Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz

Verfassungswidrigkeit des neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts? – Vorlagebeschluss des BFH an das BVerfG

Dr. Bertram Layer, Steuerberater

Problemstellung und praktische Bedeutung

Die erneute Vorlage der seit dem 01.01.2009 geltenden Fassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an das Bundesverfassungsgericht mit dem hier dargestellten Beschluss vom 27.09.2012 kommt nicht überraschend. Bereits in der FuS 2012, S. 39 f. haben wir über das durch den BFH eingeleitete Verfahren berichtet. In seinem Beschluss vom 05.10.2011 hatte das Gericht Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen (§§ 13a, 13b und 19a ErbStG) geäußert. In dem damaligen Beschluss hat der BFH das BMF aufgefordert, dem Verfahren beizutreten. Entgegen der vom BMF geäußerten Auffassung, dass die gültigen Vorschriften des ErbStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, ist der BFH der Auffassung, dass § 19 Abs. 1 in Verbindung mit den §§ 13a und 13b ErbStG in der auf den 01.01.2009 zurückwirkenden Fassung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22.12.2009 gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verstoßen, weil die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen (Freistellung von Betriebsvermögen zu 85 % bzw. 100 %) in wesentlichen Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich gerechtfertigte Maß hinausgingen. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass auch unter Berücksichtigung der Freibeträge des § 16 ErbStG und der umfangreichen Verschonungsregelungen die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme ist. Deshalb muss sich das BVerfG nun zum dritten Mal in Folge mit der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des ErbStG beschäftigen. Wann das Bundesverfassungsgericht über diese Vorlage entscheiden wird, ist derzeit nicht bekannt. Das letzte Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2006 ist erst rund viereinhalb Jahre nach der entsprechenden Vorlage durch den BFH entschieden worden. Eine ähnlich lange Verfahrensdauer angenommen, würde somit erst im Jahr 2017 mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen sein. Die spannende Frage ist nun, wie der Gesetzgeber und auch die Finanzverwaltung auf die Argumentation des BFH und die aus seiner Sicht zu beanstandenden Ungereimtheiten und Missstände des bestehenden Rechts reagieren werden. Jedenfalls drohen weitere Jahre der Unsicherheit bezüglich der Weiterentwicklung des Erbschaftsteuergesetzes. Schon jetzt werden Stimmen laut, die Erbschaftsteuer endgültig abzuschaffen, weil der Gesetzgeber eingestehen müsse, dass er es zum dritten Mal in Folge nicht geschafft hat, ein den Vorgaben der Verfassung entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Andererseits werden auch diejenigen Stimmen lauter, die eine Reduzierung oder gar Abschaffung der Verschonungsregelungen auf unternehmerisches Vermögen fordern. Letztlich wird die BFH-Entscheidung erneut zum Gegenstand scharfer politischer Auseinandersetzungen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf werden. Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist wohl damit zu rechnen, dass die Finanzverwaltung, wie auch in den vorangegangenen Vorlagebeschlüssen an das Bundeverfassungsgericht, die Steuerfestsetzungen nach dem Erbschaft und Schenkungsteuergesetz mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wird. Die Folge eines solchen Vorläufigkeitsvermerks wäre, dass die Festsetzung von Erbschaft oder Schenkungsteuer im Umfang der Vorläufigkeit aufgehoben oder geändert werden kann. Solange noch kein solcher Vorläufigkeitsvermerk in aktuell ergangenen Steuerbescheiden enthalten ist, sollte vorsorglich unter Hinweis auf den BFH-Beschluss und eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Erbschaft- steuergesetzes Einspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt werden. Sollte das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung gelangen, dass das geltende Erbschaft und Schenkungsteuergesetz verfassungswidrig ist, so würden sich im Falle eines Vorläufigkeitsvermerks keine Rechtsnachteile, z.B. in Gestalt eines Wegfalls von Verschonungsabschlägen ergeben, da unter Hinweis auf § 176 Abs. 1 Satz 1 AO bereits erlassene Steuerbescheide zumindest nach herrschender Meinung nicht zu Ungunsten der Steuerpflichtigen abgeändert werden dürfen (vgl. beispielsweise Eisele, NWB 2012, S. 3453 ff., 3466 mit weiteren Nachweisen). Sollte das Bundesverfassungsgericht wider Erwarten das geltende Erbschaft und Schenkungsteuergesetz rückwirkend für verfassungswidrig erklären und nicht, wie in den vorangegangenen Verfahren, den Gesetzgeber auffordern, bis zu einem in der Zukunft gelegenen Zeitpunkt den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende gesetzliche Regelungen zu verabschieden, so wäre in der Tat in allen noch nicht bestandskräftigen Fällen (z.B. mit Vorläufigkeitsvermerk versehene Steuerbescheide oder aber Steuerbescheide, gegen die Einspruch eingelegt wurde) die Steuerfestsetzung aufzuheben. Mit diesem für den Steuerpflichtigen günstigsten Fall ist aber wohl nicht zu rechnen.

Zum Sachverhalt

Der Entscheidung der Vorinstanz (Finanzgericht Düsseldorf) sowie dem BFH-Beschluss lag folgender Sachver- halt zu Grunde:

Ein Neffe war zu einem Viertel Miterbe des im Januar 2009 verstorbenen Onkels. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei Kreditinstituten und eines Steuererstattungsanspruchs zusammen und belief sich auf 51.266,– `. Unter Berücksichtigung eines persönlichen Freibetrags von 20.000,– ` setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer in Höhe von 9.360,– ` fest, basierend auf dem in der Steuerklasse II vorgesehenen Steuersatz von damals noch 30 %. Der Neffe begehrte die Herabsetzung der Steuer auf 4.680,– ` und machte geltend, dass mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 der Steuersatz für die Steuerklasse II in seinem Fall auf 15 % reduziert wurde, allerdings nicht rückwirkend zum 01.01.2009, sondern erst für die Steuer, die nach dem 31.12.2009 entsteht. Gegen die Gleichstellung von Personen in der Steuerklasse II und III beim Steuersatz im Veranlagungszeitraum 2009 äußerte der Kläger verfassungsrechtliche Bedenken und wollte die ab 2010 gültige Besserstellung der Steuerklasse II bereits für sich geltend machen. Das Finanzgericht Düsseldorf hat seine Klage abgewiesen und entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, Personen in der Steuerklasse II erbschaftsteuerlich besser zu behandeln als Personen in der Steuerklasse III. Gegen diese Entscheidung hat sodann der Kläger Revision beim BFH eingelegt, der zu dem Beschluss geführt hat.

Entscheidungsgründe

Der BFH stützt seine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht insbesondere auf folgende Kritikpunkte am geltenden Erbschaft und Schenkungsteuergesetz:

Nach Auffassung des BFH stellt die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und von Anteilen an Kapitalgesellschaften eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit verfassungswidrige Überprivilegierung dar. Nach Auffassung des BFH kann nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde. Dabei verweist der BFH auch auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim BMF aus dem Jahre 2012, das auf der Homepage des BMF abgerufen werden kann. Nach Auffassung des BFH ist auch der Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzer- halt“ nicht tragfähig, weil mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte hätten und schon deshalb nicht unter die Arbeitsplatzklausel fielen. In diesem Zusammenhang weist der BFH auch auf Gestaltungmöglichkeiten hin, die es seiner Auffassung nach auf einfache Art und Weise ermöglichen, diese Vorschriften zu umgehen. Sodann setzt sich der BFH ausführlich mit rechtlichen Gestaltungen auseinander, die dazu führen, dass nicht betriebsnotwendiges Vermögen ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung auf die Nachfolgegeneration übertragen werden kann. Hier stellt er beispielsweise auf die Möglichkeit der Übertragung von liquiden Vermögen im Rahmen der sogenannten Cash-GmbH oder Cash-Personengesellschaft ab. Der BFH führt aus, dass beispielsweise ein Anteil an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft, deren Betriebsvermögen aus 100 Mio. ` Festgeldguthaben besteht, nach Maßgabe der erbschaftsteuerlichen Regelungen übertragen werden kann, ohne dass Erbschaftsteuer oder Schenkungsteuer anfällt und ohne dass dieses Vermögen einer besonderen Gemeinwohlbindung oder Gemeinwohlverpflichtung unterliegt.

Ergänzende Hinweise

Wie oben bereits vor dem Hintergrund der verfahrensrechtlichen Situation dargestellt, sollte gegen aktuell ergangene Erbschaft- oder Schenkungsteuerbescheide Einspruch eingelegt werden, sofern der Steuerbescheid nicht bereits von der Finanzverwaltung mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen wird. Aus Sicht des Steuerpflichtigen und seiner Berater sollten auch die Bemühungen des Gesetzgebers, „Steuersparmodelle“ wie die Cash-GmbH oder andere Gestaltungen einzudämmen, kritisch verfolgt und im Hinblick auf die konkreten Auswirkungen auf die Gestaltung der Unternehmensnachfolge im Auge behalten werden. Die Erweiterung des Verwaltungsvermögensbegriffs in der Stellungnahme des Bundesrats zum Jahressteuergesetz 2013 zeigt hier exemplarisch, welche Dimension gesetzgeberische Gegenmaßnahmen erreichen können. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen, jetzt aber nicht in die vom Bundestag beschlossene Fassung des Jahressteuergesetzes aufgenommenen Gesetzesformulierungen wären mit sehr weitgehenden Konsequenzen für die Unternehmensnachfolge bei solchen Unternehmen verbunden, die liquiditätsmäßig Vorsorge getroffen haben und würden viele Familienunternehmen bei Schenkungen oder im Erbfall ins Mark treffen. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden längeren Unsicherheitsphase bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sollten Schenkungsverträge mit Widerrufsklausel versehen werden, die auch den Fall umfassen, dass das derzeit gültige Erbschaft und Schenkungsteuergesetz für verfassungswidrig erklärt wird und z.B. durch Zeitablauf außer Kraft gesetzt wird. Es wäre dann eine erbschaft- und schenkungsteuerfreie Zeit gekommen, die es ermöglichen würde, Schenkungen zu widerrufen und eine unter Inanspruchnahme des 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ursprünglich festgesetzte Schenkungsteuer zum Erlöschen zu bringen. Die erneute Schenkung zu einem Zeitpunkt, in dem kein gültiges Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz mehr vorhanden wäre, würde somit auch zu keiner Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer führen. Allerdings ist bei der Ausgestaltung solcher Widerrufsklauseln Vorsicht geboten. Es dürfen daraus keine grundsätzlichen Zweifel an der Wirksamkeit der Schenkung entstehen.