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Willenserklärung

Rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot

Gibt es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach schuldrechtliche Verpflichtungen auch dann, wenn sie vom Vertragswortlaut her unbefristet sind, nach 30 Jahren unwirksam werden?

Prof. Rainer Kirchdörfer, Rechtsanwalt, Dr. Olivia Sarholz, Rechtsanwältin

Problemstellung und praktische Bedeutung

Im vorliegenden Sachverhalt geht es um eine klassische Fragestellung im Zusammenhang mit langfristigen Verträgen. In der Praxis erfordern Vermögensdispositionen häufig eine langfristige vertragliche Sicherheit. Dies hat zur Folge, dass Verträge über viele Jahre, häufig auch Jahrzehnte, nicht oder nur aus wichtigem Grund kündbar sein sollen. Da das Bürgerliche Gesetzbuch in einer ganzen Reihe von Sachverhalten, in welchen solche langfristigen Bindungen in der Natur der Sache liegen, eine maximale Bindungsdauer von 30 Jahren vorgesehen hat, stellt sich die allgemeine Frage, ob die in diesen Spezialregelungen angeordnete „Enddauer“ der vertraglichen Bindung einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts enthält, dass ganz grundsätzlich schuldrechtliche vertragliche Bindungen, welche über einen solchen 30-jährigen Zeitraum hinausgehen, unwirksam sind.

Zum Sachverhalt

In dem dem Urteil des Bundesgerichtshofes zugrunde liegenden Sachverhalt übertrug die Mutter desBeklagten diesem im Jahre 1980 einen Eigentumsanteil an einem Grundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. In dem Übertragungsvertrag verpflichtete sich der Beklagte dazu, das erhaltene Grundstück während eines Zeitraums von 35 Jahren nicht zu veräußern. Ein Verstoß gegen dieses Veräußerungsverbot sollte den Rückfall des Grundstückes an die Mutter zur Folge haben. Auch nach dem Tod der Mutter bestand dieses Veräußerungsverbot fort und sollte dann dem Kläger zugutekommen. Die Mutter war im Jahr 2007 verstorben und der Kläger behauptet nun, einen solchen Rückfallanspruch zu haben. Der Beklagte wendet u.a. ein, das Veräußerungsverbot sei 30 Jahre nach dem im Übergabevertrag vereinbarten Zeitpunkt erloschen, weil Unterlassungsverpflichtungen nach 137 Satz 2 BGB nach Ablauf von 30 Jahren nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam würden. Das OLG Frankfurt am Main gab insoweit dem Beklagten Recht. Das Verfügungsverbot sei in der Tat 30 Jahre nach der Übergabe nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam geworden.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Um das Urteil richtig einzuordnen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass es der zentrale Rechtsgrundsatz der Privatautonomie den Vertragsparteien grundsätzlich freistellt, Beginn und Ende einer vertraglichen Vereinbarung und deren Kündigungsmöglichkeiten frei zu regeln. Andererseits ist jedes langfristige (Dauer-)Schuldverhältnis ohne Rücksicht darauf, was die Parteien im Detail geregelt haben, aus wichtigem Grund kündbar, d.h. in dem Fall, dass Festhalten an dem Vertrag für eine der Parteien unzumutbar ist. Es stellt sich nun die Frage, ob es einen allgemeinen Rechtsgrundsatz gibt, welcher die Privatautonomie insoweit begrenzt, als vertragliche Bindungen, welche die ordentliche Kündigung für einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren ausschließen, generell oder jedenfalls in der Regel unwirksam sind. Einen solchen Rechtsgrundsatz im Zusammenhang mit Unterlassungsverpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB vertritt u.a. etwa Armbrüster (in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 137 Rdnr. 25), wenn er ausführt, dass aus Rechtssicherheitsgründen ein fester Zeitraum, (in Rechtsanalogie zu §§ 544, 2044 Abs. 2  Satz 1,  2109 Abs. 1 Satz 1, 2162 Abs. 1, 2210 S. 1 BGB), richtigerweise 30 Jahre, die Dauer der Verpflichtung begrenzen sollte. Auch Großfeld/Gersch (in: JZ 1988, 937, 943 ff.) vertreten die Ansicht, dass über 30 Jahre hinausgehende Verfügungsverbote unwirksam sind und erstrecken diese Frist auf Gesellschaftsverträge. Bindet ein Gesellschaftsvertrag die Gesellschafter an die Gesellschaft länger als 30 Jahre und liegen hierfür keine ganz besonderen Umstände vor, soll die Bindung unwirksam sein. Ulmer/Schäfer (in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 723 Rdnr. 61) gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, „dass das Eingehen persönlicher und wirtschaftlicher Bindungen ohne zeitliche Begrenzung und ohne Kündigungsmöglichkeit mit der persönlichen Freiheit der Vertragschließenden unvereinbar ist und von ihnen daher auch nicht wirksam vereinbart werden kann.“ Der Bundesgerichtshof hat dieser Ansicht nunmehr eine eindeutige Absage erteilt. Er hat nicht nur ausgeführt, dass „Unterlassungsverpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB […] nicht nach 30 Jahren nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam (werden)“, er hat vielmehr generalisierend formuliert: „Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält keine Bestimmung zur höchst zulässigen Geltungsdauer vertraglicher Verpflichtungen nach § 137 Satz 2 BGB.“ In diesem Zusammenhang hat er klargestellt, dass diejenigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, welche ausdrücklich eine 30-jährige Höchstlaufzeit vorsehen, Bestimmungen mit einer speziellen Zielsetzung sind, die sich nicht verallgemeinern lassen. Im Ergebnis schränkt der Bundesgerichtshof die zulässige Dauer der Unkündbarkeit von schuldrechtlichen Verpflichtungen jedoch wieder ein, indem er sehr lang für unkündbar erklärte Verpflichtungen als Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB wertet, wenn sie „die Verfügungsbefugnis des Schuldners auf übermäßige Dauer einschränken“. Ob das der Fall ist, ist unter Würdigung aller Umstände, insbesondere des Maßes der Beeinträchtigung des Schuldners, der Dauer der Bindung und des durch die Verfügungsbeschränkung geschützten Interesses des Begünstigten zu entscheiden. Für die Gestaltungspraxis ist zunächst wichtig, dass schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere auch solche im Zusammenhang mit Unternehmensnachfolgeregelungen, nicht automatisch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unwirksam werden, wenn diese Verpflichtungen auch über 30 Jahre bindend sein sollen. So finden sich in Verträgen zur Vorwegnahme der Erbfolge (in der Regel sind dies Schenkungen) nicht selten Regelungen, wonach der Beschenkte die von ihm erhaltenen Unternehmensanteile (oder sonstige Vermögensgegenstände) nicht an Personen außerhalb der eigenen Familie verschenken, veräußern oder sonstwie zugunsten solcher Dritter verfügen darf. Solche Regelungen sind nach dem vorstehenden Urteil des Bundesgerichtshofes auch dann möglich, wenn sie über die 30-jährige Dauer hinausgehen. Freilich muss nun und darauf weist der Bundesgerichtshof ganz deutlich hingeprüft werden, ob sich aus einer „übermäßigen Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit“ im konkreten Einzelfall die Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit der schuldrechtlichen Verpflichtung ergibt. So sind etwa vertragliche Verfügungsverbote unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Knebelung des Schuldners als sittenwidrig anzusehen, wenn sie sich auf dessen gesamtes Vermögen erstrecken. Im vorliegenden Fall erfasste das Verfügungsverbot zwar das gesamte Immobiliarvermögen des landwirtschaftlichen Betriebs, es erstreckte sich aber nicht auf das bewegliche Betriebsvermögen und nicht auf das Privatvermögen. Der Bundesgerichtshof ist aber in mehreren Sachverhalten bereits in früheren Urteilen zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Verfügungsverbot sittenwidrig ist, welches dem Erwerber ohne Ausnahme jede Verfügung über das Vermögen des Betriebs oder über dessen Grundvermögen untersagt und damit die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Übernehmers in einem Maße beschränkt, dass dieser seine Selbstständigkeit und wirtschaftliche Handlungsfreiheit in einem wesentlichen Teil einbüßt. Dies gilt auch dann, wenn sich der Grundbesitz seit vielen Generationen im Besitz einer Familie befindet. Gemessen an den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Kriterien war das Verfügungs und Belastungsverbot im vorliegenden Sachverhalt daher wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Dem Beklagten waren nämlich alle Veräußerungen (sofern nicht an eheliche, leibliche Abkömmlinge) und ausnahmslos auch alle Verpfändungen verboten. Für die Praxis hat das Urteil zur Folge, dass künftig sehr viel differenzierter mit langfristigen vertraglichen Bindungen, insbesondere mit langfristigen Verfügungsverboten, umzugehen ist. Zwar sind solche nicht auf eine Zeitdauer von 30 Jahren begrenzt, zur Verhinderung eines Sittenwidrigkeitsvorwurfes müssen solche langfristigen Verträge jedoch eine ausdifferenzierte Wirkung der Bindung enthalten.