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Arbeitnehmer und Betrieb

Leiharbeitnehmer zählen nicht mit – zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Berechnung der Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Unternehmen, die u.a. als Aktiengesellschaft oder GmbH organisiert sind, müssen einen teilweise mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrat einrichten, wenn die Anzahl der von ihnen regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Nach § 1 Abs. 1, 7 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) hat der Aufsichtsrat eine Größe von mindestens 12 Mitgliedern und ist sogar zur Hälfte („paritätisch“) mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, wenn das Unternehmen in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Nach den Regelungen des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) ist ein zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen- der Aufsichtsrat zu bilden in Unternehmen, die in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, §1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 DrittelbG. Diese im MitbestG und im DrittelbG geregelte, sogenannte unternehmerische Mitbestimmung greift unmittelbar in die gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmung ein und gewährt der Belegschaft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Informations und Einflussrechte auf originär strategischunternehmerische Entscheidungen. Das unterscheidet sie von der sogenannten betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, die lediglich auf betrieblicher Ebene in betrieblichen Angelegenheiten besteht und bei der vor allem auch kein Einfluss externer Gewerkschaftsvertreter begründet wird (so nämlich zwingend nach § 7 Abs. 2 MitbestG).

Ob bei der Ermittlung der für die Besetzung eines mitbestimmten Aufsichtsrats maßgeblichen Schwellenwerte neben den eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens („Stammbelegschaft“) auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Dies hängt davon ab, ob die Leiharbeitnehmer unter den Begriff des  „Arbeitnehmers“  i.S.d.  §  3 Abs. 1 DrittelbG und § 3 MitbestG fallen. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Mitbestimmung (z.B. BAG, Beschluss vom 10.03.2004 – 7 ABR 49/03) und der Obergerichte zur Unternehmensmitbestimmung (z.B. OLG Düsseldorf 19 W 2/04; OLG Hamburg 11 W 27/07) waren Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung von mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerten nicht zu berücksichtigen. Hintergrund war die sogenannte „Zwei-Komponenten-Lehre“, nach der zu den konstitutiven Merkmalen für den Arbeitnehmerbegriff bzw. der Betriebszugehörigkeit zum einen das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber (Arbeitsvertrag) und zum anderen die Eingliederung in den Betrieb als solchen gehören. An der ersten Voraussetzung (Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber) fehlt es begriffsnotwendig bei im Entleihunternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmern. Denn deren Arbeitsverhältnis besteht mit dem Verleihunternehmen, während sie in den Entleihbetrieb betrieblich eingegliedert sind. Die Arbeitgeberstellung ist dementsprechend zwischen Ver- und Entleihunternehmen „aufgespalten“, was einer Zurechnung zum Entleihbetrieb entgegenstehen sollte. Von dieser strengen Auffassung ist das Bundesarbeitsgericht in seiner neueren Rechtsprechung abgerückt: Bei einer für Leiharbeitsverhältnisse typischen aufgespaltenen Arbeitgeberstellung seien differenzierte Lösungen geboten, um die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigen zu können (BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 7 ABR 48/11). Um zu ermitteln, welche Personen zum Kreis der „Arbeitnehmer“ zu zählen sind, soll es also nunmehr darauf ankommen, welche Funktion der Begriff „Arbeitnehmer“ in der jeweiligen Regelung hat, sodass er in unterschiedlichen Regelungen je unterschiedlich ausgelegt werden kann und ggf. muss.

Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht unter Abkehr von seiner bisherigen, anderslautenden Rechtsprechung u.a. auch für die Bestimmung der Betriebsratsgröße nach 9 Satz 1 BetrVG, der ähnlich wie die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung ebenfalls an die Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer anknüpft, die Leiharbeitnehmer mit in die Berechnung einbezogen. Da der Betriebsrat aufgrund des gesetzlichen Aufgabenzuschnitts u.a. auch die im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer vertrete, müsse der aufgrund der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern bedingten Zunahme an Aufgaben durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung getragen werden (BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69 /11). Auch in einem Urteil vom 18.10.2011 (1 AZR 335/10) hatte das BAG bereits zur Norm des § 111 Satz 1 BetrVG (Sozialpläne) die im Entleihbetrieb tätigen Leiharbeitnehmer mitberücksichtigt.

Diese gewandelte höchstrichterliche Rechtsprechung hatte bislang nur Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung zum Gegenstand. Es ist bislang ungeklärt, inwieweit sie auf die unternehmerische Mitbestimmung und damit auch die Schwellenwerte des Mitbestimmungsgesetzes und Drittelbeteiligungsgesetzes zu übertragen ist. Mit dieser Frage hatte sich das OLG Hamburg in der vorliegenden Entscheidung  auseinanderzusetzen.

Zum Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Besetzung des Aufsichtsrates einer AG. Diese unterhielt in der Vergangenheit Betriebsstätten mit insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft war dementsprechend gemäß den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes paritätisch gebildet worden. Im November 2012 machte die Gesellschaft im Bundesanzeiger bekannt, dass der Aufsichtsrat nicht mehr gesetzmäßig zusammengesetzt sei, da die Gesellschaft weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftige und damit nicht mehr den Regelungen des MitbestG, sondern denjenigen des DrittelbG unterliege.

Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 1 AktG (sog. „Statusverfahren“). Zur Begründung trugen sie vor, dass die Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Beschäftigtenzahl ebenfalls zu berücksichtigen seien, weshalb die Zahl der bei der Gesellschaft regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer nicht dauerhaft unter dem Schwellenwert von 2.000 gesunken sei. Eine Abfrage bei den Betrieben der Gesellschaft habe unter Einbeziehung von 139 Leiharbeitnehmern eine Beschäftigtenzahl von insgesamt 2.062 ergeben. Dieser Argumentation schloss sich das OLG Hamburg nicht an.

Entscheidungsgründe

Das OLG referiert zunächst die eingangs (Ziff. I) angesprochenen jüngeren Entscheidungen des BAG zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der Schwellenwerte der betrieblichen Mitbestimmung, führt dann jedoch aus, dass im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern nicht geboten sei. Der Gesetzgeber habe die Leiharbeitnehmer bislang bewusst nicht vollumfänglich der Stammbelegschaft gleichgestellt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Schutz des Leiharbeitnehmers vielmehr durch den Gleichlauf im Hinblick auf die Bezahlung (sogenannter Grundsatz des Equal Pay) und die sonstigen eingeräumten Rechte (§ 7 Abs. 2 BetrVG und § 14 AÜG) ausreichend gewährleistet.

Des Weiteren seien Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Ebene der unternehmerischen Mitbestimmung anders betroffen als die Stammbelegschaft, sodass ihre Nichtberücksichtigung für die Ermittlung von Schwellenwerten gerechtfertigt sei: Der Aufsichtsrat, dessen Tätigkeit auf die langfristige Unternehmenspolitik und die Kontrolle strategischer Entscheidungen der Geschäftsführung gerichtet sei, wahre das mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse. Dieses sei für die Leiharbeitnehmer von jedenfalls geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft, da ihnen die Rückkehr zum verleihenden Betrieb verbleibe. Sie sind letztlich nur temporär von arbeitsplatzrelevanten Entscheidungen auf unternehmerischer Ebene des Entleihunternehmens betroffen.

Angesichts der Tatsache, dass Leiharbeitnehmer jedenfalls in den entleihenden Betrieb zurückkehren könnten, weil eine betriebsbedingte Kündigung von Seiten des Verleihbetriebs allein aufgrund des Wegfalls der Beschäftigungsbedürfnisse im Entleiherbetrieb ausgeschlossen sei, seien sie auch in Bezug auf die durch die Mitbestimmung bezweckte sog. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums („Art. 14 Abs. 2 GG: Eigentum verpflichtet sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) anders betroffen als Stammarbeitnehmer: (Nur) für diese könne sich die Ausübung der Verfügungsbefugnis durch den Eigentümer zugleich auf ihre Daseinsgrundlage auswirken und berühre damit ihre Grundrechtssphäre.

Vor diesem Hintergrund sei es selbst auf Grundlage der eingangs referierten neueren Rechtsprechung des BAG, nach der der Arbeitnehmerbegriff im jeweiligen gesetzlichen Kontext differenzierend je nach Funktion ausgelegt werden soll, nicht gerechtfertigt, die Leiharbeitnehmer unter den Arbeitnehmerbegriff des § 1 MitbestG zu fassen. Die Argumentation des BAG zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen der Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung sei auf die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht übertragbar.

Denn aufgrund der dargestellten Aufgaben des Aufsichtsrats langfristige Unternehmenspolitik und Kontrolle strategischer Entscheidungen wirke sich seine Tätigkeit nicht in so maßgeblichem Umfang auf die Leiharbeitnehmer aus, dass vergleichbar der Ermittlung des Schwellenwertes für die Größe des Betriebsrats den Leiharbeitnehmern auch ein Einfluss auf die unternehmerische Mitbestimmung im Entleihbetrieb zukommen müsse. Das vom Aufsichtsrat zu wahrende mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse sei für die Leiharbeitnehmer, gerade aufgrund der ihnen möglichen Rückkehr zum verleihenden Betrieb, von wesentlich geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft.

Weiterführende Hinweise

Der Beschluss des OLG Hamburg ist die erste obergerichtliche Entscheidung zu diesem Themenkomplex nach Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Behandlung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Sie dürfte dazu führen, dass in naher Zukunft hierzu auch höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegen wird. Denn die Antragsteller haben Rechtsbeschwerde eingelegt, über die laut dem Verfasser erteilter Auskunft des Bundesgerichtshofs (BGH) voraussichtlich Anfang kom- menden Jahres entschieden wird.

Aufgrund der Besonderheiten des sogenannten aktienrechtlichen Statusverfahrens (§§ 98 f. AktG) ist für die Entscheidung über die Frage, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt, also für die unternehmerische Mitbestimmung, der BGH letztinstanzlich zuständig und nicht das BAG, auf dessen Entscheidungen zur betrieblichen Mitbestimmung des OLG Hamburg mehrfach Bezug nimmt. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige Zivilsenat des BGH dürfte sich dabei erfahrungsgemäß stärker von originär gesellschaftsrechtlichen Argumenten leiten lassen und der unterschiedlichen Zwecksetzung von unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung mehr Gewicht beimessen als es möglicherweise das in der Regel stärker aktuelle sozialpolitische Anliegen berücksichtigende und tendenziell eher mitbestimmungsfreundliche BAG täte. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass der BGH der Argumentation des OLG Hamburg folgt, die schlüssig und sachgerecht ist und sich auch mit der vom BAG vertretenen differenzierenden Sichtweise vereinbaren lässt.

Jedenfalls wird insoweit seine Auffas- sung künftig für die Praxis maßgeblich sein, weil Statusverfahren in letzter Instanz stets vom BGH zu entscheiden sind.

Auch wenn der BGH der Auffassung des OLG Hamburg folgen würde und somit für die Praxis davon ausgegangen werden könnte, dass Leiharbeitnehmer bei Ermittlung der relevanten Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht zu berücksichtigen sind, werden Familienunternehmen, die bei unterstellter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bereits die Schwellenwerte überschreiten, bei weiterem Zuwachs in absehbarer Zeit auch mit ihrer Stammbelegschaft über diesen Schwellenwerten liegen.

Das DrittelbG und das MitbestG stellen dabei auf die „in der Regel“ beschäftigte Anzahl von Mitarbeitern ab. Dabei kommt es nicht auf die Stärke der Belegschaft zu einem bestimmten Stichtag an, sondern die Beschäftigtenzahl ist unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen  Entwicklung festzulegen. Überschreitet daher die Mitarbeiterzahl bereits (nur) unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer die relevanten Schwellenwerte, sollte diese „Pegelwarnung“ in jedem Fall abgesehen von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern ein Anlass sein, sich rechtzeitig mit rechtlichen Möglichkeiten zur Gestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung zu befassen. Dabei kommen insbesondere konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen und Rechtsformwechsel (z.B. in eine Europäische Aktiengesellschaft („SE“)) sowie gegebenenfalls die Einbeziehung ausländischer Rechtsträger in Betracht.

Kreditwesen-, Börsen- und Wertpapierrecht

Börsennotierte Familienunternehmen: Ad-hoc- Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Zu welchem Zeitpunkt haben börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt über interne, zeitlich gestreckte Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren? Eine Antwort auf diese Frage hatte der BGH mit seinem Vorlagebeschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09 (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 38 ff.) vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erbeten. Dieser hat nun durch vorstehendes, in seiner Konsequenz gerade für börsennotierte Familienunternehmen sehr bedeutsames Urteil entschieden. Zur Erinnerung (vgl. insoweit Wiedemann, FuS 2011, 39): Nach § 15 Abs. 1 WpHG sind börsennotierte Unternehmen (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtet, die sie selbst unmittelbar betreffen. Voraussetzung für das Vorliegen einer Insiderinformation ist dabei zunächst, dass der zur Kenntnis gelangte Sachverhalt konkretisiert ist und sich auf der Öffentlichkeit nicht bekannte Umstände bezieht. Zudem müssen diese Informationen die Eignung aufweisen, sollten sie öffentlich bekannt werden, den Börsen oder Marktpreis der jeweiligen Wertpapiere beachtlich zu beeinflussen (vgl.13 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Letzteres ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG dann zu bejahen, wenn ein verständiger Anleger die Information im Rahmen seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Als Umstände im Sinne der oben genannten sind dabei auch solche zu qualifizieren, welche bisher zwar noch nicht eingetreten sind, hinsichtlich derer aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie zukünftig eintreten werden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). Börsennotierte Familienunternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt in ihrem Emittentenleitfaden hierzu nicht abschließend Stellung (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Bei börsennotierten Familienunternehmen wird in aller Regel von einer Ad-hoc-Publizitätspflicht auszugehen sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen  beispielhaft geschilderten Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc-Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung des EuGH liegt ein prominenter Sachverhalt zu Grunde: Der Wechsel an der Vorstandsspitze der damaligen Daimler-Chrysler AG im Sommer 2005. Bereits seit der Hauptversammlung Anfang April desselben Jahres hegte der unter Anlegern heftig in die Kritik geratene damalige Vorstandsvorsitzende, Jürgen Schrempp, nach eigenen Angaben den Gedanken an seinen vorzeitigen Rückzug von der Unternehmensspitze. Mitte Mai 2005 unterrichtete er den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Hilmar Kopper, von seinem möglichen Vorhaben. Die Öffentlichkeit erfuhr von den personellen Veränderungen innerhalb des Daimler-Chrysler-Konzerns allerdings deutlich später. Erst am 28.07.2005 wurde der Rücktritt Schrempps sowie die Person seines Nachfolgers, Dieter Zetsche, via Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt gegeben. Diese Neuigkeit wurde von den Anlegern positiv aufgenommen. Eröffnete die Aktie des Automobilherstellers am 28.07.2005 mit 36,50 `, war sie zu Börsenschluss bereits 42,95 ` wert. Die Freude über den unerwarteten Kursanstieg wurde jedoch nicht von allen geteilt. Einige Anteilseigner erhoben Klage beim OLG Stuttgart und machten Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen geltend. Sie hatten ihre Anteile kurz vor dem beschriebenen Kursanstieg verkauft und sahen sich um ihren Gewinn gebracht. So hatten sich die Stuttgarter Richter mit der Frage zu befassen, wann während des zeitlich gestreckten unternehmensinternen Entscheidungsprozesses, einen Wechsel bzgl. der personellen Besetzung des Vorstandsvorsitzenden herbeizuführen, den Unternehmenslenkern erstmalig eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorlag. Das Gericht nahm dies erst zu dem Zeitpunkt an, als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Austausch des Vorstandsvorsitzenden ausgegangen werden konnte, mithin mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses einen Tag vor Veröffentlichung der Ad-hoc- Mitteilung. Auch ohne konkrete Entscheidung des Vorstands hätten zu diesem Zeitpunkt zudem die Voraussetzungen zur Selbstbefreiung nach 15 Abs. 3 WpHG vorgelegen; dies erachtete das Gericht für ausreichend, um auch die eintägige Verzögerung der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Anders beurteilte diesen Sachverhalt zeitgleich das OLG Frankfurt in einem von der BaFin eingeleiteten Verfahren und verurteilte die Daimler-Chrysler AG zu einem Bußgeld in Höhe von 200.000,– `. Der BGH hat auf die Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart den vorgenannten Vorlagebeschluss erlassen (Volltext bei Wiedemann, FuS 2011, 38 f.).

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der EuGH hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob bereits einzelne Zwischenschritte, wie z.B. bloße Absichten und Pläne im Rahmen eines zeitlich gestreckten Vorgangs für sich genommen als präzise Informationen und damit sollten diese Informationen zudem Kursrelevanz aufweisen als zu veröffentlichende Insiderinformationen anzusehen sind oder aber wie das Oberlandesgericht Stuttgart annahm derartige Entwicklungsschritte erst und nur dann zu publizieren sind, wenn man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das jedenfalls zu veröffentlichende Endziel in Zukunft eintreten wird. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei welchem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser abschließende Umstand oder dieses abschließende Ereignis als präzise Information angesehen und damit eine Insiderinformation darstellen kann, sondern grundsätzlich auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte. Das gilt nach Ansicht des EuGH nicht nur für Schritte, die bereits eingetreten sind oder existieren, sondern auch für Schritte, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Seine Argumentation stützt das Gericht auf die Tatsache, dass das Gesetz beim Vorliegen bestimmter Teilschritte börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit einer Selbstbefreiung einräumt (z.B. bei durch den Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands). Dies führt nach Ansicht des EuGH denknotwendig zu dem Umkehrschluss, dass generell auch beim Vorliegen von Zwischenschritten eine Publizitätspflicht begründet sein kann. Zudem verweist das Gericht auf den Sinn und Zweck der betroffenen EU-Richtlinien, welcher insbesondere darin zu sehen ist, die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der Anleger in eben diese zu stärken und zu schützen. Um diese Ziele zu erreichen ist es nach Meinung des EuGH unerlässlich, den Anwendungsbereich des Insiderrechts nicht durch eine restriktive Auslegung der dort verwendeten, unbestimmten Rechtsbegriffe zu beschränken. Der EuGH hatte sich weiter mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die zur Begründung einer Publizitätspflicht erforderliche „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ (so der Wortlaut in Art. 1 I der Richtlinie 2003/124 EG) erst dann vorliegt, wenn der Eintritt einer Reihe von Umständen oder eines Ereignisses mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ob insofern eine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ausreicht oder ob der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit gar abhängig ist vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten und es daher bei hoher Kursrelevanz als ausreichend anzusehen ist, wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses zwar ungewiss, jedenfalls aber nicht unwahrscheinlich ist (sog. probability/ magnitude-Ansatz). Der EuGH stellt zunächst fest, dass zumindest Ereignisse, deren Eintritt nicht wahrscheinlich ist, keiner Pflicht zur Veröffentlichung unterliegen. Publizitätspflichtig sind vielmehr nur solche Umstände oder Ereignisse, deren Eintreten nach allgemeiner Erfahrung und einer umfassenden Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden kann. Zu diesem rechtlichen Ergebnis kommt der EuGH im Rahmen seiner aufgrund der innerhalb der Mitgliedstaaten divergierenden Sprachfassungen der Richtlinie erforderlichen Auslegung. Alle anderen existierenden Sprachfassun- gen der hier relevanten EU-Richtlinie 2003/124/EG stellen anders als die deutsche Fassung nicht auf eine „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr darauf ab, ob der künftige Eintritt von Umständen oder Ereignissen „vernünftigerweise“ zu erwarten bzw. vorhersehbar ist. Nach Ansicht des EuGH hat die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung so zu erfolgen, dass sie den jeweiligen Marktteilnehmern Rechtssicherheit bietet und das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte schützt. Zum Schutze der Emittenten börsennotierter Wertpapiere einerseits müssen folglich zumindest Ereignisse, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, von einer Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden. Andererseits verbietet es der zu gewährende Anlegerschutz, allzu hohen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts von Umständen oder Ereignissen zu stellen. Der EuGH erteilt damit den zahlreichen Stimmen, die eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung für die Ad- hoc-Publizitätspflicht annehmen, eine klare Absage. Verneint hat der EuGH schließlich auch die Annahme, der Grad der zur Veröffentlichungspflicht erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit könne je nach Ausmaß der Auswirkung auf den Kurs von Finanzinstrumenten variieren. Dies hätte nämlich zur Folge, dass sich die beiden für eine Insiderinformation erforderlichen selbstständigen Tatbestandsmerkmale „Vorliegen einer präzisen Information“ sowie deren „Kursrelevanz“, gegenseitig beeinflussten, anstatt, wie in der Richtlinie gefordert, kumulativ und eigenständig gegeben zu sein. So ist es durchaus möglich, dass ein Ereignis, dessen Einritt auch nur wenig wahrscheinlich ist, eine hohe Kursrelevanz aufweist. Auf den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses nimmt diese Bewertung jedoch keinen Einfluss.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis kann einerseits Entwarnung gemeldet werden. Die durch den EuGH für die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ aufgestellten Kriterien (Eintritt von Ereignissen kann nach allgemeiner Erfahrung und umfassender Würdigung aller verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden) laufen letztlich auf die schon vom BGH geprägte 50 %+x-Regel hinaus, d.h. maßgeblich für das Eingreifen der Ad-hoc-Publizität bleibt eine „überwiegende“ (wenn auch keine „hohe“) Wahrscheinlichkeit. Der EuGH ist somit erfreulicherweise nicht dem Antrag des Generalanwalts Mengozzi gefolgt (vgl. die entsprechenden Schlussanträge v. 21.03.2012, ZIP 2012, 615), der auf das Kriterium des „nicht unwahrscheinlichen, wenn auch ungewissen“ Ereignisses abgestellt hat, was zu einer massiven und für die Praxis nicht beherrschbaren Aufweichung der 50 %+x-Regel geführt hätte. Positiv ist auch, dass der EuGH den probability/magnitude-Ansatz verworfen hat. Kritisch ist andererseits anzumerken, dass das Urteil des EuGH zukünftig dazu verleiten könnte, jegliche Zwischenschritte zu publizieren, um einer möglichen Haftungsgefahr zu entgehen. Ein solches Vorgehen könnte die Bedeutung von Ad-hoc Mitteilungen aus Sicht der Anleger jedenfalls dann deutlich schmälern, sollten die prognostizierten Ergebnisse häufiger entgegen der unternehmensseitigen Erwartung schließlich doch nicht eintreten. Ohne Zweifel wird der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG stark an Bedeutung gewinnen, ist die Selbstbefreiung doch die einzige Möglichkeit auch bei gestreckten Entscheidungsprozessen risikolos eine Ad-hoc-Mitteilung aufzuschieben, bis Klarheit darüber herrscht, ob sich die geplante Maßnahme, bspw. ein Unternehmenskauf, tatsächlich realisiert. Dies setzt aber insbesondere voraus, dass der Emittent die Wahrung der Vertraulichkeit bzgl. der in Rede stehenden Maßnahme bis zur tatsächlichen Veröffentlichung sicherstellen kann. Zu hoffen bleibt insofern, dass der BGH in seiner nun zu treffenden Entschei- dung Stellung nehmen wird zu der Annahme des OLG Stuttgart, dieser Selbstbefreiungstatbestand bedürfe nicht zwingend einer diesbezüglichen expliziten Unternehmensentscheidung, sondern könne bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch kraft Gesetzes eintreten. Bis in dieser Frage Rechtssicherheit eintreten wird, bleibt den betroffenen Unternehmen nur zu raten, derartige Selbstbefreiungs-Entscheidungen mittels protokolliertem Vorstandsbeschluss zu dokumentieren.

Schenkung

Pflichtteilsrecht und Schenkungsvollzug bei atypischer Unterbeteiligung

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt, und Dr. Anton Ederle, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das in §§ 2303 ff. BGB geregelte Pflichtteilsrecht gewährt engeren Familienangehörigen einen Anspruch auf eine Mindestteilhabe am Nachlass und beschränkt damit als Ausdruck der durch Art. 6 GG geschützten Familiensolidarität die Testierfreiheit des Erblassers. Weil Pflichtteilsansprüche am Verkehrswert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls ohne Rücksicht auf dessen tatsächliche Liquidität anknüpfen und mit dem Erbfall sofort und in bar zu erfüllen sind, stellen sie eine große Gefahr für den Erhalt illiquiden Vermögens dar. Für Familienunternehmen, die mit ihrem Verkehrswert regelmäßig den Großteil des gebundenen Nachlassvermögens ausmachen, kann ein Pflichtteilsanspruch die Zerschlagung bedeuten. Aber auch für die Erben von Wertpapieren oder anderen Anlagen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch werthaltig waren, nach dem Erbfall aber plötzlich an Wert verloren haben, können Pflichtteilsansprüche ruinös sein, denn die Wertentwicklung, die das Vermögen nach dem Erbfall durchlaufen hat, wird bei der Höhe des Pflichtteilsanspruchs nicht berücksichtigt. Eine Möglichkeit, diese Gefahr zu umgehen oder jedenfalls zu begrenzen, ist die Zuwendung größerer Vermögenswerte bereits unter Lebenden im Wege der vorweggenommen Erbfolge. Denn der Pflichtteilsanspruch errechnet sich ausschließlich anhand des Nachlassvermögens, also des Vermögens, das im Zeitpunkt des Erbfalls noch dem Erblasser zugeordnet war. Ist ein Gegenstand bereits zu Lebzeiten aus dem Vermögen des Erblassers ausgeschieden, bleibt er bei der Berechnung des Pflichtteils außer Betracht. Dann drohen zwar Pflichtteilsergänzungsansprüche zum Ausgleich lebzeitiger Vermögensübertragungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall, doch sieht das Gesetz hier für Todesfälle ab dem 01.01.2010 ein Abschmelzungsmodell vor, nach welchem pro Jahr, das zwischen der Schenkung und dem Erbfall liegt, 10 % vom Wert der Schenkung abgezogen werden. Während eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall also voll in die Berechnung einbezogen wird, wird sie im siebten Jahr nur noch zu 4/10 berücksichtigt. Frühzeitige Vermögensübertragungen sind damit ein gangbarer Weg zur Vermeidung oder Reduzierung von Ansprüchen weichender Erben. Voraussetzung ist aber, dass die Schenkung auch zu Lebzeiten des Erblassers vollzogen wurde. Denn nur, wenn der Gegenstand bereits zu Lebzeiten aus dem Vermögen des Erblassers ausgeschieden ist, fällt er nicht in den Nachlass (§ 2301 Abs. 2 BGB). Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Schenkung vollzogen wurde, ist damit insbesondere bei Zuwendungen bedeutsam, die aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt des Todes vorgenommen wurden. In der hier zu besprechenden Entscheidung ging es um eine solche Schenkung von Todes wegen.

Zum Sachverhalt

Der im Oktober 2002 verstorbene Verleger Dr. Siegfried Unseld hatte ein Jahr vor seinem Tod die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung als seine Alleinerbin eingesetzt. Der Erblasser war mehrheitlich u.a. an der Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG, der Insel Verlag GmbH & Co. KG sowie an der Suhrkamp Verlagsleitung GmbH beteiligt. Einer weiteren Stiftung, der gemeinnützigen Siegfried Unseld- Stiftung, räumte Unseld bereits im Oktober 2001 unentgeltlich Unterbeteiligungen in Höhe von jeweils 30 % seiner Gesellschaftsbeteiligungen ein. Der gemeinnützigen Stiftung wurden dabei neben dem schuldrechtlichen Anspruch auf Beteiligung am Gewinn der Hauptgesellschaften und einem Abfindungsanspruch auch mitgliedschaftliche Mitwirkungsrechte innerhalb der durch die Unterbeteiligungen begründeten bürgerlich-rechtlichen Innengesellschaften zwischen dem Erblasser als Hauptbeteiligten und der Stiftung als Unterbeteiligten eingeräumt. Zwischen Unselds zweiter Ehefrau und Unselds Sohn aus erster Ehe entstand nach dem Tode Siegfried Unselds Streit über die Höhe des Pflichtteilsanspruchs des übergangenen Sohnes. Der BGH hatte nun in dritter und letzter Instanz zu entscheiden, ob die Unterbeteiligungen an den Verlagsgesellschaften bereits mit Abschluss der darauf gerichteten Verträge im Oktober 2001 der Siegfried Unseld-Stiftung rechtswirksam eingeräumt waren, die Schenkung also schon zu Lebzeiten des Erblassers vollzogen wurde und die Unterbeteiligungen damit bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs außen vor zu lassen waren.

Entscheidungsgründe

Eine Unterbeteiligung ist das Pendant zur stillen Gesellschaft, unterscheidet sich aber dadurch, dass Vertragsbeziehungen des Unterbeteiligten nicht mit dem Träger des Unternehmens als solchem bestehen, sondern mit einem der Gesellschafter der unternehmenstragenden Gesellschaft. Die Unterbeteiligung ist also eine stille Beteiligung nicht an einer Gesellschaft, sondern an einem Gesellschaftsanteil (so treffend K. Schmidt, in: Münche- ner Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2012, § 230 Rdnr. 192). Das Verhältnis zwischen dem Hauptbeteiligten und dem Unterbeteiligten ist rechtlich als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB) in der Sonderform der Innengesellschaft zu qualifizieren. Typischerweise wird dem Unterbeteiligten nur eine schuldrechtliche Teilhabe an den Vermögensrechten des Gesellschaftsanteils des Hauptbeteiligten eingeräumt, ohne dass er eine dingliche Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen der Hauptgesellschaft selbst erwirbt. Der BGH nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass die unentgeltliche Zuwendung einer solch typischen Unterbeteiligung wie auch die Zuwendung einer typisch stillen Gesellschaftsbeteiligung aus Rechtsgründen nicht vollziehbar ist. Denn hier werde ein bloß schuldrechtlicher Anspruch zugewendet, worin keine Leistungsbewirkung, sondern lediglich der Austausch einer schuldrechtlichen Verpflichtung durch eine andere zu sehen sei. Vorliegend hat der Erblasser der gemeinnützigen Stiftung über die rein schuldrechtliche Position hinaus aber auch mitgliedschaftliche Mitwirkungsrechte an der Geschäftsführung der Innengesellschaft eingeräumt, nämlich Unterrichtungs-, Anhörungs- und Zustimmungsrechte. Laut BGH ist darin eine Leistungshandlung zu sehen, die die Annahme rechtfertige, die Einräumung einer solch atypischen Unterbeteiligung sei mit dem Abschluss des Beteiligungsvertrages vollzogen. Die Unterbeteiligungen sind damit nicht in den Nachlass Siegfried Unselds gefallen und bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des Beklagten folglich außen vor zu lassen.

Praxishinweise

Die Entscheidung zeigt, dass lebzeitige Vermögensübertragungen ein möglicher Weg sind, Risiken des Pflichtteilsrechts zu minimieren, dies allerdings nur, wenn sie frühzeitig erfolgen. Bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs des weichenden Erben Joachim Unseld konnte die Einbeziehung der Unterbeteiligungen durch die gewählte Nachfolgegestaltung zwar umgangen werden, nicht aber der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB. Der dürfte die Alleinerbin hier nicht weniger hart treffen, ist der Erbfall doch vor der Reform des Pflichtteilsrechts – und innerhalb von zehn Jahren nach Vollzug der Schenkung eingetreten– und die Schenkung daher in vollem Umfang in Ansatz zu bringen. Eine notariell beurkundete Pflichtteilsverzichtserklärung des weichenden Erben gegen Abfindung (bspw. lebzeitige Einräumung einer stillen Beteiligung) hätte retrospektiv für mehr Sicherheit gesorgt. Bedeutung erlangt die Entscheidung über die bloße Pflichtteilsproblematik hinaus auch für die Frage, in welcher Form ein Unterbeteiligungs- bzw. stiller Gesellschaftsvertrag zu schließen ist. Ein Schenkungsversprechen bedarf zu seiner Wirksamkeit grds. notarieller Beurkundung. Nimmt man an, die Schenkung der Beteiligung wird wie im vorliegenden Fall bereits mit Vertragsschluss vollzogen, so wird der Formmangel sogleich geheilt (§ 518 Abs. 2 BGB). Auch wenn damit auf eine notarielle Beurkundung atypischer, also mitgliedschaftliche Rechte vermittelnder, stiller Beteiligungsverträge an sich verzichtet werden könnte (entgegen BGH, WM 1967, 685), ist bis zu einer gerichtlichen Klärung auch weiterhin zu einer notariellen Beurkundung zu raten. Der BGH folgt mit seiner Entscheidung einem Urteil des BFH (NJW- RR 2008, 986), nach welchem die schenkweise Einräumung einer atypischen Unterbeteiligung gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG, 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG schenkungsteuerpflichtig ist, im Falle einer typischen Unterbeteiligung hingegen erst die laufenden Gewinnausschüttungen und Liquidationserlöse freigebige Zuwendungen i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG darstellen. Ob die bisherige Rechtsprechung, wonach eine unentgeltliche Zuwendung typisch stiller Beteiligungen aus Rechtsgründen nicht vollziehbar ist, grds. zu überdenken ist, ließ der BGH ausdrücklich offen. Das wäre schon aus steuerlicher Sicht zu begrüßen, denn nach jetzigem Stand ist die Schenkungsteuer bei der typischen Unterbeteiligung laufend auf die schon gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG der Einkommensteuer unterliegenden Gewinnanteile zu veranlagen.

Gemeinschaftliches Testament

Wechselbezügliche Verfügungen

Lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers bei Schenkungen zum Ausgleich tatsächlich erbrachter Betreuungsleistungen

Dr. Armin Weinand, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das Urteil gibt Anlass, auf die Bindungswirkungen bestimmter letztwilliger Verfügungen hinzuweisen. Die daraus resultierende (einseitige) Unabänderbarkeit früher vorgenommener Erbeinsetzungen entspricht bei geänderten Lebensumständen häufig nicht mehr dem Willen des Erblassers. Es wird dann versucht, durch Schenkungen zu Lebzeiten faktisch mindestens teilweise eine andere als die letztwillig verfügte Vermögenszuordnung zu erreichen und so die Position der Erben auszuhöhlen. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die vorliegende Entscheidung. Im Einzelnen: Den Erblasser bindende letztwillige Verfügungen können in zwei Konstellationen vorkommen. Zum einen beim Erbvertrag und zum anderen beim gemeinschaftlichen Testament (Ehegattentestament). In einem Erbvertrag bindet sich der Erblasser gegenüber dem Vertragspartner an die zu Gunsten des Letzteren oder eines diesem nahe stehenden Dritten getroffene Erbeinsetzung. Das bedeutet, dass er ohne die Zustimmung des Vertragspartners insoweit nicht mehr anderweitig letztwillig verfügen kann. Eine ähnliche Rechtswirkung kann sich nach dem Tode des ersten Ehegatten im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments ergeben. Liegen sog. wechselbezügliche Verfügungen im Sinne des § 2270 BGB vor, entfaltet eine solche Verfügung des länger lebenden Ehegatten nach dem Tod des anderen Ehegatten die gleiche Bindungswirkung wie beim Erbvertrag. Wechselbezüglichkeit ist dann gegeben, wenn nach dem Willen beider Ehepartner die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen gelten soll, also die betreffenden Anordnungen nur gemeinsam stehen und fallen sollen. Das klassische Beispiel für wechselbezügliche Verfügungen findet sich in der weit verbreiteten Struktur des sog. Berliner Testaments. Darin setzen sich die Ehegatten zunächst jeweils gegenseitig als Alleinerben ein und die gemeinsamen Kinder als Schlusserben des länger lebenden. In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass die besagten Bindungswirkungen aufgrund geänderter Lebensumstände vom Erblasser nicht mehr gewünscht oder nicht mehr sachgerecht sind. So kann die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten, die häufig im Rahmen eines Ehe- und Erbvertrages zu Beginn einer dann noch kinder- und „vermögenslosen“ Ehe vorgesehen worden ist, sich im fortgeschrittenen Alter erbschaftsteuerlich ungünstig auswirken oder bei nur noch auf dem Papier bestehender Ehe nicht mehr der Lebenswirklichkeit eines Ehegatten entsprechen. Entsprechendes gilt beim Ehegattentestament, wenn sich nach dem Tode des ersten Ehegatten die Lebensverhältnisse des länger lebenden über einen längeren Zeitraum hinweg grundlegend geändert oder sich die Beziehungen zu den gemeinsamen Kindern gravierend unterschiedlich entwickelt haben. Die beschriebenen Bindungswirkungen letztwilliger Verfügungen lassen indes das Recht eines jeden Erblassers, zu seinen Lebzeiten frei über sein Vermögen zu verfügen, grundsätzlich unberührt (§ 2286 BGB). Das bedeutet, dass der Vertragserbe bzw. Begünstigte einer bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügung (Schlusserbe) keinen Anspruch auf bestimmte Vermögenspositionen des Erblassers haben, sondern lediglich auf die ihnen durch die entsprechende letztwillige Verfügung eingeräumte Rechtsposition als Erbe. Als Korrektiv, um die letztwillig Bedachten vor einer willkürlichen faktischen Aushöhlung ihrer Position durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers zu schützen, dient die Kategorie des lebzeitigen Eigeninteresses: Gemäß § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe bzw. nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1976, 749) bei einem gemeinschaftlichen Testament der Schlusserbe von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertrags- bzw. Schlusserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat. Dieser Anspruch entsteht freilich erst nach dem Erbfall (nur in besonderen Ausnahmefällen kann die lebzeitige Unwirksamkeit einer Schenkung wegen Verstoßes gegen § 138 BGB in Betracht kommen), weshalb die daraus resultierenden Rechtstreitigkeiten zwischen den Hinterbliebenen meist langwierig und schwierig sind und nicht selten erbittert geführt werden. Dies sollte ein weitsichtiger Erblasser vermeiden, indem er die Spielräume, die die Rechtsprechung aufgezeigt hat und in denen sie keine Beeinträch- tigungsabsicht annehmen will, bei seinen lebzeitigen Verfügungen, ggf. aber auch schon bei der Errichtung seiner letztwilligen Verfügungen, berücksichtigt.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der BGH hat in diesem Zusammenhang nochmals klargestellt, dass für eine Beeinträchtigungsabsicht mit der Folge des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs gegen den Beschenkten erforderlich ist, dass „der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat“. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist demgegenüber anzunehmen, „wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerecht erscheint“ (BGHZ 77, 264, 266). Der BGH hat ein derartiges Interesse etwa angenommen, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und ggf. auch Pflege geht, auch wenn zu diesem Zweck die Bindung an die jüngere Ehefrau vertieft werden soll, oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, „er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will“. Auf einen für Erblasser mit unternehmerischem Vermögen äußerst bedeutsamen Grund für ein lebzeitiges Eigeninteresse ist an dieser Stelle noch hinzuweisen: Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg (v. 05.10.2010; 12 U 51/10) ist die Absicht, den Bestand eines Geschäftsbetriebs zu erhalten und das Unternehmen auf einen geeigneten Nachfolger zu übertragen, ein billigenswertes Eigeninteresse des Erblassers und schließt eine Benachteiligungsabsicht aus. Wichtig dürfte hierbei insgesamt die Feststellung sein, dass solche Rechtfertigungsgründe gerade auch entstehen können, (lange) nachdem die bindende letztwillige Verfügung getroffen worden ist. Das lebzeitige Eigeninteresse fehlt hingegen in der Regel, wenn der Erblasser die Schenkung aus bloßer Sympathie für den Beschenkten gemacht hat oder vermögensmäßige Ungleichbehandlungen, die durch die bindende Verfügung entstehen, ausgleichen wollte. Allerdings hat der BGH nochmals klargestellt, dass der Vertrags- bzw. Schlusserbe für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse beweispflichtig ist. Ggf. trifft jedoch den Beschenkten wiederum die Darlegungslast für die Motive des Erblassers bei der Schenkung (BGH NJW 1976, 749, 751). In dem vorliegenden Fall hatte die länger lebende Ehefrau, die in ihrem gemeinschaftlichen Testament mit ihrem vorverstorbenen Ehemann die beiden gemeinsamen Kinder als Schlusserben eingesetzt hatte, ihr Hausgrundstück zu Lebzeiten unentgeltlich an ihren Sohn übertragen. In dem notariellen Überlassungsvertrag war ausdrücklich bestimmt, dass Gegenleistungen, insbesondere die Vereinbarung von „Wart- und Pflegeleistungen“, nicht gewünscht werden. Zunächst setzte sich der BGH mit der für Ehegatten, deren jeweiliges Vermögen sich wertmäßig stark unterscheidet, interessanten Thematik auseinander, dass die Schlusserbeneinsetzung durch den vermögenderen Ehegatten nicht wechselbezüglich sein kann, weil der vermögende Ehegatte an seiner eigenen Erbeinsetzung durch den vermögenslosen Ehegatten häufig kein Interesse habe. Vielmehr könne er stattdessen eher seine Freiheit behalten wollen, wen er als Schlusserbe einsetzt (BGH NJW- RR 2012, 207 m.w.N.). Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass hier gleichwohl eine wechselbezügliche Einsetzung der Schlusserben vorlag, befasste es sich mit der Frage, ob die genannte Vertragsklausel, wonach keine Wart- und Pflegeleistungen gewünscht seien, das lebzeitige Eigeninteresse der Erblasserin ausschließt. Der BGH stellte klar, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse an einer Schenkung auch dann vorliegen kann, „wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen – etwa zur Betreuung im weiteren Sinne –übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will“. Im Falle einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung handele es sich hingegen bereits nicht mehr um eine Schenkung i.S.d. § 2287 Abs. 1 BGB. Der Beschenkte konnte detail- liert darlegen und beweisen, welche (umfangreichen) Hilfe- und Dienstleistungen er über die Jahre für seine Mutter erbracht hatte. Allerdings wies der BGH insoweit darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen vermag. Der Wert der Schenkung sei dann entsprechend den Grundsätzen, die für die gemischte Schenkung entwickelt wurden, (nur) insoweit auszugleichen, als er unter „umfassender Gesamtabwägung“ den Wert der tatsächlich erbrachten sowie der vom Erblasser noch erwarteten Leistungen des Beschenkten übersteigt.

Fazit

Stellt ein Erblasser fest, dass er aufgrund eines Erbvertrages oder eines gemeinschaftlichen Testaments in der Freiheit, seine letztwilligen Verfügungen zu ändern, gehindert ist, kann er andere Personen als die Vertrags- bzw. Schlusserben durch Schenkungen zu Lebzeiten begünstigen. Solche Schenkungen sind nach dem Tode des Erblassers seitens der Vertrags- bzw. Schlusserben nur dann unangreifbar, wenn ein lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers/Erblassers vorlag. Der Erblasser sollte sein Eigeninteresse im Rahmen der Schenkung dokumentieren, indem er zumindest seine Motive darstellt. Erwartet er vom Beschenkten (Gegen-) Leistungen, sollte der Beschenkte diese Leistungen dokumentieren, um sie (und deren Wert) im Zweifelsfall belegen zu können. Wird die faktisch erwartete Gegenleistung als rechtliche Verpflichtung des Beschenkten vertraglich gefasst, schließt der Wert der Gegenleistung die Annahme einer angreifbaren Schenkung mindestens insoweit aus. Bei der Errichtung eines Erbvertrages oder eines gemeinschaftlichen Testaments sollte sich der Erblasser von vornherein Spielräume für die Modifikation seiner letztwilligen Verfügung lassen. So kann sich der Erblasser im Erbvertrag das Recht vorbehalten, nach Belieben lebzeitige Verfügungen zu machen, ohne dass dadurch Ansprüche nach §§ 2288, 2287 BGB begründet werden (h.M., 5. MünchKomm/Musielak, BGB, 5. Aufl., § 2287 Rz. 24 m.w.N.). Im Rahmen der Ausgestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments können die Ehegatten bei der jeweiligen Schlusserbeneinsetzung zugunsten ihrer Kinder etwa vorsehen, dass der überlebende Ehegatte zwar keines der Kinder enterben, wohl aber deren Erbquoten untereinander in einem bestimmten Umfang abändern darf oder dritten Personen Vermächtnisse einräumen darf.

Bedingung und Zeitbestimmung

Publizitätswirkung der GmbH Gesellschafterliste – Kein gutgläubiger Zweiterwerb eines zuvor bereits aufschiebend bedingt abgetretenen GmbH-Geschäftsanteils

Dr. Sabine Funke, Rechtsanwältin und Notarin, Dr. Olaf Gerber, Rechtsanwalt und Notar

  1. Das Registergericht ist berechtigt, eine Gesellschafterliste zurückzuweisen, die entgegen §40 Abs. 1 Satz 1 , Abs. 2 Satz 1 GmbHG keine Veränderungen in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung ausweist, sondern solche nur ankündigt.
  1. Ein aufschiebend bedingt abgetretener Geschäftsanteil kann nicht nach § 161 3 BGB i.V.m. § 16 Abs. 3 GmbHG vor Bedingungseintritt von einem Zweiterwerber gutgläubig erworben werden.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Der vorstehend mit seinen amtlichen Leitsätzen wiedergegebene Beschluss des BGH nimmt zu einer der seit Reform des GmbHG durch das MoMiG in Schrifttum und obergerichtlicher Rechtsprechung umstrittensten Fragen im Zusammenhang mit der Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen Stellung. In der Vertragspraxis ist es zur Gewährleistung einer Zug- um-Zug Abwicklung üblich, die Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen aufschiebend durch den Eingang des Kaufpreises beim Veräußerer zu bedingen. Dadurch wird sichergestellt, dass der Veräußerer die Rechtsinhaberschaft an dem veräußerten Geschäftsanteil erst dann verliert, wenn er auch den vereinbarten Kaufpreis erhalten hat. Gleichzeitig ist der Erwerber gesetzlich geschützt, falls der Veräußerer den Geschäftsanteil bis zum Bedingungseintritt an einen Dritten veräußert. § 161 Abs. 1 BGB bestimmt nämlich, dass mit Bedingungseintritt (Kaufpreiszahlung) jede in der Zwischenzeit vorgenommene weitere Verfügung (Veräußerung, Belastung) unwirksam ist. Auf dieser Schutzwirkung des § 161 Abs. 1 BGB basiert auch die Absicherung des Treugebers bei Treuhandverträgen (aufschiebend auf die Beendigung des Treuhandvertrages bedingte Abtretung des Geschäftsanteils an den Treugeber) sowie des Übergebers bei vorweggenommener Erbfolge (bedingte Rückabtretung für den Fall der Ausübung vertraglich vereinbarter Widerrufsrechte). Durch die mit dem MoMiG erstmals eingeführte Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen ist fraglich geworden, ob sich durch die aufschiebend bedingte Abtretung allein die gewünschte Absicherung der Vertragsparteien weiterhin erreichen lässt. Denn die Sicherung des Ersterwerbers bei bedingter Abtretung versagt nach § 161 Abs. 3 BGB grundsätzlich gegenüber einem gutgläubigen Zweiterwerber. Die herrschende Meinung im Schrifttum hielt die aufschiebend bedingte Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen für einen Anwendungsfall des § 161 Abs. 3 BGB, da die Gesellschafterliste infolge der bedingten Abtretung unrichtig sei und daher ein gutgläubiger (Zweit-)Erwerb von dem nicht mehr berechtigten, aber weiterhin in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter in Betracht komme mit der Folge, dass der Ersterwerber bei Bedingungseintritt den Geschäftsanteil nicht erwerbe. Die Praxis hat hierauf reagiert und im Wesentlichen zwei Modelle zur Sicherung der Rechtsposition des Ersterwerbers entwickelt. Beim sog. Zwei-Listen-Modell wurde unmittelbar im Anschluss an die Beurkundung eine erste Gesellschafterliste eingereicht, die den mit Bedingungseintritt erfolgenden, zukünftigen Erwerb durch den Käufer durch einen entsprechenden Vermerk ankündigte, und eine zweite Liste nach Bedingungseintritt, d.h. nach erfolgter Abtretung. Beim Widerspruchsmodell bewilligte der Verkäufer die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Richtigkeit der Gesellschafterliste. Beide Varianten zielen darauf ab, die fehlende Berechtigung des Gesellschafters offenzulegen und so einen etwaigen guten Glauben auszuschließen. Nicht geeignet sind diese Sicherungsmittel allerdings bei Treuhandverträgen, bei denen typischerweise gerade keine Transparenz hinsichtlich des wirtschaftlich Berechtigten gewollt ist. Dem Sachverhalt des BGH Beschlusses lag das vorstehend beschriebene Zwei-Listen-Modell zugrunde. Das Registergericht hat die Aufnahme der unmittelbar nach der bedingten Abtretung eingereichten und mit entsprechendem Vermerk versehenen ersten Liste abgelehnt und wurde darin durch das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht bestätigt. Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde beim BGH.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der BGH hat die Entscheidungen des Registergerichts und des Oberlandesgerichts bestätigt und entschieden, dass das Registergericht berechtigt sei, eine Gesellschafterliste zurückzuweisen, die keine Veränderungen in der Person der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung ausweist, sondern nur ankündigt. Weiterhin hat der BGH entschieden, dass das in § 161 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommende Prioritätsprinzip, das den Ersterwerber nach einer bedingten Anteilsabtretung gegen einen Zweiterwerb schützt, durch die Einführung des gutgläubigen Erwerbs in § 16 Abs. 3 GmbH nicht außer Kraft gesetzt wurde. Ein vorrangiger Schutz des gutgläubigen Zweiterwerbers nach § 161 Abs. 3 BGB komme nur dann in Betracht, wenn nach den einschlägigen Vorschriften über den jeweiligen Verfügungsgegenstand der gute Glaube in die Verfügungsbefugnis geschützt sei. Bei GmbH- Geschäftsanteilen erstrecke sich der

Stiftung

Gutglaubensschutz der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 3 GmbHG aber nur auf den guten Glauben an die Rechtsinhaberschaft des eingetragenen Gesellschafters. Die Gesellschafterliste begründe dagegen keinen Vertrauenstatbestand für die Freiheit des Geschäftsanteils von Belastungen (Nießbrauch, Pfandrecht) oder dafür, dass der Gesellschafter gesellschaftsvertraglich in seiner Verfügungsmacht beschränkt ist. Für die Praxis bedeutet die Entscheidung ein erhebliches Maß an Rechtssicherheit. Da ein gutgläubiger Erwerb der Geschäftsanteile von demjenigen, der diese bereits aufschiebend bedingt übertragen hat, nicht möglich ist, bedarf es keiner weiteren Maßnahmen zur Sicherung des endgültigen Erwerbs durch den Käufer. Die damit einhergehende und dem gesetzgeberischen Plan, die Due Diligence Prüfung bei Anteilskäufern zu erleichtern zuwiderlaufende weitere Beschränkung der Reichweite des § 16 Abs. 3 GmbHG ist zugunsten dieses Zugewinns an Rechtssicherheit hinzunehmen. Entschieden hat der BGH ferner, dass es nicht im Belieben der Beteiligten steht, den Inhalt der von ihnen eingereichten Gesellschafterliste abweichend von den gesetzlichen Vorgaben um weitere, ihnen sinnvoll erscheinende Bestandteile zu ergänzen. Außer dem Tatbestand der erfolgten aufschiebend bedingten Abtretung können somit auch keine sonstigen Verfügungsbeschränkungen und wohl auch keine Belastungen (z.B. Pfandrechte) in die Gesellschafterliste aufgenommen werden. Hierzu hat das OLG München jüngst entschieden, dass das Registergericht berechtigt sei, eine Gesellschafterliste zurückzuweisen, die einen Testamentsvollstreckervermerk enthält, da die Gesellschafterliste gerade keinen Vertrauenstatbestand dafür begründe, dass der Gesellschafter in seiner Verfügungsmacht über den Geschäftsanteil beschränkt sei (OLG München, Beschl. v. 15.11.2011, 31 Wx 274/11).