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OLG Nürnberg, Urteil vom 20.12.2013, 12 U 49 / 13

I.

 

 

Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 20.12.2012, Az. 1 HK O 1608/12, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

 

 

II.

 

 

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

 

 

III.

 

 

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

 

 

Gründe

 

A.

 

Die vormals in einer Zwei-Personen-Aktiengesellschaft und in einer Zwei-Personen-Kommanditgesellschaft verbundenen Parteien streiten darüber, ob der Beklagte nach seinem Ausscheiden aus diesen Gesellschaften aufgrund einer sog. Russian-Roulette-Klausel verpflichtet ist, ein – erneut – erlangtes Vorstandsamt in der Aktiengesellschaft, in der der Kläger kein Mehrheitsaktionär mehr ist, wiederum niederzulegen.

 

1. Mit notarieller Urkunde vom 14.08.2002 (Anlage B1) gründeten beide Parteien die E… AG, deren Gegenstand der Betrieb eines Verlags sowie die Produktion, Veredelung und Veräußerung von Druckerzeugnissen mit (grafischen oder bildlichen) Motiven ist. Das Grundkapital der Gesellschaft betrug 150.000,00 EUR. Die Parteien hielten jeweils 75.000 Aktien und wurden beide jeweils Vorstände der Gesellschaft; daneben wurde M. G. weiterer Vorstand. Die E… AG wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Regensburg unter HRB … eingetragen.

 

Die Satzung dieser Aktiengesellschaft enthält in § 11 Abs. 2 eine als „chinesische Klausel“ bezeichnete Regelung, nach der für die Gründer gilt, dass jeder Gründer berechtigt ist, dem jeweils anderen Gründer seine sämtlichen Aktien unter Nennung eines bestimmten Preises zum Ankauf anzubieten; nimmt der Angebotsempfänger dieses Angebot nicht oder nicht rechtzeitig an, so ist der Angebotsempfänger seinerseits verpflichtet, seine sämtlichen Aktien an den Anbietenden unverzüglich zum gleichen Kaufpreis zu verkaufen und abzutreten. Auf die Satzung wird Bezug genommen (Anlage B1).

 

2. Mit notarieller Urkunde vom 22.12.2006 gründeten die Parteien die F… Verwaltungs GmbH. Gesellschafter waren beide Parteien mit Geschäftsanteilen von jeweils 12.500,00 EUR. Diese GmbH wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Regensburg unter HRB … eingetragen.

 

3. Mit weiterer notarieller Urkunde vom 22.12.2006 (Anlage K1) gründeten die F… Verwaltungs GmbH sowie beide Parteien eine Kommanditgesellschaft, die F… GmbH & Co. KG. Persönlich haftende Gesellschafterin wurde die F… Verwaltungs GmbH; beide Parteien übernahmen jeweils Kommanditanteile von je 1.000,00 EUR. Diese KG wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Regensburg unter HRA … eingetragen.

 

Beide Parteien haben sämtliche Aktien der E… AG als Einlage in die F… GmbH & Co. KG eingebracht. Diese wurde damit alleinige Aktionärin (Aktienbesitz von 100 %) der E… AG.

 

Der Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft enthält u.a. folgende Regelung:

 

㤠12 Chinesische Klausel

 

Solange ausschließlich die Herren A und C Kommanditisten sind, gilt folgendes:

 

Ein jeder Kommanditist ist berechtigt, dem anderen seinen Kommanditanteil unter Nennung eines bestimmten Preises zum Ankauf anzubieten; … Als Bindungsfrist für die Annahme sind 15 Monate vorzusehen. … Lehnt der Angebotsempfänger die Annahme ab oder äußert er sich nicht innerhalb von sechs Monaten nach Zugang des Angebots dazu gilt die Annahme als abgelehnt.

 

 

Nimmt der Angebotsempfänger nicht oder nicht rechtzeitig an, so ist er verpflichtet, seinen Kommanditanteil dem Anbietenden unverzüglich zum entsprechend gleichen Preis zu verkaufen und abzutreten. …

 

Der Anbietende ist zur unverzüglichen Annahme, Übernahme und Zahlung des bestimmten Preises verpflichtet; …

 

Mit Zahlung des Kaufpreises für den Anteil sind auch sämtliche weiteren Anstellungsverhältnisse des ausscheidenden Kommanditisten mit der E…-Gruppe (insbesondere als Vorstand der E… AG) ohne weitere Entschädigung aufgehoben, und zwar abweichend von etwa anders lautenden vertraglichen Vereinbarungen. Der ausscheidende Kommanditist ist verpflichtet, seine Ämter in der E…-Gruppe – insbesondere als Vorstand der AG – unverzüglich niederzulegen.“

 

4. 2010 erforderten wirtschaftliche Schwierigkeiten der E… AG die Zuführung neuen Kapitals. Am 24.08.2010 wurde eine diesbezügliche Vereinbarung mit Investoren über deren Eintritt als Aktionäre im Rahmen von Kapitalerhöhungen sowie über diesbezügliche Rahmenbedingungen geschlossen. Vorausgegangen war das am 21.07.2010 im Handelsregister eingetragene Ausscheiden des Klägers als Vorstand dieser Gesellschaft.

 

In der Folge wurde sukzessive das Grundkapital der Gesellschaft von ursprünglich 150.000,00 EUR erhöht, zunächst im September 2010 auf 225.300,00 EUR, dann im Februar 2012 auf 300.000,00 EUR, im Dezember 2012 auf 1.200.000,00 EUR und schließlich im Februar 2013 auf zuletzt 1.350.000,00 EUR. Die Kapitalerhöhungen wurden jeweils von Neuinvestoren übernommen, deren anteiliger Aktienbesitz sich von zunächst 33,3 % (September 2010) auf dann 50 % (Februar 2012) sowie zuletzt auf 56 % erhöhte. Parallel dazu reduzierte sich der anteilige Aktienbesitz der F… GmbH & Co. KG von ursprünglich 100 % auf zunächst 66,6 % (September 2010), dann auf 50 % (Februar 2012) sowie zuletzt auf 44 %.

 

5. Unter dem 24.02.2011 unterbreitete der Beklagte dem Kläger ein Angebot zum Ankauf seines Kommanditanteils an der F… GmbH & Co. KG zum Kaufpreis von 1,35 Mio. EUR gemäß § 12 des Gesellschaftsvertrags (Anlage K2). Der Kläger nahm dieses Angebot unter dem 27.02.2012 an.

 

In Vollzug dieses Kaufvertrags erfolgte mit notarieller Urkunde vom 29.03.2012 (Anlage K3) die Übertragung sowohl des Kommanditanteils des Beklagten an der A… GmbH & Co. KG als auch des Geschäftsanteils des Beklagten an der F… Verwaltungs GmbH jeweils durch den Beklagten auf den Kläger. Dieser wurde hierdurch alleiniger Gesellschafter der GmbH (die in der Folge in H… GmbH umfirmierte) sowie alleiniger Kommanditist der Kommanditgesellschaft (die in der Folge in A… GmbH & Co. KG umfirmierte).

 

6. Ebenfalls mit notarieller Urkunde vom 29.03.2012 erklärte der Beklagte die Niederlegung seines Amtes als Vorstand der E… AG und meldete dies zur Eintragung im Handelsregister an (Anlagen K4, K5); die Eintragung des Ausscheidens des Beklagten als Vorstand wurde am 20.06.2012 im Handelsregister der E… AG eingetragen (Anlage K0).

 

7. Am 05.06.2012 bestellte der Aufsichtsrat der E… AG den Beklagten erneut zum Vorstand dieser Gesellschaft. Der Beklagte war hiermit einverstanden; seine Neubestellung zum Vorstand wurde am 16.07.2012 im Handelsregister der E… AG eingetragen (Anlage K0).

 

8. Der Kläger, der bereits unter dem 06.03.2012 (Anlage B2) und 07.03.2012 (Anlage B3) mit dem Aufsichtsrat der E… AG (im Hinblick auf seine eigene Bestellung zum Vorstand) korrespondiert hatte, forderte den Beklagten mit Schreiben vom 16.07.2012 auf, ein weiteres Tätigwerden für die E… AG einzustellen (Anlage K6). Zugleich forderte der Kläger die E… AG auf, eine weitere Beschäftigung des Beklagten zu unterlassen (Anlage K7).

 

Der Kläger ist der Ansicht, aufgrund der – wirksamen – vertraglichen Vereinbarungen sei der Beklagte verpflichtet, sein Vorstandsamt in der E… AG erneut niederzulegen. Der Beklagte bestreitet eine derartige Verpflichtung.

 

9. Hinsichtlich des Sachverhalts und des jeweiligen Sachvorbringens wird ergänzend auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

 

Das Landgericht Regensburg hat mit diesem Urteil (Bl. 71ff. d. A.) der Klage vollumfänglich stattgegeben. Auf die Begründung des Urteils wird Bezug genommen.

 

Gegen dieses, ihm am 21.12.2012 zugestellte Urteil richtet sich die am 08.01.2013 beim Oberlandesgericht eingegangene und – nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – mit am 21.03.2013 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz begründete Berufung des Beklagten, die dessen erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren weiterverfolgt.

 

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt:

 

 

1.

 

 

Unter Abänderung des am 20.12.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Regensburg, Az. 1 HK O 1608/12, wird die Klage abgewiesen.

 

 

2.

 

 

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

 

 

3.

 

 

Für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen beantragen wir die Zurückverweisung des Rechtsstreits an eine andere Kammer des Landgerichts Regensburg.

 

 

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt:

 

 

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 20.12.2012 zu Az. 1 HK O 1608/12 wird zurück gewiesen.

 

In der Berufungsinstanz haben die Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

 

Der Senat hat keinen Beweis erhoben.

 

Im Übrigen wird hinsichtlich des beiderseitigen Parteivortrags auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

 

Die Rechtsausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 13.12.2013 wurden bei der Urteilsfassung berücksichtigt.

 

B.

 

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch gemäß § 12 letzter Abs. des Gesellschaftsvertrags der A… (F…) GmbH & Co. KG (Anlage K1) i.V.m. § 241 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB darauf, dass der Beklagte gegenüber dem Aufsichtsrat der E… AG die Erklärung abgibt, er lege sein Vorstandsamt mit sofortiger Wirkung nieder, besteht nicht.

 

I.

 

Der Kläger ist für diesen Anspruch aktiv legitimiert.

 

Das erstinstanzliche Bestreiten der Aktivlegitimation des Klägers seitens des Beklagten wird in der Berufung nicht mehr aufrechterhalten. Dieses Bestreiten ist auch nicht gerechtfertigt. Der Kläger macht als Partei des Gesellschaftsvertrags der KG Ansprüche aus diesem Vertrag gegen den Beklagten – ebenfalls Partei des Gesellschaftsvertrags der KG – geltend. Dass insoweit nur die KG selbst aktivlegitimiert wäre, wie erstinstanzlich behauptet, trifft nicht zu.

 

Im Übrigen hätte die KG den Kläger jedenfalls zur Geltendmachung der Klageansprüche ermächtigt (Anlage K8).

 

II.

 

Die von den Parteien als „chinesische Klausel“ bezeichnete Regelung ist wirksam.

 

1. Bei zweigliedrigen Personen- oder Kapitalgesellschaften mit identischer Gesellschaftsbeteiligung der beiden Gesellschafter besteht im Falle von Meinungsverschiedenheiten aufgrund der dann gegebenen Pattsituation die Gefahr einer Selbstblockade der Gesellschaftsorgane. Aus der anglo-amerikanischen Vertragspraxis her wurden zur Auflösung derartiger Blockaden („deadlock“) Vertragsklauseln der streitgegenständlichen Art entwickelt, die einen schnellen und radikalen Ausstieg eines der beiden Gesellschafter durch Übernahme von dessen Beteiligung durch den anderen Gesellschafter ermöglichen.

 

Derartige Klauseln des Inhalts, dass jeder Teil berechtigt ist, dem jeweils anderen Teil seine Gesellschaftsbeteiligung unter Nennung eines bestimmten Preises zum Ankauf anzubieten, und dass der Angebotsempfänger verpflichtet ist, bei Nichtannahme dieses Angebots seine Gesellschaftsbeteiligung an den Anbietenden unverzüglich zum gleichen Kaufpreis zu verkaufen und abzutreten, werden gemeinhin – im Hinblick auf die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs, insbesondere für den das Beendigungsverfahren initiierenden Teil – als „Russian-Roulette“-Klauseln bezeichnet. Hierzu gehören auch Varianten mit einer differenzierter ausgebildeten Preisfindungssystematik, etwa des Inhalts, dass jeder Teil berechtigt ist, dem jeweils anderen Teil den Ankauf von dessen Gesellschaftsbeteiligung zu einem bestimmten Preis anzubieten, und dass der Angebotsempfänger verpflichtet ist, bei Nichtannahme dieses Angebots seinerseits ein Gegenangebot für den Ankauf der Gesellschaftsbeteiligung des ersten Teils zu einem höheren Kaufpreis zu unterbreiten, das dieser nur bei Abgabe eines wiederum höheren Kaufangebots ablehnen darf usw.; derartige Klauseln werden als „Shoot-Out“-Klauseln oder als „Texan Shoot-Out“-Klauseln bezeichnet. Bei der Variante der „sizilianischen Eröffnung“ übergeben beide Teile gleichzeitig jeweils dem anderen ein (verdecktes) Angebot zum Ankauf von dessen Beteiligung, wobei das Angebot mit dem höheren Kaufpreis zum Tragen kommt (vgl. zum Ganzen: Schulte/Sieger, „Russian Roulette“ und „Texan Shoot Out“ – Zur Gestaltung von radikalen Ausstiegsklauseln in Gesellschaftsverträgen von Joint-Venture-Gesellschaften, NZG 2005, 24; Fleischer/Schneider, Zulässigkeit und Grenzen von Shoot-Out-Klauseln im Personengesellschafts- und GmbH-Recht, DB 2010, 2713; Niewiarra, Unternehmenskauf, 3. Aufl. Abschnitt III 3 a bb, Seite 105; Fett/Spiering, Handbuch Joint-Venture ,1. Aufl. Abschnitt 17.2.5 – 17.2.7, Seiten 419ff., Rn. 591ff.; Bachmann u.a., Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, § 3 Abschnitt D II, Seite 70).

 

2. Der Senat hält derartige Klauseln nicht per se für unwirksam.

 

Bei Russian-Roulette-Klauseln im vorgenannten Sinn kann es in Situationen mit wirtschaftlich unterschiedlich potenten Vertragsteilen zu Missbrauchsmöglichkeiten kommen, etwa wenn der finanzstärkere Teil ein Angebot zu einem strategischen Preis erklärt, von dem er weiß, dass der schwächere Teil diesen nicht zu leisten im Stande ist; gleiches kann gelten, wenn der Kauf oder Verkauf für einen Teil aus steuerlichen oder unternehmensstrategischen Gründen wirtschaftlich nicht zweckmäßig ist und der andere Teil dies weiß. Letzterer kann hier einen für ihn günstigen Preis für seinen bzw. den Gesellschaftsanteil des anderen Teils faktisch erzwingen (vgl. Fleischer/Schneider DB 2010, 2713, 2714f.; Fett/Spiering a.a.O. Rn. 598). Die Klausel eröffnet in derartigen Konstellationen letztlich die Möglichkeit, einen Gesellschafter gegen dessen Willen aus der Gesellschaft hinauszudrängen.

 

Unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit von Hinauskündigungsklauseln ist insoweit eine Prüfung geboten.

 

a) Gesellschaftsvertragliche Regelungen in Personengesellschaften, die einem Gesellschafter, einer Gruppe von Gesellschaftern oder der Gesellschaftermehrheit das Recht einräumen, einen Mitgesellschafter ohne sachlichen Grund aus der Gesellschaft auszuschließen (sog. „Hinauskündigungsklauseln“) sind grundsätzlich wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig (BGH, Urteil vom 20.01.1977 – II ZR 217/75, BGHZ 68, 212; Urteil vom 13.07.1981 – II ZR 56/80, BGHZ 81, 263; Urteil vom 09.07.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103; Urteil vom 19.09.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 – Mitarbeitermodell; Urteil vom 19.09.2005 – II ZR 173/04, BGHZ 164, 98 – Managermodell; Urteil vom 19.03.2007 – II ZR 300/05, NJW-RR 2007, 913; Urteil vom 07.05.2007 – II ZR 281/05, NJW-RR 2007, 1256). Maßgebliche Erwägung dafür ist, den von der Ausschließung oder Kündigung bedrohten Gesellschafter zu schützen, da das freie Kündigungsrecht des anderen Teils von ihm als Disziplinierungsmittel empfunden werden kann, so dass er aus Sorge, der Willkür des ausschließungsberechtigten Gesellschafters ausgeliefert zu sein, nicht frei von seinen Mitgliedschaftsrechten Gebrauch macht oder seinen Gesellschafterpflichten nicht nachkommt, sondern sich den Vorstellungen der anderen Seite beugt, da das Kündigungsrecht immer wie ein „Damoklesschwert“ über ihm schwebt (BGH a.a.O.).

 

Allerdings gilt der vorgenannte Grundsatz nicht ausnahmslos. Eine an keine Voraussetzung geknüpfte „Hinauskündigungsklausel“ oder eine vergleichbare schuldrechtliche Regelung ist wirksam, wenn sie wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist (BGH a.a.O.).

 

b) Soweit ersichtlich, werden Russian-Roulette-Klauseln weitgehend für wirksam erachtet.

 

Das OLG Wien hat die Aufnahme einer Shoot-Out-Klausel in einen GmbH-Gesellschaftsvertrag als wirksam angesehen, weil ihr „checks-and-balances“-Mechanismus einer Übervorteilung eines Gesellschafters entgegenwirke (OLG Wien, Urteil vom 20.04.2009, Az.: 28 R 53/09h; vgl. dazu auch Fantur, Deadlock-Vereinbarung im GmbH-Gesellschaftsvertrag, http://www.gmbhrecht.at/gmbh-anteile/dead-lock-gesellschaftsvertrag/). Das Appellationsgericht Paris hat eine solche Klausel ebenfalls gebilligt, weil sie keinen Sanktionscharakter aufweise und daher keine unwirksame Ausschlussklausel sei, sondern nur ein freiwillig zwischen den Parteien vereinbartes Ausstiegsverfahren beinhalte [Cour d’appel de Paris, RTDcom (revue trimestrielle de droit commercial) 2007, 169, 170].

 

Auch in der Literatur werden derartige Klauseln für wirksam erachtet (vgl. Schulte/Sieger NZG 2005, 24, 27ff.; Fleischer/Schneider DB 2010, 2713, 2715ff.; Niewiarra a.a.O. Seite 105; Fett/Spiering a.a.O. Rn. 599ff.).

 

c) Der Senat schließt sich dieser Bewertung jedenfalls für den Streitfall an. Anlass für ein richterliches Eingreifen könnte allenfalls dann bestehen, wenn einer der beiden Gesellschafter ein Erwerbsangebot von Anfang an nicht finanzieren kann und den für ihn nachteiligen Vollzugsmechanismus des Shoot-Out-Verfahrens deshalb tunlichst vermeiden muss (vgl. Fleischer/Schneider DB 2010, 2713, 2718; Bachmann u.a. a.a.O. Seite 70). Dass eine derartige Fallkonstellation auch im Streitfall vorgelegen hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Das grundsätzlich stets bestehende Missbrauchsrisiko rechtfertigt nicht das Eingreifen des Sittenwidrigkeitsverdikts; will sich eine Vertragspartei diesem Risiko nicht aussetzen, so darf sie sich nicht auf das Russian-Roulette-Verfahren einlassen. Jedenfalls ist aber aufgrund des mit einer Russian-Roulette-Klausel verfolgten berechtigten Zwecks – die Auflösung der Möglichkeit einer Selbstblockade der Gesellschaft durch zwei gleich hoch beteiligte Gesellschafter – die Verwendung einer derartigen Klausel sachlich gerechtfertigt.

 

3. Die im letzten Absatz der „chinesischen Klausel“ in § 12 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags der F… GmbH & Co. KG geregelte Beendigung der Anstellungsverhältnisse des ausscheidenden Gesellschafters und dessen Verpflichtung zur Niederlegung seiner diesbezüglichen Ämter ist gleichfalls wirksam.

 

a) Ein von der Berufung hierin gesehener Verstoßgegen § 84 AktG liegt nicht vor.

 

Die Berufung meint, die Klausel schränke den Aufsichtsrat in Auswahl und Bestellung der Person des Vorstands unzulässig ein, verstoße damit gegen § 84 AktG und sei deshalb unwirksam.

 

Die Bestellung eines Vorstandes geschieht in mehreren Teilschritten:

 

 

 

Zunächst ergeht ein Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG) des Aufsichtsrats über die Bestellung eines Vorstands (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG).

 

 

 

 

Anschließend erfolgt die Kundgabe dieses Beschlusses an das künftige Vorstandsmitglied

 

 

 

 

sowie die Erklärung des Einverständnisses des künftigen Vorstandsmitglieds

 

 

 

 

und die Kundgabe dieses Einverständnisses gegenüber dem Aufsichtsrat

 

 

 

 

 

 

(vgl. Hüffer, AktG 10. Aufl. § 84 Rn. 3).

 

 

Eine gesellschaftsvertragliche Verpflichtung des Beklagten, ein Vorstandsamt niederzulegen bzw. nicht anzunehmen, würde den Aufsichtsrat nicht an einer (erneuten) Bestellung hindern, sondern allenfalls den Beklagten daran, sein Einverständnis hiermit zu erklären. § 84 AktG ist damit nicht tangiert.

 

b) Auch eine von der Berufung gerügte Nichtigkeit dieser Klausel wegen Nichtgewährung einer Karenzentschädigung besteht nicht.

 

Die Berufung meint, die Klausel verpflichte den Beklagten dazu, eine Vorstandstätigkeit für die E… AG zukünftig dauernd zu unterlassen; eine entsprechende Regelung sei wie bei einem Wettbewerbsverbot nur bei Gewährung einer Karenzentschädigung zulässig. Da die Klausel eine solche Entschädigung nicht vorsehe, sei sie unwirksam.

 

Ein vertragliches oder nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann bei unterbliebener Vereinbarung einer Karenzentschädigung unwirksam sein, etwa bei kaufmännischen Angestellten (§ 74 Abs. 2 HGB), für wirtschaftlich abhängige freie Mitarbeiter (Subunternehmer) (§ 74 Abs. 2 HGB analog, vgl. BGH, Urteil vom 10.04.2003 – III ZR 196/02, NJW 2003, 1864) oder im Handelsvertreterverhältnis (§ 90a HGB). Zwischen Gesellschaftern einer oHG oder KG ist ein solches Verbot während der Vertragszeit von § 112 HGB gedeckt; ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot muss indes ausdrücklich in den Grenzen von GWB und § 138 BGB vereinbart werden (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 35. Aufl. § 112 Rn. 14, 17).

 

Ein Wettbewerbsverbot – das wegen Nichtvereinbarung einer Entschädigung unwirksam sein könnte – liegt hier bereits nicht vor. Die betreffende Klausel regelt kein Wettbewerbsverbot des Beklagten; dieser kann insbesondere auch Vorstand von zur E… AG im Wettbewerb stehenden Unternehmen werden oder sonst Konkurrenz betreiben.

 

c) Auch eine Unwirksamkeit der Klausel wegen Beeinträchtigung der Berufsfreiheit gemäß § 138 BGB, Art. 2, 12 GG scheidet aus.

 

Die Berufung meint, die Klausel verpflichte den Beklagten dazu, eine Vorstandstätigkeit für die E… AG zukünftig dauernd zu unterlassen; eine entsprechende Regelung stelle eine sittenwidrige Beeinträchtigung seiner Berufsfreiheit dar und sei deshalb unwirksam.

 

Die Berufsausübungsfreiheit des Beklagten ist durch die Klausel jedoch nicht verletzt, da der Beklagte in seinem Beruf weiterhin arbeiten kann (nur nicht bei seinem bisherigen Arbeitgeber E… AG).

 

III.

 

Letztlich kann die Wirksamkeit der „chinesischen Klausel“ jedoch dahinstehen. Wäre diese unwirksam, so könnten die klagegegenständlichen Ansprüche hieraus nicht hergeleitet werden. Aber selbst im Falle der Wirksamkeit der Vertragsklausel wären im Rahmen der Auslegung die klagegegenständlichen Ansprüche hieraus nicht abzuleiten.

 

1. Im Unterschied zu einer Beweiswürdigung hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Auslegung einer Individualvereinbarung gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO – auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen – in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob die Auslegung überzeugt. Hält das Berufungsgericht die erstinstanzliche Auslegung lediglich für eine zwar vertretbare, letztlich aber – bei Abwägung aller Gesichtspunkte – nicht für eine sachlich überzeugende Auslegung, so hat es selbst die Auslegung vorzunehmen, die es als Grundlage einer sachgerechten Entscheidung des Einzelfalles für geboten hält (BGH, Urteil vom 14.07.2004 – VIII ZR 164/03, BGHZ 160, 83).

 

2. Ein direktes Eingreifen von § 12 letzter Abs. des Gesellschaftsvertrags der KG kommt im Streitfall nicht in Betracht. Der Beklagte hat, wie in dieser Klausel vereinbart, seine Ämter (insbesondere das Amt des Vorstandes der E… AG) unverzüglich niedergelegt; dies wurde in der Folge auch im Handelsregister der Aktiengesellschaft eingetragen.

 

Aufgrund der Formulierung im ersten Satz der Klausel „Solange ausschließlich die Herren A… und C… Kommanditisten sind, gilt folgendes:“ scheidet auch ein direktes Eingreifen der Klausel nach erneuter Bestellung des Beklagten zum Vorstand der E… AG aus; zum Zeitpunkt der erneuten Bestellung war der Beklagte nicht mehr Kommanditist der F… GmbH & Co. KG.

 

3. Die Parteien streiten darüber, ob ein Eingreifen der Vertragsklausel im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung anzunehmen ist.

 

a) Eine ergänzende Vertragsauslegung ist dann geboten, wenn die Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist. Eine solche Regelungslücke liegt vor, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn bewusst offen gelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und wenn sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre. Hingegen darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht herangezogen werden, um einem Vertrag aus Billigkeitsgründen einen zusätzlichen Regelungsgehalt zu verschaffen, den die Parteien objektiv nicht vereinbaren wollten (BGH, Urteil vom 15.11.2012 – VII ZR 99/10, NJW 2013, 678; Urteil vom 17.01.2007 – VIII ZR 171/06, BGHZ 170, 311; Urteil vom 02.07.2004 – V ZR 209/03, NJW-RR 2005, 205; Urteil vom 13.02.2004 – V ZR 225/03, NJW 2004, 1873; Urteil vom 17.04.2002 – VIII ZR 297/01, NJW 2002, 2310; Urteil vom 21.09.1994 – XII ZR 77/93, BGHZ 127, 138).

 

Die Parteien haben zudem in § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags der KG (Anlage K1) geregelt, dass, wenn bei Durchführung des Vertrages eine ergänzungsbedürftige Lücke offenbar wird, insoweit ergänzende Vereinbarungen zu treffen sind, die soweit wie möglich einen gleichartigen Erfolg herbeiführen.

 

b) Bei der Auslegung von Gesellschaftsverträgen sind unterschiedliche Kriterien maßgebend, je nachdem ob es sich bei den auszulegenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages um individualrechtliche Bestimmungen oder um sogenannte körperschaftliche Bestimmungen handelt. Für (im Bereich von Personengesellschaften getroffene) individualrechtliche Bestimmungen besitzen die §§ 133 und 157 BGB uneingeschränkte Gültigkeit, wohingegen (im Bereich von Kapitalgesellschaften wie etwa der E… AG oder bei Publikums-Personengesellschaften) bei allen körperschaftlichen Bestimmungen eine normenähnliche Auslegung geboten ist (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 35. Aufl. § 105 Rn. 59, Anh § 177a Rn. 67; Scholz/Emmerich, GmbHG, 11. Aufl. § 2 Rn. 33ff. m.w.N.). Gesellschaftsvertragliche Regelungen körperschaftsrechtlicher Art haben nach den Grundsätzen der sogenannten objektiven Satzungsauslegung zu erfolgen. Zu den körperschaftlichen Bestimmungen rechnen die grundsätzlichen Regelungen über die Beziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft, Bestimmungen über die Abfindung beim Ausscheiden sowie auch über die Veräußerung, Übertragung und Vererbung von Geschäftsanteilen. Bei der Auslegung dieser körperschaftlichen Bestimmungen nach den Grundsätzen der sogenannten objektiven Satzungsauslegung haben alle Umstände außer Betracht zu bleiben, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und damit nicht allgemein erkennbar sind, wie etwa die Entstehungsgeschichte des Gesellschaftsvertrages sowie die Vorstellungen, Absichten und Äußerungen von Personen, die an der Abfassung des Gesellschaftsvertrages mitgewirkt haben. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Gesellschaftsvertrag einer Kapitalgesellschaft oder Publikums-Personengesellschaft mindestens, soweit er körperschaftsrechtliche Angelegenheiten behandelt, für einen unbestimmten Personenkreis, insbesondere für die Gläubiger und künftigen Gesellschafter, bestimmt ist (BGH, Urteil vom 09.06.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25; Urteil vom 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94; Urteil vom 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359; Urteil vom 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347; Urteil vom 17.02.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364; OLG Hamm NZG 2000, 433 [OLG Hamm 20.09.1999 – 8 U 12/99]; vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129).

 

c) Ob der Gesellschaftsvertrag eine im Wege der ergänzenden Auslegung zu füllende Lücke aufweist, ist zwischen den Parteien streitig. Die Berufung bestreitet eine Regelungslücke, da nach Ausscheiden des Beklagten aus der KG und deren Geschäftsführungs-GmbH keine Pattsituation der Gesellschafter mehr bestehe, der Beklagte auch nicht mehr Aktionär der E… AG sei. Die Berufungserwiderung bejaht dagegen eine solche Lücke, da die beabsichtigte vollständige Lösung der Gesellschafter voneinander gewollt gewesen sei, bei der Konstellation des Streitfalls sonst aber nicht erzielt werden könne.

 

Der Senat geht vom Bestehen einer Regelungslücke aus, so dass eine ergänzende Vertragsauslegung grundsätzlich möglich erscheint.

 

d) Diese ergänzende Auslegung führt indes beim Ansatz der oben genannten Auslegungsmaßstäbe nicht zu dem Ergebnis, dass im Streitfall ein Anspruch des Klägers dahingehend besteht, dass der Beklagte sein (erneutes) Vorstandsamt der E… AG niederlegt.

 

aa) Die Auslegung hat im systematischen und historischen Kontext zu erfolgen, insbesondere unter Berücksichtigung der weiteren Regelung einer „chinesischen Klausel“ in § 11 Abs. 2 der Satzung der E… AG (Anlage B1). Diese ausdrücklich auf die „Gründer“ – also die beiden Parteien – beschränkte Klausel hatte Sinn, solange die Parteien noch selbst Aktionäre der E… AG waren (bevor sie ihre Aktien in die Kommanditgesellschaft einbrachten). Diese Klausel enthielt indes keine Verpflichtung, mit dem Ausscheiden als Aktionär zugleich auch dem Amt als Vorstandsmitglied dauerhaft zu entsagen. Die Satzung der E… AG enthält insoweit lediglich ein auf 2 Jahre befristetes nachvertragliches Wettbewerbsverbot (§ 12 Abs. 2).

 

bb) Die in der Satzung der E… AG vorausgesetzte Pattsituation hat zudem spätestens dann geendet, als zusätzlich zu den Parteien (bzw. der Kommanditgesellschaft, in die diese ihren Aktienbesitz eingebracht haben) weitere Aktionäre „ins Boot geholt wurden“.

 

cc) Die Verhinderung bzw. Auflösung einer Pattsituation bedingt nicht die Niederlegung des Vorstandsamtes des Beklagten. Eine Pattsituation besteht nicht mehr, nachdem der Beklagte kein Gesellschafter der Kommanditgesellschaft wie auch deren Komplementär-GmbH mehr ist und selbst auch keine Aktien mehr hält (weder unmittelbar noch mittelbar über die KG). In diesem Sinne ist es vielmehr zu einer vollständigen Lösung der Parteien voneinander gekommen.

 

dd) Die Aufhebung sämtlicher weiterer Anstellungsverhältnisse des Beklagten mit der E… Gruppe „ohne weitere Entschädigung“ gemäß § 12 Abs. 2 der Klausel bezweckt zum einen Klarheit über den Status dieser Verhältnisse, zum anderen einen abschließende finanzielle Regelung dieser Verhältnisse. Grundsätzlich ist im Verhältnis des Vorstandsmitglieds zur Aktiengesellschaft die korporationsrechtliche Ebene (Bestellung bzw. Abberufung) und die schuldvertragliche Ebene (Abschluss bzw. Beendigung des Anstellungsvertrags) zu unterscheiden (wie in § 84 Abs. 1 Sätze 1 und 5, Abs. 3 Sätze 1 und 5 zum Ausdruck gebracht) (Hüffer, AktG 10. Aufl. § 84 Rn. 2). Die Niederlegung des Vorstandsamtes führt zwar zur Beendigung der Organstellung, nicht zwingend indes auch zur sofortigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses (vgl. Hüffer a.a.O. Rn. 36). Selbst wenn die Erklärung der Amtsniederlegung als (konkludente) Kündigung auch des Anstellungsvertrags ausgelegt würde, können insoweit, etwa unter Berücksichtigung von Kündigungsfristen, weitere Gehaltsansprüche bestehen. Durch die vertragliche Vereinbarung einer Aufhebung sämtlicher weiterer Anstellungsverhältnisse des Beklagten mit der E… Gruppe „ohne weitere Entschädigung“ ist klargestellt, dass auch das Anstellungsverhältnis sofort geendet hat und insoweit keine Ansprüche mehr bestehen.

 

Die vorgenannten Zwecke sind mit Niederlegung des Vorstandsamtes des Beklagten am 29.03.2012 erfüllt. Die nachträgliche erneute Begründung der Organstellung als Vorstand (sowie ggf. der erneute Abschluss eines entsprechenden Anstellungsvertrags) stehen dem nicht entgegen.

 

ee) Der Kläger sieht den Sinn der Vertragsklausel weitergehend darin, zu verhindern, dass der ausgeschiedene Gesellschafter – durch seinen Verbleib im Vorstandsamt – „direkt oder indirekt auf das Vermögen des noch verbleibenden Gesellschafters durch Maßnahmen der Geschäftsführung Einfluss nehmen kann“.

 

Die Rechtsstellung des Klägers wird jedoch von dem Umstand, ob der Beklagte Vorstand der E… AG ist oder nicht, nicht tangiert. Diesbezügliche wirtschaftliche Interessen des Klägers vermag der Senat nicht zu erkennen, da die E… AG weitere Vorstände hat (M.G.) und da der Kläger seine eigene Bestellung zum Vorstand mit der Klage nicht herbeiführen kann, vielmehr die Entscheidung des hierfür zuständigen Gremiums – des Aufsichtsrats – akzeptieren muss. Da der Kläger selbst nur mittelbarer Aktionär (über die Kommanditgesellschaft) ist und diese nicht die erforderliche Aktienmehrheit hält, bestehen hierfür in der Sache auch keine ausreichenden Einwirkungsmöglichkeiten des Klägers.

 

Die streitgegenständliche Klausel ist nur sinnvoll, solange die Parteien (bzw. die KG) alleinige Aktionärin der E… AG ist (oder zumindest Mehrheitsaktionärin). Dies folgt auch aus der Passage „Solange ausschließlich die Herren A… und C… Kommanditisten sind, gilt folgendes:“ in § 12 des Gesellschaftsvertrags der KG. Gerade in dieser Situation, dass lediglich beide Parteien Kommanditisten (bzw. zuvor Aktionäre der E… AG) sind, bestand eine Pattsituation und eine daraus herrührende Gefahr der gegenseitigen Blockade. Zum Zeitpunkt seiner erneuten Bestellung zum Vorstand der E… AG war der Beklagte jedoch weder an der E… AG noch an der F… GmbH & Co. KG noch an deren Komplementärin noch beteiligt. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt alleiniger Gesellschafter der letztgenannten Gesellschaften und über diese mittelbar Aktionär der E… AG. Insoweit bestand jedoch keine Mehrheitsbeteiligung mehr, da die als Investoren beteiligten weiteren Aktionäre bereits Aktien im Umfang von 50 % besaßen (und mittlerweile auch die Aktienmehrheit erlangt haben). Eine Notwendigkeit eines erneuten Ausscheidens des Beklagten aus dem Vorstandsamt der E… AG besteht in dieser Situation nicht mehr, da nunmehr keine Pattsituation und keine daraus herrührende Gefahr der gegenseitigen Blockade zwischen den Parteien mehr besteht.

 

Nicht gewollt sein kann, dass der Beklagte nie mehr Vorstand der E… AG werden kann, solange der Kläger unmittelbar oder mittelbar auch nur noch eine einzige Aktie hält, oder gar auf Lebzeiten des Beklagten oder des Klägers.

 

ff) Eine Auslegung im vom Landgericht getroffenen Sinne dahingehend, dass der Beklagte auch bei erneuter Bestellung zum Vorstand der E… AG dieses Amt nicht antreten darf bzw. wieder niederlegen muss, ist deshalb – auch unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Umgehung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen – nicht gerechtfertigt.

 

Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die Klage mangels Bestehen eines Klageanspruchs als unbegründet.

 

IV.

 

1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

20.12.2013, 12 U 49 / 13
Fundstelle
FuS Ausgabe 3 /2014, S. 125
 
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LG München I, Urteil vom 10.12.2013, 5 HK O 1387 / 10

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 15.000.000,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.9.2010 zu bezahlen.

 

II. Die Klägerin wird verurteilt, dem Beklagten 8442 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2003/2004 und 8146 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2004/2005 zu übertragen sowie an den Beklagten € 134.599,60 und weitere € 49.764,– zu zahlen Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages von € 15.000.000,–.

 

III. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

 

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/14, der Beklagte 13/14.

 

V. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Das Urteil ist für den Beklagten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 1.500.000,–.

 

VI. Der Streitwert wird auf € 16.293.864,– festgesetzt.

 

Tatbestand

1

Die Parteien streiten mittels offener Teilklage und Widerklage um das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Klägerin sowie Vergütungsansprüchen des Beklagten aus dessen Tätigkeit als Vorstand der Klägerin.

 

I.

 

2

1. Der Beklagte begann seine Tätigkeit bei der Klägerin – einem weltweit tätigen Unternehmen mit rund 400.000 Mitarbeitern und Aktivitäten in den Gebieten Industrie, Energie- und Gebäudetechnik, dessen Aktien unter anderem an der Frankfurter Wertpapierbörse und seit März 2001 auch an der New York Stock Exchange notiert sind – im Jahr 1989 und wurde in der Folgezeit stellvertretender Leiter der Zentralabteilung Finanzen sowie stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Klägerin. Mit Wirkung zum Februar 1998 rückte er zum Leiter der Zentralabteilung Corporate Finance auf und wurde damit zugleich ordentliches Vorstandsmitglied der Klägerin sowie Mitglied des Zentralvorstandes, aus dem er im April 2006 ausschied.

 

3

Der Gesamtvorstand der Klägerin nahm nach § 5 Ziff. 1 der Geschäftsordnung des Vorstandes die nach dem Aktiengesetz festgelegten Rechte und Pflichten des Vorstandes wahr. Er entwickelte die strategische Ausrichtung des Unternehmens und sorgte für ihre Umsetzung. Zudem hatte er nach § 2 Ziff. 2 der Geschäftsordnung die Aufgabe, für ein angemessenes Risikomanagement und -controlling Sorge zu tragen. Die übrigen nicht durch Gesetz oder Satzung dem Gesamtvorstand zugewiesenen Aufgaben nahm der Zentralvorstand der Klägerin aufgrund von § 5 Ziff. 2 der Geschäftsordnung wahr. Dabei war der Zentralvorstand der Klägerin ein Ausschuss des Gesamtvorstandes; er hatte die Aufgabe, das in den Geschäftsbereichen der Klägerin geführte operative Geschäft zu überwachen. Ihm gehörten neben dem Vorstandsvorsitzenden und den Leitern der Zentralabteilungen Finanzen und Personal weitere Vorstandsmitglieder an, die mit Zustimmung des Aufsichtsrats vom Vorstand gewählt wurden. Mitglieder des Gesamtvorstandes, die nicht zugleich auch Mitglied des Zentralvorstandes waren, wurden innerhalb der Klägerin auch als „stellvertretende Vorstände“ bezeichnet. Den einzelnen Zentralvorständen waren nach § 10 Ziff. 1 der Geschäftsordnung einzelne Geschäftsbereich sowie bestimmte Regionen der Welt zur Betreuung zugeordnet. Die Zentralabteilungen der Klägerin wurden entweder von Zentralvorständen selbst geführt oder wurden ihnen zur Überwachung zugewiesen. Die Geschäftsbereiche der Klägerin waren eigenständige unternehmerische Einheiten, die von sogenannten Bereichsvorständen geleitet wurden, die im Rahmen der Unternehmenspolitik und der Geschäftspolitik der Klägerin selbständig handelten. Den Bereichsvorständen kam indes keine Organeigenschaft im aktienrechtlichen Sinne zu; sie unterlagen der Überwachung durch den Zentralvorstand und hatten diesem gemäß § 10 Ziff. 2 der Geschäftsordnung zu berichten.

 

4

Die vom Beklagten geführte Zentralabteilung Finanzen umfasste die Hauptabteilung Treasury (zuständig für das Disponieren und Anlegen der vorhandenen oder zufließenden finanziellen Mittel sowie die Sicherung finanzieller Risiken), das Reporting sowie die Rechtsabteilung. Zusätzlich gehörte zur Zuständigkeit des Beklagten im Zentralvorstand die Betreuung der S…Financial Services und der S…Real Estate.

 

5

Der Vorstandsdienstvertrag des Beklagten mit der Klägerin in der Fassung des Briefs vom 5.12.2003 (Anlage K 2) enthielt u. a. folgende Bestimmungen:

 

6

„2. Bezüge

 

7

 

8

2.2 Aktienorientierte Vergütung

 

9

Neben den Bezügen gemäß Ziffer 2.1 werden Ihnen nach Ablauf eines Geschäftsjahres eine bestimmte Anzahl von Bezugsrechten auf Aktien aus dem Aktienoptionsplan der Gesellschaft zugeteilt sowie eine bestimmte Anzahl an Aktien der Gesellschaft gewährt, die Ihnen nach Ablauf von vier Jahren übertragen werden („Restricted Stocks“).

 

10

Die Gesellschaft behält sich vor, bei der Ausübung der Bezugsrechte anstelle der Auslieferung von Aktien einen Barausgleich vorzunehmen.

 

11

…“

 

12

Für das Geschäftsjahr 2003/2004 stand dem Kläger ein Anspruch auf die Lieferung von 8.442 Aktien der Klägerin als Bonus zu; für das Geschäftsjahr 2004/2005 belief sich der Bonus auf 8.146 Aktien. Die Dividendenzahlungen der Klägerin an ihre Aktionäre beliefen sich entsprechend der Beschlüsse der jeweiligen Hauptversammlung für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 auf jeweils € 1,60, für das Geschäftsjahr 2010 auf € 2,70 sowie für die Geschäftsjahre 2011 und 2011 auf jeweils € 3,–. Mit Schreiben ihres Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn Dr. … C…, vom 12.11.2008 (Anlage W 1) und vom 12.11.2009 (Anlage W 3) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Aktien geltend.

 

13

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieser Schreiben sowie des Inhalts des Vorstandsdienstvertrages mit seinen Abänderungen wird in vollem Umfang auf die Anlage W 1 und W 3 sowie K 3 Bezug genommen.

 

14

Die Klägerin gab mit ihren Business Conduct Guidelines vom 5.2.2001 (Anlage K 1), die Gegenstand auch des Vorstandsdienstvertrages waren, verbindliche Regeln vor, die helfen sollten, ethische und rechtliche Herausforderungen bei der täglichen Arbeit zu bewältigen. Diese Richtlinien enthielten u. a. folgendeRegelungen:

 

15

„A. Grundsätzliche Verhaltensanforderungen

 

16

A 1. Gesetzestreues Verhalten

 

17

Die Beachtung von Gesetz und Recht ist für unser Unternehmen oberstes Gebot. Jeder Mitarbeiter hat die gesetzlichen Vorschriften derjenigen Rechtsordnung zu beachten, in deren Rahmen er handelt. Gesetzesverstöße müssen unter allen Umständen vermieden werden, insbesondere Verstöße, die mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Geldbuße geahndet werden.

 

18

Jeder Mitarbeiter muss im Falle eines Verstoßes – unabhängig von den im Gesetz vorgesehenen Sanktionen – wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen.

 

19

 

20

A 4. Führung, Verantwortung und Aufsicht

 

21

Jede Führungskraft trägt die Verantwortung für die ihr anvertrauten Mitarbeiter. Sie muss sich deren Anerkennung durch vorbildliches persönliches Verhalten, Leistung, Offenheit und soziale Kompetenz erwerben. Sie setzt klare, ehrgeizige und realistische Ziele, führt durch Vertrauen und räumt den Mitarbeitern so viel Eigenverantwortung und Freiraum wie möglich ein. Sie ist für die Mitarbeiter auch bei beruflichen und persönlichen Sorgen ansprechbar.

 

22

Jede Führungskraft hat Organisations- und Aufsichtspflichten zu erfüllen.

 

23

Sie ist dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich keine Gesetzesverstöße geschehen, die durch gehörige Aufsicht hätten verhindert oder erschwert werden können. Auch bei Delegation einzelner Aufgaben behält sie die Verantwortung.

 

24

Im Einzelnen gilt folgendes:

 

25

1. Die Führungskraft muss die Mitarbeiter nach persönlicher und fachlicher Eignung sorgfältig auswählen. Die Sorgfaltspflicht steigt mit der Bedeutung der Aufgabe, die der Mitarbeiter wahrzunehmen hat (Auswahlpflicht).

 

26

2. Die Führungskraft muss die Aufgaben präzise, vollständig und verbindlich stellen, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (Anweisungspflicht).

 

27

3. Die Führungskraft muss dafür sorgen, dass die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen laufend kontrolliert wird (Kontrollpflicht).

 

28

4. Die Führungskraft muss den Mitarbeitern klar vermitteln, dass Gesetzesverstöße missbilligt werden und arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.“

 

29

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Business Conduct Guidelines wird in vollem Umfang auf Anlage K 1 Bezug genommen.

 

30

2. Vor allem in den Bereichen ICN (Information & Communications Network) und ICM (Information & Communication Mobile), die ab September 2005 unter der Bezeichnung Com (Communication) zusammengefasst wurden, hatte sich – beginnend in den 80er-Jahren im Bereich ICN bzw. dessen Vorgängerbereich ÖN (Öffentliche Netze) – ein System „schwarzer Kassen“ entwickelt, aus denen mit den dort geparkten finanziellen Mitteln Korruptionszahlungen geleistet wurden. Nachdem bis in die Jahre 2001 bzw. 2002 Gelder über Bargeldabhebungen oder durch Verwendung von Barschecks von deutschen Banken der Klägerin entzogen und nach Österreich geschleust wurden, installierten mehrere Mitarbeiter der Klägerin danach ein neues System, wonach Gelder der Klägerin über Scheinberaterverträge abgezogen wurden. Dieses neue System, das vor allem von dem mittlerweile strafrechtlich verurteilten Mitarbeiter, Herrn … Si…, aus dem Bereich ICN entwickelt wurde, funktionierte im Wesentlichen dergestalt, dass Herr Si… Scheinberaterverträge mit verschiedenen Firmen von Herrn H… A… vereinbarte, auf deren Grundlage Scheinrechnungen gestellt wurden. Ein weiteres System mit Herrn P… F… wies eine dritte Ebene auf. Hier wurden wiederum zwischen der Klägerin und Drittgesellschaften von Herrn Paolo F… Scheinberaterverträge geschlossen und Scheinrechnungen gestellt. Zur weiteren Verschleierung wurden sodann durch Herrn P… F… zwischen dessen Gesellschafter und anderen auf den British Virgin Islands registrierte Briefkastenfirmen Kommissionsverträge abgeschlossen, die zur Weiterleitung der Geldflüsse dienten. Keine dieser Firmen wurde für die Klägerin tätig. Nach dem Entzug der Gelder aus dem Verantwortungsbereich der Klägerin hatte diese keine Kontrolle mehr über die entsprechenden finanziellen Mittel. Dieses System wurde vor allem bei einem Treffen im Restaurant „A… “ in M…-F… beraten, bei dem außer Herrn Si… vor allem Herr H… H… als Leiter des Rechnungswesens, Herr A… K… als Leiter Audit, Herrn C… St… als kaufmännischer Leiter Carrier Networks sowie Herr M… K… teilnahmen.

 

31

3. Bereits bei einer Sitzung des Gesamtvorstands am 16.4.1999, an der ausweislich der Niederschrift auch der Beklagte teilnahm, wurden die Auswirkungen des Inkrafttretens des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Rechtsverkehr diskutiert. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Klägerin, Herr H… P…, bezeichnete die Vielzahl von Ermittlungsverfahren als besorgniserregend. Der Vorstand wiederholte dann in einem einstimmig gefassten Beschluss die Anweisung an alle Mitarbeiter und Dienststellen, die jeweiligen örtlichen Gesetze und Rechtsvorschriften zu beachten; zugleich wies der Vorstand in dem Beschluss die Führungskräfte an, im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs und ihrer Aufsichtspflicht für die Einhaltung der gesetzlichen und innerdienstlichen Vorschriften zu sorgen.

 

32

Am 19.7.1999 zirkulierte der Beklagte ein Memorandum (Anlage K 8) an die Mitglieder des Gesamtvorstandes; darin wies er auf den vom US-amerikanischen Gesetzgeber erlassenen Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) hin, wonach dieser für alle an einer US-Börse notierten Gesellschaften gelte und neben dem Verbot der Bestechung ausländischer Amtsträger auch Buchführungsvorschriften enthalte, die das Erzeugen und Verbergen von Schmiergeldern verhindern sollten. Unter dem 20.3.2000 bejahte der damalige Mitarbeiter der Rechtsabteilung, Herr Dr. … W…, die Frage des Beklagten ob alles unternommen worden sei, um auf die Regeln des FCPA und der amerikanischen Börsenaufsicht hinzuweisen; zugleich verwies Herr Dr. W… aber auch darauf, dass es im Falle einer Anklage wegen Verstößen gegen den FCPA maßgeblich auf die Effizienz des gesamten Compliance-Systems, insbesondere auf die Erfüllung der Kontrollpflichten ankomme. In einem weiteren Memorandum vom 22.5.2000 (Anlage K 10) verwies Herr Dr. W… darauf, dass die Verletzung des FCPA in Betracht komme, wenn es Anhaltspunkte gebe, dass Gelder von einem nicht in den Büchern des Unternehmens mitgebuchten Konto für die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers verwendet würden.

 

33

Der Leiter der Rechtsabteilung, Herr Dr. … Sc…, leitete ein Schreiben des österreichischen Innenministeriums an den Raiffeisenverband Salzburg vom 6.9.2000 (Anlage K 11) an den Beklagten weiter; dieses Schreiben ging auf ein Rechtshilfeersuchen Schweizer Gerichtsbehörden betreffend Gelder des nigerianischen Ex-Diktators S… Ab… ein. Unter den in dem Schreiben aufgeführten Kontoverbindungen befand sich auch ein Konto in Salzburg, das ein Mitarbeiter der Klägerin ohne Kenntnis und Billigung des Vorstandes außerhalb der Bücher der Klägerin führte und das im Bereich ICN seit längerem für die anonymisierte Zahlung „nützlicher Aufwendungen“ genutzt wurde.

 

34

In einer Vorstandssitzung vom 23.7.2002 wies das Vorstandsmitglied Prof. Pr… auf die Notwendigkeit eines Systems zur Überprüfung der Einhaltung der Compliance-Regeln hin.

 

35

Im Oktober 2003 fielen im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung Zahlungen aus dem Bereich ICN auf der Grundlage zweifelhafter Beraterverträge an die Gesellschaft K… T… Corp. F… des Herrn A… auf. Am 27.11.2003 fand ein Treffen der kaufmännischen Leiter statt, in dessen Verlauf Folgendes protokolliert wurde (Anlage K 23):

 

36

„Herr N… berichtete über einige unerfreuliche Themen bezüglich des Business Conduct, die in den letzten Wochen des Abschlusses aufkamen.

 

37

Beispielsweise sind Steuerprüfer auf Beraterverträge gestoßen. Die Bereiche müssen im Vorfeld derartige Verträge prüfen, um sicherzustellen, dass sich keine Briefkastenfirmen unter derartigen Adressen verbergen.

 

38

In der Regel werden derartige Informationen sofort an die Staatsanwaltschaft weitergegeben.

 

39

Es kam vor, dass Mitarbeiter mit viel Bargeld im Koffer verreisen, um Agentenverträge zu bedienen. Ein Mitarbeiter sagte aus, damit die Baukasse aufzufüllen, jedoch kam das Geld dort nicht an.

 

40

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang die Steuerproblematik. Falsche Steuererklärungen zu unterschreiben, wird nicht als Kavaliersdelikt behandelt. Daher wird auch überlegt, Bestätigungen von den Bereichen über die Richtigkeit des steuerbaren Ergebnisses einzuholen.

 

41

Die Konsequenz daraus ist, dass die Compliance Organisation gestrafft werden muss. Die Bereiche sind dafür verantwortlich, dass die entsprechenden Richtlinien und Informationen in die Bereiche und Bereichsgesellschaften hineingetragen werden.

 

42

Insbesondere informierte er darüber, was sich an der Rechtslage in den USA zu diesem Thema künftig ändern wird.“

 

43

Im Spätsommer 2003 fiel den Abschlussprüfern von K… im Rahmen der Prüfungsarbeiten für den Com-Bereich die Abhebung größerer Geldbeträge an der Kasse in der H…straße in München auf, wobei der zuständige Prüfungsleiter bei K… den Sachverhalt Herrn M… K… sowie dem Beklagten schilderte. Am 24.10.2003 übermittelte Herr K… dem Beklagten eine E-Mail (Anlage K 24) in der er Folgendes schrieb:

 

44

„Danke für Deine schnelle Reaktion!! Das hat uns sehr geholfen. Ich möchte nochmal betonen, dass der ICN-Mitarbeiter, über den wir gesprochen haben, auf keinen Fall beschädigt werden darf, das wäre fatal.

 

45

Nochmal danke, ich werde mich revanchieren. …“

 

46

In der Folgezeit leitete der Beklagte eine interne Untersuchung durch Herrn Dr. Sc… ein. Dessen Mitarbeiter, Herr Dr. … M… ermittelte durch Befragungen mehrerer Mitarbeiter der Klägerin, dass insgesamt über € 4 Mio. von der Kasse in der H…straße und bei der D… Bank abgehoben worden waren und deklariert als Baukassengeld durch ausgewählte Mitarbeiter nach Nigeria verbracht worden war. Den darüber erstellten Vermerk (Anlage K 25) leitete Herr Dr. M… am 11.11.2003 an den Beklagten weiter. Unter der Überschrift „rechtliche Bewertung“ führte Herr Dr. M… u. a. aus:

 

47

Auf folgende Punkte ist weiter hinzuweisen:

 

48

– Aufgrund der Höhe der Provisionszahlungen (gemessen am Auftragswert) und der Art ihrer Abwicklung bestehen Anhaltspunkte für den Verdacht der Amtsträger- bzw. Angestelltenbestechung im Ausland, wie ggf. für deutsche Behörden Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das IntBestG bzw. § 299 Abs. 3 StGB sein könnten.

 

49

– Die Verwendung der übergebenen Bargeldbeträge ist nach deren Übergabe an die mit deren Verbringung nach Nigeria beauftragten Mitarbeiter nicht mehr belegt. Schuldbefreiende Quittungen werden nicht erteilt. Damit fehlt es an einem schriftlichen Nachweis darüber, ob der Provisionsanspruch der Contec erfüllt wurde.

 

50

– Gemäß Kapitel E 1. der Business Conduct Guidelines müssen alle Aufzeichnungen und Berichte, die intern angefertigt oder nach außen gegeben werden, korrekt und wahrheitsgemäß sein. Gegen diese Vorgabe wurde verstoßen, soweit in den für die Zollbehörden bestimmte Bescheinigung erklärt wird, dass die mitgeführten Bargeldbeträge für die Baukasse in Nigeria bestimmt sind, intern dagegen von einer direkten Verteilung an die Consultants ausgegangen wird.

 

51

– Die FFS hat ihre mit der Abwicklung von Zahlungsaufträgen befassten Mitarbeiter mit Schreiben vom 4.8.2000 angewiesen, den ausgehenden Zahlungsverkehr aus Effizienzgründen ausschließlich maschinell über die einschlägigen Zahlungssysteme durchzuführen. Bei Bedenken, ob die Zahlung den in Betracht kommenden gesetzlichen und sonstigen Vorschriften genügt, ist die Durchführung der Zahlung gegenüber der Auftrag gebenden Konzerneinheit abzulehnen. Diese FFS-interne Arbeitsanweisung schließt die Abwicklung von Bartransaktionen über die SFS aus. Dagegen ist es den Konzerneinheiten nicht verboten, selbst Bartransaktionen durchzuführen.“

 

52

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten dieses Vermerks wird in vollem Umfang auf Anlage K 25 Bezug genommen.

 

53

Die Rechtsabteilung der Klägerin übermittelte am 18.11.2003 einen Vorschlag zur Reform des Compliance-System (Anlage K 30), die vom Vorstand der Klägerin nicht umgesetzt wurde. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird in vollem Umfang auf Anlage K30 Bezug genommen. Im Oktober 2004 kam es zu einer Neuorganisation der Compliance-Organisation, die in dem Z-Rundschreiben Nummer 5/2005 „Compliance“ vom 01.10.2004 (Anlage K32) innerhalb des Unternehmens zirkuliert wurde. Nach der Ausarbeitung dieser Vorschläge zu einer Compliance-Reform durch die Rechtsabteilung (Anlage K 30) wies Herr Dr. Sc… entsprechend einer Notiz vom 1.12.2003 (Anlage K 31) darauf hin, der seit 18.11.2003 vorliegende Vorschlag für die Änderung der Compliance-Organisation sei bislang nicht besprochen worden. Unter dem 1.10.2004 verfasste der Zentralvorstand sodann ein Z-Rundschreiben Nr. 5/2005 (Anlage K 32) in dem ausgeführt wurde, dass die Wahrnehmung der Compliance-Aufgaben bei Corporate Personal (CP) zusammengefasst sei und dass in Erfüllung dieser Aufgaben ein Chief Compliance Officer (CCO) bestellt werde; zum CCO wurde mit Wirkung vom 1.10.2004 Herr Dr. … Sc… zusätzlich zu seinen Aufgaben als Leiter der Hauptabteilung CP W bestellt; zudem wurde in dem Rundschreiben auf die Einrichtung eines dem CCO unterstellten Compliance Office hingewiesen. Ein Rundschreiben zum Thema „Beraterverträge“ (Anlage K44) datierte vom 29.6.2005. In der Vorstandssitzung vom 09.11.2004 berichtete Herr Dr. Sc… über die laufenden Ermittlungen in Sachen E… und gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der Klägerin aus dem GP-Bereich, zu dem auch der ehemalige kaufmännische Leiter gehörte.

 

54

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Vorschläge sowie der Notiz und der Rundschreiben wird in vollem Umfang auf die Anlage K 30, K 31, K 32 und K 44 Bezug genommen.

 

55

Am 4.8.2004 initiierte der Beklagte ein Rundschreiben, wonach Barabhebungen von Konten in einer Höhe, die aufgrund der lokalrechtlichen Bedingungen bezüglich Geldwäsche zu einer Meldepflicht führen würden, nur nach einer ausdrücklichen Genehmigung des Chief Financial Officers des Kontoinhabers gestattet seien und dass die Verwendung der abzuhebenden Mittel im Detail zu dokumentieren sei.

 

56

Das Landgericht München I verhängte gegen die Klägerin als Nebenbeteiligte im Strafverfahren gegen Herrn … Si… mit Beschluss vom 4.10.2007, Az. 5 KLs 563 Js 45994/07 (Anlage K 58) ein Bußgeld in Höhe von € 201.000.000,–, das sich aus einem Ahndungsteil in Höhe von € 1.000.000,– und einem Abschöpfungsteil von € 200.000.000,– zusammensetzte. Unter dem 15.12.2008 erließ die Staatsanwaltschaft München I einen Bußgeldbescheid (Anlage K 59) gegen die Klägerin über € 395.000.000,–, wovon € 394,75 Mio. eine Abschöpfung und € 250.000,– eine Ahndung bedeuteten. Aufgrund des Sentencing Memorandum des District of Columbia vom 12.12.2008 (Anlage K 60) wurde gegen die Klägerin ein Bußgeld in Höhe von 450 Mio. US-Dollar verhängt. Die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC sprach ebenfalls am 12.12.2008 eine Gewinnabschöpfung von 350 Mio. US-Dollar aus.

 

57

Zur Aufklärung des Systems „schwarzer Kassen“ schaltete die Klägerin die US-amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien D… und De… LLP ein.

 

58

4. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom 29.7.2008 (Anlage K 64) auf, binnen einer Frist von sechs Wochen seine Ersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen und einen Vorschlag zur Schadensregulierung zu unterbreiten. Zuvor hatte der Aufsichtsratsvorsitzende in dem Schreiben dargestellt, dass eine vom Aufsichtsrat beauftragte Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen sei, die amtierenden Mitglieder des Zentralvorstandes hätten ihre Verpflichtung zur Verhinderung von Bestechungen in vorwerfbarer Weise verletzt und seien daher der Klägerin für den entstandenen Schaden ersatzpflichtig. Er verwies insbesondere auf die danach mangelhafte Organisation des Compliance-Systems und eine unzureichende Aufsicht über die Einhaltung der Compliance-Regeln. Auf Seite 2 des Schreibens legte Herr Dr. C… in der Person des Beklagten liegende Umstände dar, aufgrund derer auch der Beklagte haften solle. Mit Schreiben vom 30.9.2008 (Anlage K 65) wandte sich Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. M… H…-B… aus der Kanzlei der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin für diese bzw. deren Aufsichtsrat an den nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten und wies darauf hin, der Aufsichtsrat bzw. dessen Compliance-Ausschuss hätten ihn zur Aufnahme von Gesprächen über eine mögliche vergleichsweise Beilegung der Angelegenheit wegen der Verletzung von Vorstandspflichten autorisiert. Bei einem Gespräch am 13.11.2008 nannte die Klägerin einen Betrag von € 4 Mio. als Gegenstand eines möglichen Vergleichs. Der nunmehrige Prozessbevollmächtigte des Beklagten teilte mehreren Rechtsanwälten aus der Kanzlei der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin in einem Schreiben vom 23.12.2008 (Anlage B 2) mit, er sehe in dem Gespräch vom 13.11.2008 die Aufnahme von Verhandlungen im Sinne des § 203 BGB; sodann legte er dar, warum er den Anspruch weder dem Grunde nach noch auch der Höhe nach weder für begründet noch für akzeptabel halte. Mit Datum vom 3.7.2009 übersandte Rechtsanwalt Prof. Dr. M… H…-B… unter anderem dem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Beklagten ein Schreiben, dem die Eckpunkte eines angestrebten Vergleichs beigefügt waren, wobei eine abschließende Entscheidung zur Unterzeichnung der Eckpunktevereinbarung mit dem individuellen Betrag bis Ende August 2009 erwartet worden war (Anlage B 9/7).

 

59

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Schreiben wird in vollem Umfang auf die Anlagen K 64, K 65, B 2 und B 9/7 Bezug genommen.

 

60

Die Klägerin schloss mit insgesamt neun Vorstandsmitgliedern Vergleiche, die der Hauptversammlung vom 26.1.2010 zur Zustimmung vorgelegt und deren Inhalte zusammen mit der Einladung den Aktionären bekanntgegeben wurde. Die Vergleiche mit den Vorstandsmitgliedern wurden mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam. Ein weiterer Vergleich mit den D & O-Versicherern, dem diese Hauptversammlung gleichfalls zustimmte, enthielt unter anderem folgende Regelung:

 

61

㤠4

 

62

Begrenzung von Ansprüchen gegenüber versicherten Personen

 

63

Soweit zwischen S…und versicherten Personen keine Haftungsvergleiche zustande kommen, wird S…die versicherten Personen so stellen, als hätten die Versicherer an S…einen Betrag in Höhe von 250 Mio. Euro auf die Schadensersatzforderung von S…geleistet. Dies gilt nicht zugunsten solcher versicherten Personen, die ihre Pflichten absichtlich oder wissentlich im Sinne der D & O-Vertragsbestimmungen des Grundvertrages Nr. EHV 70/493/7999060 aus der Versicherungsperiode 2006/2007 verletzt haben.“

 

64

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der abgeschlossenen Vergleiche wird in vollem Umfang auf Anlage K 66 Bezug genommen.

 

II.

 

65

Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, der Beklagte habe seine Vorstandspflichten zur Sicherstellung eines rechtmäßigen Verhaltens der Gesellschaft und ihrer Mitarbeiter verletzt. Er habe nicht dafür gesorgt, dass die Klägerin ein effizientes Compliance-System erhalte, das auch tatsächlich angewandt und kontrolliert werde. Das im Zusammenhang mit dem Listing an der New York Stock Exchange eingeführte Compliance System stelle sich als ein solches ohne Präventionswirkung in der Praxis dar. Es habe nach der Einführung neuer rechtlicher Rahmenbedingungen gerade zur Bekämpfung der Korruption im internationalen Bereich an einer Durchsetzung der neuen Rechtsgrundlagen sowohl in der Person des Beklagten wie auch des gesamten Zentralvorstandes gefehlt. Die Einrichtung eines Compliance-Systems entbinde den Vorstand gerade nicht von seinen Kontroll- und Überwachungspflichten. Der Beklagte habe trotz wiederholter ihm zur Kenntnis gebrachter Hinweise auf ernsthafte Verstöße gegen Compliance-Vorschriften keine bzw. keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung der Verstöße, zur Abstellung von Verstößen und zur Bestrafung von betroffenen Mitarbeitern ergriffen. Zwar seien teilweise interne Ermittlungen eingeleitet worden, ihre Ergebnisse indes ohne Konsequenzen geblieben. Auch habe der Beklagte sich beispielsweise bei der Existenz der österreichischen Konten aus seinem unmittelbaren Verantwortungsbereich nicht um die Aufklärung der Hintergründe bemüht. Aus dem Memorandum von Herrn Dr. M…, dem Vorschlag von Dr. Sc… zur Neuorganisation der Compliance Organisation vom 18.11.2003, der Hinweise auf eine mangelnde Effizienz des Compliance-Systems sowie Hinweise auf mangelnde Verlässlichkeit der Original Compliance Officer enthalten habe, habe der Beklagte keine Maßnahmen ergriffen, um gegen diese Missstände vorzugehen und das Compliance System der Klägerin effizienter zu gestalten. Er habe es bei bloßen Lippenbekenntnissen belassen, Mitarbeiter des Bereichs Com gegenüber KPMG gedeckt und gegenüber dem Prüfungsausschuss verharmlosende, irreführende und zum Teil sogar schlicht falsche Aussagen im Zusammenhang mit Compliance relevanten Sachverhalten gemacht. Ebenso wenig sei er seiner Aufgabe nachgekommen, entsprechend der Vorgaben des FCPA das Kontrollsystem für die Buchführung in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Im Jahr 2004 sei es im Rahmen des Projekts „Expansion of 3 OF Cable Links“ der staatlichen Gesellschaft N… über die als Business Consultant zwischen geschaltete Firma C. W… (Nigeria) Ltd. zu Zahlungen von € 590.000,– am 22.4.2004, von € 480.000,– am 29.4.2004, von € 470.000,– am 10.5.2004 und von € 610.000,– am 16.5.2004 gekommen.

 

66

Angesichts der Feststellung ungeklärter Zahlungen von insgesamt über € 190 Mio. im Jahr 2005 hätte der Beklagte aktiv werden müssen. Weitere Ermittlungen über die Verwendung der Mittel, über beteiligte Mitarbeiter oder verwendete Konten bzw. Zahlungssysteme hätten zwingend angeordnet werden müssen, was jedoch unterblieben sei. Auch könne sich der Beklagten nicht durch den Hinweis auf eine Delegation von Vorstandsaufgaben entlasten, weil die praktische Durchführung Aufgabe der Bereichsvorstände gewesen sei. Aufsichts- und Kontrollpflichten dürfe ein Vorstand nämlich nur beschränkt delegieren.

 

67

Aufgrund dieser Pflichtverletzungen des Beklagten seien der Klägerin auch die geltend gemachten Schäden entstanden. Eine effektive Aufsicht müsse nämlich als grundsätzlich geeignet angesehen werden, Rechtsverletzungen von Mitarbeitern vorzubeugen. Bei einer konsequenten Aufklärung und Abhilfe wäre das System „schwarzer Kassen“ Ende des Jahres 2003 beendet gewesen. Zu den ersatzfähigen Kosten gehöre auch der Aufwand für die Rechtsverfolgung und dabei vor allem auch die Kosten eines beauftragten Rechtsanwalts. Daher seien die für die juristische Beratung angefallenen Kosten der Rechtsanwaltskanzlei D… entsprechend den monatlichen Rechnungsstellungen dieser Kanzlei aus dem Zeitraum von März bis September 2007 in Höhe von US-Dollar 17.748.228,04 bzw. € 12.974.530,– entsprechend den Anlagen K 91, K 93, K 95, K 97, K 99, K 101 und K 103 in vollem Umfang ersatzfähig. Hiervon mache die Klägerin einen Teilbetrag von € 12,85 Mio. geltend. Ebenso ersatzfähig sei der Geldabfluss über € 2,15 Mio. an W… im Frühjahr 2004. Ein Schaden sei nämlich hinreichend dargelegt, wenn Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen an Dritte erbracht werden, ohne dass geklärt werden könne, es habe eine berechtigte Forderung bestanden.

 

68

Der Schlüssigkeit der Klage stehe auch nicht die von den Versicherern gemäß § 4 des Deckungsvergleichs fiktiv geleistete Betrag von € 250 Mio. entgegen, weil der Klägerin auch nach Anrechnung der fiktiven Leistung ein Schaden in mindestens dreistelliger Millionenhöhe verbleibe. Bei einem Gesamtschaden von € 1,6 Mrd. hafte bei einer Verteilung nach Köpfen auf die 11 im Jahr 2008 in Anspruch genommenen Organmitglieder jedes Mitglied für rund € 137 Mio.; bei einer kopfteiligen Anrechnung der Deckungssumme hätten die Versicherer fiktiv rund € 22 Mio. pro Organmitglied geleistet, weshalb bei jedem Organmitglied ein Restbetrag von rund € 123 Mio. verbleibe. Die im Deckungsvergleich vereinbarte Regelung beinhalte keinen Ausschluss der Geltendmachung des weitaus höheren Restschadens, weshalb die Klägerin insgesamt einen um € 250 Mio. geminderten Schaden geltend machen könne. Die Vergleichsabschlüsse zwischen den Gesellschaftern und anderen Gesamtschuldnern mit der Vereinbarung eines Freistellungsanspruches hätten nur Einzelwirkung zwischen den Parteien des Vergleichs, weshalb die Haftung des Beklagten unberührt bleibe. Selbst bei einer beschränkten Gesamtwirkung gelte indes nichts anderes, weil die Klägerin gegen den Beklagten den ihm zuzurechnenden Schaden geltend mache, für den er auch im Innenverhältnis verantwortlich wäre. Auf Verjährung könne sich der Beklagte angesichts der eingetretenen Hemmung durch Verhandlungen nicht berufen, die spätestens mit dem Anspruchsschreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden eingetreten sei. Abgesehen davon werde die Verjährung auch gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB angesichts der Zustellung am 19.9.2010 gehemmt, wobei dies als demnächst erfolgt angesehen werden müsse.

 

69

Die Klägerin beantragt daher:

 

70

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 15.000.000,– nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

 

III.

 

71

Der Beklagte beantragt demgegenüber:

 

72

Klageabweisung.

 

73

Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen darauf, es bestehe mangels Pflichtverletzung bereits keine Haftung dem Grunde nach. Beim W…-Geschäft kenne der Beklagte weder den Vertrag mit der Firma C. W… noch den angeblichen Zusammenhang mit dem Projekt einer staatlichen Gesellschaft noch die behaupteten Zahlungen. Die konzernweit agierende Zentrale Finanzabteilung könne nur die geordnete technische Abwicklung der Zahlungsvorgänge sicherstellen, nicht aber die Berechtigung einer einzelnen Forderung prüfen, weshalb die Betreuerfunktion des Beklagten im Zentralvorstand für die S…Financial Services keine Verantwortlichkeit für die einem Zahlungsvorgang zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle begründe. Aus dem M…-Memorandum vom November 2003 könne den Beklagten keine Verantwortung für Zahlungsabflüsse wie solche nach Nigeria nach diesem Zeitpunkt treffen. Vielmehr habe es keinen Anlass und keine praktikable Möglichkeit gegeben, den gesamten Zahlungsfluss zwischen der Muttergesellschaft und der Regionalgesellschaft in Nigeria und ihren Geschäftspartnern zu unterbinden. Zudem habe der Beklagte über den Einzelfall hinaus für Vorkehrungen gegen zweifelhafte Zahlungen gesorgt. Eine „korrupte Tradition“ sei für den Beklagten schon mangels entsprechender Hinweise aus dem Aufsichtsrat nicht erkennbar gewesen. Mehr als das Erstellen von Richtlinien im Rahmen seiner funktionalen Zuständigkeit könne von ihm nicht verlangt werden, weil die praktische Durchführung den Bereichsvorständen obliege und den Beklagten keine Ressortzuständigkeit für Compliance angesichts der Delegation auf das Vorstandressort ZP und den COC und ab Sommer 2004 auf den CCO getroffen habe. Das von den Teilnehmern im Restaurant „A…“ mit hoher krimineller Energie entwickelte Umgehungssystem bedeute keinen Beweis für die Insuffizienz des bei der Klägerin damals installierten Compliance-Systems. Nach dem Erhalt des M…-Vermerks und dem Auftrag an Herrn K…, für Ordnung zu schaffen, habe der Beklagte keinen weiteren Handlungsbedarf erkennen können. Zudem habe er systematische Kontrollen initiiert und überprüft. Personalmaßnahmen seien nicht in sein Zuständigkeitsressort gefallen.

 

74

Auch fehle es an der Kausalität zwischen den ihm vorgeworfenen, aber ohnehin nicht gegebenen Pflichtverletzungen. Dies zeige sich daran, dass die US-amerikanischen Behörden wegen aller anderen Fälle neben denen der Telekommunikation in Nigeria genauso ermittelt hätten. Somit fehle es an der schlüssigen Darlegung eines Schadens durch die Klägerin. Die im Dezember des Jahres 2008 eingereichte Klage des Departement of Justice könne unmöglich die Ursache für die ihr zeitlich vorangegangenen Tätigkeiten der Anwälte der Kanzlei D… in den Monaten März bis September 2007 sein. Zudem trage die Klägerin selbst vor, unter Umständen wäre es gar nicht zu den Verfahren und der Beratung und Vertretung durch diese Kanzlei gekommen, wenn der Beklagte die illegalen Praktiken rechtzeitig unterbunden hätte. Hinsichtlich des abgeflossenen Betrages von € 2,15 Mio. müsse die Klägerin angesichts des Vorhandenseins von Geschäftsbeziehungen zwischen der angeblichen Bestechungsempfängerin C. W… (Nigeria) Ltd., der Zahlungsempfängerin C. W… GmbH & Co. KG in Hamburg und der Klägerin darlegen und beweisen, dass es an einem Rechtsgrund fehle. Der Finanzvorstand eines weltweit tätigen Konzerns könne schließlich nicht jeden einzelnen geschäftlichen Vorgang selbst kennen und überprüfen.

 

75

Der mit den D & O-Versicherern abgeschlossene Vergleich über eine „virtuelle“ Einstandspflicht führe dazu, dass die Klägerin einen innerhalb dieses Betrages liegenden Betrag nicht vom Beklagten klageweise verlangen dürfe. Ebenso stelle sich die Berufung auf eine Einzelwirkung der Vergleiche mit den anderen Vorstandsmitgliedern der Klägerin als treuwidrig dar.

 

76

In jedem Falle aber könne sich der Beklagte auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich aller vor dem 19.9.2005 zu Schäden führenden Pflichtverletzungen berufen. Da das W…-Geschäft nie Gegenstand der Verhandlungen gewesen sei, könne es ohnehin keine zur Hemmung führenden Verhandlungen gegeben haben. Bezüglich des vom Beklagten zu leistenden Eigenbeitrags sei über nie mehr als € 4 Mio. verhandelt worden. Der Beginn der Verhandlungen könne vor allem nicht im Abwehrschreiben des Beklagten und seines nunmehrigen Prozessbevollmächtigten liegen, weil keines der Schreiben Aufforderungen zu Verhandlungen enthalte. Angesichts der erst am 19.9.2010 erfolgten Zustellung der Klage, könne auch nicht die Einreichung der Klage zur Hemmung geführt haben.

 

IV.

 

77

Zur Begründung seiner mit Schriftsatz vom 15.1.2013 (Bl. 332/336 d.A.) erhobenen Widerklage macht der Beklagte im Wesentlichen geltend, ihm stehe aufgrund seines Vorstandsdienstvertrages ein Anspruch auf 8.442 S…-Aktien als Bonus für das Geschäftsjahr 2003/2004 sowie von 8.146 S…-Aktien als Bonus für das Geschäftsjahr 2004/2005 zu. Die Höhe des bezifferten Zahlungsanspruches richte sich nach den jeweiligen Dividendenzahlungen.

 

78

Der Beklagte beantragt daher mittels Widerklage:

 

79

Die Klägerin wird verurteilt, dem Beklagten 8.442 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2003/2004 und 8.146 S…-Aktien als Bonus des Geschäftsjahres 2004/2005 zu übertragen sowie an den Beklagten € 134.599,60 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und weitere € 49.764,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.1.2013 zu bezahlen.

 

V.

 

80

Die Klägerin beantragt demgegenüber:

 

81

Abweisung der Widerklage.

 

82

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, angesichts der sich aus den Pflichtverletzungen des Beklagten ergebenden Schadensersatzansprüche stehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht gegen den Anspruch des Beklagten zu.

 

VI.

 

83

1. Mit Beschluss vom 15.11.2012 (Bl. 293/295 d.A.) hat das Gericht der Klägerin aufgegeben, die Verträge der Klägerin mit den Firmen C. W… (Nigeria) Ltd. und C. W… (Hamburg) im Zusammenhang mit dem Projekt „Expansion of 3 OF Cable Links“, den Schriftwechsel über die Abwicklung dieser Verträge sowie den Beratervertrag mit der nigerianischen Firma C… vorzulegen.

 

84

2. Der Beklagte hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 3.2.2012 (Bl. 165/167 d.A.) Herrn … F… und mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 14.12.2012 (Bl. 317/319 d.A.) Herrn Prof. Dr. … W… den Streit verkündet,, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten. Ein Beitritt ist nicht erfolgt.

 

VII.

 

85

Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Protokolle der Güteverhandlung vom 29.5.2012 (Bl. 249/251 d.A.) sowie der mündlichen Verhandlung vom 2.5.2013 (Bl. 404/407 d.A.) und 5.9.2013 (Bl. 484/485 d.A.).

 

Entscheidungsgründe

I.

 

86

Die zulässige Klage ist begründet, weil der Klägerin gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch in Höhe von € 15 Mio. nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 20.9.2010 zusteht.

 

87

1. Die Klägerin kann vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 15 Mio. auf der Grundlage der Vorschrift des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG verlangen, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Danach sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.

 

88

a. Der Beklagte hat bei seiner Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters als Maßstab, wie er in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG normiert ist, verletzt, weshalb er dem Grunde nach haftet.

 

89

(1) Ein Vorstandsmitglied muss im Außenverhältnis sämtliche Vorschriften einhalten, die das Unternehmen als Rechtssubjekt treffen. Dazu gehören zum einen die Vorschriften des Bilanzrechts ebenso wie die Bestimmungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts (vgl. nur Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., Rdn. 23 zu § 93; Hopt in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., Rdn. 98 ff. zu § 93; Mertens/Cahn in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 71 zu § 93; Landwehrmann in: Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rdn. 10 ff. zu § 93). Dabei gilt dies auch in Bezug auf die Einhaltung ausländischer Rechtsvorschriften, zu denen jedenfalls seit der auch im innerstaatlichen Recht gültigen Vorgaben des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 gehört. Namentlich seit der Umsetzung in innerstaatliches Recht durch Artikel 2 § 1 EUBestG und Art. 2 § 2 IntBestG sind Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates ebenso unter Strafe gestellt wie Schmiergeldzahlungen an ausländische Privatpersonen, für die § 299 Abs. 3 StGB gilt. Demgemäß bedeuten grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen eine Gesetzesverletzung, die sich auch nicht aus der Erwägung heraus rechtfertigen lässt, anderenfalls seien wirtschaftliche Erfolge auf korruptiven Auslandsmärkten nicht mehr möglich (vgl. Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., Rdn. 27 zu § 93; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2. Aufl., Rdn. 7 zu § 93; Bicker AG 2012, 542, 543). Im Rahmen dieser Legalitätspflicht darf ein Vorstandsmitglied somit zum einen bereits keine Gesetzesverstöße anordnen. Zum anderen muss ein Vorstandsmitglied aber auch dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine derartigen Gesetzesverletzungen stattfinden. Diese Überwachungspflicht wird namentlich durch § 91 Abs. 2 AktG dadurch konkretisiert, dass ein Überwachungssystem installiert wird, das geeignet ist, bestandsgefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, wovon auch Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften umfasst sind (vgl. BT-Drucks.13/9712 S. 15; Mertens/Cahn in : Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 34 f. zu § 91; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 38 zu § 91; Bayer in: Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 85, 89 f.). Einer derartigen Organisationspflicht genügt der Vorstand bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, ob diese Pflicht bereits unmittelbar aus § 91 Abs. 2 AktG oder aus der allgemeinen Leitungspflicht der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG herzuleiten ist (vgl. Fleischer AG 2003, 291, 299; Bicker AG 2012, 542, 543 f.; Hauschka AG 2004, 461 ff., insb. 465 ff.; Mertens/Cahn in : Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 35 zu § 91; Lutter in: Festschrift Goette, 2011, S. 289, 291). Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch die Verdachtsfälle aus der Vergangenheit (vgl. Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 36 zu § 91).

 

90

Bei der Klägerin hatte sich ein System „schwarzer Kassen“ entwickelt, das zunächst durch Ausschleusung von Bargeld oder von Schecks gekennzeichnet war und später in dem Zeitraum nach der Jahrtausendwende durch ein System der Existenz von Beraterverträgen abgelöst wurde, bei denen Gelder aus der Klägerin abgezweigt wurden, ohne dass diese von den Vertragspartnern eine entsprechende Beratungsleistung als Gegenleistung erhielt. Dieser Umstand der Existenz „schwarzer Kassen“ ist unstreitig, weil der Beklagte dies nicht gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten kann. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Die Vorgänge, die zu der unzulässigen Zahlung von Schmiergeldern im Ausland führten, gehörten zum eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich des Beklagten; Vorgänge in diesem Bereich stehen den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO gleich. Eine Partei kann sich nicht durch arbeitsteilige Organisation ihres Betätigungsbereichs ihren prozessualen Erklärungspflichten entziehen, sondern muss innerhalb desselben Erkundigen anstellen; sie ist verpflichtet, die ihr zugänglichen Informationen in ihrem Unternehmen und von denjenigen Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. BGH NJW 1995, 130, 131; NJW-RR 2002, 612, 613; Zöller-Greger, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 16 zu § 138). Erfolgt ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen durch die andere Partei, so gilt der entsprechende Vortrag der Klägerin als zugestanden. Dies muss auch dann gelten, wenn das Organmitglied der Gesellschaft nicht mehr angehört, weil ihm insoweit ein Anspruch auf Einsicht in die entsprechenden Unterlagen gem. § 810 BGB zusteht. Die Klägerin hat dem Beklagten eine Vielzahl von entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt.

 

91

(2) Zu den Grundlagen einer Pflichtverletzung hat die Klägerin hinreichend vorgetragen; der Beklagte hat dies nicht widerlegt. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 hat die Gesellschaft – gegebenenfalls mit der Erleichterung des § 287 ZPO – darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihr durch ein Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis, das möglicherweise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist. Das Vorstandsmitglied hat dagegen nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre (vgl. BGH ZIP 2011, 766, 767 = AG 2011, 378, 379; NJW 2013, 1958, 1959 = NZG 2013, 293, 294 = AG 2013, 259 = ZIP 2013, 455, 456 = DB 2013, 507, 508 = MDR 2013, 472; Fleischer in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., Rdn. 221 zu § 93; Spindler in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., Rdn. 167 zu § 93; Hüffer, AktG, 10. Aufl., Rdn. 16 zu § 93; Bürgers/Israel in: Bürgers/Körber, a.a.O., Rdn. 26 zu § 93; Eckert in: Wachter, AktG, 1. Aufl., Rdn. 31 zu § 93).

 

92

(a) Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin gerecht. Sie hat hinreichend konkret dargelegt, der Beklagte habe trotz wiederholter in zur Kenntnis gebrachter Gesetzesverletzungen keine bzw. jedenfalls keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen, deren Abstellen und der Ahndung der betroffenen Mitarbeiter eingeleitet. Die vom Beklagten im Zusammenhang mit den Vorfällen in Nigeria und dem Zusammenhang mit den Korruptionsfällen bei E… eingeleiteten Maßnahmen seien wie im Fall Nigeria ohne Konsequenzen oder wie im Fall E… ohne Bedeutung geblieben angesichts der Ausklammerung der tatsächlichen Hintergründe aus den Ermittlungen. Auch nach dem Erhalt weiterer Informationen wie dem Memorandum von Herrn Dr. M… über Barzahlungen in Nigeria, dem Vorschlag von Herrn Dr. Sc… und Herrn Dr. Z… zur Neuorganisation der Compliance-Strukturen vom 18.11.2003, immer wiederkehrender Hinweise auf die Existenz „schwarzer Kassen“, Hinweise auf die mangelnde Effizienz des Compliance-Systems und auf mangelnde Verlässlichkeit der Regional Compliance Officer habe der Beklagte keine Maßnahmen in Richtung auf eine Effizienzsteigerung des Compliance-Systems ergriffen. Vielmehr habe er Mitarbeiter aus dem Bereich Com gegenüber den Abschlussprüfern von K… gedeckt und gegenüber dem Personalausschluss des Aufsichtsrats verharmlosende, irreführende bzw. falsche Aussagen gemacht.

 

93

Die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems und auch deren unzureichende Überwachung, worauf der Vortrag der Klägerin vor allem auch abzieht, bedeutet eine Pflichtverletzung. Damit wurde aber die Klägerin ihrer Darlegungslast im Rahmen des § 93 AktG gerecht.

 

94

(b) Der Vortrag des Beklagten ist nicht geeignet, eine Pflichtverletzung zu widerlegen. Dabei muss vor allem berücksichtigt werden, dass die Einrichtung eines Systems zur Verwendung von Korruptionszahlungen bei der Klägerin strengen Sorgfaltsmaßstäben genügen muss. Dies ergibt sich vor allem auch aus dem Umstand, dass die Klägerin in Ländern Aktivitäten entfaltete, die ohne jeden Zweifel besonders korruptionsanfällig waren wie beispielsweise Nigeria. Das für das Jahr 2001 intendierte und dann auch durchgeführte Listing an der New York Stock Exchange machte ebenfalls ein ausgefeiltes Compliance-System erforderlich, um vor allem auch Konten außerhalb der regulären Buchführung der Klägerin aufzudecken. Deshalb muss ein funktionierendes Kontrollsystem auch sicherstellen, dass jeder Zahlungsvorgang jederzeit nachvollzogen werden kann. Gerade dieses strenge System macht ein effizientes Überwachungssystem unerlässlich.

 

95

Weiterhin ist unstreitig, dass der damalige Vorstandsvorsitzende der Klägerin bereits im Rahmen einer Vorstandssitzung unter Teilnahme des Beklagten am 16.4.1999 auf eine erschreckend hohe Zahl von Bestechungsfällen im Ausland hingewiesen hatte.

 

96

Auch in der Folgezeit erhielten die Vorstandsmitglieder einschließlich des Beklagten immer wieder Kenntnis von Korruptionsfällen bei der Klägerin. Nach dem vom Beklagten nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vortrag der Klägerin erhielt er im November 2003 das Memorandum der amerikanischen Anwaltskanzlei K… LLP über mögliche Konsequenzen hinsichtlich des Falles E…. Ebenso unstreitig erfolgten im Spätsommer 2003 Hinweise der Abschlussprüfer von K… für den Com-Bereich auf die Abhebung größerer Geldbeträge an der Kasse in der Hofmannstraße. Ebenso erhielt der Beklagte im November 2003 den Vermerk von Herrn Dr. M… über Vorgänge in Nigeria und die Schwächen des Compliance-Systems.

 

97

Gerade weil dem Vorstand und dem Beklagten immer wieder verdächtigte Fälle von Bestechungszahlungen geschildert wurden, hätte es einer Überprüfung der Effizienz des bestehenden Compliance-Systems bedurft. Hinreichende Maßnahmen zur Verbesserung wurden allerdings nicht veranlasst.

 

98

(aa) Für den Beklagten wie den gesamten Vorstand hätte vor allem die Verpflichtung bestanden, eine klare Regelung zu schaffen, wer auf der Ebene des Gesamtvorstandes die Hauptverantwortung zu tragen hat. Angesichts der Größe des Unternehmens und auch der Gefährdungslage, die sich in der Vergangenheit für den Vorstand erkennbar realisiert hatte, ist eine klare organisatorische Zuordnung der Compliance-Verantwortung unerlässlich. Insoweit schuf auch das Z 5/2005 hier keine klaren Zuständigkeiten. Ebenso konnte eine tatsächliche Umsetzung von Compliance Vorgaben nicht wirksam erfolgen. Dies gilt gerade auch mit Blick auf die Beraterverträge. Insoweit kann dem Vortrag der Beklagten nicht entnommen werden, dass eine zentrale Erfassung sämtlicher Beraterverträge mit Dritten als eine geeignete Maßnahme eingeführt worden wäre. Dabei hätte sich dies sehr wohl als geeignete Maßnahme dargestellt, weil auf dieser Grundlage hätte überprüft werden können, ob und welche Leistungen wirklich erbracht wurden oder ob es sich um Scheinverträge handelte, auf deren Basis Korruptionszahlungen erfolgten.

 

99

(bb) Ebenso hätte darauf hingewirkt werden müssen, dass die mit der Überwachung der Compliance Vorgaben beauftragten Personen hinreichende Befugnisse haben, Konsequenzen aus Verstößen zu ziehen. Gerade die Häufung von verdächtigen Vorfällen zeigte den Vorstandsmitgliedern, dass das bisherige im Jahr 2001 eingeführte Programm „Compliance im Wettbewerb“ nicht geeignet war, Schmiergeldzahlungen hinreichend sicher zu unterbinden.

 

100

(cc) Soweit der Beklagte sich darauf beruft, gegenüber den kaufmännischen Leitern der Bereiche keine Weisungsrechte gehabt zu haben, zeigt gerade dieser Umstand das Fehlen eines funktionierenden Compliance-Systems, das der Vorstand im Rahmen seiner Gesamtverantwortung für die Einhaltung des Legalitätsprinzips hätte einrichten müssen. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, es habe für ihn kein Weisungsrecht gegenüber Einzelpersonen oder Konzerneinheiten außerhalb der von ihm geleiteten Finanzabteilung gegeben, weil ansonsten die umfassende unternehmerische und geschäftliche Gesamtverantwortung der jeweiligen Bereichsvorstände für ihre Bereiche und das Funktionieren der Arbeitsweise im Zentralvorstand gestört worden wäre, ist dieses Argument nicht zur Entlastung des Beklagten geeignet, weil dies den Widerspruch zur Gesamtverantwortung des Vorstands für ein funktionierendes Compliance-System steht. Gerade weil es keine Berichtslinie mit daraus abzuleitenden Kompetenzen für disziplinarische Maßnahmen gab, hätten der Vorstand und damit der Beklagte eingreifen müssen und eine entsprechenden Organisationsstruktur schaffen müssen.

 

101

(dd) Die Verpflichtung zur Schaffung eines funktionierenden Compliance-Systems wie auch zur Überwachung von dessen Effizienz traf auch den Beklagten als Mitglied des Gesamtvorstands der Beklagten. In gleicher Weise bestand für den Gesamtvorstand und den Beklagten eine Verpflichtung, sich umfassend zu den einzelnen bekanntgewordenen Vorfällen insbesondere auch aus dem Vermerk von Herrn Dr. M… in Nigeria oder auch zu den Vorgängen um E… fortlaufend zu informieren. So bestand für den Beklagten vor allem auch die Verpflichtung, sich in regelmäßigen Abständen darüber in Kenntnis setzen zu lassen, welche Ergebnisse interne Ermittlungen brachten, ob personelle Konsequenzen gezogen worden und vor allem ob und wie ein dahinter stehendes System bekämpft wird. So kann eine Überwachung der Geeignetheit des Compliance-Systems erreicht werden. Dem Vortrag des insoweit darlegungspflichtigen Beklagten kann nicht entnommen werden, nach Kenntniserlangung der einzelnen Vorgänge hinreichend tätig geworden zu sein. Das Protokoll der Sitzung der kaufmännischen Leiter vom 27.11.2003 spricht zwar an, dass die einzelnen Bereiche Prüfungen im Vorfeld durchführen müssen, um nachzuvollziehen, dass sich keine Briefkastenfirmen hinter derartigen Adressen verbergen und das derartige Informationen sofort an die Staatsanwaltschaft weitergegeben werden. Es wird aber gerade nicht klar, wie die Compliance-Organisation gestrafft werden sollte. Vor allem aber trägt der Beklagte nicht vor, auf welche Art und Weise die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen vom Vorstand überprüft werden sollte. Dem vorgelegten E-Mail-Verkehr ist erst ab November 2004 zu entnehmen, dass der Beklagte überhaupt eine Rückmeldung über die Implementierung der Vorgaben aus den Rundschreiben wünschte. Gerade die zeitliche Verzögerung nach Kenntniserlangung weiterer zumindest korruptionsverdächtiger Sachverhalte stellt sich beim Beklagten wiederum als Pflichtverletzung dar. Seinem Vortrag kann nicht entnommen werden, ob die Prüfungsaufträge aus dem Sommer 2004 in der gebotenen Schnelligkeit umgesetzt wurden, soweit es namentlich um die Einschaltung von Treuhandgesellschaften durch Dritte und die schnellere elektronische Prüfung von Zahlungsverkehrsdateien ging.

 

102

(ee) Eine Pflichtverletzung muss gerade auch im Zusammenhang mit den Zahlungen in Höhe von € 2,15 Mio. im Zusammenhang mit dem als Anlage K 78 vorlegten Vertrag angenommen werden. Dieser Vertrag wurde vor dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem der Beklagte Kenntnis vom Vermerk von Dr. M… erhielt. Die Provisionen in Höhe von 18 % des Vertragswerts legte den Verdacht auf Bestechung nahe, worauf gerade auch in dem Vermerk von Herrn Dr. M… hingewiesen worden war. Dann aber hätte die Verpflichtung des Beklagten bestanden, dafür Sorge zu tragen, dass alle Verträge, die einen klaren Bezug zu Nigeria aufweisen, einer Überprüfung zugeführt werden. Der Beklagte hat allerdings nicht hinreichend dazu vorgetragen, derartige Maßnahmen in die Wege geleitet zu haben. Da diese Vertragsunterlagen offensichtlich bei der Klägerin vorhanden waren, nachdem sie von ihr im Laufe des Verfahrens vorgelegt wurden, hätte der Beklagte bei der Überprüfung des Vorgangs und der Kontrolle der veranlassten Ermittlungen auch auf sie stoßen können.

 

103

Diese Unterlassungen namentlich der Implementierung eines effizienten Compliance-Systems und der Überprüfung von dessen Wirksamkeit stellen sich auch als Pflichtverletzungen des Beklagten dar, der sich hier gerade nicht auf die Ressortverantwortlichkeit innerhalb des Zentral-und Gesamtvorstandes berufen kann. Als Mitglied des Zentral- wie des Gesamtvorstands gehört die Einrichtung eines funktionierenden Systems zur Vermeidung von Gesetzesverstößen zu den Aufgaben auch des Beklagten. Dies stellt sich als Aufgabe des Gesamtvorstandes dar, der insbesondere zur überprüfen hat, ob das implementierte System geeignet ist, Verstöße gegen zwingendes Gesetzesrecht zu unterbinden. Dabei kann sich der Beklagte vor allem nicht darauf berufen, für die Durchsetzung im Einzelnen seien die Bereichsvorstände zuständig gewesen. Der sogenannte „Bereichsvorstand“ ist nämlich gerade nicht Vorstand im Sinne der §§ 76 ff. AktG, weshalb eine Delegation dieser zentralen Aufgabe des aktienrechtlichen Organs „Vorstand“ auf unterhalb dieser Ebene angesiedelte Mitarbeiter eine Pflichtverletzung darstellt (vgl. Hüffer, AktG, a.a.O., Rdn. 14 zu § 93; Krause BB 2009, 1370, 1373).

10.12.2013, 5 HK O 1387 / 10
Fundstelle
FuS Ausgabe 3 / 2014, S. 123
 
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