmig oder mit Mehrheit zu fassen ist, von vorneherein nicht gestellt.

Willenserklärung

Abfindungsausschluss in Gesellschaftsvertrag für Verletzung von Gesellschaftsinteressen oder Gesellschafterpflichten  ist nichtig

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

Eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, nach der im Fall einer (groben) Verletzung der Interessen der Gesellschaft oder der Pflichten des Gesellschafters keine Abfindung zu leisten ist, ist sittenwidrig, damit nichtig und nicht grundsätzlich als Vertragsstrafe zulässig.

I. Hintergrund

Das Urteil reiht sich ein in die verästelte Rechtsprechung rund um die Bemessung der Abfindung eines aus einer Gesellschaft ausscheidenden Gesellschafters. Diese unterliegt in Personengesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG) und Kapitalgesellschaften (insbesondere GmbH) im Wesentlichen den gleichen richterrechtlichen Vorgaben (Siehe dazu näher Kirchdörfer/Lorz, FuS 2012, 176 ff.). Danach hat grundsätzlich jeder – gleich aus welchem Grund – aus der Gesellschaft ausscheidende Gesellschafter einen sofort fälligen Anspruch auf die Abgeltung des vollen wirtschaftlichen Werts seiner Beteiligung (Grundlegend BGH 01.04.1953 – II ZR 253/52, BGHZ 9, 157.). In den Gesellschaftsverträgen von Familienunternehmen wird dieser Abfindungsanspruch aber zur Liquiditätssicherung hinsichtlich Fälligkeit, Berechnungsmethodik und Höhe in der Regel modifiziert. Damit einhergehende Abfindungsbeschränkungen sind grundsätzlich zulässig, soweit sie nicht zu einem groben Missverhältnis zwischen der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Abfindung und dem vollen wirtschaftlichen Wert der Beteiligung des ausscheidenden Gesellschafters führen. Ergibt sich ein solches grobes Missverhältnis erst aufgrund der Wertentwicklung des Unternehmens im Laufe der Zeit, nimmt die Rechtsprechung lediglich eine Anpassung der als solchen unzulässigen Abfindungsklausel auf einen zulässigen Wert durch sog. ergänzende Vertragsauslegung vor. Abfindungsklauseln, die dem ausscheidenden Gesellschafter die Beteiligung am Unternehmenswert hingegen von vorneherein gezielt abschneiden, wer- den hingegen grundsätzlich als sit- tenwidrig i.S.v. § 138 BGB und damit nichtig verworfen, was zur Abfindung nach dem vollen wirtschaftlichen Wert führt.

Letzteres gilt grundsätzlich insbesondere für den vollständigen Ausschluss jeglicher Abfindung. In besonderen Fallgruppen, bei denen ein sachlicher Grund für den Abfindungsausschluss erkennbar ist, lässt der BGH diesen jedoch zu. Der BGH hatte nunmehr zu entscheiden, ob auch die Anteilseinziehung wegen pflichtwidrigen Verhaltens eines Gesellschafters oder wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht zu diesen Ausnahmefällen zählt.

II. Zum Sachverhalt

Die Klägerin war mit 49,6 % als Gesellschafterin an der beklagten GmbH beteiligt. Nach dem Gesellschaftsvertrag der GmbH konnte der Geschäftsanteil eines Gesellschafters durch Beschluss der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit ohne Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingezogen werden, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund vorlag, der bei einer Personengesellschaft seine Ausschließung aus der Gesellschaft rechtfertigen würde (§ 140 HGB). Außerdem heißt es in dem Gesellschaftsvertrag: „Hat der Gesellschafter die Interessen der Gesellschaft verletzt, so erfolgt die Einziehung ohne Entgelt. In allen anderen Fällen gegen Entgelt (…). Sollte im Fall der Einziehung wegen grober Pflichtverletzung rechtlich ein Entgelt zwingend vorgeschrieben sein, so ist dieses so niedrig wie möglich zu bemessen.“

Die Gesellschafterversammlung stellte zweimal nacheinander fest, dass in der Person der Klägerin wichtige Gründe vorlägen, die dazu berechtigten, sie auszuschließen. Die Gesellschafterversammlung beschloss daraufhin den Ausschluss der Klägerin nebst der Feststellung, dass nach dem Gesellschaftsvertrag kein Abfindungsentgelt geschuldet sei, hilfsweise, dass das Abfindungsentgelt nur nach Maßgabe eines Gerichtsurteils geschuldet sei, mit dem die im Ausschluss des Abfindungsanspruchs liegende Vertragsstrafe herabgesetzt werde. In Vollzug der Ausschließung wurde mit sofortiger Wirkung die Einziehung des Geschäftsanteils beschlossen. Hiergegen wandte sich die Klägerin: Nach Auffassung des BGH hinsichtlich des Abfindungsausschlusses  zu Recht.

III. Entscheidungsgründe

Der BGH hält in seinen Urteilsgründen im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung zunächst fest, dass das Recht eines Gesellschafters, bei Ausscheiden aus der Gesellschaft eine Abfindung zu erhalten, zu seinen Grundmitgliedschaftsrechten gehört und ein vollständiger gesellschaftsvertraglicher Abfindungsausschluss grundsätzlich sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB und nur in Ausnahmefällen zulässig ist. Der Gesellschafter habe durch seinen Kapitaleinsatz und ggf. Mitarbeit zu dem im Wert seines Geschäftsanteils repräsentierten Gesellschaftsvermögens beigetragen, weshalb die Gesellschafterstellung nicht ohne Wertausgleich verloren gehen dürfe. Sodann referiert der BGH die von diesem Grundsatz anerkannten Ausnahmefallgruppen, in denen eine Abfindung ausgeschlossen werden darf. Dies sind: (i) Verfolgung eines ideellen Zwecks durch die Gesellschaft, (ii) Abfindungsklauseln auf den Todesfall und (iii) auf Zeit abgeschlossene Mitarbeiter- oder Managementbeteiligung ohne Kapitaleinsatz (Vgl. im Einzelnen die Nachweise aus der Recht- sprechung in der Urteilsbegründung, BGH Urt. v. 29.04.2014 – II ZR 216/13, DStR 2014, 2306, 2307.). In allen diesen Ausnahmefällen bestehe ein sachlicher Grund für den Ausschluss der Abfindung darin, dass die ausscheidenden Gesellschafter entweder kein Kapital eingesetzt hätten ((ii) und (iii)) oder mit Verfolgung eines ideellen Ziels von vornherein auf die Vermehrung des eigenen Vermögens zugunsten der Förderung des uneigennützigen Zwecks verzichtet hätten ((i)).

Der Abfindungsausschluss bei Einziehung wegen pflichtwidrigen Verhaltens eines Gesellschafters oder wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht zählt hingegen nach Auffassung des BGH nicht zu diesen Ausnahmefällen. In der Literatur wird hingegen bislang von einer starken Meinungsströmung vertreten, dass ein derartiger Ausschluss der Abfindung zulässig ist, wenn er sich auf den Fall der Zwangseinziehung aus wichtigem Grund wegen schuldhaften Verstoßes des Betroffenen gegen seine Pflichten als Gesellschafter beschränkt. Ein solcher Abfindungsausschluss trüge den Charakter einer Verfallklausel als einer Form der Vertragsstrafe §§ 339 ff. BGB (Vgl. etwa Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rn. 66; Großkomm. GmbHG/Ulmer, 2006, 34 Rn. 104.). Die Gegenansicht im Schrifttum hält hingegen eine solche Abfindungsklausel für unzulässig und lässt eine Abfindungsbeschränkung nur zu, wenn sie erforderlich ist, um im Interesse der verbleibenden Gesellschafter den Fortbestand der Gesellschaft und die Fortführung des Unternehmens zu sichern (Vgl. etwa Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rn. 34a; Henssler/Strohn/Fleischer, Ge- sellschaftsrecht, 2. Aufl. 2014, GmbHG, § 34 Rn. 19; Münch.Komm. GmbHG/Strohn, 2. Aufl. 2015, § 34 Rn. 228.).

Nach Auffassung des BGH fehlt jedoch ein sachlicher Grund dafür, eine Abfindung allein aufgrund einer (groben) Pflichtverletzung eines Gesellschafters auszuschließen, was aus gesellschaftlicher Sicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klausel wäre. Der Abfindungsausschluss führe insbesondere zu der unangemessenen Rechtsfolge, dass dem Gesellschafter wegen einer – unter Umständen – einzigen (groben) Pflichtverletzung der Wert seiner Mitarbeit und seines Kapitaleinsatzes entschädigungslos entzogen werden könne. Damit steht für den BGH fest, dass die (grobe) Verletzung von Gesellschafterpflichten keinen den anerkannten Fallgruppen vergleichba- ren Fall, in dem der Abfindungsausschluss zulässig wäre, darstellt.

Der Abfindungsausschluss bei (grober) Pflichtverletzung eines Gesellschafters habe auch keinen Vertragsstrafencharakter und könne deshalb nicht als allgemeizivilrechtliche Vertragsstrafenregelung (§§ 339 ff. BGB) aufrechterhalten werden, obwohl sich hierfür ein älteres BGH-Urteil anführen ließe (BGH v. 29.09.1983, III ZR 213/82, WM 1983, 1207, 1208; dagegen BGH v. 19.09.1977, II ZR 11/176, NJW 1977, 2316.). Eine Vertragsstrafe solle als Druckmittel zur ordnungsgemäßen Leistung anhalten und/oder einen Schadensersatzanspruch pauschalieren. Der vollständige Abfindungsausschluss bei Pflichtverletzung diene hingegen keinem dieser charakteristischen Zwecke, sondern in der Regel dem Bestandsschutz der Gesellschaft. Dem vollständigen Abfindungsaus- schluss komme, über die Sanktion des Verlustes der Gesellschafterstellung aufgrund Einziehung des Geschäftsanteils hinaus, keine gesteigerte verhaltenssteuernde Wirkung zu, den Gesellschafter zu pflichtgemäßem Verhalten anzuhalten. Als Pauschalierung eines Schadensersatzanspruchs wiederum sei die Regelung eines vollständigen Abfindungsausschlusses zu undifferenziert, zumal dann, wenn jeder Bezug zu einem möglicherweise eingetretenen Schaden fehle. Habe hingegen der Gesellschafter, der ausgeschlossen werden solle oder dessen Anteil zwangsweise eingezogen werden solle, die Gesellschaft über die Pflichtverletzung als solche hinaus durch sein Verhalten geschädigt, könne der Schaden konkret berechnet und von ihm eingefordert werden. Schließlich setze die Verwirkung einer Vertragsstrafe stets Verschulden des Ausgeschlossenen voraus, das bei einer bloßen Pflichtverletzung oder einem bloßen Verstoß gegen die Gesellschaftsinteressen nicht vorliegen muss.

Da der vollständige Abfindungsausschluss nach der Räson des BGH von Anfang an zu einem groben Missverhältnis zwischen Anteilswert und Abfindung führte und somit nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig war, war die entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung nichtig, ebenso der darauf aufbauende Gesellschafterbeschluss (analog § 241 Nr. 4 AktG). Gerade weil der Abfindungsausschluss bei Ausschluss aus wichtigem Grund auch nicht als zivilrechtliche Vertragsstrafenregelung aufrechterhalten werden kann, fehlt laut BGH auch die rechtliche Grundlage für eine teilweise Aufrechterhaltung des Abfindungsausschlusses als bloßer Abfindungsbeschränkung im Wege einer an § 343 BGB orientierten Zuteilung eines angemessenen Betrags durch das Gericht i.S.d. Vertragsklausel „so niedrig wie möglich“.

IV. Weiterführende Hinweise

Mit der sehr stringenten und klaren Entscheidung ist ein Zugewinn an Rechtssicherheit verbunden. Für die Vertragspraxis steht fest, dass Straf-Abfindungsklauseln, die einen vollständigen Abfindungsausschluss als bloße weitere Sanktion für (allgemein) pflichtwidriges Verhalten eines Gesellschafters über dessen Ausschluss als solchen hinaus vorsehen, grundsätzlich nicht in Gesellschaftsverträge gehören. Zugleich bestätigt der BGH, dass der vollständige Abfindungsausschluss in den drei Fallgruppen ideeller Zweck/Tod/ Managementbeteiligung ausnahmsweise zulässig ist.

Da der BGH in seinem Urteil keinerlei Ansatzpunkte erkennen lässt, Abfindungsbeschränkungen bei Ausschluss eines pflichtwidrig handelnden Gesellschafters gegenüber sonstigen Abfindungsbeschränkungen aus anderen Gründen zu privilegieren, sollte auch eine „bloße“ gesellschaftsvertragliche Reduktion des Abfindungsbetrags in diesen Fällen (z.B. „Abschlag von 25 %“) gegenüber der Abfindung bei sonstigen im Gesellschaftsvertrag definierten Ausschlusstatbeständen mit Vorsicht gehandhabt werden:

Werden  Abfindungsbeschränkungen/-modifikationen vorgesehen, sollten diese möglichst für alle Ausscheidensfälle gleichermaßen gelten und nicht bestimmte Tatbestände lediglich sanktionieren oder privilegieren, soweit sich hierfür kein besonderer sachlicher Grund anführen lässt wie beispielsweise die Bestandssicherung des Unternehmens gerade durch die für den konkreten Fall vorgesehene Abfindungsbeschränkung.

Das gilt insbesondere für Gesellschaftsverträge von Familiengesellschaften, die oftmals ausdrückliche Regelungen enthalten, in welchen konkreten Fällen ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen bzw. seine Gesellschaftsanteile eingezogen werden können. Dazu zählen insbesondere Ausschlusstatbestände bei Nichtabschluss eines bestimmten Ehevertrags oder mangelnder Einholung von Pflichtteilsverzichten von Ehepartnern. Hierbei handelt es sich in aller Regel, gerade wenn die Klauseln an ein bestimmtes Verhalten oder die Person anknüpfen, um Konkretisierungen des allgemeinen gesetzlichen Ausschlusstatbestandes „wichtiger Grund“/„(grobe) Pflicht-verletzung“, um den es in dem Urteil ging.

Gerade bei den vorgenannten Tatbeständen (Ehevertrag/ Pflichtteilsverzicht) hat eine Abfindungsbeschränkung (-reduktion) im Gesellschaftsvertrag aber nicht nur zum Ziel, pflichtwidriges Verhalten über den Ausschluss aus der Gesellschaft hinaus zu sanktionieren. Vielmehr begründet in diesen Fällen das pflichtwidrige Verhalten selbst eine latente Gefahr für den Bestand des Unternehmens. Denn die einschlägigen Gesellschafterpflichten dienten gerade dazu, den Bestand der Gesellschaft dadurch zu sichern, dass Ansprüche Dritter (z.B. geschiedener Ehegatte/enterbte Pflichtteilsberechtigte) gegen den Gesellschafter ausgeschlossen bzw. reduziert werden. Ein Gesellschafter, der sich mit derartigen Forderungen konfrontiert sieht, unterläge nämlich einem Anreiz, der Gesellschaft Liquidität zu entziehen. Dementsprechend haben an die Verletzung dieser Pflichten anknüpfende Abfindungsbeschränkungen auch einen eigenständigen Nutzen zur Bestandsicherung der Gesellschaft, der über die bloße Möglichkeit zum Ausschluss eines pflichtwidrig handelnden Gesellschafters hinausgeht: Sie stellen sicher, dass ein Gesellschafter, in dessen Person sich dieses Risiko realisiert, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, ohne dass es gerade dadurch zu einem übermäßigen Liquiditätsabfluss kommt – der ja durch die verletzte Gesellschafterpflicht verhindert werden sollte. Derartige sachliche Gründe für Abfindungsreduktionen in bestimmten Fällen sollten jedoch möglichst dokumentiert werden (z.B. in einer Präambel zum Gesellschaftsvertrag).

Arbeitnehmer und Betrieb

Leiharbeitnehmer zählen nicht mit – zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Berechnung der Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Unternehmen, die u.a. als Aktiengesellschaft oder GmbH organisiert sind, müssen einen teilweise mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrat einrichten, wenn die Anzahl der von ihnen regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Nach § 1 Abs. 1, 7 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) hat der Aufsichtsrat eine Größe von mindestens 12 Mitgliedern und ist sogar zur Hälfte („paritätisch“) mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, wenn das Unternehmen in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Nach den Regelungen des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) ist ein zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen- der Aufsichtsrat zu bilden in Unternehmen, die in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, §1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 DrittelbG. Diese im MitbestG und im DrittelbG geregelte, sogenannte unternehmerische Mitbestimmung greift unmittelbar in die gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmung ein und gewährt der Belegschaft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Informations und Einflussrechte auf originär strategischunternehmerische Entscheidungen. Das unterscheidet sie von der sogenannten betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, die lediglich auf betrieblicher Ebene in betrieblichen Angelegenheiten besteht und bei der vor allem auch kein Einfluss externer Gewerkschaftsvertreter begründet wird (so nämlich zwingend nach § 7 Abs. 2 MitbestG).

Ob bei der Ermittlung der für die Besetzung eines mitbestimmten Aufsichtsrats maßgeblichen Schwellenwerte neben den eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens („Stammbelegschaft“) auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Dies hängt davon ab, ob die Leiharbeitnehmer unter den Begriff des  „Arbeitnehmers“  i.S.d.  §  3 Abs. 1 DrittelbG und § 3 MitbestG fallen. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Mitbestimmung (z.B. BAG, Beschluss vom 10.03.2004 – 7 ABR 49/03) und der Obergerichte zur Unternehmensmitbestimmung (z.B. OLG Düsseldorf 19 W 2/04; OLG Hamburg 11 W 27/07) waren Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung von mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerten nicht zu berücksichtigen. Hintergrund war die sogenannte „Zwei-Komponenten-Lehre“, nach der zu den konstitutiven Merkmalen für den Arbeitnehmerbegriff bzw. der Betriebszugehörigkeit zum einen das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber (Arbeitsvertrag) und zum anderen die Eingliederung in den Betrieb als solchen gehören. An der ersten Voraussetzung (Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber) fehlt es begriffsnotwendig bei im Entleihunternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmern. Denn deren Arbeitsverhältnis besteht mit dem Verleihunternehmen, während sie in den Entleihbetrieb betrieblich eingegliedert sind. Die Arbeitgeberstellung ist dementsprechend zwischen Ver- und Entleihunternehmen „aufgespalten“, was einer Zurechnung zum Entleihbetrieb entgegenstehen sollte. Von dieser strengen Auffassung ist das Bundesarbeitsgericht in seiner neueren Rechtsprechung abgerückt: Bei einer für Leiharbeitsverhältnisse typischen aufgespaltenen Arbeitgeberstellung seien differenzierte Lösungen geboten, um die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigen zu können (BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 7 ABR 48/11). Um zu ermitteln, welche Personen zum Kreis der „Arbeitnehmer“ zu zählen sind, soll es also nunmehr darauf ankommen, welche Funktion der Begriff „Arbeitnehmer“ in der jeweiligen Regelung hat, sodass er in unterschiedlichen Regelungen je unterschiedlich ausgelegt werden kann und ggf. muss.

Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht unter Abkehr von seiner bisherigen, anderslautenden Rechtsprechung u.a. auch für die Bestimmung der Betriebsratsgröße nach 9 Satz 1 BetrVG, der ähnlich wie die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung ebenfalls an die Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer anknüpft, die Leiharbeitnehmer mit in die Berechnung einbezogen. Da der Betriebsrat aufgrund des gesetzlichen Aufgabenzuschnitts u.a. auch die im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer vertrete, müsse der aufgrund der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern bedingten Zunahme an Aufgaben durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung getragen werden (BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69 /11). Auch in einem Urteil vom 18.10.2011 (1 AZR 335/10) hatte das BAG bereits zur Norm des § 111 Satz 1 BetrVG (Sozialpläne) die im Entleihbetrieb tätigen Leiharbeitnehmer mitberücksichtigt.

Diese gewandelte höchstrichterliche Rechtsprechung hatte bislang nur Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung zum Gegenstand. Es ist bislang ungeklärt, inwieweit sie auf die unternehmerische Mitbestimmung und damit auch die Schwellenwerte des Mitbestimmungsgesetzes und Drittelbeteiligungsgesetzes zu übertragen ist. Mit dieser Frage hatte sich das OLG Hamburg in der vorliegenden Entscheidung  auseinanderzusetzen.

Zum Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Besetzung des Aufsichtsrates einer AG. Diese unterhielt in der Vergangenheit Betriebsstätten mit insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft war dementsprechend gemäß den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes paritätisch gebildet worden. Im November 2012 machte die Gesellschaft im Bundesanzeiger bekannt, dass der Aufsichtsrat nicht mehr gesetzmäßig zusammengesetzt sei, da die Gesellschaft weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftige und damit nicht mehr den Regelungen des MitbestG, sondern denjenigen des DrittelbG unterliege.

Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 1 AktG (sog. „Statusverfahren“). Zur Begründung trugen sie vor, dass die Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Beschäftigtenzahl ebenfalls zu berücksichtigen seien, weshalb die Zahl der bei der Gesellschaft regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer nicht dauerhaft unter dem Schwellenwert von 2.000 gesunken sei. Eine Abfrage bei den Betrieben der Gesellschaft habe unter Einbeziehung von 139 Leiharbeitnehmern eine Beschäftigtenzahl von insgesamt 2.062 ergeben. Dieser Argumentation schloss sich das OLG Hamburg nicht an.

Entscheidungsgründe

Das OLG referiert zunächst die eingangs (Ziff. I) angesprochenen jüngeren Entscheidungen des BAG zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der Schwellenwerte der betrieblichen Mitbestimmung, führt dann jedoch aus, dass im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern nicht geboten sei. Der Gesetzgeber habe die Leiharbeitnehmer bislang bewusst nicht vollumfänglich der Stammbelegschaft gleichgestellt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Schutz des Leiharbeitnehmers vielmehr durch den Gleichlauf im Hinblick auf die Bezahlung (sogenannter Grundsatz des Equal Pay) und die sonstigen eingeräumten Rechte (§ 7 Abs. 2 BetrVG und § 14 AÜG) ausreichend gewährleistet.

Des Weiteren seien Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Ebene der unternehmerischen Mitbestimmung anders betroffen als die Stammbelegschaft, sodass ihre Nichtberücksichtigung für die Ermittlung von Schwellenwerten gerechtfertigt sei: Der Aufsichtsrat, dessen Tätigkeit auf die langfristige Unternehmenspolitik und die Kontrolle strategischer Entscheidungen der Geschäftsführung gerichtet sei, wahre das mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse. Dieses sei für die Leiharbeitnehmer von jedenfalls geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft, da ihnen die Rückkehr zum verleihenden Betrieb verbleibe. Sie sind letztlich nur temporär von arbeitsplatzrelevanten Entscheidungen auf unternehmerischer Ebene des Entleihunternehmens betroffen.

Angesichts der Tatsache, dass Leiharbeitnehmer jedenfalls in den entleihenden Betrieb zurückkehren könnten, weil eine betriebsbedingte Kündigung von Seiten des Verleihbetriebs allein aufgrund des Wegfalls der Beschäftigungsbedürfnisse im Entleiherbetrieb ausgeschlossen sei, seien sie auch in Bezug auf die durch die Mitbestimmung bezweckte sog. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums („Art. 14 Abs. 2 GG: Eigentum verpflichtet sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) anders betroffen als Stammarbeitnehmer: (Nur) für diese könne sich die Ausübung der Verfügungsbefugnis durch den Eigentümer zugleich auf ihre Daseinsgrundlage auswirken und berühre damit ihre Grundrechtssphäre.

Vor diesem Hintergrund sei es selbst auf Grundlage der eingangs referierten neueren Rechtsprechung des BAG, nach der der Arbeitnehmerbegriff im jeweiligen gesetzlichen Kontext differenzierend je nach Funktion ausgelegt werden soll, nicht gerechtfertigt, die Leiharbeitnehmer unter den Arbeitnehmerbegriff des § 1 MitbestG zu fassen. Die Argumentation des BAG zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen der Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung sei auf die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht übertragbar.

Denn aufgrund der dargestellten Aufgaben des Aufsichtsrats langfristige Unternehmenspolitik und Kontrolle strategischer Entscheidungen wirke sich seine Tätigkeit nicht in so maßgeblichem Umfang auf die Leiharbeitnehmer aus, dass vergleichbar der Ermittlung des Schwellenwertes für die Größe des Betriebsrats den Leiharbeitnehmern auch ein Einfluss auf die unternehmerische Mitbestimmung im Entleihbetrieb zukommen müsse. Das vom Aufsichtsrat zu wahrende mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse sei für die Leiharbeitnehmer, gerade aufgrund der ihnen möglichen Rückkehr zum verleihenden Betrieb, von wesentlich geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft.

Weiterführende Hinweise

Der Beschluss des OLG Hamburg ist die erste obergerichtliche Entscheidung zu diesem Themenkomplex nach Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Behandlung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Sie dürfte dazu führen, dass in naher Zukunft hierzu auch höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegen wird. Denn die Antragsteller haben Rechtsbeschwerde eingelegt, über die laut dem Verfasser erteilter Auskunft des Bundesgerichtshofs (BGH) voraussichtlich Anfang kom- menden Jahres entschieden wird.

Aufgrund der Besonderheiten des sogenannten aktienrechtlichen Statusverfahrens (§§ 98 f. AktG) ist für die Entscheidung über die Frage, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt, also für die unternehmerische Mitbestimmung, der BGH letztinstanzlich zuständig und nicht das BAG, auf dessen Entscheidungen zur betrieblichen Mitbestimmung des OLG Hamburg mehrfach Bezug nimmt. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige Zivilsenat des BGH dürfte sich dabei erfahrungsgemäß stärker von originär gesellschaftsrechtlichen Argumenten leiten lassen und der unterschiedlichen Zwecksetzung von unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung mehr Gewicht beimessen als es möglicherweise das in der Regel stärker aktuelle sozialpolitische Anliegen berücksichtigende und tendenziell eher mitbestimmungsfreundliche BAG täte. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass der BGH der Argumentation des OLG Hamburg folgt, die schlüssig und sachgerecht ist und sich auch mit der vom BAG vertretenen differenzierenden Sichtweise vereinbaren lässt.

Jedenfalls wird insoweit seine Auffas- sung künftig für die Praxis maßgeblich sein, weil Statusverfahren in letzter Instanz stets vom BGH zu entscheiden sind.

Auch wenn der BGH der Auffassung des OLG Hamburg folgen würde und somit für die Praxis davon ausgegangen werden könnte, dass Leiharbeitnehmer bei Ermittlung der relevanten Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht zu berücksichtigen sind, werden Familienunternehmen, die bei unterstellter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bereits die Schwellenwerte überschreiten, bei weiterem Zuwachs in absehbarer Zeit auch mit ihrer Stammbelegschaft über diesen Schwellenwerten liegen.

Das DrittelbG und das MitbestG stellen dabei auf die „in der Regel“ beschäftigte Anzahl von Mitarbeitern ab. Dabei kommt es nicht auf die Stärke der Belegschaft zu einem bestimmten Stichtag an, sondern die Beschäftigtenzahl ist unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen  Entwicklung festzulegen. Überschreitet daher die Mitarbeiterzahl bereits (nur) unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer die relevanten Schwellenwerte, sollte diese „Pegelwarnung“ in jedem Fall abgesehen von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern ein Anlass sein, sich rechtzeitig mit rechtlichen Möglichkeiten zur Gestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung zu befassen. Dabei kommen insbesondere konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen und Rechtsformwechsel (z.B. in eine Europäische Aktiengesellschaft („SE“)) sowie gegebenenfalls die Einbeziehung ausländischer Rechtsträger in Betracht.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf Geschäftsführer

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Auf den Geschäftsführer einer GmbH, dessen Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung abläuft und der sich erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt, sind gemäß 6 Abs. 3 AGG die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und § 22 AGG entsprechend anwendbar.
  2. Entscheidet ein Gremium über die Bestellung und Anstellung eines Bewerbers als Geschäftsführer, reicht es für die Vermutungswirkung des 22 AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das vor rund sechs Jahren in Kraft getretene allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Benachteiligung von Beschäftigten u.a. aus Gründen des Alters verbietet, findet in bestimmtem Umfang auch Anwendung auf Organmitglieder juristischer Personen, wie Geschäftsführer und Vorstände. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nun erstmals Gelegenheit, zur Anwendung des AGG auf Organmitglieder Stellung zu nehmen.

Das Urteil betrifft vor allem solche Familienunternehmen, bei denen die Geschäftsleitung nicht (mehr) von Familienmitgliedern wahrgenommen wird, sondern in den Händen von Fremdgeschäftsführern- und vorständen liegt, die regelmäßig für eine bestimmte Amtsperiode  bestellt werden.

Zum Sachverhalt

Der Kläger war medizinischer Geschäftsführer der als GmbH organisierten beklagten Kliniken der Stadt Köln. Seine auf fünf Jahre begrenzte Amtsperiode und sein zeitlich gleichlaufender Anstellungsvertrag liefen zum 31.08.2009 aus. Der Anstellungsvertrag des Klägers sah vor, dass die Vertragsparteien spätestens zwölf Monate vor Vertragsablauf mitteilten, ob sie zu einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der beklagten Gesellschaft hatte über den Abschluss, die Aufhebung und die Änderung des Dienstvertrags der Geschäftsführer ein bei der Gesellschaft eingerichteter Aufsichtsrat zu entscheiden. Nachdem der Kläger der Gesellschaft seine Bereitschaft zur Vertragsverlängerung mitgeteilt hatte, beschloss der Aufsichtsrat der Gesellschaft im Oktober 2008 mit neun Ja – und drei Nein-Stimmen, den zum 31.08.2009 auslaufenden Dienstvertrags mit dem dann 62 Jahre alten Kläger nicht zu verlängern.

Die Stelle des medizinischen Geschäftsführers wurde sodann für weitere fünf Jahre statt mit dem Kläger mit einem 41-jährigen Mitbewerber besetzt.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm sei der Neuabschluss seines Dienstvertrags sowie die weitere Bestellung als Geschäftsführer nur aus Altersgründen versagt worden. Dies verstoße gegen das in §§ 1, 7 AGG festgeschriebene Verbot der Altersdiskriminierung und begründe Schadenersatzansprüche.

Entscheidungsgründe und Praxishinweise

Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanz, der Kläger sei in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden, bestätigt.

  1. Geschäftsführer unterfällt dem Schutzbereich des 6 Abs. 3 AGG

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG findet das AGG Anwendung auf Organmitglieder, also neben z.B. Vorstandsmitgliedern einer AG auch Geschäftsführer einer GmbH, „soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“. Nach dem Urteil des BGH erfasst das Merkmal „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ nicht nur den Abschluss des Geschäftsführeranstellungsvertrages, sondern auch die gesellschaftsrechtliche Bestellung zum Geschäftsführer. Denn ohne Bestellung zum Geschäftsführer könne der Anstellungsvertrag nicht durchgeführt werden.

Das Vertragsverhältnis des Klägers war infolge des Ablaufs der Befristung bereits beendet. § 6 Abs. 3 AGG beschränkt die Anwendbarkeit des AGG auf den Zugang zur Beschäftigung und nimmt Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) davon aus. Dennoch – oder vielmehr: gerade deshalb – findet das AGG nach Auffassung des BGH hier Anwendung: bewerbe sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer wiederum um die Stelle des Geschäftsführers, so erstrebe er damit einen – neuen – Zugang zu dieser Tätigkeit. Damit unterfalle er gemäß § 6 Abs. 3 AGG dessen Schutzbereich. Daraus folgt für die Praxis, dass eine Entscheidung über die Nichtverlängerung eines ausgelaufenen Anstellungsvertrages mit einem Organmitglied nur noch dann frei von diskriminierungsrechtlichen Einschränkungen möglich ist, wenn die Position künftig unbesetzt bleiben soll. Die eigentlich vom Gesetzgeber intendierte Ermessensfreiheit bei der Beendigung von Organ- und Anstellungsverhältnissen wird damit faktisch auf Null reduziert, wenn diese eine Befristung vorsehen. Der naheliegen- den Umgehungskonstruktion, den Bewerber, dessen Anstellungsvertrag ausgelaufen ist, zunächst (erneut) zum Geschäftsführer zu bestellen und dann sogleich wieder abzuberufen, um den an sich gewünschten, aber wegen des Diskriminierungsverbots des AGG zunächst nicht berücksichtigten Kandidaten zum Geschäftsführer zu bestellen, schiebt der BGH einen Riegel vor: Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, die wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre.

Künftig kann es sich daher eher anbieten, jedenfalls den Geschäftsführer einer GmbH von Anfang an unbefristet zu bestellen und anzustellen und erforderlichenfalls ohne diskriminierungsrechtliche Kontrolle abzuberufen (s. aber unten zu weitergehenden Implikationen).

  1. Unzulässige Benachteiligung und die Beweiserleichterung § 22 AGG

Somit steht für den BGH fest, dass der Anwendungsbereich des AGG grundsätzlich eröffnet ist. Bei der Prüfung, ob der Kläger durch den Nichtabschluss eines neuen Anstellungsvertrages und die Nichtwiederbestellung zum Geschäftsführer altersbedingt und damit unzulässigerweise im Sinne der § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 1 AGG benachteiligt worden ist, kommt dem Kläger laut BGH die Beweiserleichterung des § 22 AGG zu Gute. Nach dieser Vorschrift muss der Bewerber zunächst nicht selbst den vollen Beweis führen, dass er diskriminiert wurde. Vielmehr muss er zunächst nur Indizien beweisen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Das Unternehmen hat dann zu beweisen, dass der Bewerber nicht wegen seines Alters oder aus anderen unzulässigen Gründen benachteiligt worden ist.

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG, der – wie oben beschrieben – den Anwendungsbereich des AGG für Organmitglieder eröffnet, gelten für Organmitglieder (nur) die Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG. Die Beweiserleichterung des § 22 AGG steht im 4. Abschnitt. Dass § 22 AGG trotz des eigentlich eindeutigen Wortlauts auch auf Organmitglieder Anwendung findet, soll nach Auffassung des BGH aus Schutzzweckerwägungen zu § 6 Abs. 3 AGG folgen.

Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des „Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt“ einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen „langfristig in den Wind stellen“ könne. Das sieht der BGH als ausreichend für das Eingreifen der Vermutungswirkung für eine Diskriminierung nach § 22 AGG an. Ausdrücklich hält das Gericht fest, es komme nicht darauf an, ob Indizien darauf hindeuten, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Abstimmung den Bewerber aus unzulässigen Gründen benachteiligt hätten. Der Aufsichtsratsvorsitzende repräsentiere vielmehr das gesamte Gremium, soweit sein Verhalten eine unzulässige Diskriminierung indiziere. Der BGH verkennt damit allerdings insofern die gesellschaftsrechtliche Stellung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan, in dem nicht „der Aufsichtsratsvorsitzende den Ton angibt“, sondern die einzelnen Mitglieder frei und unabhängig ihre Entscheidung treffen. Die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als „primus inter pares“ bleibt hingegen auf organisatorische und repräsentative Tätigkeiten beschränkt. Deuten Indizien – wie hier Presseäußerungen – darauf hin, dass diskriminierende Motive bei der Stimmabgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden eine Rolle gespielt haben, so können diese somit nicht ohne weiteres den einzelnen anderen Aufsichtsratsmitgliedern im Gremium zugerechnet werden. Vielmehr hätte der BGH die Indizienkette zur Motivation der einzelnen anderen Gremienmitglieder näher begründen und sodann zur umstrittenen Frage Stellung nehmen müssen, wieviele Mitglieder Träger einer verbotenen Motivation sein müssen, damit die Gremienentscheidung AGG-widrig ist.

Weiterhin hält der BGH fest, es genüge, dass das Alter unzulässigerweise lediglich als Teil eines „Motivbündels“ der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder die Entscheidung beeinflusst habe, es sei nicht erforderlich, dass dieses Kriterium ausschlaggebend oder allein entscheidend war. Die Beklagte berief sich darauf, für die Entscheidung seien Mängel der Amtsführung des Klägers ausschlaggebend gewesen. Diese Behauptung reichte nach Auffassung des BGH nicht aus, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG zu entkräften, weil der diesbezügliche Abstimmungsprozess innerhalb des Aufsichtsrats nicht ausreichend offengelegt worden sei.

Aus dem vom BGH vertretenen weiten Verständnis des § 22 AGG bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Entkräftung der durch diese Vorschrift ausgelösten Vermutungswirkung für eine unzulässige Diskriminierung durch Offenlegung des internen Entscheidungsprozesses folgt für die Praxis, dass im Rahmen der Willensbildung der bestellenden Organe (Aufsichtsrat, Beirat, Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung) keines der nach §§ 1, 7 AGG verbotenen Differenzierungsmerkmale auch nur angesprochen werden sollte. Gleiches gilt sodann für die Außenkommunikation der getroffenen Entscheidung. Um später beweisen zu können, dass diskriminierungsfrei entschieden wurde, empfiehlt sich zudem eine detaillierte schriftliche Dokumentation der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat.

  1. Keine Rechtfertigung durch bloßen Wunsch einer vollen Amtszeit

Nach Auffassung des BGH steht somit eine unzulässige Altersdiskriminierung fest. Diese kann, so das Gericht, zwar nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt werden, wenn sie objektiv angemessen ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, wobei als legitime Ziele auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen in Betracht kommen. Die beklagte Gesellschaft machte hier geltend, sie strebe eine fünfjährige Bindung des Geschäftsführers wegen des „Umbruchs im Gesundheitsmarkt“ an (während der Kläger schon vor Ablauf dieser Frist das allgemeine Renteneintrittsalter vor 65 Jahren erreicht hätte). Der BGH hält hierzu aber fest, der bloße nicht weiter substanziierte Wunsch, einen Geschäftsführer auf fünf Jahre zu bestellen, verdiene dann keinen Schutz, wenn der Geschäftsführer schon zuvor in diesem Amt tätig war. Für die Praxis lässt sich daraus jedenfalls die Konsequenz ziehen, dass es nicht ausreichend ist, die Ablehnung der Wiederbe- und anstellung eines Bewerbers mit allgemeinen Höchstaltersgrenzen, z.B. im Gesellschaftsvertrag einer GmbH zu begründen. Die Ablehnung muss vielmehr stets mit auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen begründet werden. Allerdings verdienen diese hohen Anforderungen des BGH Kritik, weil sie letztlich auf eine gerichtliche Kontrolle prognostischer unternehmerischer Ermessensentscheidungen hinauslaufen, die sonst aus gutem Grund von ebendieser Kontrolle frei sind, und zudem noch einmal zur Erhöhung des administrativen Aufwands (s. auch Editorial dieser Ausgabe) beitragen.

Weitergehende Hinweise

Weitergehend dürften die Erwägungen des BGH zur Reichweite des AGG- Schutzes für Organmitglieder nicht nur gelten, wenn das Organmitglied durch Zeitablauf aus seinem Amt ausscheidet und sich wieder um Neube- und anstellung bewirbt, sondern auch dann, wenn z.B. der Fremdgeschäftsführer von der Gesellschafterversammlung einer GmbH abberufen wird und sich daraufhin um Wiederbestellung bewirbt. Dem abberufenen Fremdgeschäftsführer eröffnen sich so Möglichkeiten, die vormals von ihm geleitete Gesellschaft unter Druck zu setzen, wenngleich je nach Grund der Abberufung die Rechtfertigung für die Gesellschaft leichter fallen mag. Die vorstehenden praktischen Hinweise sollten daher über die konkrete Fallkonstellation hinaus bei jeder Form der Neubesetzung von Gesellschaftsorganen Beachtung finden. Die Rechtsprechung führt dabei vor allem zur Erhöhung des dokumentarischen Aufwands – der sog. „paper trail“ sollte stets gangbar sein, um im Streitfall nachweisen zu können, dass über die Neubesetzung eines Organs diskriminierungsfrei entschieden wurde.