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Kreditwesen-, Börsen- und Wertpapierrecht

Börsennotierte Familienunternehmen: Ad-hoc- Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Zu welchem Zeitpunkt haben börsennotierte Unternehmen den Kapitalmarkt über interne, zeitlich gestreckte Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse zu informieren? Eine Antwort auf diese Frage hatte der BGH mit seinem Vorlagebeschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09 (vgl. Wiedemann, FuS 2011, 38 ff.) vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) erbeten. Dieser hat nun durch vorstehendes, in seiner Konsequenz gerade für börsennotierte Familienunternehmen sehr bedeutsames Urteil entschieden. Zur Erinnerung (vgl. insoweit Wiedemann, FuS 2011, 39): Nach § 15 Abs. 1 WpHG sind börsennotierte Unternehmen (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen verpflichtet, die sie selbst unmittelbar betreffen. Voraussetzung für das Vorliegen einer Insiderinformation ist dabei zunächst, dass der zur Kenntnis gelangte Sachverhalt konkretisiert ist und sich auf der Öffentlichkeit nicht bekannte Umstände bezieht. Zudem müssen diese Informationen die Eignung aufweisen, sollten sie öffentlich bekannt werden, den Börsen oder Marktpreis der jeweiligen Wertpapiere beachtlich zu beeinflussen (vgl.13 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Letzteres ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG dann zu bejahen, wenn ein verständiger Anleger die Information im Rahmen seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Als Umstände im Sinne der oben genannten sind dabei auch solche zu qualifizieren, welche bisher zwar noch nicht eingetreten sind, hinsichtlich derer aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie zukünftig eintreten werden (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). Börsennotierte Familienunternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt in ihrem Emittentenleitfaden hierzu nicht abschließend Stellung (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Bei börsennotierten Familienunternehmen wird in aller Regel von einer Ad-hoc-Publizitätspflicht auszugehen sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen  beispielhaft geschilderten Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc-Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung des EuGH liegt ein prominenter Sachverhalt zu Grunde: Der Wechsel an der Vorstandsspitze der damaligen Daimler-Chrysler AG im Sommer 2005. Bereits seit der Hauptversammlung Anfang April desselben Jahres hegte der unter Anlegern heftig in die Kritik geratene damalige Vorstandsvorsitzende, Jürgen Schrempp, nach eigenen Angaben den Gedanken an seinen vorzeitigen Rückzug von der Unternehmensspitze. Mitte Mai 2005 unterrichtete er den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Hilmar Kopper, von seinem möglichen Vorhaben. Die Öffentlichkeit erfuhr von den personellen Veränderungen innerhalb des Daimler-Chrysler-Konzerns allerdings deutlich später. Erst am 28.07.2005 wurde der Rücktritt Schrempps sowie die Person seines Nachfolgers, Dieter Zetsche, via Ad-hoc-Mitteilung öffentlich bekannt gegeben. Diese Neuigkeit wurde von den Anlegern positiv aufgenommen. Eröffnete die Aktie des Automobilherstellers am 28.07.2005 mit 36,50 `, war sie zu Börsenschluss bereits 42,95 ` wert. Die Freude über den unerwarteten Kursanstieg wurde jedoch nicht von allen geteilt. Einige Anteilseigner erhoben Klage beim OLG Stuttgart und machten Schadensersatzansprüche gegen das Unternehmen geltend. Sie hatten ihre Anteile kurz vor dem beschriebenen Kursanstieg verkauft und sahen sich um ihren Gewinn gebracht. So hatten sich die Stuttgarter Richter mit der Frage zu befassen, wann während des zeitlich gestreckten unternehmensinternen Entscheidungsprozesses, einen Wechsel bzgl. der personellen Besetzung des Vorstandsvorsitzenden herbeizuführen, den Unternehmenslenkern erstmalig eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vorlag. Das Gericht nahm dies erst zu dem Zeitpunkt an, als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Austausch des Vorstandsvorsitzenden ausgegangen werden konnte, mithin mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses einen Tag vor Veröffentlichung der Ad-hoc- Mitteilung. Auch ohne konkrete Entscheidung des Vorstands hätten zu diesem Zeitpunkt zudem die Voraussetzungen zur Selbstbefreiung nach 15 Abs. 3 WpHG vorgelegen; dies erachtete das Gericht für ausreichend, um auch die eintägige Verzögerung der Bekanntgabe an die Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Anders beurteilte diesen Sachverhalt zeitgleich das OLG Frankfurt in einem von der BaFin eingeleiteten Verfahren und verurteilte die Daimler-Chrysler AG zu einem Bußgeld in Höhe von 200.000,– `. Der BGH hat auf die Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG Stuttgart den vorgenannten Vorlagebeschluss erlassen (Volltext bei Wiedemann, FuS 2011, 38 f.).

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der EuGH hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob bereits einzelne Zwischenschritte, wie z.B. bloße Absichten und Pläne im Rahmen eines zeitlich gestreckten Vorgangs für sich genommen als präzise Informationen und damit sollten diese Informationen zudem Kursrelevanz aufweisen als zu veröffentlichende Insiderinformationen anzusehen sind oder aber wie das Oberlandesgericht Stuttgart annahm derartige Entwicklungsschritte erst und nur dann zu publizieren sind, wenn man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das jedenfalls zu veröffentlichende Endziel in Zukunft eintreten wird. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei welchem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser abschließende Umstand oder dieses abschließende Ereignis als präzise Information angesehen und damit eine Insiderinformation darstellen kann, sondern grundsätzlich auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte. Das gilt nach Ansicht des EuGH nicht nur für Schritte, die bereits eingetreten sind oder existieren, sondern auch für Schritte, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Seine Argumentation stützt das Gericht auf die Tatsache, dass das Gesetz beim Vorliegen bestimmter Teilschritte börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit einer Selbstbefreiung einräumt (z.B. bei durch den Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands). Dies führt nach Ansicht des EuGH denknotwendig zu dem Umkehrschluss, dass generell auch beim Vorliegen von Zwischenschritten eine Publizitätspflicht begründet sein kann. Zudem verweist das Gericht auf den Sinn und Zweck der betroffenen EU-Richtlinien, welcher insbesondere darin zu sehen ist, die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der Anleger in eben diese zu stärken und zu schützen. Um diese Ziele zu erreichen ist es nach Meinung des EuGH unerlässlich, den Anwendungsbereich des Insiderrechts nicht durch eine restriktive Auslegung der dort verwendeten, unbestimmten Rechtsbegriffe zu beschränken. Der EuGH hatte sich weiter mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die zur Begründung einer Publizitätspflicht erforderliche „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ (so der Wortlaut in Art. 1 I der Richtlinie 2003/124 EG) erst dann vorliegt, wenn der Eintritt einer Reihe von Umständen oder eines Ereignisses mit „hoher“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, ob insofern eine „überwiegende“ Wahrscheinlichkeit ausreicht oder ob der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit gar abhängig ist vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten und es daher bei hoher Kursrelevanz als ausreichend anzusehen ist, wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses zwar ungewiss, jedenfalls aber nicht unwahrscheinlich ist (sog. probability/ magnitude-Ansatz). Der EuGH stellt zunächst fest, dass zumindest Ereignisse, deren Eintritt nicht wahrscheinlich ist, keiner Pflicht zur Veröffentlichung unterliegen. Publizitätspflichtig sind vielmehr nur solche Umstände oder Ereignisse, deren Eintreten nach allgemeiner Erfahrung und einer umfassenden Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden kann. Zu diesem rechtlichen Ergebnis kommt der EuGH im Rahmen seiner aufgrund der innerhalb der Mitgliedstaaten divergierenden Sprachfassungen der Richtlinie erforderlichen Auslegung. Alle anderen existierenden Sprachfassun- gen der hier relevanten EU-Richtlinie 2003/124/EG stellen anders als die deutsche Fassung nicht auf eine „hinreichende“ Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr darauf ab, ob der künftige Eintritt von Umständen oder Ereignissen „vernünftigerweise“ zu erwarten bzw. vorhersehbar ist. Nach Ansicht des EuGH hat die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung so zu erfolgen, dass sie den jeweiligen Marktteilnehmern Rechtssicherheit bietet und das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte schützt. Zum Schutze der Emittenten börsennotierter Wertpapiere einerseits müssen folglich zumindest Ereignisse, deren Eintritt unwahrscheinlich ist, von einer Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden. Andererseits verbietet es der zu gewährende Anlegerschutz, allzu hohen Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit des künftigen Eintritts von Umständen oder Ereignissen zu stellen. Der EuGH erteilt damit den zahlreichen Stimmen, die eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit als Voraussetzung für die Ad- hoc-Publizitätspflicht annehmen, eine klare Absage. Verneint hat der EuGH schließlich auch die Annahme, der Grad der zur Veröffentlichungspflicht erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit könne je nach Ausmaß der Auswirkung auf den Kurs von Finanzinstrumenten variieren. Dies hätte nämlich zur Folge, dass sich die beiden für eine Insiderinformation erforderlichen selbstständigen Tatbestandsmerkmale „Vorliegen einer präzisen Information“ sowie deren „Kursrelevanz“, gegenseitig beeinflussten, anstatt, wie in der Richtlinie gefordert, kumulativ und eigenständig gegeben zu sein. So ist es durchaus möglich, dass ein Ereignis, dessen Einritt auch nur wenig wahrscheinlich ist, eine hohe Kursrelevanz aufweist. Auf den Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses nimmt diese Bewertung jedoch keinen Einfluss.

Folgen für die Praxis

Für die Praxis kann einerseits Entwarnung gemeldet werden. Die durch den EuGH für die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ aufgestellten Kriterien (Eintritt von Ereignissen kann nach allgemeiner Erfahrung und umfassender Würdigung aller verfügbaren Anhaltspunkte tatsächlich erwartet werden) laufen letztlich auf die schon vom BGH geprägte 50 %+x-Regel hinaus, d.h. maßgeblich für das Eingreifen der Ad-hoc-Publizität bleibt eine „überwiegende“ (wenn auch keine „hohe“) Wahrscheinlichkeit. Der EuGH ist somit erfreulicherweise nicht dem Antrag des Generalanwalts Mengozzi gefolgt (vgl. die entsprechenden Schlussanträge v. 21.03.2012, ZIP 2012, 615), der auf das Kriterium des „nicht unwahrscheinlichen, wenn auch ungewissen“ Ereignisses abgestellt hat, was zu einer massiven und für die Praxis nicht beherrschbaren Aufweichung der 50 %+x-Regel geführt hätte. Positiv ist auch, dass der EuGH den probability/magnitude-Ansatz verworfen hat. Kritisch ist andererseits anzumerken, dass das Urteil des EuGH zukünftig dazu verleiten könnte, jegliche Zwischenschritte zu publizieren, um einer möglichen Haftungsgefahr zu entgehen. Ein solches Vorgehen könnte die Bedeutung von Ad-hoc Mitteilungen aus Sicht der Anleger jedenfalls dann deutlich schmälern, sollten die prognostizierten Ergebnisse häufiger entgegen der unternehmensseitigen Erwartung schließlich doch nicht eintreten. Ohne Zweifel wird der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG stark an Bedeutung gewinnen, ist die Selbstbefreiung doch die einzige Möglichkeit auch bei gestreckten Entscheidungsprozessen risikolos eine Ad-hoc-Mitteilung aufzuschieben, bis Klarheit darüber herrscht, ob sich die geplante Maßnahme, bspw. ein Unternehmenskauf, tatsächlich realisiert. Dies setzt aber insbesondere voraus, dass der Emittent die Wahrung der Vertraulichkeit bzgl. der in Rede stehenden Maßnahme bis zur tatsächlichen Veröffentlichung sicherstellen kann. Zu hoffen bleibt insofern, dass der BGH in seiner nun zu treffenden Entschei- dung Stellung nehmen wird zu der Annahme des OLG Stuttgart, dieser Selbstbefreiungstatbestand bedürfe nicht zwingend einer diesbezüglichen expliziten Unternehmensentscheidung, sondern könne bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch kraft Gesetzes eintreten. Bis in dieser Frage Rechtssicherheit eintreten wird, bleibt den betroffenen Unternehmen nur zu raten, derartige Selbstbefreiungs-Entscheidungen mittels protokolliertem Vorstandsbeschluss zu dokumentieren.

Wertpapierhandelsgesetz

Börsennotierte  Familienunternehmen: Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei zeitlich gestrecktem Vorgang

Prof. Dr. Andreas Wiedemann, Rechtsanwalt

Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 / EG nur darauf abzustellen, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als präzise Information nach diesen Richtlinienbestimmungen anzusehen ist, und demgemäß zu prüfen, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis eintreten wird, oder können bei einem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinn der genannten Richtlinienbestimmungen sein?

b) Verlangt hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/ EG eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung mit überwiegender oder hoher Wahrscheinlichkeit, oder ist unter Umständen, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von ihrer zukünftigen Existenz, oder Ereignissen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten werden, zu verstehen, dass das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es bei hoher Einigung zur Kursbeeinflussung genügt, wenn der Eintritt des künftigen Umstands oder Ereignisses offen, aber nicht unwahrscheinlich ist?

Problemstellung und praktische Bedeutung

Hat die damalige Daimler-Chrysler AG das Ausscheiden ihres ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp zu spät ad hoc gemeldet?

Diese Frage beschäftigt nunmehr nach einem entsprechenden Vorlagebeschluss des BGH den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die vom EuGH abstrakt zu prüfenden Fragen haben dabei, wie auch der dem Vorlagebeschluss konkret zugrunde liegende Sachverhalt, für börsennotierte Familienunternehmen eine erhebliche praktische Bedeutung. So obliegt sämtlichen börsennotierten Unternehmen, (abgestellt wird insoweit auf eine Notierung in einem organisierten Markt, eine Einbeziehung in den Freiverkehr genügt hierfür nicht) Insiderinformationen, die das Unternehmen unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen (vgl. § 15 Abs. 1 WpHG). Insiderinformationen sind gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG konkrete Informationen über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren, also bspw. börsennotierte Aktien oder Schuldverschreibungen, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen sind, oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Als Umstände i.d.S. gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden (§ 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG).

Gerade börsennotierte Familien- unternehmen sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass Vertreter der Unternehmerfamilie in den Organen des Unternehmens vertreten sind. Zeichnet sich dann ein Ausscheiden dieser Person aus Vorstand oder Aufsichtsrat ab, so stellt sich regelmäßig die Frage, ob und ggf. wann dies eine Ad-hoc-Mitteilung nach sich zieht. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geht in ihrem Emittentenleitfaden davon aus, dass Veränderungen in den Organen eine Publizitätspflichtige Insiderinformation darstellen können (vgl. dazu S. 62 des Emittentenleitfadens der BaFin). Dies wird bei börsennotierten Familienunternehmen in aller Regel zumindest dann der Fall sein, wenn das das börsennotierte Familienunternehmen führende Vorstandsmitglied, das gleichzeitig den Hauptaktionär repräsentiert, aus dem Vorstand ausscheidet. In derartigen Fallkonstellationen stellt sich dabei nicht nur die Frage, ob eine Ad-hoc- Publizitätspflicht überhaupt eröffnet ist, sondern vor allem auch, zu welchem Zeitpunkt diese greift.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Hintergrund für den Vorlagebeschluss des BGH war eine Musterrechtsbeschwerde, die mehrere (ehemalige) Aktionäre der damaligen Daimler- Chrysler AG gegen einen Musterentscheid des OLG Stuttgart im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen einer verspäteten Ad-hoc-Mitteilung gegen die damalige Daimler-Chrysler AG wegen des vorzeitigen Ausscheidens des Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp geltend gemacht hatten. Das OLG Stuttgart hat auch in seiner zweiten Entscheidung – die erste Entscheidung eines anderen Senats des OLG Stuttgart wurde durch den BGH aufgehoben und zur Durchführung einer Beweisaufnahme zurückgewiesen – eine Insiderinformation erst zu dem Zeitpunkt angenommen, ab dem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, das das zukünftige Ereignis, also das einvernehmliche Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden, eintreten werde. Dies sah das OLG Stuttgart mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrates der damaligen Daimler- Chrysler AG, die einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung und der Ad-hoc- Mitteilung stattfand, gegeben. Das OLG Stuttgart ging weiter davon aus, dass die Daimler-Chrysler AG berechtigt war, die Ad-hoc-Mitteilung um einen Tag zu verschieben, weil die Voraussetzung einer Selbstbefreiung vorgelegen hätte, obwohl es hierzu keine bewusste Entscheidung durch den Vorstand der Daimler-Chrysler AG gegeben hatte.

Demgegenüber hatte das OLG Frankfurt im parallelen Bußgeldverfahren das von der BaFin verhängte Bußgeld in Höhe von ` 200.000,00 für rechtmäßig erkannt und somit den Zeitpunkt der Ad-hoc-Publizitätspflicht deutlich früher gesehen.

Im Zentrum dieser juristischen Auseinandersetzung steht die Frage, ob bei einem gestreckten Vorgang bzw. zukunftsbezogenen Sachverhalten eine – publizitätspflichtige – Insiderinformation bereits dann vorliegen kann, wenn Zwischenschritte zur Erreichung des angestrebten Ereignisse verwirklicht sind oder erst dann, wenn der Eintritt des angestrebten Ereignisses hinreichend wahrscheinlich ist.

Nach Ansicht des BGH kommt es zur Klärung dieser Rechtsfrage darauf an, wie die beiden dem § 13 WpHG zugrunde liegenden Artikel der relevanten Richtlinien (Art. 1 I der Marktmißbrauchsrichtlinie 2003/6/EG und Art. 1 I und II der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG) auszulegen sind. Der BGH lässt in seinem Vorlagebeschluss klar erkennen, dass es nicht zwingend für die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Umstandes darauf ankommt, ob ein damit verknüpfter zukünftiger Umstand hinreichend wahrscheinlich eintritt, sondern vielmehr darauf abzustellen ist, ob ein verständiger Anleger die Information (also den Teilschritt) selbst berücksichtigen oder wahrscheinlich als Teil seiner Anlageentscheidung nutzen würde. Das Kriterium der „Kursrelevanz“ tritt demnach auch bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen selbständig in den Vordergrund; die Frage der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit dagegen in den Hintergrund.

Der EuGH muss als zweite Frage klären, ob für eine Publizitätspflicht eine „überwiegende“ oder sogar eine „hohe“ Wahrscheinlichkeit erforderlich ist oder ob das Maß der Wahrscheinlichkeit vom Ausmaß der Auswirkungen auf den Emittenten abhängt und es somit bei hoher Eignung zur Kursbeeinflussung auch genügen kann, wenn der Eintritt des zukünftigen Ereignisses zwar offen, aber zumindest nicht unwahrscheinlich ist. Der BGH führt insoweit aus, dass zwar einerseits die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses für einen verständigen Anleger bei seiner Anlageentscheidung von besonderer Bedeutung sei, andererseits aber auch Entscheidungsprozesse mit offenem Ausgang für den Anleger bei seiner Entscheidung über den Kauf oder Verkauf von Wertpapieren relevant sein können. Mit anderen Worten: Der BGH korrigiert seine bisherige Rechtsprechung, in der er eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für erforderlich gehalten hat (vgl. BGH, NZG 2008, 300) und hält nun offenbar auch eine Eintrittserwartung von unter 50 % für möglicherweise ausreichend. Zweifel an seiner bisherigen Rechtsprechung sind dem BGH vor dem Hintergrund einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2009 gekommen, die sich mit dem engen Zusammenhang zwischen dem Verbot von Insidergeschäften und dem Begriff der Insiderinformation und damit mit den Vorteilen befasst, die eine Insiderinformation dem Insider verschaffen kann (vgl. EuGH, NZG 2010, 107). Diese Zweifel sieht der BGH auch in der englischen und französischen Fassung der rele- vanten Richtlinie begründet.

Die Entscheidung des EuGH wird sicherlich einige Zeit auf sich warten lassen. Trotzdem dürfte der Vorlagebeschluss des BGH unmittelbare praktische Folgen für die börsennotierten Unternehmen haben. Die Tendenz geht eindeutig dahin, dass bereits einzelne Zwischenschritte für sich genommen als publizitätspflichtige Insiderinformationen anerkannt werden müssen. Ferner zeichnet sich klar ab, dass das Kriterium der „überwiegenden“ oder „hohen“ Wahrscheinlichkeit von dem Kriterium des Ausmaßes der Auswirkungen auf den Emittenten überlagert wird, sofern eine erhebliche Eignung zur Kursbeeinflussung vorliegt. Börsennotierten Unternehmen ist demnach vor dem Hintergrund der Schadenersatzregelungen und dem Bußgeldrisiko zu empfehlen, mit der Thematik der Ad- hoc-Publizität zukünftig noch sensibler umzugehen. Dabei wird das Instrument der Selbstbefreiung an Bedeutung gewinnen. Insofern ist es zu bedauern, dass der BGH hierzu nicht dezidiert Stellung genommen hat und insbesondere die Frage offen geblieben ist, ob das OGB Stuttgart festgestellt hat – der Selbstbefreiungstatbestand des § 15 Abs. 3 WpHG kraft Gesetzes eintreten kann. Dies steht im Widerspruch zur bisherigen Praxis der BaFin (vgl. dazu Emittentenleitfaden der BaFin, S. 65). Auch insoweit ist also Vorsicht geboten. Börsennotierte Unternehmen, die von der Selbstbefreiung Gebrauch machen, sollten eine bewusste und dokumentierte Entscheidung hierüber herbeiführen.