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Handelsgesetz

Arbeitnehmer im Aufsichtsrat: Ausweitung oder Ende des deutschen Mitbestimmungsrechts?

Dr. Thomas Frohnmayer, Christian Klein-Wiele, Rechtsanwälte, Stuttgart

  1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern eingeräumt [hat], die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?
  2. Der Senat hält es für vorstellbar, dass Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Der Senat sieht es ferner als vorstellbar an, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen verletzt ist. (Leitsätze der Bearbeiter).

I. Problemstellung

Das deutsche Mitbestimmungsrecht steht am Scheideweg. Das Kammergericht Berlin hält es für möglich, dass Teile der deutschen Mitbestimmungsgesetze gegen europäisches Recht verstoßen und hat diese daher dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt. Die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung ist kaum vorhersehbar und könnte sowohl zu einer enormen Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung auf bislang mitbestimmungsfreie Familienunternehmen als auch zu einer Nichtanwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze bei der Besetzung von Aufsichtsräten führen.

Um diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen, ist zunächst der Hintergrund des in der Praxis angewandten Mitbestimmungsrechts in Deutschland zu skizzieren:

Die wichtigsten Vorschriften zur Mitbestimmung in Deutschland finden sich im Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (DrittelbG) und im Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (MitbestG). Der Drittelbeteiligung unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 DrittelbG Kapitalgesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. Eine Zurechnung von Arbeitnehmern von Konzernunternehmen findet nach § 2 Abs. 2 DrittelbG nur dann statt, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist.

Bei Überschreitung der Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern greift die paritätische Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 MitbestG. Eine Zurechnung findet für Konzernunternehmen nach § 5 MitbestG auch ohne Beherrschungsvertrag statt.

Ein drittelparitätisch zu bildender Aufsichtsrat ist zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, ein paritätischer zur Hälfte. Die absolute Größe eines paritätisch besetzten Aufsichtsrats hängt nach § 7 Mit- bestG von der Anzahl der Arbeitnehmer ab. Wahlberechtigt sind jeweils die Arbeitnehmer des Unternehmens.

Der Erlass des MitbestG 1976 führte vor Jahrzehnten bereits zu einer kontroversen politischen und rechtlichen Debatte. Das Bundesverfassungsgericht verneinte schließlich einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und andere Grundrechte. Danach wurde es lange Jahre um die grundsätzlichen Eckpfeiler der unternehmerischen Mitbestimmung ruhiger.

Nun steht das deutsche Mitbestimmungsrecht erneut auf dem Prüfstand. In jüngerer Vergangenheit mehrten sich in der Literatur Stimmen, die die geltende Praxis des deutschen Mitbestimmungsrechts für mit dem europäischen Recht unvereinbar halten. Eine vorgeschlagene Lösung ist, die deutschen Mitbestimmungsgesetze europarechtskonform auszulegen, eine andere, Teile der Mitbestimmung wegen ihrer Europarechtswidrigkeit bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber nicht mehr anzuwenden.

In der rechtlichen Beurteilung ist indes im Einzelnen sauber zu differenzieren.

Die aus der Sicht des Familienunternehmers wichtigste Frage ist, ob Arbeitnehmer ausländischer Tochtergesellschaften mitbestimmungsrechtlich zur Ermittlung der Schwellenwerte (500 bzw. 2.000 Mitarbeiter) für die unternehmerische Mitbestimmung mitzuzählen sind. Der Wortlaut der Mitbestimmungsgesetze ist nicht eindeutig. Die Praxis orientierte sich in den vergangenen Jahrzehnten bei der Gesetzesauslegung an der Gesetzesbegründung und dem sog. „Territorialitätsprinzip“. Nach diesem Prinzip darf die deutsche Sozialordnung sich nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstrecken. Danach war lange Zeit weitgehend unbestritten, dass die Zahl der Arbeitnehmer mitbestimmungsrechtlich allein nach den in Deutschland beschäftigten Mitarbeitern zu bestimmen ist. Dieser bis heute herrschenden Ansicht (vgl. die Nachweise bei KG Berlin, Beschl. v. 16.10.2015, 14 W 89/15; ausführlich zur Europa- rechtskonformität in diesem Zusammenhang Hellwig/ Behme, AG 2009, 261, 276 f.) widersprach vor Kurzem das Landgericht Frankfurt am Main. Nach dessen Entscheidung sollen bei der Ermittlung der für die Anwendung der Regeln über die Unternehmensmitbestimmung maßgeblichen Unternehmensgröße die im Ausland beschäftigten Mitarbeiter, insbesondere auch die ausländischer Konzernunternehmen, mit zu berücksichtigen sein (LG Frankfurt/M., v. 16.2.2015, 3-16 O 1/14.). Diese Entscheidung wird derzeit vom Oberlandesgericht Frankfurt überprüft und ist daher noch nicht rechtskräftig. Wenn sich das Landgericht Frankfurt mit dieser Auffassung durchsetzt, hätte dies eine enorme Ausweitung der unternehmerischen Mitbestimmung zur Folge: Bislang mitbestimmungsfreie Familienunternehmen könnten unter Einbeziehung der Arbeitnehmer in ausländischen Betrieben der drittelparitätischen oder sogar der paritätischen Mitbestimmung unterliegen. Bislang nur drittelparitätisch besetzte Aufsichtsräte könnten paritätisch zu absolute Größe zahlreicher Aufsichtsräte steigen.

Mit der Ermittlung der Zahl der Arbeitnehmer verbunden, aber nicht notwendigerweise einheitlich zu beurteilen (Ausführlich Krause, ZIP 2015, 636, 637 (Fn. 16).), ist die Frage, ob Arbeitnehmern ausländischer Betriebe ein Wahlrecht bei den Aufsichtsratswahlen der Arbeitnehmerseite zusteht.

Wie bei der Ermittlung der Zahl der Arbeitnehmer war aufgrund der Gesetzesbegründung und des Territorialitätsprinzips lange Jahre unumstritten, dass sich das aktive und passive mitbestimmungsrechtliche Wahlrecht allein auf die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer bezieht.

Dies wurde vom Schrifttum in den letzten Jahren zunehmend bezweifelt. Danach sollen in der Beschränkung des Wahlrechts auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer sowohl ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV als auch eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV vorliegen (Ausführlich Henssler, in: Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2013, § 3 MitbestG Rn. 43ff.). Im Gegensatz zur Frage des Nichtmitzählens von Auslandsbelegschaften bei den Schwellenwerten für die Anwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze ist die Nichtberücksichtigung von Arbeitnehmern ausländischer Betriebe beim Wahlrecht nach herrschender Literaturauffassung also europarechtswidrig. Die in den letzten Jahren hierzu ergangene Rechtsprechung ist uneinheitlich. Das Landgericht Landau/Pfalz (LG Landau, Beschl. v. 18.9.2013, HKO 27/13)  und das Landgericht München I (LG München I, Beschl. v. 27.8.2015, HKO 20285/14.) verneinten einen Europarechtsverstoß, da der deutsche Gesetzgeber keine Regelungen für Wahlen durch Arbeitnehmer im EU-Ausland erlassen könne. Ähnlich sah es das Landgericht Berlin (LG Berlin, Beschl. v. 1.8.2015, 102 O 65/14.), während das OLG Zweibrücken (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.2.2014, 3 W 150/13)  davon ausgeht, dass die bestehenden deutschen Mitbestimmungsgesetze europarechtskonform so ausgelegt werden können, dass Arbeitnehmer im EU-Ausland aktiv und passiv wahlberechtigt sind.

II.  Sachverhalt

Dem Beschluss des Kammergerichts Berlin liegt wie den anderen angeführten Entscheidungen ein sog. „Statusverfahren“ nach § 98 AktG zugrunde. Danach kann bei einem Streit, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist, eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Diesen Antrag kann u.a. jeder Aktionär stellen (vgl. § 98 Abs. 2 AktG). Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Berliner Kammergericht ist die TUI AG. Diese beschäftigt in Deutschland ca. 10.103 Arbeitnehmer und in den Mitgliedstaaten der europäischen Union ca. 39.536 Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat der TUI AG hat 20 Mitglieder, von denen 10 durch die Arbeitnehmer zu bestimmen sind. Bei den Wahlen zum Aufsichtsrat waren die Arbeitnehmer ausländischer Betriebe entsprechend der gängigen Praxis bislang nicht einbezogen worden. Hervorzuheben ist, dass der Antragsteller nicht – wie teilweise in der Presse suggeriert wurde (Vgl. FAZ v. 26.10.2015 (Nr. 248), Seite 17)  – beantragt hat, dass Ausländer in den Aufsichtsrat gewählt werden dürfen. Vielmehr begehrt der Antragsteller die Mitbestimmungsfreiheit des Aufsichtsrats der TUI AG.

III.   Entscheidungsgründe

Das Kammergericht Berlin hat das Statusverfahren nach § 98 AktG zunächst ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof angerufen. Dieser soll in einem sog. „Vorlageverfahren“ nach Art. 267 AEUV die Frage der Europarechtswidrigkeit des fehlenden Wahlrechts von Mitarbeitern ausländischer Betriebe deutscher Konzerne klären. In seiner Begründung geht das Gericht zunächst aufgrund des deutschen Territorialitätsprinzips und unter Berufung auf die Gesetzesbegründung mit der herrschenden Meinung davon aus, dass als Arbeitnehmer im Sinne des Mitbestimmungsrechts nur Mitarbeiter deutscher Betriebe mitzuzählen sind. Daraus leitet es im Folgenden ab, dass auch nur diese Arbeitnehmer die Aufsichtsratsmitglieder wählen und selbst im Wahlverfahren Rechte haben können. Nach Ansicht des Kammergerichts ist dadurch ein Verstoß gegen Unionsrecht möglich. Zum einen könnten Arbeitnehmer durch die deutschen Mitbestimmungsregelungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert sein. Im Gegensatz zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern könnten die in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer, die in der Regel keine Deutschen seien, das Aufsichtsorgan der Antragsgegnerin nicht wählen und in diesen nicht gewählt werden und seien mithin in ihrem Aufsichtsorgan nicht ausreichend repräsentiert. Dadurch sei es möglich, dass im Aufsichtsorgan einseitig die Interessen der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Eine ausreichende Rechtfertigung hierfür sei nicht erkennbar. Für möglich hält das Gericht zudem eine Verletzung der Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach europäischem Recht. Die deutschen Regelungen seien geeignet, Arbeitnehmer wegen des drohenden Verlusts ihrer Mitgliedschaft in einem Aufsichtsorgan davon abzuhalten, sich um tatsächlich angebotene Stellen im europäischen Ausland zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der konforme Auslegung des deutschen Mitbestimmungsrechts beseitigt werden. Für den Fall der Europarechtswidrigkeit des deutschen Mitbestimmungsrechts sei der Gesetzgeber zu einer Änderung berufen.

IV. Praktische Bedeutung

Die Vorlage durch das Berliner Kammergericht an den Europäischen Gerichtshof ist wegen der zu beobachtenden Unsicherheiten in der Rechtsprechung zu begrüßen und kann je nach Ausgang des Verfahrens enorme praktische Auswirkungen zeitigen. Wenig vorhersehbar ist, ob der Europäische Gerichtshof eine Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer bejaht. Zwar knüpfen die einschlägigen Vorschriften des DrittelbG und des MitbestG nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an, was auf den ersten Blick gegen eine Diskriminierung spricht. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit mit dem Argument des „Effet utile“ des Europäischen Rechts auch versteckte, mittelbare oder indirekte Diskriminierungen, bei denen eine Benachteiligung durch die überwiegende Betroffenheit von EU-Ausländern entsteht, ausreichen lassen (Vgl. die Nachweise bei Hellwig/Behme, AG 2009, 261, 265). Ähnlich weit interpretiert der Europäische Gerichtshof die Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Vgl. Hellwig/Behme, AG 2009, 268).

Falls der Europäische Gerichtshof die Europarechtswidrigkeit des mitbestimmungsrechtlichen Wahlverfahrens in Deutschland feststellt, ist die Rechtsfolge dieser Verletzung zu klären. Da das Berliner Kammergericht eine europarechtskonforme Auslegung der Mitbestimmungsgesetze im Vorlagebeschluss abgelehnt hat, muss der Anwendungsvorrang des Europarechts grundsätzlich zur Unanwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze führen. Dies würde in der Konsequenz (vorerst) bedeuten, dass deutsche Aufsichtsräte nur noch aus Vertretern der Anteilseigner zusammenzusetzen wären (vgl. § 96 Abs. 1 Variante 6 AktG) bis der deutsche Gesetzgeber eine neue (europarechtskonforme) Regelung getroffen hat. Wegen der Hoheitsrechte anderer Mitgliedstaaten ist jedoch der Erlass einer diskriminierungsfreien Regelung nicht so einfach möglich. Fraglich wäre z.B., wie ein in Deutschland normiertes Wahlverfahren im Ausland durchgesetzt werden kann.

Die Familienunternehmen insbesondere mit EU-Auslandsgesellschaften sollten die weitere Entwicklung genauestens im Auge behalten. Falls die Mitbestimmungsgesetze europarechtswidrig sind, wären bestehende und besetzte Aufsichtsräte erst nach einem wirksamen und rechtskräftigen Abschluss eines entsprechenden Statusverfahrens neu zu bilden und zu besetzen. So lange blieben die bisherigen Mitglieder ordnungsgemäß im Amt (vgl. § 96 Abs. 4 AktG) (Mense/Klie, DStR 2015, 1.508, 1.511.).

Strategisch kann sich dann vor Erlass einer eventuellen Neuregelung durch den deutschen Gesetzgeber die Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) anbieten, da die Mitbestimmungsfreiheit im Falle einer Europarechtswidrigkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze auf diesem Wege gegebenenfalls für die Zukunft gesichert werden kann. Solche Maßnahmen sollten jedoch erst nach einer umfassenden rechtlichen Beratung im Einzelfall erwogen werden.

Arbeitnehmer und Betrieb

Leiharbeitnehmer zählen nicht mit – zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Berechnung der Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Unternehmen, die u.a. als Aktiengesellschaft oder GmbH organisiert sind, müssen einen teilweise mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrat einrichten, wenn die Anzahl der von ihnen regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Nach § 1 Abs. 1, 7 des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) hat der Aufsichtsrat eine Größe von mindestens 12 Mitgliedern und ist sogar zur Hälfte („paritätisch“) mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen, wenn das Unternehmen in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Nach den Regelungen des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) ist ein zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen- der Aufsichtsrat zu bilden in Unternehmen, die in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, §1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 DrittelbG. Diese im MitbestG und im DrittelbG geregelte, sogenannte unternehmerische Mitbestimmung greift unmittelbar in die gesellschaftsrechtliche Struktur der Unternehmung ein und gewährt der Belegschaft auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Informations und Einflussrechte auf originär strategischunternehmerische Entscheidungen. Das unterscheidet sie von der sogenannten betrieblichen Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, die lediglich auf betrieblicher Ebene in betrieblichen Angelegenheiten besteht und bei der vor allem auch kein Einfluss externer Gewerkschaftsvertreter begründet wird (so nämlich zwingend nach § 7 Abs. 2 MitbestG).

Ob bei der Ermittlung der für die Besetzung eines mitbestimmten Aufsichtsrats maßgeblichen Schwellenwerte neben den eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens („Stammbelegschaft“) auch die Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Dies hängt davon ab, ob die Leiharbeitnehmer unter den Begriff des  „Arbeitnehmers“  i.S.d.  §  3 Abs. 1 DrittelbG und § 3 MitbestG fallen. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Mitbestimmung (z.B. BAG, Beschluss vom 10.03.2004 – 7 ABR 49/03) und der Obergerichte zur Unternehmensmitbestimmung (z.B. OLG Düsseldorf 19 W 2/04; OLG Hamburg 11 W 27/07) waren Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung von mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerten nicht zu berücksichtigen. Hintergrund war die sogenannte „Zwei-Komponenten-Lehre“, nach der zu den konstitutiven Merkmalen für den Arbeitnehmerbegriff bzw. der Betriebszugehörigkeit zum einen das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber (Arbeitsvertrag) und zum anderen die Eingliederung in den Betrieb als solchen gehören. An der ersten Voraussetzung (Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber) fehlt es begriffsnotwendig bei im Entleihunternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmern. Denn deren Arbeitsverhältnis besteht mit dem Verleihunternehmen, während sie in den Entleihbetrieb betrieblich eingegliedert sind. Die Arbeitgeberstellung ist dementsprechend zwischen Ver- und Entleihunternehmen „aufgespalten“, was einer Zurechnung zum Entleihbetrieb entgegenstehen sollte. Von dieser strengen Auffassung ist das Bundesarbeitsgericht in seiner neueren Rechtsprechung abgerückt: Bei einer für Leiharbeitsverhältnisse typischen aufgespaltenen Arbeitgeberstellung seien differenzierte Lösungen geboten, um die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigen zu können (BAG, Beschluss vom 05.12.2012 – 7 ABR 48/11). Um zu ermitteln, welche Personen zum Kreis der „Arbeitnehmer“ zu zählen sind, soll es also nunmehr darauf ankommen, welche Funktion der Begriff „Arbeitnehmer“ in der jeweiligen Regelung hat, sodass er in unterschiedlichen Regelungen je unterschiedlich ausgelegt werden kann und ggf. muss.

Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht unter Abkehr von seiner bisherigen, anderslautenden Rechtsprechung u.a. auch für die Bestimmung der Betriebsratsgröße nach 9 Satz 1 BetrVG, der ähnlich wie die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung ebenfalls an die Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer anknüpft, die Leiharbeitnehmer mit in die Berechnung einbezogen. Da der Betriebsrat aufgrund des gesetzlichen Aufgabenzuschnitts u.a. auch die im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer vertrete, müsse der aufgrund der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern bedingten Zunahme an Aufgaben durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung getragen werden (BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69 /11). Auch in einem Urteil vom 18.10.2011 (1 AZR 335/10) hatte das BAG bereits zur Norm des § 111 Satz 1 BetrVG (Sozialpläne) die im Entleihbetrieb tätigen Leiharbeitnehmer mitberücksichtigt.

Diese gewandelte höchstrichterliche Rechtsprechung hatte bislang nur Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung zum Gegenstand. Es ist bislang ungeklärt, inwieweit sie auf die unternehmerische Mitbestimmung und damit auch die Schwellenwerte des Mitbestimmungsgesetzes und Drittelbeteiligungsgesetzes zu übertragen ist. Mit dieser Frage hatte sich das OLG Hamburg in der vorliegenden Entscheidung  auseinanderzusetzen.

Zum Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Besetzung des Aufsichtsrates einer AG. Diese unterhielt in der Vergangenheit Betriebsstätten mit insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft war dementsprechend gemäß den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes paritätisch gebildet worden. Im November 2012 machte die Gesellschaft im Bundesanzeiger bekannt, dass der Aufsichtsrat nicht mehr gesetzmäßig zusammengesetzt sei, da die Gesellschaft weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftige und damit nicht mehr den Regelungen des MitbestG, sondern denjenigen des DrittelbG unterliege.

Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 1 AktG (sog. „Statusverfahren“). Zur Begründung trugen sie vor, dass die Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Beschäftigtenzahl ebenfalls zu berücksichtigen seien, weshalb die Zahl der bei der Gesellschaft regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer nicht dauerhaft unter dem Schwellenwert von 2.000 gesunken sei. Eine Abfrage bei den Betrieben der Gesellschaft habe unter Einbeziehung von 139 Leiharbeitnehmern eine Beschäftigtenzahl von insgesamt 2.062 ergeben. Dieser Argumentation schloss sich das OLG Hamburg nicht an.

Entscheidungsgründe

Das OLG referiert zunächst die eingangs (Ziff. I) angesprochenen jüngeren Entscheidungen des BAG zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der Schwellenwerte der betrieblichen Mitbestimmung, führt dann jedoch aus, dass im Hinblick auf die Unternehmensmitbestimmung eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern nicht geboten sei. Der Gesetzgeber habe die Leiharbeitnehmer bislang bewusst nicht vollumfänglich der Stammbelegschaft gleichgestellt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei der Schutz des Leiharbeitnehmers vielmehr durch den Gleichlauf im Hinblick auf die Bezahlung (sogenannter Grundsatz des Equal Pay) und die sonstigen eingeräumten Rechte (§ 7 Abs. 2 BetrVG und § 14 AÜG) ausreichend gewährleistet.

Des Weiteren seien Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Ebene der unternehmerischen Mitbestimmung anders betroffen als die Stammbelegschaft, sodass ihre Nichtberücksichtigung für die Ermittlung von Schwellenwerten gerechtfertigt sei: Der Aufsichtsrat, dessen Tätigkeit auf die langfristige Unternehmenspolitik und die Kontrolle strategischer Entscheidungen der Geschäftsführung gerichtet sei, wahre das mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse. Dieses sei für die Leiharbeitnehmer von jedenfalls geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft, da ihnen die Rückkehr zum verleihenden Betrieb verbleibe. Sie sind letztlich nur temporär von arbeitsplatzrelevanten Entscheidungen auf unternehmerischer Ebene des Entleihunternehmens betroffen.

Angesichts der Tatsache, dass Leiharbeitnehmer jedenfalls in den entleihenden Betrieb zurückkehren könnten, weil eine betriebsbedingte Kündigung von Seiten des Verleihbetriebs allein aufgrund des Wegfalls der Beschäftigungsbedürfnisse im Entleiherbetrieb ausgeschlossen sei, seien sie auch in Bezug auf die durch die Mitbestimmung bezweckte sog. Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums („Art. 14 Abs. 2 GG: Eigentum verpflichtet sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) anders betroffen als Stammarbeitnehmer: (Nur) für diese könne sich die Ausübung der Verfügungsbefugnis durch den Eigentümer zugleich auf ihre Daseinsgrundlage auswirken und berühre damit ihre Grundrechtssphäre.

Vor diesem Hintergrund sei es selbst auf Grundlage der eingangs referierten neueren Rechtsprechung des BAG, nach der der Arbeitnehmerbegriff im jeweiligen gesetzlichen Kontext differenzierend je nach Funktion ausgelegt werden soll, nicht gerechtfertigt, die Leiharbeitnehmer unter den Arbeitnehmerbegriff des § 1 MitbestG zu fassen. Die Argumentation des BAG zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen der Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung sei auf die Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht übertragbar.

Denn aufgrund der dargestellten Aufgaben des Aufsichtsrats langfristige Unternehmenspolitik und Kontrolle strategischer Entscheidungen wirke sich seine Tätigkeit nicht in so maßgeblichem Umfang auf die Leiharbeitnehmer aus, dass vergleichbar der Ermittlung des Schwellenwertes für die Größe des Betriebsrats den Leiharbeitnehmern auch ein Einfluss auf die unternehmerische Mitbestimmung im Entleihbetrieb zukommen müsse. Das vom Aufsichtsrat zu wahrende mittel und langfristige Gesellschaftsinteresse sei für die Leiharbeitnehmer, gerade aufgrund der ihnen möglichen Rückkehr zum verleihenden Betrieb, von wesentlich geringerer Bedeutung als für die Stammbelegschaft.

Weiterführende Hinweise

Der Beschluss des OLG Hamburg ist die erste obergerichtliche Entscheidung zu diesem Themenkomplex nach Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Behandlung von Leiharbeitnehmern im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung. Sie dürfte dazu führen, dass in naher Zukunft hierzu auch höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegen wird. Denn die Antragsteller haben Rechtsbeschwerde eingelegt, über die laut dem Verfasser erteilter Auskunft des Bundesgerichtshofs (BGH) voraussichtlich Anfang kom- menden Jahres entschieden wird.

Aufgrund der Besonderheiten des sogenannten aktienrechtlichen Statusverfahrens (§§ 98 f. AktG) ist für die Entscheidung über die Frage, nach welchen gesetzlichen Vorschriften sich der Aufsichtsrat zusammensetzt, also für die unternehmerische Mitbestimmung, der BGH letztinstanzlich zuständig und nicht das BAG, auf dessen Entscheidungen zur betrieblichen Mitbestimmung des OLG Hamburg mehrfach Bezug nimmt. Der für das Gesellschaftsrecht zuständige Zivilsenat des BGH dürfte sich dabei erfahrungsgemäß stärker von originär gesellschaftsrechtlichen Argumenten leiten lassen und der unterschiedlichen Zwecksetzung von unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung mehr Gewicht beimessen als es möglicherweise das in der Regel stärker aktuelle sozialpolitische Anliegen berücksichtigende und tendenziell eher mitbestimmungsfreundliche BAG täte. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass der BGH der Argumentation des OLG Hamburg folgt, die schlüssig und sachgerecht ist und sich auch mit der vom BAG vertretenen differenzierenden Sichtweise vereinbaren lässt.

Jedenfalls wird insoweit seine Auffas- sung künftig für die Praxis maßgeblich sein, weil Statusverfahren in letzter Instanz stets vom BGH zu entscheiden sind.

Auch wenn der BGH der Auffassung des OLG Hamburg folgen würde und somit für die Praxis davon ausgegangen werden könnte, dass Leiharbeitnehmer bei Ermittlung der relevanten Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung nicht zu berücksichtigen sind, werden Familienunternehmen, die bei unterstellter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bereits die Schwellenwerte überschreiten, bei weiterem Zuwachs in absehbarer Zeit auch mit ihrer Stammbelegschaft über diesen Schwellenwerten liegen.

Das DrittelbG und das MitbestG stellen dabei auf die „in der Regel“ beschäftigte Anzahl von Mitarbeitern ab. Dabei kommt es nicht auf die Stärke der Belegschaft zu einem bestimmten Stichtag an, sondern die Beschäftigtenzahl ist unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen  Entwicklung festzulegen. Überschreitet daher die Mitarbeiterzahl bereits (nur) unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer die relevanten Schwellenwerte, sollte diese „Pegelwarnung“ in jedem Fall abgesehen von der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern ein Anlass sein, sich rechtzeitig mit rechtlichen Möglichkeiten zur Gestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung zu befassen. Dabei kommen insbesondere konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen und Rechtsformwechsel (z.B. in eine Europäische Aktiengesellschaft („SE“)) sowie gegebenenfalls die Einbeziehung ausländischer Rechtsträger in Betracht.

Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern

Dr. Thomas Frohnmayer, Rechtsanwalt, Dr. Anton Ederle, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Im ersten Heft der FuS (FuS 2011, 35) besprach Wiedemann ein Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 15.02.2011, Az. 5 U 30/10, das für erhebliche Unruhe in der Gestaltungspraxis sorgte. Das OLG Frankfurt erklärte die Auszahlung von Beratungshonoraren an ein Aufsichtsratsmitglied der Fresenius SE für pflichtwidrig, weil sie ohne vorherige Zustimmung des Gesamtaufsichtsrates erfolgte, obwohl der Gesamtaufsichtsrat die Zahlung im Nachhinein genehmigte. Es handele sich so das OLG Frankfurt um einen schweren und eindeutigen Gesetzesverstoß, der zur Versagung der Entlastung nach 120 Abs. 1 AktG führen müsse. Direkte Relevanz hat diese Thematik für Pflichtaufsichtsräte in der Aktiengesellschaft, der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) und der mit bestimmten GmbH. Ob sie auch freiwillige Beratungsgremien wie Beiräte, Verwaltungsräte und Gesellschafterausschüsse betrifft, wie sie insbesondere in Familiengesellschaften verbreitet sind (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 35), wurde von der Rechtsprechung bislang nicht entschieden, wird in der Literatur aber teilweise bejaht (Wiedemann, FuS 2011, 36).

Die Entscheidung des OLG Frankfurt sorgte deshalb für große Unruhe, weil sich viele Unternehmen die Expertise einzelner ihrer Aufsichtsratsmitglieder häufig nicht nur im Rahmen der allgemeinen Aufsichtsratstätigkeit, sondern auch in speziellen Fragen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit nutzbar machen wollen, wofür die Betroffenen aber freilich die Zahlung eines gesonderten, über die bloße Aufsichtsratsvergütung hinausgehenden Beratungshonorars erwarten. In der Praxis hat sich dabei eingebürgert, der Zahlung von Beratungshonoraren nicht bereits im Voraus zuzustimmen, sondern sie erst nachträglich zu genehmigen. Denn ob ein Beratungsvertrag überhaupt genehmigungsfähig ist, kann oft erst im Nachhinein beurteilt werden, ist doch der Umfang des Beratungsgegenstands und der mit der Beratung verbundene Aufwand beispielsweise bei der Übernahme von Prozessvertretungen im Voraus regelmäßig kaum einzuschätzen und damit auch die Angemessenheit der Vergütung sowie die Abgrenzung zur bloßen Organtätigkeit im Voraus nur schwer zu beurteilen.

Dennoch erklärte das OLG Frankfurt diese Praxis für rechtswidrig. Viele Autoren, darunter auch Wiedemann, äußerten die Hoffnung, der BGH werde diese Entscheidung „geraderücken“. Eine Hoffnung, die nun enttäuscht wurde.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der BGH hat sich der Entscheidung des OLG Frankfurt weitgehend angeschlossen: Die Vergütung für einen Beratungsvertrag dürfe grundsätzlich erst dann gezahlt werden, wenn der Aufsichtsrat dem Beratungsvertrag zugestimmt hat. Begründet wird dies mit dem Regelungszweck der §§ 113 und 114 AktG. Nach § 113 AktG hat die Hauptversammlung über die Höhe der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder zu entscheiden soweit das nicht bereits in der Satzung geschehen ist. Gemäß § 114 AktG hängt die Wirksamkeit eines Beratervertrages mit einem Aufsichtsratsmitglied von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. Der Zweck des § 114 AktG besteht nach Auffassung des BGH zum einen darin, Umgehungen des 113 AktG zu verhindern, indem es dem Aufsichtsrat ermöglicht wird, den vom Vorstand geschlossenen Beratungsvertrag präventiv darauf zu überprüfen, ob er tatsächlich in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Gebot des § 113 AktG nur Dienstleistungen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat.

Der dadurch bewirkte Zwang, den Beratungsvertrag offenzulegen und dem Aufsichtsrat zur Zustimmung zu unterbreiten, soll diesem zugleich die Möglichkeit eröffnen, sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Aktiengesellschaft an einzelne Aufsichtsratsmitglieder etwa in Form überhöhter Vergütungen und damit eine denkbare unsachliche, der Erfüllung seiner Kontrollaufgabe abträgliche Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand verhindern.

Eine nachträgliche Genehmigung schaffe zwar einen Rechtsgrund für die Vergütungszahlung; das betreffende Aufsichtsratsmitglied muss die bereits vereinnahmte Vergütung also nicht zurückzahlen. Eine nachträgliche Genehmigung ersetze aber nicht die präventive Kontrolle durch den Aufsichtsrat, die das Gesetz erfordere. Schon die Zahlung einer zum Zahlungszeitpunkt rechtsgrundlosen Vergütung stelle regelmäßig eine Privilegierung des Aufsichtsratsmitglieds dar, die durch § 114 AktG gerade verhindert werden soll. Die Vergütungszahlung bleibe daher rechtswidrig. Zwar fehle es im vorliegenden Fall anders als vom OLG Frankfurt angenommen an einem schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzverstoß, der eine Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen rechtfertige. Dies aber nur deshalb, weil die Frage, ob eine nachträgliche Genehmigung nicht nur auf den Rechtsgrund der Zahlung, sondern auch auf die Frage der Pflichtgemäßheit der Auszahlung bezogen werden könne, im Jahr 2008 noch nicht höchstrichterlich entschieden war. Die Rechtslage sei damals nicht eindeutig gewesen. Jetzt, mit seiner Entscheidung so wird man den BGH wohl verstehen müssen, ist sie es aber. Auch wenn der BGH zum Gewicht des Gesetzesverstoßes selbst keine Ausführungen macht, droht also künftig die erfolgreiche Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen, wenn Aufsichtsratsmitgliedern ein Beratungshonorar ausgezahlt wird, bevor der Aufsichtsrat dem Beratungsvertrag  zugestimmt hat.

Die zeitliche Verzögerung der Honorarzahlung, so der BGH, sei der Preis, den ein Aufsichtsratsmitglied zahlen müsse, wenn es von der Gesellschaft Aufträge bekommen wolle. Dass das Aufsichtsratsmitglied damit das Risiko eingehen muss, in Vorleistung zu treten und unter Umständen umsonst gearbeitet zu haben, lässt er unerwähnt.

Weitere Hinweise

Bei der Fresenius SE sollen am Anfang jedes Jahres vom Aufsichtsrat eine Obergrenze für Mandate an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder oder deren Sozietäten festgelegt und die einzelnen Verträge dann am Ende des Jahres dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt worden sein. Ob die Zahlung eines Beratungshonorars vor Zustimmung des Aufsichtsrates unter diesen Umständen ausnahmsweise rechtmäßig ist, ließ der BGH ausdrücklich offen. Dies wird im Einzelfall davon abhängen, ob dem Zweck des § 114 AktG, durch eine preventive Kontrolle eine Umgehung der 113 AktG und eine Beeinflussung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds zu verhindern, durch hinreichende Konkretisierung ausreichend Rechnung getragen wurde. Für die Praxis empfiehlt es sich künftig, vor der Auszahlung von Beratungshonoraren die Genehmigung durch den Aufsichtsrat abzuwarten, wenn aufgrund der Aktionärsstruktur mit der Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen zu rechnen ist.