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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf Geschäftsführer

Dr. Sebastian von Thunen, LL.M., Rechtsanwalt

  1. Auf den Geschäftsführer einer GmbH, dessen Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung abläuft und der sich erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt, sind gemäß 6 Abs. 3 AGG die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und § 22 AGG entsprechend anwendbar.
  2. Entscheidet ein Gremium über die Bestellung und Anstellung eines Bewerbers als Geschäftsführer, reicht es für die Vermutungswirkung des 22 AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen.

 

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das vor rund sechs Jahren in Kraft getretene allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das die Benachteiligung von Beschäftigten u.a. aus Gründen des Alters verbietet, findet in bestimmtem Umfang auch Anwendung auf Organmitglieder juristischer Personen, wie Geschäftsführer und Vorstände. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nun erstmals Gelegenheit, zur Anwendung des AGG auf Organmitglieder Stellung zu nehmen.

Das Urteil betrifft vor allem solche Familienunternehmen, bei denen die Geschäftsleitung nicht (mehr) von Familienmitgliedern wahrgenommen wird, sondern in den Händen von Fremdgeschäftsführern- und vorständen liegt, die regelmäßig für eine bestimmte Amtsperiode  bestellt werden.

Zum Sachverhalt

Der Kläger war medizinischer Geschäftsführer der als GmbH organisierten beklagten Kliniken der Stadt Köln. Seine auf fünf Jahre begrenzte Amtsperiode und sein zeitlich gleichlaufender Anstellungsvertrag liefen zum 31.08.2009 aus. Der Anstellungsvertrag des Klägers sah vor, dass die Vertragsparteien spätestens zwölf Monate vor Vertragsablauf mitteilten, ob sie zu einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der beklagten Gesellschaft hatte über den Abschluss, die Aufhebung und die Änderung des Dienstvertrags der Geschäftsführer ein bei der Gesellschaft eingerichteter Aufsichtsrat zu entscheiden. Nachdem der Kläger der Gesellschaft seine Bereitschaft zur Vertragsverlängerung mitgeteilt hatte, beschloss der Aufsichtsrat der Gesellschaft im Oktober 2008 mit neun Ja – und drei Nein-Stimmen, den zum 31.08.2009 auslaufenden Dienstvertrags mit dem dann 62 Jahre alten Kläger nicht zu verlängern.

Die Stelle des medizinischen Geschäftsführers wurde sodann für weitere fünf Jahre statt mit dem Kläger mit einem 41-jährigen Mitbewerber besetzt.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm sei der Neuabschluss seines Dienstvertrags sowie die weitere Bestellung als Geschäftsführer nur aus Altersgründen versagt worden. Dies verstoße gegen das in §§ 1, 7 AGG festgeschriebene Verbot der Altersdiskriminierung und begründe Schadenersatzansprüche.

Entscheidungsgründe und Praxishinweise

Der BGH hat die Entscheidung der Vorinstanz, der Kläger sei in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden, bestätigt.

  1. Geschäftsführer unterfällt dem Schutzbereich des 6 Abs. 3 AGG

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG findet das AGG Anwendung auf Organmitglieder, also neben z.B. Vorstandsmitgliedern einer AG auch Geschäftsführer einer GmbH, „soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft“. Nach dem Urteil des BGH erfasst das Merkmal „Zugang zur Erwerbstätigkeit“ nicht nur den Abschluss des Geschäftsführeranstellungsvertrages, sondern auch die gesellschaftsrechtliche Bestellung zum Geschäftsführer. Denn ohne Bestellung zum Geschäftsführer könne der Anstellungsvertrag nicht durchgeführt werden.

Das Vertragsverhältnis des Klägers war infolge des Ablaufs der Befristung bereits beendet. § 6 Abs. 3 AGG beschränkt die Anwendbarkeit des AGG auf den Zugang zur Beschäftigung und nimmt Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) davon aus. Dennoch – oder vielmehr: gerade deshalb – findet das AGG nach Auffassung des BGH hier Anwendung: bewerbe sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer wiederum um die Stelle des Geschäftsführers, so erstrebe er damit einen – neuen – Zugang zu dieser Tätigkeit. Damit unterfalle er gemäß § 6 Abs. 3 AGG dessen Schutzbereich. Daraus folgt für die Praxis, dass eine Entscheidung über die Nichtverlängerung eines ausgelaufenen Anstellungsvertrages mit einem Organmitglied nur noch dann frei von diskriminierungsrechtlichen Einschränkungen möglich ist, wenn die Position künftig unbesetzt bleiben soll. Die eigentlich vom Gesetzgeber intendierte Ermessensfreiheit bei der Beendigung von Organ- und Anstellungsverhältnissen wird damit faktisch auf Null reduziert, wenn diese eine Befristung vorsehen. Der naheliegen- den Umgehungskonstruktion, den Bewerber, dessen Anstellungsvertrag ausgelaufen ist, zunächst (erneut) zum Geschäftsführer zu bestellen und dann sogleich wieder abzuberufen, um den an sich gewünschten, aber wegen des Diskriminierungsverbots des AGG zunächst nicht berücksichtigten Kandidaten zum Geschäftsführer zu bestellen, schiebt der BGH einen Riegel vor: Dies stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, die wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre.

Künftig kann es sich daher eher anbieten, jedenfalls den Geschäftsführer einer GmbH von Anfang an unbefristet zu bestellen und anzustellen und erforderlichenfalls ohne diskriminierungsrechtliche Kontrolle abzuberufen (s. aber unten zu weitergehenden Implikationen).

  1. Unzulässige Benachteiligung und die Beweiserleichterung § 22 AGG

Somit steht für den BGH fest, dass der Anwendungsbereich des AGG grundsätzlich eröffnet ist. Bei der Prüfung, ob der Kläger durch den Nichtabschluss eines neuen Anstellungsvertrages und die Nichtwiederbestellung zum Geschäftsführer altersbedingt und damit unzulässigerweise im Sinne der § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 1 AGG benachteiligt worden ist, kommt dem Kläger laut BGH die Beweiserleichterung des § 22 AGG zu Gute. Nach dieser Vorschrift muss der Bewerber zunächst nicht selbst den vollen Beweis führen, dass er diskriminiert wurde. Vielmehr muss er zunächst nur Indizien beweisen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Das Unternehmen hat dann zu beweisen, dass der Bewerber nicht wegen seines Alters oder aus anderen unzulässigen Gründen benachteiligt worden ist.

Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG, der – wie oben beschrieben – den Anwendungsbereich des AGG für Organmitglieder eröffnet, gelten für Organmitglieder (nur) die Vorschriften des 2. Abschnitts des AGG. Die Beweiserleichterung des § 22 AGG steht im 4. Abschnitt. Dass § 22 AGG trotz des eigentlich eindeutigen Wortlauts auch auf Organmitglieder Anwendung findet, soll nach Auffassung des BGH aus Schutzzweckerwägungen zu § 6 Abs. 3 AGG folgen.

Hier hatte der Aufsichtsratsvorsitzende gegenüber der Presse erklärt, dass der Kläger wegen seines Alters nicht weiterbeschäftigt worden sei. Man habe wegen des „Umbruchs auf dem Gesundheitsmarkt“ einen Bewerber gewählt, der das Unternehmen „langfristig in den Wind stellen“ könne. Das sieht der BGH als ausreichend für das Eingreifen der Vermutungswirkung für eine Diskriminierung nach § 22 AGG an. Ausdrücklich hält das Gericht fest, es komme nicht darauf an, ob Indizien darauf hindeuten, dass die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Abstimmung den Bewerber aus unzulässigen Gründen benachteiligt hätten. Der Aufsichtsratsvorsitzende repräsentiere vielmehr das gesamte Gremium, soweit sein Verhalten eine unzulässige Diskriminierung indiziere. Der BGH verkennt damit allerdings insofern die gesellschaftsrechtliche Stellung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan, in dem nicht „der Aufsichtsratsvorsitzende den Ton angibt“, sondern die einzelnen Mitglieder frei und unabhängig ihre Entscheidung treffen. Die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden als „primus inter pares“ bleibt hingegen auf organisatorische und repräsentative Tätigkeiten beschränkt. Deuten Indizien – wie hier Presseäußerungen – darauf hin, dass diskriminierende Motive bei der Stimmabgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden eine Rolle gespielt haben, so können diese somit nicht ohne weiteres den einzelnen anderen Aufsichtsratsmitgliedern im Gremium zugerechnet werden. Vielmehr hätte der BGH die Indizienkette zur Motivation der einzelnen anderen Gremienmitglieder näher begründen und sodann zur umstrittenen Frage Stellung nehmen müssen, wieviele Mitglieder Träger einer verbotenen Motivation sein müssen, damit die Gremienentscheidung AGG-widrig ist.

Weiterhin hält der BGH fest, es genüge, dass das Alter unzulässigerweise lediglich als Teil eines „Motivbündels“ der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder die Entscheidung beeinflusst habe, es sei nicht erforderlich, dass dieses Kriterium ausschlaggebend oder allein entscheidend war. Die Beklagte berief sich darauf, für die Entscheidung seien Mängel der Amtsführung des Klägers ausschlaggebend gewesen. Diese Behauptung reichte nach Auffassung des BGH nicht aus, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG zu entkräften, weil der diesbezügliche Abstimmungsprozess innerhalb des Aufsichtsrats nicht ausreichend offengelegt worden sei.

Aus dem vom BGH vertretenen weiten Verständnis des § 22 AGG bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die Entkräftung der durch diese Vorschrift ausgelösten Vermutungswirkung für eine unzulässige Diskriminierung durch Offenlegung des internen Entscheidungsprozesses folgt für die Praxis, dass im Rahmen der Willensbildung der bestellenden Organe (Aufsichtsrat, Beirat, Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung) keines der nach §§ 1, 7 AGG verbotenen Differenzierungsmerkmale auch nur angesprochen werden sollte. Gleiches gilt sodann für die Außenkommunikation der getroffenen Entscheidung. Um später beweisen zu können, dass diskriminierungsfrei entschieden wurde, empfiehlt sich zudem eine detaillierte schriftliche Dokumentation der Diskussion und Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat.

  1. Keine Rechtfertigung durch bloßen Wunsch einer vollen Amtszeit

Nach Auffassung des BGH steht somit eine unzulässige Altersdiskriminierung fest. Diese kann, so das Gericht, zwar nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt werden, wenn sie objektiv angemessen ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind, wobei als legitime Ziele auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen in Betracht kommen. Die beklagte Gesellschaft machte hier geltend, sie strebe eine fünfjährige Bindung des Geschäftsführers wegen des „Umbruchs im Gesundheitsmarkt“ an (während der Kläger schon vor Ablauf dieser Frist das allgemeine Renteneintrittsalter vor 65 Jahren erreicht hätte). Der BGH hält hierzu aber fest, der bloße nicht weiter substanziierte Wunsch, einen Geschäftsführer auf fünf Jahre zu bestellen, verdiene dann keinen Schutz, wenn der Geschäftsführer schon zuvor in diesem Amt tätig war. Für die Praxis lässt sich daraus jedenfalls die Konsequenz ziehen, dass es nicht ausreichend ist, die Ablehnung der Wiederbe- und anstellung eines Bewerbers mit allgemeinen Höchstaltersgrenzen, z.B. im Gesellschaftsvertrag einer GmbH zu begründen. Die Ablehnung muss vielmehr stets mit auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen begründet werden. Allerdings verdienen diese hohen Anforderungen des BGH Kritik, weil sie letztlich auf eine gerichtliche Kontrolle prognostischer unternehmerischer Ermessensentscheidungen hinauslaufen, die sonst aus gutem Grund von ebendieser Kontrolle frei sind, und zudem noch einmal zur Erhöhung des administrativen Aufwands (s. auch Editorial dieser Ausgabe) beitragen.

Weitergehende Hinweise

Weitergehend dürften die Erwägungen des BGH zur Reichweite des AGG- Schutzes für Organmitglieder nicht nur gelten, wenn das Organmitglied durch Zeitablauf aus seinem Amt ausscheidet und sich wieder um Neube- und anstellung bewirbt, sondern auch dann, wenn z.B. der Fremdgeschäftsführer von der Gesellschafterversammlung einer GmbH abberufen wird und sich daraufhin um Wiederbestellung bewirbt. Dem abberufenen Fremdgeschäftsführer eröffnen sich so Möglichkeiten, die vormals von ihm geleitete Gesellschaft unter Druck zu setzen, wenngleich je nach Grund der Abberufung die Rechtfertigung für die Gesellschaft leichter fallen mag. Die vorstehenden praktischen Hinweise sollten daher über die konkrete Fallkonstellation hinaus bei jeder Form der Neubesetzung von Gesellschaftsorganen Beachtung finden. Die Rechtsprechung führt dabei vor allem zur Erhöhung des dokumentarischen Aufwands – der sog. „paper trail“ sollte stets gangbar sein, um im Streitfall nachweisen zu können, dass über die Neubesetzung eines Organs diskriminierungsfrei entschieden wurde.