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Scheidung der Ehe

Die Wertermittlung einer freiberuflichen Praxis für einen Zugewinnausgleich

Prof. Dr. Rainer Lorz, LL.M. Rechtsanwalt/Dr. Olivia Sarholz, Rechtsanwältin

a. Der Goodwill einer freiberuflichen Praxis ist als immaterieller Vermögenswert grundsätzlich in den Zugewinnausgleich einzubeziehen.

b. Bei der Bemessung eines solchen Goodwill ist im Rahmen der modifizierten Ertragswertmethode ein Unternehmerlohn abzusetzen, der sich an den individuellen Verhältnissen des Inhabers

c. Die stichtagsbezogene Bewertung einer Inhaberpraxis im Zugewinnausgleich setzt eine Verwertbarkeit der Praxis vor- Deswegen sind bereits bei der stichtagsbezogenen Bewertung dieses Endvermögens latente Ertragssteuern abzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob eine Veräußerung tatsächlich beabsichtigt ist.

d. Die Berücksichtigung eines Goodwills im Zugewinnausgleich verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot, weil er den am Stichtag vorhandenen immateriellen Vermögenswert unter Ausschluss der konkreten Arbeitsleistung des Inhabers betrifft, während der Unterhaltsanspruch auf der Arbeitsleistung des Inhabers und weiteren Vermögenserträgen

Problemstellung und praktische Bedeutung

Wird eine Ehe ohne Ehevertrag geschlossen, so gilt der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft mit der Folge der Entstehung eines Ausgleichsanspruchs im Scheidungsfall. Die während der Ehe erzielten Vermögenszuwächse bei- der Ehegatten werden miteinander verglichen und dem Ehepartner, der während der Ehe weniger Vermögen erwirtschaftet hat, steht ein Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns in Höhe der Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen den jeweiligen Vermögenszuwächsen zu. Die Problematik des Zugewinnausgleichs im unternehmerischen Bereich liegt in der Bewertung aller Vermögenspositionen zu Verkehrswerten und in der Ausgestaltung des Ausgleichsanspruchs als sofort fällige, in „cash“ zu erbringende Leistung begründet. Diese Ausgestaltung, die derjenigen der erbrechtlichen Pflichtteile enterbter Kinder entspricht, nimmt keine Rücksicht auf die konkrete Bindung des Vermögens im Unternehmen oder auf dessen eingeschränkte Fungibilität; äußerstenfalls kann der Scheidungsfall also auch die Notwendigkeit einer Veräußerung des unternehmerischen Vermögens mit sich bringen, um den Ausgleichsanspruch befriedigen zu können.

Mit der vorliegenden, zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Entscheidung beackert der BGH kein juristisches Neuland. Das Gericht setzt sich aber in detaillierter Form mit den Fragestellungen auseinander, die im Rahmen der Bewertung des Vermögens von Unternehmern und Freiberuflern für die Zwecke der Berechnung von Zugewinnausgleichs-und Pflichtteilsansprüchen immer eine Rolle spielen.

Konkret geht es darum, mit welchem Wert eine zahnärztliche Praxis bei der Ermittlung des Zugewinnausgleichs zu berücksichtigen ist, insbesondere, in welchem Umfang hierbei ein Goodwill anzusetzen ist, und inwieweit die latenten Ertragssteuerlasten als Abzugsposten zuzulassen sind, obwohl zu dem für die Bewertung maßgeblichen Stichtag eine Veräußerung der Praxis weder stattgefunden hatte noch beabsichtigt war.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Ausführlich geht der BGH vor allem auf die aufgeworfenen bewertungsrechtlichen Fragestellungen ein. Die Bewertung von Vermögensgegenständen für die Zwecke der Berechnung von Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüchen erfolgt mit dem Ziel, deren „objektiven Verkehrswert“ zum Stichtag zu ermitteln. Nachdem das Gesetz sich einer Aussage dazu enthält, wie dies zu erfolgen hat, ist es Aufgabe des „sachverständig beratenen“ Tatrichters, die richtige Bewertungsmethode sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden. Die Aufgabe des BGH als Revisionsgericht beschränkt sich hingegen auf die Überprüfung, ob die tatrichterliche Entscheidung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt oder auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.

Diese einleitenden Aussagen des Gerichts sind ebenso wohlbekannt wie die weitergehende Festlegung, dass die Anwendung des in der deutschen Bewertungspraxis ansonsten vorherrschenden Ertragswertverfahrens (vgl. Lorz in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 131 Rn. 69 m.w.N.) für die Bewertung einer freiberuflichen Praxis nicht sachgerecht ist, weil sich die hierfür erforderliche Ertragsprognose kaum von der Person des jeweiligen Inhabers trennen lässt. Anstelle dessen billigt der BGH den Ansatz des OLG Hamm als Vorinstanz, welches den Verkehrswert der fraglichen Zahnarztpraxis als Summe von Substanzwert und Goodwill ermittelt hatte. Während dem „materiellen“ Substanzwert in der Praxis meist eine untergeordnete Bedeutung zukommt, ist die sachgerechte Ermittlung des „immateriellen“ Goodwill, über den Faktoren wie Standort, Größe und Zusammensetzung von Mandanten- oder Patientenstamm, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren berücksichtigt werden, regelmäßig von umso größerer Bedeutung.

Als Basis für die Bemessung eines solchen Goodwill akzeptiert der BGH wie auch bereits in früheren Entscheidungen eine modifizierte Ertragswertmethode, die sich an den durchschnittlichen Erträgen orientiert und hiervon einen Unternehmerlohn absetzt, um auf diese Weise den persönlichen und nicht auf einen Übernehmer übertragbaren Einsatz des Inhabers adäquat zu berücksichtigen (ebenso bereits BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761; BGH FamRZ 1999, 361, 362; BGH FamRZ 1991, 43, 44). Von Bedeutung ist vor allem die Aussage des Gerichts, dass hierbei der pauschale Ansatz eines kalkulatorischen Unternehmerlohnes nicht in Betracht kommt, sondern eine Orientierung an den individuellen Verhältnissen und dem persönlichen Einsatz des jeweiligen Inhabers erforderlich ist. Mit dem Abzug eines nach den individuellen Verhältnissen konkret gerechtfertigten Unternehmerlohns wird zugleich der Zweck verfolgt, einen Verstoß gegen das sog. Doppelverwertungsverbot auszuschließen, wonach ein güterrechtlicher Ausgleich eines Vermögenswerts dann nicht in Betracht kommt, wenn die betreffende Vermögensposition bereits beim Unterhalt oder beim Versorgungsausgleich berücksichtigt wurde.

Für die Praxis bedeutsam sind vor allem aber auch die Ausführungen des Gerichts zu der Frage, inwieweit eine latente Ertragsteuerbelastung bei der Bewertung als Abzugsposten zuzulassen ist, auch wenn zum Bewertungsstichtag eine Veräußerung des zu bewertenden Betriebs- oder Praxisvermögens weder stattgefunden hatte noch beabsichtigt war. Eine solche Veräußerung hätte zur Folge, dass der hierbei entstehende Veräußerungsgewinn voll der Ertragsteuer unterliegt (vgl. § 16 Abs. 1, 2 EStG). Nur bei Steuerpflichtigen, die mindestens 55 Jahre alt sind, wird einmal im Leben ein ermäßigter Steuersatz von 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes als Begünstigung gewährt, allerdings beschränkt auf Gewinne bis 5 Mio. E. Bei (wesentlichen) Anteilen an Kapitalgesellschaften unterliegt der Veräußerungsgewinn dem Teileinkünfteverfahren, wird also zu 60 % der Besteuerung unterworfen (§ 3 Nr. 40 EStG).

Die Frage, inwieweit diese Steuerbelastung bei der Bewertung für Zwecke der Ermittlung von Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüchen zu berücksichtigen ist, scheint auf den ersten Blick durch das Stichtagsprinzip vorbestimmt. Hat bis zu dem jeweils maßgeblichen Stichtag keine Veräußerung stattgefunden, sind noch keine entsprechenden Steuerverbindlichkeiten begründet worden, so dass eine Berücksichtigung als Abzugsposten bei der Ermittlung der entsprechenden Ansprüche auszuscheiden scheint. Gerade im Bereich des Zugewinnausgleichs hat der BGH allerdings schon frühzeitig eine differenzierte Haltung eingenommen, indem er mit Urteil vom 24.10.1990 bei der Bewertung einer Arztpraxis für die Zwecke des Zugewinnausgleichs zwar die bis zum Bewertungsstichtag gedanklich entstandene, jedoch erst mit Ablauf des Kalenderjahres entstehende laufende Einkommensteuer unter Berufung auf das Stichtagsprinzip nicht zum Abzug zugelassen hat, wohl aber die latente Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn (BGH FamRZ 1991, 43, 48 = NJW 1991, 1547, 1551).

Nach dem BGH ist diese Berücksichtigung „gedachter Steuern“ eine Konsequenz der Bewertungsmethode: Soweit der Wert danach ermittelt wird, was bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, dürfe nicht außer Betracht bleiben, dass dem Verkäufer im Ergebnis nur der um die fraglichen Steuern verminderte Erlös verbleibt; insoweit würde es sich um „unvermeidbare Veräußerungskosten“ handeln, die bei der Bewertung stets zu berücksichtigen sein sollen.

Diese Sichtweise bestätigt der BGH in seiner jetzigen Entscheidung, in der er den Praxiswert auf der Grundlage einer fiktiven Veräußerung bestimmt. Da eine solche Veräußerung Steuern auslösen würde, seien diese bei der Ermittlung des Zugewinnausgleichsanspruchs als Abzugsposten im Endvermögen des ausgleichsverpflichteten Ehemannes zu berücksichtigen, ohne dass es auf die konkrete Absicht einer Veräußerung ankommen kann. Die Berücksichtigung latenter Steuern folge aus der Prämisse der Verwertbarkeit und sei somit auch eine Konsequenz der Bewertungsmethode. Andernfalls hätte die Ehefrau in Höhe der hälftigen latenten Ertragsteuer einen Zugewinnausgleichsanspruch, obwohl dieser Betrag im Falle der Veräußerung nicht dem Arzt verbleibt und daher auch seinem Vermögen nicht zuzurechnen ist. Dass es eventuell nie zu einer Veräußerung kommt, spielt hierbei keine Rolle.

Diese Sichtweise des BGH ist richtigerweise auch dann zugrunde zu legen, wenn es um die Bewertung von Unternehmen für Pflichtteilszwecke geht. In Ermangelung eindeutiger Rechtsprechung wird dort überwiegend noch danach differenziert, welches Verwertungsszenario die Basis der Bewertung bildet. Während ein Abzug latenter Ertragssteuern dann möglich sein soll, wenn das Unternehmen unter Ansatz von Substanz- oder Liquidationswerten bewertet wird, soll ein solcher Abzug ausscheiden, wenn die Bewertung nach der Ertragswertmethode vorgenommen wird, weil der Erbe das Unternehmen etwa fortführt (vgl. etwa Lange in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, § 2311 Rn. 41). Dies überzeugt aber nicht. Richtigerweise ist vielmehr auch im Pflichtteilsrecht davon auszugehen, dass latente Steuerlasten unabhängig davon zu berücksichtigen sind, welche Bewertungsmethode Anwendung finden. Da die latenten Steuern nicht als künftige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, sondern einen Faktor bei der Bewertung des Vermögensgegenstandes bilden, liegt auch kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip vor (ausf. Lorz, ZErb 2003, 302, 303; ebenso Haas in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2006, § 2311 Rn. 82 m.w.N. zu den vertretenen Auffassungen).

Aus Sicht der Gestaltungspraxis belegt die Entscheidung vor allem die Notwendigkeit, dem Liquiditätsabfluss, der im Scheidungsfall mit der Geltendmachung von Zugewinnausgleichsansprüchen verbunden ist, durch den Abschluss sachgerechter Eheverträge zu begegnen. Zu empfehlen ist hierbei eine interessengerechte Modifizierung der Zugewinngemeinschaft, etwa in der Weise, dass das unternehmerische oder freiberufliche Vermögen bei der Berechnung des Zugewinnausgleichsanspruchs unberücksichtigt bleibt oder streitvermeidende und liquiditätsschonende Vorgaben für dessen Bewertung gemacht werden. Gegenüber der auch heute noch häufig zu findenden Vereinbarung der Gütertrennung ist eine derart „modifizierte Zugewinngemeinschaft“ erbschaftsteuerlich regelmäßig von Vorteil, wird doch bei der Gütertrennung der Freibetrag in Höhe des fiktiven Zugewinnausgleichsanspruchs verschenkt, den der überlebende Ehegatte bei einer güterrechtlichen Abwicklung der Zugewinngemeinschaft als Ausgleichsforderung geltend machen könnte (vgl. § 5 Abs. 1 ErbStG; ausf. Lorz/ Kirchdörfer, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2011, Kap. 4 Rn. 66 f.).