Gemeinschaftliches Testament

Wechselbezügliche Verfügungen

Lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers bei Schenkungen zum Ausgleich tatsächlich erbrachter Betreuungsleistungen

Dr. Armin Weinand, Rechtsanwalt

Problemstellung und praktische Bedeutung

Das Urteil gibt Anlass, auf die Bindungswirkungen bestimmter letztwilliger Verfügungen hinzuweisen. Die daraus resultierende (einseitige) Unabänderbarkeit früher vorgenommener Erbeinsetzungen entspricht bei geänderten Lebensumständen häufig nicht mehr dem Willen des Erblassers. Es wird dann versucht, durch Schenkungen zu Lebzeiten faktisch mindestens teilweise eine andere als die letztwillig verfügte Vermögenszuordnung zu erreichen und so die Position der Erben auszuhöhlen. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die vorliegende Entscheidung. Im Einzelnen: Den Erblasser bindende letztwillige Verfügungen können in zwei Konstellationen vorkommen. Zum einen beim Erbvertrag und zum anderen beim gemeinschaftlichen Testament (Ehegattentestament). In einem Erbvertrag bindet sich der Erblasser gegenüber dem Vertragspartner an die zu Gunsten des Letzteren oder eines diesem nahe stehenden Dritten getroffene Erbeinsetzung. Das bedeutet, dass er ohne die Zustimmung des Vertragspartners insoweit nicht mehr anderweitig letztwillig verfügen kann. Eine ähnliche Rechtswirkung kann sich nach dem Tode des ersten Ehegatten im Falle eines gemeinschaftlichen Testaments ergeben. Liegen sog. wechselbezügliche Verfügungen im Sinne des § 2270 BGB vor, entfaltet eine solche Verfügung des länger lebenden Ehegatten nach dem Tod des anderen Ehegatten die gleiche Bindungswirkung wie beim Erbvertrag. Wechselbezüglichkeit ist dann gegeben, wenn nach dem Willen beider Ehepartner die Verfügung des einen nicht ohne die des anderen gelten soll, also die betreffenden Anordnungen nur gemeinsam stehen und fallen sollen. Das klassische Beispiel für wechselbezügliche Verfügungen findet sich in der weit verbreiteten Struktur des sog. Berliner Testaments. Darin setzen sich die Ehegatten zunächst jeweils gegenseitig als Alleinerben ein und die gemeinsamen Kinder als Schlusserben des länger lebenden. In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass die besagten Bindungswirkungen aufgrund geänderter Lebensumstände vom Erblasser nicht mehr gewünscht oder nicht mehr sachgerecht sind. So kann die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten, die häufig im Rahmen eines Ehe- und Erbvertrages zu Beginn einer dann noch kinder- und „vermögenslosen“ Ehe vorgesehen worden ist, sich im fortgeschrittenen Alter erbschaftsteuerlich ungünstig auswirken oder bei nur noch auf dem Papier bestehender Ehe nicht mehr der Lebenswirklichkeit eines Ehegatten entsprechen. Entsprechendes gilt beim Ehegattentestament, wenn sich nach dem Tode des ersten Ehegatten die Lebensverhältnisse des länger lebenden über einen längeren Zeitraum hinweg grundlegend geändert oder sich die Beziehungen zu den gemeinsamen Kindern gravierend unterschiedlich entwickelt haben. Die beschriebenen Bindungswirkungen letztwilliger Verfügungen lassen indes das Recht eines jeden Erblassers, zu seinen Lebzeiten frei über sein Vermögen zu verfügen, grundsätzlich unberührt (§ 2286 BGB). Das bedeutet, dass der Vertragserbe bzw. Begünstigte einer bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügung (Schlusserbe) keinen Anspruch auf bestimmte Vermögenspositionen des Erblassers haben, sondern lediglich auf die ihnen durch die entsprechende letztwillige Verfügung eingeräumte Rechtsposition als Erbe. Als Korrektiv, um die letztwillig Bedachten vor einer willkürlichen faktischen Aushöhlung ihrer Position durch lebzeitige Schenkungen des Erblassers zu schützen, dient die Kategorie des lebzeitigen Eigeninteresses: Gemäß § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe bzw. nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1976, 749) bei einem gemeinschaftlichen Testament der Schlusserbe von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertrags- bzw. Schlusserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat. Dieser Anspruch entsteht freilich erst nach dem Erbfall (nur in besonderen Ausnahmefällen kann die lebzeitige Unwirksamkeit einer Schenkung wegen Verstoßes gegen § 138 BGB in Betracht kommen), weshalb die daraus resultierenden Rechtstreitigkeiten zwischen den Hinterbliebenen meist langwierig und schwierig sind und nicht selten erbittert geführt werden. Dies sollte ein weitsichtiger Erblasser vermeiden, indem er die Spielräume, die die Rechtsprechung aufgezeigt hat und in denen sie keine Beeinträch- tigungsabsicht annehmen will, bei seinen lebzeitigen Verfügungen, ggf. aber auch schon bei der Errichtung seiner letztwilligen Verfügungen, berücksichtigt.

Entscheidungsgründe und weitere Hinweise

Der BGH hat in diesem Zusammenhang nochmals klargestellt, dass für eine Beeinträchtigungsabsicht mit der Folge des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs gegen den Beschenkten erforderlich ist, dass „der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat“. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist demgegenüber anzunehmen, „wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerecht erscheint“ (BGHZ 77, 264, 266). Der BGH hat ein derartiges Interesse etwa angenommen, wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und ggf. auch Pflege geht, auch wenn zu diesem Zweck die Bindung an die jüngere Ehefrau vertieft werden soll, oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, „er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will“. Auf einen für Erblasser mit unternehmerischem Vermögen äußerst bedeutsamen Grund für ein lebzeitiges Eigeninteresse ist an dieser Stelle noch hinzuweisen: Nach einer Entscheidung des OLG Oldenburg (v. 05.10.2010; 12 U 51/10) ist die Absicht, den Bestand eines Geschäftsbetriebs zu erhalten und das Unternehmen auf einen geeigneten Nachfolger zu übertragen, ein billigenswertes Eigeninteresse des Erblassers und schließt eine Benachteiligungsabsicht aus. Wichtig dürfte hierbei insgesamt die Feststellung sein, dass solche Rechtfertigungsgründe gerade auch entstehen können, (lange) nachdem die bindende letztwillige Verfügung getroffen worden ist. Das lebzeitige Eigeninteresse fehlt hingegen in der Regel, wenn der Erblasser die Schenkung aus bloßer Sympathie für den Beschenkten gemacht hat oder vermögensmäßige Ungleichbehandlungen, die durch die bindende Verfügung entstehen, ausgleichen wollte. Allerdings hat der BGH nochmals klargestellt, dass der Vertrags- bzw. Schlusserbe für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse beweispflichtig ist. Ggf. trifft jedoch den Beschenkten wiederum die Darlegungslast für die Motive des Erblassers bei der Schenkung (BGH NJW 1976, 749, 751). In dem vorliegenden Fall hatte die länger lebende Ehefrau, die in ihrem gemeinschaftlichen Testament mit ihrem vorverstorbenen Ehemann die beiden gemeinsamen Kinder als Schlusserben eingesetzt hatte, ihr Hausgrundstück zu Lebzeiten unentgeltlich an ihren Sohn übertragen. In dem notariellen Überlassungsvertrag war ausdrücklich bestimmt, dass Gegenleistungen, insbesondere die Vereinbarung von „Wart- und Pflegeleistungen“, nicht gewünscht werden. Zunächst setzte sich der BGH mit der für Ehegatten, deren jeweiliges Vermögen sich wertmäßig stark unterscheidet, interessanten Thematik auseinander, dass die Schlusserbeneinsetzung durch den vermögenderen Ehegatten nicht wechselbezüglich sein kann, weil der vermögende Ehegatte an seiner eigenen Erbeinsetzung durch den vermögenslosen Ehegatten häufig kein Interesse habe. Vielmehr könne er stattdessen eher seine Freiheit behalten wollen, wen er als Schlusserbe einsetzt (BGH NJW- RR 2012, 207 m.w.N.). Nachdem das Gericht festgestellt hatte, dass hier gleichwohl eine wechselbezügliche Einsetzung der Schlusserben vorlag, befasste es sich mit der Frage, ob die genannte Vertragsklausel, wonach keine Wart- und Pflegeleistungen gewünscht seien, das lebzeitige Eigeninteresse der Erblasserin ausschließt. Der BGH stellte klar, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse an einer Schenkung auch dann vorliegen kann, „wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen – etwa zur Betreuung im weiteren Sinne –übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will“. Im Falle einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung handele es sich hingegen bereits nicht mehr um eine Schenkung i.S.d. § 2287 Abs. 1 BGB. Der Beschenkte konnte detail- liert darlegen und beweisen, welche (umfangreichen) Hilfe- und Dienstleistungen er über die Jahre für seine Mutter erbracht hatte. Allerdings wies der BGH insoweit darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen vermag. Der Wert der Schenkung sei dann entsprechend den Grundsätzen, die für die gemischte Schenkung entwickelt wurden, (nur) insoweit auszugleichen, als er unter „umfassender Gesamtabwägung“ den Wert der tatsächlich erbrachten sowie der vom Erblasser noch erwarteten Leistungen des Beschenkten übersteigt.

Fazit

Stellt ein Erblasser fest, dass er aufgrund eines Erbvertrages oder eines gemeinschaftlichen Testaments in der Freiheit, seine letztwilligen Verfügungen zu ändern, gehindert ist, kann er andere Personen als die Vertrags- bzw. Schlusserben durch Schenkungen zu Lebzeiten begünstigen. Solche Schenkungen sind nach dem Tode des Erblassers seitens der Vertrags- bzw. Schlusserben nur dann unangreifbar, wenn ein lebzeitiges Eigeninteresse des Schenkers/Erblassers vorlag. Der Erblasser sollte sein Eigeninteresse im Rahmen der Schenkung dokumentieren, indem er zumindest seine Motive darstellt. Erwartet er vom Beschenkten (Gegen-) Leistungen, sollte der Beschenkte diese Leistungen dokumentieren, um sie (und deren Wert) im Zweifelsfall belegen zu können. Wird die faktisch erwartete Gegenleistung als rechtliche Verpflichtung des Beschenkten vertraglich gefasst, schließt der Wert der Gegenleistung die Annahme einer angreifbaren Schenkung mindestens insoweit aus. Bei der Errichtung eines Erbvertrages oder eines gemeinschaftlichen Testaments sollte sich der Erblasser von vornherein Spielräume für die Modifikation seiner letztwilligen Verfügung lassen. So kann sich der Erblasser im Erbvertrag das Recht vorbehalten, nach Belieben lebzeitige Verfügungen zu machen, ohne dass dadurch Ansprüche nach §§ 2288, 2287 BGB begründet werden (h.M., 5. MünchKomm/Musielak, BGB, 5. Aufl., § 2287 Rz. 24 m.w.N.). Im Rahmen der Ausgestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments können die Ehegatten bei der jeweiligen Schlusserbeneinsetzung zugunsten ihrer Kinder etwa vorsehen, dass der überlebende Ehegatte zwar keines der Kinder enterben, wohl aber deren Erbquoten untereinander in einem bestimmten Umfang abändern darf oder dritten Personen Vermächtnisse einräumen darf.