BFH, Urteil vom 16.02.2011, X R 46 / 09

 

Tatbestand

I. Die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine gemeinnützige Stiftung des
privaten Rechts und Alleinerbin der im Jahre 2006 verstorbenen R.
(Erblasserin). Die Erblasserin hatte im Jahre 1995 mit ihrem Ehemann ein
gemeinschaftliches Testament errichtet, in welchem sie sich gegenseitig zu
alleinigen Erben eingesetzt hatten. Ferner hatten sie bestimmt, dass nach dem
Tode des Nachversterbenden den Nachlass eine gemeinnützige auf ihrer beider
Namen lautende Stiftung erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemannes hatte die
Erblasserin erwogen, einen anderen gemeinnützigen Verein zu begünstigen. Ihre
juristischen Ratgeber rieten jedoch davon ab, da dies gegen die Bindungswirkung
des gemeinschaftlichen Testaments verstoße.

Nach dem Tode der Erblasserin errichtete ein
Nachlasspfleger die Stiftungssatzung. Im Jahre 2007 wurde die Klägerin von der
Aufsichtsbehörde genehmigt. Das Nachlassgericht erteilte darauf einen Erbschein,
nach dem die Klägerin Alleinerbin sei. Der Wert des Nachlasses übersteigt 1,4
Mio. €.

In der Einkommensteuererklärung für das Todesjahr 2006
der Erblasserin machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von 500.000 € als
Zuwendungen in den Vermögensstock einer Stiftung anlässlich deren Neugründung
nach § 10b Abs. 1a des Einkommensteuergesetzes in der für 2006 gültigen Fassung
(EStG) geltend. In der Folgezeit legte die Klägerin eine Spendenbescheinigung
vor, nach der die Erblasserin an ihrem Todestage der Klägerin 1 Mio. €
zugewendet habe. In der Spendenbescheinigung heißt es unter anderem, die
Zuwendung sei aufgrund des Testaments der Erblasserin anlässlich der
Neugründung der Klägerin innerhalb eines Jahres in ihren Vermögensstock
erfolgt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
–FA–) ließ in dem Einkommensteuerbescheid 2006 die geltend gemachten
Aufwendungen unberücksichtigt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010,
431 veröffentlicht ist, hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
Aufwendungen seien nicht als Sonderausgaben der Erblasserin abziehbar, da sie
selbst keine Ausgaben geleistet habe. Für den Abfluss von Sonderausgaben gelte §
11 EStG. Das Vermögen der Erblasserin sei erst mit deren Tod kraft
Gesamtrechtsnachfolge auf die Klägerin übergegangen und deshalb nicht mehr zu
Lebzeiten der Erblasserin abgeflossen. Die Rückwirkungsfiktion in § 84 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bezwecke nur, der zum Todeszeitpunkt noch nicht
genehmigten und damit noch nicht rechtsfähigen Stiftung den Vermögenserwerb
durch Erbgang zu ermöglichen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung
von § 10b Abs. 1a EStG. Die Bezugnahme des FG auf die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zu Vermächtnissen (Senatsurteil vom 23. Oktober 1996 X R
75/94, BFHE 181, 472, BStBl II 1997, 239) hinsichtlich des Abflusszeitpunkts
der Aufwendungen sei unzulässig. Die Erfüllung eines Vermächtnisses sei eine
Leistung des Erben. Die Errichtung einer Stiftung von Todes wegen sei jedoch
eine vom Erblasser zu Lebzeiten freiwillig veranlasste Zuwendung aus seinem
Vermögen. Außerdem bedeute bei der Gesamtrechtsnachfolge „mit dem
Tode“ unmittelbar, d.h. ohne zeitlichen Zwischenraum zwischen Erbanfall
und Erbschaftserwerb –nicht einmal für eine juristische Sekunde–, so dass es
nie zu einer ruhenden oder herrenlosen Erbschaft komme (vgl. Palandt/Weidlich,
Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 1922 Rz 6).

Entgegen der Auffassung des FG sei die Erblasserin
auch nicht bis zum Zeitpunkt ihres Todes in der Verfügung über ihr Vermögen
frei gewesen. Vielmehr bestehe nach dem Tode des ersten Ehegatten eine Bindung
an wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments. Es fehle
auch nicht an der wirtschaftlichen Belastung der Erblasserin; diese falle mit
dem Zeitpunkt des Abflusses der Aufwendungen zusammen, welcher zu Lebzeiten der
Erblasserin stattgefunden habe. Der Abfluss der Zuwendungen sei in zeitlicher
Hinsicht der Sphäre der Erblasserin zuzuordnen. Die Erblasserin habe
Konsumverzicht geleistet und ihr Vermögen erhalten, um es einer gemeinnützigen
Stiftung zuzuführen; hierdurch sei die Erblasserin wirtschaftlich belastet
gewesen.

Außerdem werde für den Fall der Stiftungsgründung der
Abflusszeitpunkt bei der Erblasserin durch die Zuordnungsvorschrift des § 84
BGB konkretisiert. Diese Vorschrift sei im Hinblick auf den Erbanfall in das
Gesetz aufgenommen worden. Sie bewirke, dass das betreffende Vermögen zu einem
Zeitpunkt vor dem Tode des Erblassers als zugeflossen gelte. Da es sich bei dem
Zeitpunkt des Zu- und des Abflusses i.S. des § 11 EStG um einen einheitlichen
Zeitpunkt handele, folge aus § 84 BGB, dass die Zuwendung noch vor dem Tod der
Erblasserin aus ihrem Vermögen abgeflossen sei.

Die Nichtzulassung des Sonderausgabenabzugs
widerspreche zudem dem Zweck des § 10b EStG. Der Sonderausgabenabzug solle zu
förderungswürdigen Tätigkeiten im sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen
Bereich anregen. Durch das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements vom 10. Oktober 2007 (BGBl I 2007, 2332) seien rückwirkend zum 1.
Januar 2007 die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten für Zuwendungen an Stiftungen
verbessert worden. Deshalb sei eine restriktive Auslegung der bis zum 31. Dezember
2006 geltenden Gesetzesnorm verfehlt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid 2006 vom 31. März 2008 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13. November 2008 dahingehend zu ändern, dass die
Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision ist unbegründet und wird
zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Recht hat
das FA die Zuwendungen der Erblasserin an die Klägerin nicht zum
Sonderausgabenabzug nach § 10b Abs. 1a EStG zugelassen.

Nach § 10b Abs. 1a Satz 1 EStG in der im Streitjahr
2006 geltenden Fassung können Zuwendungen zur Förderung bestimmter als
gemeinnützig anerkannter Zwecke, die anlässlich der Neugründung in den
Vermögensstock einer Stiftung des öffentlichen Rechts oder einer nach § 5 Abs.
1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes steuerbefreiten Stiftung des privaten
Rechts geleistet werden, bis zu einem Betrag von 307.000 € neben laufenden
Zuwendungen als Sonderausgaben abgezogen werden. Nach § 10b Abs. 1a Satz 2 EStG
gelten als anlässlich der Neugründung geleistet Zuwendungen bis zum Ablauf
eines Jahres nach Gründung der Stiftung. Unter Zuwendungen im Sinne dieser
Regelung sind alle Wertabgaben zu verstehen, die aus dem geldwerten Vermögen
des Spenders zur Förderung des begünstigten Zwecks abfließen und bei dem
Spender zu einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung führen (Senatsurteil
vom 20. Februar 1991 X R 191/87, BFHE 164, 235, BStBl II 1991, 690, unter 3.).
Hieran fehlt es im Streitfall.

1. Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer (§ 2 Abs.
7 Satz 1 EStG). Die Grundlagen für ihre Festsetzung sind jeweils für ein
Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Die persönliche
Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG erlischt mit dem Tode. Der Verstorbene als
Steuerpflichtiger ist daher für das Sterbejahr mit den bis zum Todeszeitpunkt
erzielten Einkünften zu veranlagen. Das sind alle Einkünfte, die zu Lebzeiten
zu versteuern gewesen wären (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 1 Rz 14). Für
die Ermittlung der jeweiligen Besteuerungsgrundlagen gelten die allgemeinen
Einkommensermittlungsgrundsätze. Für die Abziehbarkeit von Sonderausgaben ist
gemäß § 11 Abs. 2 EStG der Zeitpunkt maßgebend, zu dem sie geleistet wurden
(Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 10 Rz 12; vgl. zum Sonderausgabenabzug im Falle
des Übergangs von der unbeschränkten zur beschränkten Steuerpflicht BFH-Urteil
vom 22. Januar 1992 I R 55/90, BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550).
Sonderausgaben können deshalb nur bei der Veranlagung der Erblasserin
berücksichtigt werden, wenn sie bis zum Todeszeitpunkt geleistet wurden.

2. Bis zum Tode der Erblasserin sind keine Spenden
i.S. von § 10b Abs. 1a i.V.m. § 11 Abs. 2 EStG abgeflossen, da sie bis dahin
keine Zuwendungen an die Klägerin geleistet hatte.

Eine Ausgabe ist in dem Zeitpunkt abgeflossen, in dem
der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Geld bzw. das
geldwerte Gut verliert (z.B. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1985 VIII R 284/83, BFHE
146, 108, BStBl II 1986, 481, unter 2.b, m.w.N.). Hieran fehlt es für den
Zeitraum der persönlichen Steuerpflicht der Erblasserin, denn sie hat zu
Lebzeiten keine Ausgabe geleistet.

a) Bei der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1
BGB geht das Vermögen mit dem Tod als Erbfall unmittelbar und von selbst kraft
Gesetzes auf den Erben über (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1922 Rz 2 und 6).
Auslösendes Moment für den Übergang der Erbschaft ist daher der Tod des
Erblassers. Erst mit dem Tod fließt das Erbe ab; mithin ist ein Abfluss noch zu
Lebzeiten des Erblassers nicht gegeben. Dass es sich bei Erbeinsetzungen –worauf
die Klägerin abstellt– um eine freiwillige Entscheidung des Erblassers zu
dessen Lebzeiten handelt, hat keine Auswirkung auf den Abflusszeitpunkt. Denn
die freiwillige Entscheidung, wem der Erblasser sein Vermögen nach seinem Tod
zuwenden möchte, bildet nur den ersten Schritt des Vermögensübergangs. Der
tatsächliche Abfluss des Vermögens findet aber erst mit dem Tod statt.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine
Zurechnung der Ausgaben zur Sphäre der Erblasserin auch nicht daraus, dass die
Erblasserin durch die Zuwendungen wirtschaftlich belastet gewesen sei,
insbesondere aufgrund der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments.
Diese Bindungswirkung bezieht sich nicht auf die zu vererbende Vermögensmasse
als solche. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2
FGO) haben die Eheleute im Streitfall die Voll- und Schlusserbfolge nach § 2269
Abs. 1 BGB gewählt. Sie haben sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und
nach dem Tode des Letztversterbenden die Klägerin als Erbin bestimmt. Hierdurch
wurde die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes dessen alleinige Vollerbin;
der Nachlass ihres Ehemannes vereinigte sich mit ihrem Vermögen in ihrer Hand
zu einem einheitlichen Vermögen. Was davon bei ihrem Tod noch vorhanden war,
ging dann auf die Klägerin als Schlusserbin über (Palandt/Weidlich, a.a.O., §
2269 Rz 3); nur dies zu ändern, untersagt § 2271 BGB. Zu Lebzeiten konnte die
Erblasserin über das Vermögen frei verfügen; sie hätte es beispielsweise für
sich verbrauchen können. Die persönliche Entscheidung der Erblasserin, mit dem
Vermögen so zu wirtschaften, dass nach ihrem Tode ein beträchtlicher Betrag der
Klägerin zufließen konnte, war ungeachtet ihrer sozialen Komponente eine
freiwillige Entscheidung, die ihr nicht durch die Bindungswirkung des
gemeinschaftlichen Testaments auferlegt war.

c) Auch eine einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 2
EStG i.V.m. § 10b Abs. 1a EStG dahingehend, dass der Normzweck des § 10b Abs.
1a EStG eine Zuordnung der Zuwendungen zu der Sphäre der Erblasserin geböte,
kommt nicht in Betracht. Es ist zwar richtig, dass durch das Gesetz zur
weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements die steuerlichen
Abzugsmöglichkeiten für Zuwendungen an Stiftungen verbessert wurden. Diese
Entscheidung lässt aber keine teleologische Reduktion des § 11 Abs. 2 EStG
dahingehend zu, den nicht mehr zu Lebzeiten der Erblasserin stattfindenden
Abfluss der Zuwendungen ungeachtet des Endes ihrer persönlichen Steuerpflicht
ihr zuzurechnen, wenn anderenfalls eine Zuwendung an eine gemeinnützige
Einrichtung i.S. des § 10b EStG sich nicht steuermindernd auswirken würde.
Durch die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Spenden nach § 10b EStG soll
zwar zu privatem uneigennützigem Handeln zugunsten bestimmter, als besonders
förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger Zwecke angeregt werden
(Senatsurteil vom 22. September 1993 X R 107/91, BFHE 172, 362, BStBl II 1993,
874, m.w.N.). Der Senat hat aber bereits ausgeführt, dass § 10b EStG keine
Abweichung von dem Abflussprinzip nach § 11 Abs. 2 EStG gebietet (Einzelheiten
vgl. Senatsurteil in BFHE 181, 472, BStBl II 1997, 239, unter 3.b bb). An
dieser Auffassung hält der Senat auch für den Streitfall fest.

Eine ausdrückliche Abweichung vom Abflussprinzip nach §
11 Abs. 2 EStG enthält § 10b Abs. 1a Satz 1 EStG insoweit, als die Vorschrift
zulässt, Stiftungsgründungsspenden auf Antrag wahlweise im Jahr der Zuwendung
oder in beliebiger Verteilung auf dieses oder die nachfolgenden neun Jahre als
Sonderausgaben abzuziehen. Anhaltspunkte für eine weitere, nicht ausdrücklich
normierte Einschränkung des § 11 Abs. 2 EStG dahingehend, dass die Zuwendungen
bereits für vor dem Abflusszeitpunkt liegende Zeiträume als Sonderausgaben
geltend gemacht werden können, sind nicht erkennbar.

d) Schließlich enthält die zivilrechtliche
Sonderregelung des § 84 BGB keine Konkretisierung des Abflusszeitpunkts von
Stiftungsgründungsspenden.

Zwar kann diese Vorschrift, wonach eine Stiftung, die
erst nach dem Tode des Stifters genehmigt wird, für die Zuwendungen des
Stifters als schon vor dessen Tod entstanden gilt, auch im Steuerrecht
Anwendung finden (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 2003 I R 85/02, BFHE 204,
72, BStBl II 2005, 149, unter II.1.). § 84 BGB bewirkt aber keine Vorverlegung
des Abflusszeitpunkts von Zuwendungen, sondern fingiert lediglich die Existenz
der sowohl von Todes wegen als auch unter Lebenden errichteten Stiftung, wenn
der Stifter vor der Genehmigung der Stiftung verstorben ist (Senatsurteil in BFHE
181, 472, BStBl II 1997, 239, unter 3.b cc; Geserich, in: Kirchhof/
Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10b Rz Ba 131). Die Vorschrift ermöglicht dem Stifter
die Erbeinsetzung der Stiftung, was ohne diese Regelung nach § 1923 Abs. 1 BGB
unzulässig wäre (MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl., § 84 Rz 1).
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OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 15.02.2011, 5 U 30 / 10

 

Tatbestand

Die Klägerin zu 1.) und der Kläger zu 2.), der ohne eigenes Rechtsmittel nur als notwendiger Streitgenosse der Klägerin zu 2.) beteiligt ist, waren und sind Stammaktionäre der Beklagten und Teilnehmer der Hauptversammlung vom 8.5.2009. Auch die Streithelfer auf Seiten der Beklagten sind Stammaktionäre, wie inzwischen unstreitig geworden ist. Gegenstand der Hauptversammlung waren die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, behandelt unter TOP 3 und 4, sowie die Aufhebung und Neuschaffung neuen genehmigten Kapitals, und zwar Kapital I unter TOP 7 und Kapital II unter TOP 8.

Die Klägerin zu 1.), die gegen alle Beschlussfassungen Widerspruch erhoben hat, war als Angehörige der Gründerfamilie Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten, bis sie in der Hauptversammlung vom 21.5.2008 wegen der Stimmabgabe der Stiftung nach ihrer verstorbenen Stiefmutter nicht wieder bestellt wurde. Diese Stiftung hält ca. 58% der Stammaktien der Beklagten, wobei die Stimmrechtsausübung bei den drei Testamentsvollstreckern nach der verstorbenen Stiefmutter liegt. Einer von diesen ist der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. RA1. Dr. RA 1 ist zugleich Partner einer überörtlichen Anwaltskanzlei, die – nach erstinstanzlicher Vortragslage – pro Jahr etwa für eine Mio. € Mandate durch die Beklagte erhält. Die Beklagte verfuhr dabei so, dass die jeweiligen Einzelmandate erst nach Bezahlung der Honorare dem Gesamtaufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt wurden. Die vom 1.1.2008 bis 30.9.2008 erbrachten Zahlungen auf Mandatsverträge wurden mit Beschluss des Aufsichtsrats vom 4.12.2008 genehmigt. Weitere Genehmigungen erfolgten bis zu den angefochtenen Entlastungsentscheidungen vom 8.5.2009 nicht. Der im Geschäftsbericht enthaltene Corporate Governance Bericht für das Jahr 2008, auf den verweisen wird (Anl. K 2, Bl. 107 d.A.), schilderte, dass der Aufsichtsrat der Mandatierung des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden zugestimmt habe. Die Entsprechenserklärung vom 21.5.2008 enthält insoweit keine Besonderheiten.

In der Hauptversammlung vom 8.5.2009 stellten der Kläger zu 2.) und ein Aktionär Dr. A eine Reihe von Fragen, die im Urteil des Landgerichts wiedergegeben sind, und zwar dort beziffert mit 1.) bis 12.). Zu den Einzelheiten der Fragen wird auf diese Wiedergabe Bezug genommen (LGU S. 4 bis 6, Bl. 416 bis 418 d.A.). Die Fragen 1.) bis 5.) und 9.) bis 12.) bezogen sich auf die Entlastungsentscheidungen, die Fragen 6.) bis 8.) auf die genehmigten Kapitalien. Die Beklagte hatte in 2005 und 2008 Kapitalerhöhungen durchgeführt. Auf Grund einer Freigabeentscheidung des erkennenden Senats sind die genehmigten Kapitalien inzwischen eingetragen.

Die Klägerin zu 1.) hat die Entlastung angefochten, weil der im Geschäftsbericht für 2008 enthaltene Corporate-Governance-Bericht hinsichtlich der Zustimmungen zu den Dienstverträgen des Dr. RA1 unrichtig sei. Ein Vorstand, der rechtsgrundlos hohe Zahlungen an ein Aufsichtsratsmitglied leiste, verstoße auch gegen seine Pflichten, das Aufsichtsratsmitglied durch deren Entgegennahme.
Auch seien die Fragen zu den Dienstverträgen der Aufsichtsratsmitglieder und früheren Kapitalerhöhungen nicht oder nicht ausreichend beantwortet worden.

Die Kläger haben – sinngemäß – beantragt,

die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 8.5.2009 zu TOP 3 (Entlastung des Vorstands), TOP 4 (Entlastung des Aufsichtsrats), TOP 6 (genehmigtes Kapital I) und TOP 7 (genehmigte Kapital II) für nichtig zu erklären.

Die Beklagte und ihre Streithelfer haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, mit der Praxis der nachträglichen Zustimmungen zu den Mandaten und Zahlungen den gesetzlichen Bestimmungen genügt zu haben. Die Aktionäre seien ausreichend informiert worden. Die Mandate an Dr. RA1 seien Standardmandate außerhalb seiner Aufsichtsratstätigkeit gewesen.

Das Landgericht hat der Klage der Klägerin zu 1.) stattgegeben: Die Entlastungsentscheidungen seien gesetzeswidrig, weil die Organe am 21.5.2008 eine unrichtige Entsprechenserklärung abgegeben hätten. Der Aufsichtsrat habe nämlich nicht in seinem Bericht an die Hauptversammlung auf die sich aus der Genehmigungspraxis ergebenden Interessenkonflikte hingewiesen. Auch seien die Fragen nicht in einer Weise beantwortet worden, die eine Abgrenzung genehmigungsfähiger Mandate von solchen ermögliche, die zum organschaftlichen Tätigkeitsbereich gehören. Die Kapitalbeschlüsse seien anfechtbar, weil die Antworten auf die Fragen 6 bis 8 eine Überprüfung früherer Kapitalerhöhungen nicht ermöglicht hätten. Die Klage des Klägers zu 2.) ist abgewiesen worden, weil sie als Anfechtungsklage verfristet erhoben worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil Bezug genommen (Bl. 413- 435 d.A.).

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Ziel der Klageabweisung weiter. Die Fragen seien nicht erforderlich gewesen oder beantwortet worden. Eine unrichtige Entsprechenserklärung sei nicht abgegeben worden. Sie behauptet, etwa zwei Drittel der Mandate, die an die Kanzlei des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. RA1 erteilt worden seien, seien namens der konzernzugehörigen B AG & Co. KGaA erteilt worden. Auf der Aufsichtsratssitzung Ende 2007 sei – wie jährlich üblich – das Budget für Mandate an die Aufsichtsratsmitglieder dem Vorstand gegenüber festgelegt worden. Im vierten Quartal 2008 seien keine Zahlungen auf Mandate an die Kanzlei des Dr. RA1 erfolgt, damit die Genehmigung der Aufsichtsratssitzung vom 4.12.2008 alle Zahlungen des Kalenderjahres 2008 habe erfassen können. Diese Verfahrensweise – Bereitstellung eines Budgets und nachträgliche konkrete Genehmigung unterjähriger Zahlungen am Jahresende – sei praktikabel und auch von einem befragten namhaften Wirtschaftsprüfungsunternehmen gut geheißen worden.

Die Beklagte und die Streithelferin zu 1.) beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil und bestreiten den neuen Vortrag zum Anteil der Mandate der B und zur Genehmigungspraxis in pauschaler Weise.

Die Beklagte hat den Schriftsatz vom 19.1.2011 nachgereicht, mit dem sie geltend macht, nur 6% der von der Konzernrechtsabteilung veranlassten Rechtsanwaltsmandaten an die Kanzlei des Dr. RA1 seien für die Beklagte erteilt worden.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht eingelegt und gerechtfertigt worden. Das Rechtsmittel
hat teilweise Erfolg.

Zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat beruht
das angefochtene Urteil des Landgerichts nicht auf einem Rechtsfehler, § 513
Abs.1 ZPO iVm. § 546 ZPO, weil es im Ergebnis richtig ist, wie auch neues
Vorbringen des Berufungsverfahrens entweder nicht zuzulassen ist oder keine
andere Entscheidung zu tragen vermag.

Die Entlastungsbeschlüsse betreffend Vorstand und
Aufsichtsrat (TOP 3 und 4) sind nach § 248 Abs.1 AktG für nichtig zu erklären.
Nach Art. 9 Abs.1 c, ii SE-VO ist die aktienrechtliche Beschlussanfechtung auf
Beschlüsse der SE anzuwenden.

Die formellen Voraussetzungen einer Anfechtung sind
gegeben, namentlich ist die Klägerin anfechtungsbefugt iSd. § 245 AktG: Sie war
vor Bekanntmachung der Tagesordnung Aktionärin, in der Hauptversammlung
erschienen und legte Widerspruch gegen alle Beschlussfassungen ein
(Klageschrift S. 21). Die Anfechtungsfrist (§ 246 Abs.1 AktG) ist durch die
Klägerin zu 1.) gewahrt worden. Die Klage ist im Anschluss an die
Hauptversammlung vom 8.5.2008 allerdings erst am 29.6.2009 zugestellt worden.
Die Zustellung an den bestellten Prozessbevollmächtigten war jedoch demnächst
iSd. § 167 ZPO. Sie erfolgte mit Verfügung vom 19.6.2009, datiert auf den
22.6.2009, ohne dass ein schuldhaftes Verzögern durch die Klägerin zu 1.)
vorgelegen hat.

Ein Anfechtungsgrund liegt zu den
Entlastungsbeschlüssen vor (§ 243 Abs.1 ZPO), weil diese gegen § 120 Abs.2 Satz
1 AktG verstießen. Sie billigten nämlich die Verwaltung durch die Organe
außerhalb eines der Hauptversammlung zustehenden Ermessensspielraums, weil die
Billigung erklärt wurde, obwohl ein schwerer und eindeutiger Gesetzesverstoß
vorlag.

Die vom Vorstand der Beklagten im Entlastungszeitraum,
dem Kalenderjahr 2008, veranlassten hohen Zahlungen an die
Rechtsanwaltsgesellschaft, bei der der stellvertretende
Aufsichtsratsvorsitzende Dr. RA1 Mitgesellschafter war und ist, verstießen
gegen § 114 Abs.1 AktG, wobei zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden
kann, dass – von der Klägerin sinngemäß mit Nichtwissen bestritten (Schriftsatz
vom 29.9.2009, S.7, Bl. 252 d.A.) – tatsächlich nur Aufträge außerhalb der
Aufsichtsratstätigkeit des Dr. RA1 erteilt worden waren.

§ 114 Abs.1 AktG ist nicht nur eine als
verfügungswirksame Bestimmung zu verstehen, sondern als Verhaltensnorm
auszulegen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich ein Verbot, ohne wirksamen
(Dritt-) Vertrag Zahlungen an ein Aufsichtsratsmitglied zu leisten (wie hier
MüKo/Semler, AktG, 2. Aufl., 2004, § 114 Rz.103).

Der Wortlaut des § 114 Abs.1, 2 AktG, von dem die
Gesetzesauslegung auszugehen hat, legt freilich nahe, dass nur die Wirksamkeit
der Drittverträge und die Abwicklung bei Unwirksamkeit geregelt sein könnten.
Dem widerspricht aber das Regelungssystem des Aktienrechts: In § 93 Abs.3 Nr.7
AktG ist geregelt, das sich der Vorstand schadensersatzpflichtig macht, wenn er
entgegen dem Aktiengesetz Vergütungen an Aufsichtsratsmitglieder gewährt.
Daraus folgt, dass die rechtsgrundlose Zahlung – sei sie auch praktikabel –
durch den Vorstand nicht als kaufmännisch vertretbares Geschäftsleiterverhalten
erlaubt oder hinzunehmen ist, sondern ein rechtswidriges, weil
schadenersatzbegründendes Verhalten darstellt. Für die Kreditgewährung des
Vorstands an den Aufsichtsrat ist die Verhaltensanforderung ausdrücklich in §
115 Abs.1 AktG geregelt („darf nur gewähren“) und in § 93 Abs.3 Nr.8
AktG als schadensersatzstiftend behandelt, wiewohl auch dort eine Rückzahlung
des Darlehens bei nachträglicher Genehmigung entfällt (§ 115 Abs.4 AktG). In
der Fachliteratur ist ohnehin anerkannt, dass die Zahlung sofort
zurückzugewähren ist, auch wenn es u.U. später noch zu einer Genehmigung kommen
könnte (Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 114 Rz.8; ebenso GK/Hopt/Roth; AktG,
Stand 1.10.2005, § 114 Rz.56; Schmidt/Lutter, AktG, 2008, Rz.20 zu § 114).

Die Annahme einer an den Vorstand und den Aufsichtsrat
gerichteten Verhaltensregelung in § 114 Abs.1 AktG deckt sich mit dem
erkennbaren Regelungszweck, der darin besteht (BGH vom 3.7.2006, II ZR 151/04 –
BGHZ 168, 188 – Rz.9 bei juris; BGH vom 4.7.1994, II ZR 197/93 – BGHZ 126, 340,
Rz. 12 bei juris, Hüffer, wie vor, Rz.1), eine unsachliche Beeinflussung
einzelner Aufsichtsratsmitglieder durch den Vorstand zu verhindern, also eine
Abhängigkeit des überwachenden Organs vom überwachten Organ zu verhindern. Die
Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds erfolgt aber nicht nur durch eine
Zahlung auf einen wirksamen Dienstvertrag, sondern auch durch eine Zahlung ohne
Rechtsgrund. Die Abhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds ist gar größer, wenn
das Aufsichtsratsmitglied damit rechnen muss, auf Rückzahlung in Anspruch
genommen zu werden, je nach dem, wann der Vorstand den Vertrag und die Zahlung
dem Gesamtaufsichtsrat zur Genehmigung vorlegt. Es geht in erster Linie um die
Funktionsfähigkeit der innerkörperschaftlichen Kontrolle und nur mittelbar um
den Schutz der Gesellschaft vor rechtsgrundlosen Zahlungen an Dritte. Dass die
ungebilligten Zahlungen an die Kanzlei des Dr. RA1 gegebenenfalls hätten
problemlos zurückerlangt werden können, steht für den Senat ohnehin außer
Zweifel.

Die Deutung des § 114 Abs.1 AktG als Verhaltensnorm
entspricht im Übrigen auch dem Willen des Gesetzgebers bei Einfügung des § 114
AktG in das AktG 1965: Sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen und eine
unsachliche Beeinflussung eines Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand
sollten verhindert werden (vgl. Kropf, Textausgabe des AktG vom 6.9.1965, 1965,
S.158).

Die Zahlungen des Vorstands an das
Aufsichtsratsmitglied Dr. RA1 des Jahres 2008 verstießen gegen § 114 Abs.1
AktG, weil sie erfolgten, ohne dass der Gesamtaufsichtsrat ihnen zugestimmt
hätte. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
erstmals geltend gemachte Zuteilung eines Jahresbudgets durch den Aufsichtsrat
zugunsten des Vorstands für derartige Mandate, pauschal bestritten, ist
unerheblich, weil § 114 Abs.1 AktG die Zustimmung im Einzelfall verlangt,
sodass es insoweit nicht auf eine Zurückweisung des neuen Vortrags nach § 531
Abs.2 ZPO ankommt.

Dass der Aufsichtsrat am 4.12.2008 alle Zahlungen des
Jahres 2008 genehmigt hatte, weil im vierten Quartal regelmäßig keine
Auszahlungen mehr erfolgten, ist freilich im Berufungsverfahren nach § 531
Abs.2 Ziff.1 ZPO zu berücksichtigen, denn die sich dazu verhaltende unklare
Ausführung im Beklagtenschriftsatz vom 28.8.2009 (S.7, Bl. 132 d.A.) war
ohnehin aufklärungsbedürftig. Der Senat glaubt dem Vorstand Dr. C auch die
entsprechende, wenngleich bestrittene Darstellung, denn sein Vortrag in der
mündlichen Verhandlung war in sich stimmig und erkennbar von dem Bemühen
getragen, die umfangreichen Mandate an den Aufsichtsrat Dr. RA1 in praktikabler
Weise mit der gesetzlichen Regelung noch in Einklang zu bringen (§ 286 Abs.1
ZPO).

Die Genehmigungspraxis lässt jedoch die
Pflichtwidrigkeit der Zahlungen nicht nachträglich entfallen, weil die
Rückwirkungsfiktion des § 184 Abs.1 BGB ein tatsächliches Fehlverhalten nicht
ungeschehen machen kann, wie sie auch mit dem Gesetzeszweck, also der Ratio des
§ 114 Abs.1 AktG, nicht zu vereinbaren ist. Eine entstandene Abhängigkeit des
Aufsichtsratsmitglieds in der Vergangenheit kann bereits während des
Schwebezustands zu Beeinflussungen geführt haben. In diesem Sinn stellt § 114
Abs.1 AktG einen abstrakten Gefährdungstatbestand dar. Würde man die Praxis der
Beklagten billigen, führte dies dazu, dass das Aufsichtsratsmitglied Dr. RA1
nahezu immerzu unberechtigte Mandatsvorteile nutzen könnte, nur einmal jährlich
durch eine Genehmigung unterbrochen. Die hohe Anzahl der an die Kanzlei des
Aufsichtsratsmitglieds erteilten Mandate rechtfertigt eine abweichende
Auslegung des § 114 Abs.1 AktG naheliegend nicht, wie aber die Beklagte meint.

Die Zahlungen sind nicht wegen Bedeutungslosigkeit
unbeachtlich. Dabei geht der Senat von einer jährlichen Honorarsumme von 1 Mio.
€ aus, die zugunsten der Kanzlei des Dr. RA1 ausgegeben wird. Der neue Vortrag
in der Berufungsverhandlung, zwei Drittel der Mandate seien namens einer im
Konzern verbundenen Gesellschaft erteilt worden, ist nach § 531 Abs.2 ZPO nicht
mehr zuzulassen. Er ist bestritten und Zulassungsumstände sind dazu nicht
vorgetragen oder ersichtlich. Die Mandate der Beklagten an Dr. RA1 waren von
Anfang des Rechtsstreits an zentrales Thema. Der nachgereichte Schriftsatz der
Klägerin vom 19.1.2011, der den Anteil an Mandaten anderer
Konzerngesellschaften noch weiter steigert, nämlich nun auf 94%, rechtfertigt
keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 Abs.1 und 2 ZPO). Dem
Antrag der Beklagten um Erklärungsfrist nach § 139 Abs.5 ZPO war nicht zu
entsprechen, weil der Senat mit der Darstellung seiner vorläufigen Auffassung
in der Sitzung förmliche Hinweise nach § 139 Abs.1 ZPO nicht gegeben hat.

Auf dieser Grundlage können die Zahlbeträge an Dr. RA1
nicht als unbedeutend unberücksichtigt bleiben. Ein Interessenkonflikt besteht
allerdings nicht, wenn es sich um mittelbare Zahlungen in einem zur
Aufsichtsratsvergütung zu vernachlässigenden Umfang handelte. Mittelbare
Zahlungen, wie auch diejenigen an eine teilrechtsfähige Anwaltsgesellschaft,
stehen unmittelbaren Zahlungen gleich, soweit sie dem Organmitglied zugute
kommen (BGH vom 2.4.2007, II ZR 325/05 – BB 2007, 1185, Rz.11 bei juris). Dabei
sind nur „ganz geringfügige Zuwendungen“ ohne Belang (BGH, wie vor) bzw.
Zuwendungen in „vernachlässigungsfähigem Umfang“ (BGH vom 20.11.2006, II ZR
279/05 – BGHZ 170, 60). Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass auf Dr. RA1 als
einem von 98 Partnern der beauftragten RA-Gesellschaft ein „Gewinnanteil von
rund 10.000,00 €“ pro Jahr aus dem Gesamthonorar der Kanzlei entfalle, das auf
Zahlungen der Beklagten beruhte (Bl. 379, BB S. 4, Bl. 487 d.A.).
Einzelaufträge und Einzelbeträge sind nicht genannt worden. Diese Behauptung
ist jedoch bestritten (Bl. 279 d.A: prozentual wesentlich höheren Anteil“)
und nicht weiter konkretisiert worden, wie es aber nötig wäre. Denn aus der
Gesamtpartnerzahl und dem Gesamtmandatsumsatz der Kanzlei mit der Beklagten
ergibt sich für ein Einzelinteresse des Dr. RA1 wenig. Die Behauptung –
10.000,00 € als Umsatzanteil p.a. – ist aber auch unerheblich. Eine Ausnahme
von der Konfliktregelung in § 114 AktG setzt nämlich voraus, dass eine
Gefährdung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds wegen der geringen
Höhe der zusätzlichen Vergütung ausgeschlossen ist. Hier bestimmt die hohe
Gesamtzahlung an die Kanzlei – 1 Mio. € pro Jahr – das Interesse des
Aufsichtsratsmitglieds. Denn er ist es, der den für die Sozietät lukrativen
Mandanten „an der Hand hat“. Seine Stellung in der Partnerschaft oder
auch nur sein dortiges Ansehen werden durch diesen Umstand naheliegend
beeinflusst. Ohnedies sind 10.000,00 € weder absolut noch im Verhältnis zu der
Gesamtvergütung des Dr. RA1 – einschließlich Tantiemen 149.000,00 € –
unbedeutend.

Ein Interessenkonflikt ist auch nicht wegen der
bereits erhaltenen Aufsichtsratsvergütung oder gar der sonstigen guten
Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Dr. RA1 ausgeschlossen. Einen Satz
der Lebenserfahrung, dass das Interesse an zusätzlichen Einkünften mit der Höhe
der bereits erzielten Einkünfte erlischt, gibt es nicht.

Der Gesetzesverstoß war schwerwiegend, denn die
unvoreingenommene Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat hat hohe
Bedeutung und betrifft eine Grundstruktur der Aktiengesellschaft, bei der eine
andere laufende Überwachung des geschäftsführenden Organs fehlt. Der Verstoß
war auch eindeutig, denn er betraf eine klare gesetzliche Regelung in § 114
Abs.1 AktG. Dass der Vorstand – beraten durch ein
Wirtschaftsprüfungsunternehmen – in einem Rechtsirrtum über die Verfahrensweise
handelte, ist unbeachtlich. Für den der Entlastung schädlichen Verstoß gegen
Gesetz oder Satzung kommt es auf ein Verschulden des Organs nicht an.

Die Zahlungen an die Kanzlei des Dr. RA1 entgegen der
aktiengesetzlichen Zustimmungspflicht waren auch für den Aufsichtsrat Dr. RA1
pflichtwidrig und damit schwere und eindeutige Gesetzesverstöße, die zur
Versagung der (Gesamt-) Entlastung nach § 120 Abs.1 AktG führen mussten, denn
einen Anspruch auf diese Zahlungen hatte die Anwaltspartnerschaft nicht, wie
aus § 114 Abs.1 AktG folgt. Da die Organe jeweils gesamtentlastet wurden, kommt
es nicht darauf an, dass nur einzelne Organmitglieder, etwa der Aufsichtsrat
Dr. RA1 als einziger Aufsichtsrat, pflichtwidrig handelten.

Im Übrigen ist die Klage, bezogen auf die
Beschlussfassungen zum genehmigten Kapital (TOP 6 und TOP 7), unbegründet.

Die geltend gemachten Verfahrensfehler gemäß § 243
Abs.1 und 4 AktG aus der Nichtbeantwortung der Fragen 6 bis 8 liegen nicht vor,
weil die Beklagte insoweit nicht gegen § 131 Abs.1 Satz 1 AktG verstoßen hat.

Zu Frage 6 fehlt die Erforderlichkeit iSd. § 131 Abs.
Satz 1 AktG für die Beurteilung der dem Vorstand zu erteilenden Ermächtigung
zur Kapitalerhöhung. Die Frage nach der im Jahr 2005 durchgeführten
Kapitalerhöhung 2005 war schon nicht erforderlich, weil diese Kapitalerhöhung
nicht mehr in einem zeitlichen Zusammenhang mit der in 2009 erstrebten
Beschlussfassung stand (vgl. OLG München WM 2009, 265, Rz.41 bei juris).

Aber auch zur Beurteilung der Ausnutzung des
genehmigten Kapitals in 2008 war Frage 6 nicht erforderlich. Denn sie zielte
nicht darauf ab, ob von der dem Vorstand eingeräumten Ermächtigung rechtmäßig
und zweckmäßig Gebrauch gemacht worden war, sondern auf die Durchführung der
Kapitalerhöhung, die sich aber nicht unterscheidet von einer Kapitalerhöhung
durch Satzungsbeschluss. Ob eine Kapitalerhöhung als solche gesetzmäßig
durchgeführt wurde, durfte jedoch nur dann hinterfragt werden, wenn
Anhaltspunkte für eine Unregelmäßigkeit bestanden. Diese trägt die Klägerin
nicht vor.

Ohnehin war Frage 6 zu den Provisionen beantwortet,
weil man die Antwort (Klageerwiderung S. 30, Bl. 155) dahin verstehen musste,
dass ansonsten keine anderen Zahlungen erfolgt waren.

Auch für Frage 7 gilt, wie vor, dass die Auskunft
nicht erforderlich war, § 131 Abs.1 AktG. Die Frage betraf nicht das besondere
Risiko, das aus einem genehmigten Kapital entsteht, sondern die Durchführung
einer Kapitalerhöhung schlechthin. Insoweit fehlt ebenfalls ein Anlass für
einen erhöhten Detaillierungsgrad einer Auskunft, sodass der Hinweis auf die
institutionellen Anleger und den Gesamtbruttoerlös genügt hat.

Zu Frage 8, welche Unterlagen dem Aufsichtsrat bei der
Beschlussfassung über die Zustimmung zum genehmigten Kapital vorgelegen haben
sollen, ist geantwortet worden, dass es am 18.6.2008 eine
Informationsveranstaltung für den Aufsichtsrat gegeben habe mit einer
Präsentation und Aushändigung einer umfangreichen Beschlussvorlage sowie
mündliche Informationen in der Aufsichtsratssitzung vom 3.7.2008. Ob der
Hinweis auf eine „Beschlussvorlage“ eine Antwort darauf war, welche Unterlagen
vorlagen, kann dahin stehen. Die Erforderlichkeit der Frage ist nämlich nicht
ersichtlich, namentlich nicht, was aus dem Vorliegen oder Nichtvorliegen
konkreter Unterlagen und welcher zu folgern gewesen wäre. Es ist auch nicht
klar, weshalb es auf schriftliche Unterlagen ankommt und mündliche
Erläuterungen in der Aufsichtsratssitzung als ungeeignet angesehen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.1 ZPO iVm. §
101 Abs.2, 69 ZPO. Der Streithelfer zu 2.) ist nicht an den Gerichtskosten
zweiter Instanz beteiligt (§ 100 Abs.2 ZPO). Die Vollstreckbarkeitsentscheidungen
beruhen auf § 708 Nr.10 und 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die
Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO fehlen.

Auch die nachgereichten Schriftsätze der Klägerin zu 1.) vom 2.2.2011
und 11.02.2011 veranlassen keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§
156 Abs.1 und 2 ZPO).
Quicklink: uw110602

BFH, Urteil vom 09.02.2011, I R 19 / 10

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Verein,
dessen Hauptaufgabe nach seiner Satzung die Förderung der … Kultur … ist.
Dieser Zweck soll insbesondere durch Bildungsangebote, Diskussions- und
Kulturveranstaltungen sowie Informationsstände erfüllt werden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–)
erkannte den Kläger mit einer vorläufigen Bescheinigung vom … als gemeinnützig
an. Aufgrund von … lehnte das FA den Antrag des Klägers auf Anerkennung als
gemeinnützigen Zwecken dienende Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) für das Streitjahr 2003 ab und erließ
einen auf 0 EUR lautenden Körperschaftsteuerbescheid.

Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG)
Düsseldorf mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1287 veröffentlichtem
Urteil vom 9. Februar 2010 6 K 1908/07 K
ab. Es war der Auffassung, der Kläger betätige sich über die Verfolgung seiner
satzungsmäßigen Zwecke hinaus in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang
allgemeinpolitisch. Die Verfolgung politischer Ziele sei kein gemeinnütziger
Zweck. Eine Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr.
9 KStG 2002 scheide im Hinblick auf das Ausschließlichkeitsgebot des § 56 der
Abgabenordnung (AO) zur Gänze aus.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung
materiellen und formellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben
und den Kläger unter Änderung des Bescheids vom 26. Oktober 2006 und der
Einspruchsentscheidung vom 25. April 2007 als gemeinnützigen Zwecken dienende
Körperschaft i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 2002 anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision ist unbegründet. Die Würdigung des FG, der
Kläger sei im Streitjahr nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 2002 von der
Körperschaftsteuer befreit gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.

1. Nach dieser Vorschrift sind von der Körperschaftsteuer
befreit Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der
Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach ihrer
tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen,
mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen. Voraussetzung für die Gewährung
der Steuervergünstigung ist, dass sich aus der Satzung, dem Stiftungsgeschäft
oder der sonstigen Verfassung ergibt, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt,
dass dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO entspricht und dass er
ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird (§ 59 AO). Die tatsächliche
Geschäftsführung der Körperschaft muss auf die ausschließliche und unmittelbare
Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke gerichtet sein und den Bestimmungen
entsprechen, die die Satzung über die Voraussetzungen für Steuervergünstigungen
enthält (§ 63 Abs. 1 AO).

2. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger nach
seiner Satzung … einen gemeinnützigen Zweck verfolgt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
i.V.m. Abs. 1 AO). Es hat aber ebenso zu Recht angenommen, dass die
Steuervergünstigung deshalb zu versagen ist, weil die tatsächliche
Geschäftsführung (§ 63 Abs. 1 AO) des Klägers im Streitjahr nicht nur auf die
ausschließliche und unmittelbare Erfüllung seines satzungsmäßigen Zwecks
gerichtet war, sondern dass er entgegen § 56 AO daneben auch
allgemeinpolitische Ziele verfolgt hat.

a) Das FG hat dies damit begründet, dass der Kläger in
seiner Selbstdarstellung im Internet politische Forderungen gestellt und
politische Meinungen geäußert habe, die über die Verfolgung seines
satzungsmäßigen Zwecks weit hinausgingen. (…). Der Kläger erhebe damit den
Anspruch, umfassend zu allgemeinpolitischen Themen und Fragen Stellung zu
nehmen. Vor diesem Hintergrund erweise sich auch der Aufruf zur Wahl einer
bestimmten Partei bei der Bundestagswahl 2005, der für sich gesehen noch nicht
als gemeinnützigkeitsschädlicher Verstoß gegen das in der Satzung verankerte
Gebot der parteipolitischen Neutralität zu werten sei, als Ausdruck des
politischen Selbstverständnisses des Klägers und konsequente Umsetzung seiner
umfassenden politischen Zielvorstellungen.

b) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Nach der Senatsrechtsprechung (Urteile vom 29. August
1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844; vom 23. November 1988 I R
11/88, BFHE 155, 461, BStBl II 1989, 391) fördert eine Körperschaft auch dann
ausschließlich ihren gemeinnützigen Satzungszweck, wenn sie gelegentlich zu
tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungszwecks Stellung nimmt, sofern
die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder
wird, sondern der Vermittlung der Ziele der Körperschaft dient. Denn häufig ist
die begünstigte Tätigkeit zwangsläufig mit einer gewissen politischen
Zielsetzung verbunden. Die vom FG angeführten politischen Forderungen haben
aber mit dem satzungsmäßigen Ziel des Klägers der Förderung … der Kultur …
nichts zu tun. Sie dienen nicht der Vermittlung der satzungsmäßigen Ziele des
Klägers; mit ihnen wird vielmehr neben dem satzungsmäßigen Zweck … ein weiterer
eigenständiger Zweck verfolgt. Ob die vom Kläger verfolgten politischen Ziele
als gemeinnützig i.S. des § 52 AO anerkannt werden könnten, bedarf im
Streitfall keiner Entscheidung. Da der Kläger diese Ziele nicht in seine
Satzung aufgenommen hat, scheitert die Steuerbefreiung im Streitjahr bereits
daran, dass seine tatsächliche Geschäftsführung entgegen §§ 56 AO, 63 Abs. 1 AO
nicht ausschließlich auf die Erfüllung seiner satzungsmäßigen Zwecke gerichtet
war.

bb) Das FG durfte bei seiner Prüfung, ob die tatsächliche
Geschäftsführung des Klägers ausschließlich auf die Verwirklichung
satzungsmäßiger Ziele gerichtet war (§ 56 AO), die Selbstdarstellung des
Klägers auf seiner Internetseite heranziehen. Es durfte aus den dort
befindlichen Äußerungen die Schlussfolgerung ziehen, dass der Kläger neben
seinen satzungsmäßigen Zwecken … auch weitere allgemeinpolitische Ziele
tatsächlich verfolgt. Es mag zwar sein, dass die Selbstdarstellung des Klägers
im Internet nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. Nachdem
das FG im Erörterungstermin vom 12. Januar 2010 aber den Hinweis gegeben hatte,
es sei nicht fernliegend, den Kläger als politischen Verein zu werten, der
vorrangig politische Zwecke verfolge, die bereits dem Grunde nach nicht
gemeinnützig seien, musste der Kläger damit rechnen, dass auch seine
Selbstdarstellung auf seiner Internetseite oder in anderen Medien zur Prüfung
der Frage, ob er auch allgemeinpolitische Ziele verfolge, herangezogen werden
würde.

cc) Aus dem Vortrag des Klägers, das FG habe nicht
aufgeklärt (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), ob die
Selbstdarstellung des Klägers tatsächlich mit Billigung seines Vorstandes ins
Internet gelangt sei oder ob es sich hierbei um eine nicht autorisierte
Meinungsäußerung eines einzelnen Vereinsmitglieds handle, folgt nichts
Gegenteiliges. Wenn die Selbstdarstellung im Internet nicht vom Kläger stammen
sollte, wäre es Sache des Klägers gewesen, dies spätestens im
Revisionsverfahren klar zu erklären und darzutun, welche Person dies war und
welche Maßnahmen er zwischenzeitlich ergriffen hat, um ein solches Vorgehen zu
unterbinden. Er stellt aber nur die Möglichkeit dar, dass es sich so verhalten
haben könnte, obwohl es sich um einen Umstand handelt, den er –da seinem
Wissensbereich zugehörig– eindeutig beantworten kann.

dd) Die weitere Rüge des Klägers, das FG habe nicht
aufgeklärt, durch welche Maßnahmen er im Einzelnen seinen satzungsmäßigen Zweck
verwirklicht habe und ob den politischen Äußerungen in seiner Selbstdarstellung
demgegenüber überhaupt ein erhebliches Gewicht zukomme, ist nicht schlüssig
erhoben. Denn der Kläger legt nicht dar, weswegen er nicht von sich aus im
Klageverfahren hierzu vorgetragen hat. Er selbst weiß am besten, welche
Aktivitäten er im Streitjahr entfaltet hat. Anlass hierzu hätte schon deshalb
bestanden, weil die Frage, ob die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers
seinem satzungsmäßigen Zweck entsprochen hat oder ob er daneben weitere Ziele
verfolgt hat, einziger Streitpunkt des Klageverfahrens war. Insbesondere der
Hinweis des FG im Erörterungstermin, der Kläger sei möglicherweise als
politischer Verein zu werten, der vorrangig politische Zwecke verfolge, hätte
den Kläger anspornen müssen darzutun, in welcher Weise und durch welche
konkreten Maßnahmen er im streitigen Zeitraum seine satzungsmäßigen Zwecke
verfolgt hat.

Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe überhaupt keine
Feststellungen hinsichtlich seiner tatsächlichen Geschäftsführung getroffen,
übersieht er, dass bereits die Darstellung und die Werbung für seine
politischen Ziele im Internet zur tatsächlichen Geschäftsführung rechnen.
Quicklink: uw111004

BGH, Urteil vom 09.02.2011, XII ZR 40 / 09

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über den Zugewinnausgleich. Ihre
am 18. Dezember 1987 geschlossene Ehe wurde auf den am 13. April 1999
zugestellten Scheidungsantrag durch Verbundurteil vom 15. Juli 2003
rechtskräftig geschieden. Zugleich wurde das Sorgerecht für die beiden
gemeinsamen Kinder der Klägerin übertragen und über den Versorgungsausgleich
entschieden. Die Folgesachen nachehelicher Ehegattenunterhalt und
Zugewinnausgleich hatte das Amtsgericht zuvor abgetrennt. Mit rechtskräftigem
Urteil vom 4. Mai 2006 hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin
nachehelichen Unterhalt zu zahlen.

Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt mit einem Kollegen
eine Gemeinschaftspraxis. Ohne den Wert dieses Praxisanteils verfügte er bei
Zustellung des Scheidungsantrags über ein positives Endvermögen in Höhe von
1.773.966,91 DM. Unter Berücksichtigung seines negativen Endvermögens in Höhe
von 1.643.109,15 DM betrug das Endvermögen – vorbehaltlich eines zusätzlichen
Wertes des Praxisanteils – 130.857,76 DM. Abzüglich eines indexierten
Anfangsvermögens des Beklagten in Höhe von 94.925,64 DM ergab sich ein Zugewinn
des Beklagten in Höhe von 35.932,12 DM. Den Wert des Praxisanteils hat das
Oberlandesgericht mit 321.157 DM bemessen.

Die Klägerin erzielte in der Ehezeit einen Zugewinn in Höhe
von 169.248,16 DM.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Zahlung von
Zugewinnausgleich abgewiesen. Es hat kein Anfangsvermögen des Beklagten
berücksichtigt, aber wegen des Verbots einer Doppelverwertung gleicher
Vermögensmassen im Unterhalt und Zugewinnausgleich auch eine Berücksichtigung
des Wertes des Praxisanteils im Endvermögen des Beklagten abgelehnt. Auf die
Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht, das diese beiden Positionen
abweichend beurteilt und eine aufrechenbare Gegenforderung des Beklagten abgelehnt
hat, den Beklagten verurteilt, an die Klägerin einen Zugewinnausgleich in Höhe
von (93.920,48 DM =) 48.020,78 € nebst Zinsen zu zahlen. Dagegen richtet sich
die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das
bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor
diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 3. November
2010 – XII ZB 197/10 – FamRZ 2011, 100).

I.

Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in OLGR Hamm
2009, 540 veröffentlicht ist, hat dem Antrag auf Zugewinnausgleich teilweise
stattgegeben, weil der anteilige Praxiswert des Beklagten im Endvermögen mit
321.157 DM zu berücksichtigen sei. Der Bundesgerichtshof habe in seiner
Rechtsprechung die Richtlinie der Bundesärztekammer für die Bewertung von
Arztpraxen grundsätzlich als geeignete Bewertungsmethode anerkannt. Danach sei
der Substanzwert einer freiberuflichen Praxis nach allgemeinen Grundsätzen
festzustellen. Hinzu komme der ideelle Wert, der am sichersten auf der
Grundlage des Umsatzes zu ermitteln sei, weil sich daraus am ehesten die
Entwicklungschancen beurteilen ließen. Dabei sei auf die Betriebseinnahmen der
drei letzten Kalenderjahre vor dem Bewertungsstichtag abzustellen und ein
signifikanter Anstieg oder ein signifikantes Abfallen des Jahresumsatzes
zusätzlich zu berücksichtigen. Hier seien unter Berücksichtigung aller Umstände
nachhaltig realisierbare Betriebseinnahmen in Höhe von 90 % der
durchschnittlichen Jahreseinnahmen zu berücksichtigen. Davon seien Kosten,
Ausgaben und die Abschreibung abzusetzen. Von dem sich daraus ergebenden
Praxisrohgewinn seien Ertragssteuern und ein kalkulatorischer Unternehmerlohn
der beiden Inhaber abzusetzen. Der sich so ergebende Ertragswert sei hier mit
einem Rentenbarwertfaktor von 2,7620 zu multiplizieren, woraus sich der ideelle
Wert der Gemeinschaftspraxis ergebe. Eine solche Methode erscheine
grundsätzlich geeignet, über den Substanzwert hinaus den Goodwill einer
freiberuflichen Praxis zu ermitteln, soweit dieser übertragbar sei. Die dem
Beklagten zurechenbare Hälfte aus der Summe dieses Goodwills und des Substanzwertes
der Praxis sei noch um latente Ertragssteuern zu bereinigen. Die Differenz sei
in das Endvermögen des Beklagten einzustellen.

Der Goodwill einer freiberuflichen Praxis gründe sich auf
immaterielle Faktoren wie Mitarbeiterstamm, günstiger Standort, Art und
Zusammensetzung der Patienten, Konkurrenzsituation und ähnliche Faktoren, die
regelmäßig auf einen Nachfolger übertragbar seien, aber auch auf Faktoren wie
Ruf und Ansehen des Praxisinhabers, die mit dessen Person verknüpft und deshalb
grundsätzlich nicht übertragbar seien. Weil der Käufer einer freiberuflichen
Praxis oder eines Anteils hieran mit dem Goodwill die Chance erwerbe, die
Patienten des bisherigen Praxisinhabers zu übernehmen und auf dem vorhandenen
Bestand aufzubauen, komme dem Goodwill in der Regel ein eigener Marktwert zu.
Der Sachverständige habe den immateriellen Wert der Zahnarztpraxis zu Recht
nach einer bewertenden und deshalb als „modifiziert“ bezeichneten
Ertragswertmethode bestimmt. Dabei sei dieser bewusst von der pauschalen
Methode der Bundesärztekammer abgewichen, zumal diese zu unrealistischen
geringen Ergebnissen gelange und die Bundesärztekammer selbst seit Oktober 2008
von ihren Empfehlungen abgerückt sei. Den vom Umsatz abgesetzten
kalkulatorischen Arztlohn habe der Sachverständige zutreffend unter
Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeit der beiden Ärzte ermittelt. Auf
der Grundlage eines Tariflohns nach BAT und der festgestellten 34-Stunden-Woche
ergebe sich ein Gehalt von 92.355 DM, das wegen des vorhandenen Labors um 50 %
zu erhöhen und sodann um pauschale Steuern in Höhe von 35 % herabzusetzen sei.
So ergebe sich für jeden der beiden Ärzte ein abzusetzender Unternehmerlohn von
rund 90.000 DM.

Die Berücksichtigung des um die subjektive Komponente bereinigten,
zutreffend ermittelten Goodwills im Endvermögen des Beklagten sei nicht wegen
Doppelverwertung ein und derselben Vermögensmasse ausgeschlossen. Sie laufe
nicht darauf hinaus, dass künftig zu erzielende Gewinne kapitalisiert und
güterrechtlich ausgeglichen würden. Vielmehr werde nur der am Stichtag
vorhandene Wert des Praxisanteils erfasst, der sich in der Nutzungsmöglichkeit
niederschlage. Künftige Erträge und Nutzungen seien allenfalls Grundlage der
Bewertung des Goodwills.

Mit der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
sei auch die latente Steuerlast aus einer Verwertung des Praxisanteils zu
berücksichtigen. Diese sei auf der Grundlage der Fünftelregelung nach § 34 Abs.
1 EStG zu bemessen.

Dem Beklagten stehe kein aufrechenbarer Gegenanspruch aus §
426 Abs. 2 BGB wegen seiner Zahlungen in Höhe von 71.635,80 € auf gemeinsame
Verbindlichkeiten während der Trennungszeit zu. Die Zahlungen in der Zeit von
April 1998 bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags im April 1999 seien
hier wegen des durchzuführenden Zugewinnausgleichs im Ergebnis neutral, weil
ein Ausgleichsanspruch des Beklagten über eine Berücksichtigung im Endvermögen
der Parteien zu einem entsprechend höheren Zugewinnausgleich führe. Zahlungen
des Beklagten auf gemeinsame Verbindlichkeiten nach Rechtshängigkeit des
Scheidungsantrages würden durch den Zugewinnausgleich zwar nicht mehr
neutralisiert. Insoweit scheide ein aufrechenbarer Anspruch des Beklagten aber
aus, weil seine Tilgungsleistungen bei der Bemessung des Trennungsunterhalts
berücksichtigt worden seien, woraus sich eine anderweitige Bestimmung im Sinne
des § 426 Abs. 1 BGB ergebe.

Das Oberlandesgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Zwar entspreche es der Rechtsprechung des
Bundesgerichthofs, wenn bei der Bemessung des Goodwills einer freiberuflichen
Praxis ein kalkulatorischer individueller Unternehmerlohn berücksichtigt werde,
der keinerlei Bezug zu den tatsächlichen Einkünften des Praxisinhabers habe.
Für die Bewertung seien lediglich die Umsatzerwartung und der dafür zu
leistende Aufwand entscheidend. Eine Praxis, die einen gewissen Umsatz schon
bei einem Arbeitsaufwand von dreißig Wochenstunden erbringe, sei viel attraktiver
als eine, die denselben Umsatz erst mit sechzig Wochenarbeitsstunden
ermögliche. Als individueller Unternehmerlohn sei bei der Bewertung des
Goodwills auch nicht das konkrete Einkommen des Beklagten abzusetzen, das der
Unterhaltsberechnung zugrunde liege. Sonst wäre der Goodwill in jedem Fall mit
Null anzusetzen. Die Gefahr, dass eine derartige Bemessung des Goodwills zu
einer doppelten Teilhabe der Klägerin an Vermögensbestandteilen des Beklagten
führe, bestehe nicht. Dies bedürfe allerdings der grundsätzlichen Klärung.

II.

Diese Ausführungen des sachverständig beratenen
Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision stand.

Das Oberlandesgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung
eines Betrages in Höhe von 48.020,78 € nebst Zinsen verurteilt.

1. Nach § 1373 BGB ergibt sich der Zugewinn eines Ehegatten
aus dem Betrag, um den sein Endvermögen sein Anfangsvermögen übersteigt.
Endvermögen ist nach § 1375 Abs. 1 Satz 1 BGB das Vermögen, das einem Ehegatten
nach Abzug der Verbindlichkeiten bei der Beendigung des Güterstandes gehört.
Wird die Ehe – wie hier – geschieden, so tritt für die Berechnung des Zugewinns
und für die Höhe der Ausgleichsforderung an die Stelle der Beendigung des
Güterstandes der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags (§ 1384
BGB).

Für die Berechnung des Endvermögens ist nach § 1376 Abs. 2
BGB der Wert zugrunde zu legen, den das vorhandene Vermögen zum Stichtag hat.
Dabei ist auf den objektiven (Verkehrs-) Wert des jeweiligen
Vermögensgegenstandes abzustellen (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008,
761 Rn. 18; vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 362 und vom
24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ 1991, 43, 44; BGHZ 75, 195, 199 =
FamRZ 1980, 37, 38). Nach welcher Methode die Bewertung im Einzelnen zu erfolgen
hat, regelt das Gesetz nicht (vgl. insoweit Schröder in Schröder/Bergschneider
Familienvermögensrecht 2. Aufl. Rn. 4.242 ff.; Schröder Bewertung im
Zugewinnausgleich 4. Aufl. Rn. 67 ff.; Haußleiter/Schulz
Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung 5. Aufl. Kap. 1 Rn. 116
ff.; Büte Zugewinnausgleich bei Ehescheidung 3. Aufl. Rn. 51 ff.). Sie
sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden ist Sache des –
sachverständig beratenen – Tatrichters. Seine Entscheidung kann vom
Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze verstößt oder sonst auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht
(Senatsurteile vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ 1991, 43, 44 und
vom 7. Mai 1986 – IVb ZR 42/85 – FamRZ 1986, 776, 779).

2. Neben sonstigem vorhandenen Vermögen ist auch ein
Unternehmen oder eine freiberufliche Praxis stets mit dem vollen Wert in den
Zugewinnausgleich einzubeziehen.

a) Eine Bemessung dieses Wertes allein nach dem Umsatz
verbietet sich schon deswegen, weil der Umsatz keine sicheren Rückschlüsse auf
die Gewinnerwartung und somit auch nicht auf den am Stichtag realisierbaren
Wert zulässt. Ein besonders hoher Umsatz kann den Wert einer freiberuflichen
Praxis sogar verringern, wenn den Einnahmen sehr hohe Kosten gegenüberstehen
und der Ertrag deswegen mit einem hohen Unternehmerrisiko verbunden ist. Ein
reines Umsatzwertverfahren eignet sich deswegen auch nicht als
Vergleichsmaßstab für eine andere Bewertungsmethode.

Die Bewertung einer freiberuflichen Praxis erfolgt
grundsätzlich auch nicht nach dem reinen Ertragswertverfahren, weil sich eine
Ertragsprognose kaum von der Person des derzeitigen Inhabers trennen lässt und
der Ertrag von ihm durch unternehmerische Entscheidungen beeinflusst werden
kann. Zudem kann die Erwartung künftigen Einkommens, die der individuellen
Arbeitskraft des Inhabers zuzurechnen ist, nicht maßgebend sein, weil es beim
Zugewinnausgleich nur auf das am Stichtag vorhandene Vermögen ankommt
(Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ 1991, 43, 44; Büte
Zugewinnausgleich bei Ehescheidung 3. Aufl. Rn. 75; Johannsen/Henrich/Jaeger
Familienrecht 5. Aufl. § 1376 BGB Rn. 23).

Stattdessen hat der Senat schon in seiner bisherigen
Rechtsprechung eine modifizierte Ertragswertmethode gebilligt, die sich an den
durchschnittlichen Erträgen orientiert und davon einen individuellen
Unternehmerlohn des Inhabers absetzt (vgl. Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ
2008, 761 Rn. 19; vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 362
und vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ 1991, 43, 44).

b) Der zum Stichtag zu ermittelnde Wert eines Unternehmens
schließt jedenfalls den in diesem Zeitpunkt vorhandenen Substanzwert ein. Er
ist mit dem Wert zu bemessen, der im Falle eines Praxisverkaufs auf den
Rechtsnachfolger übergeht (vgl. Schröder in Schröder/Bergschneider
Familienvermögensrecht 2. Aufl. Rn. 4.249; Schröder Bewertung im
Zugewinnausgleich 4. Aufl. Rn. 67 f.; Haußleiter/Schulz Vermögensauseinandersetzung
bei Trennung und Scheidung 5. Aufl. Kap. 1 Rn. 150 f.; Büte Zugewinnausgleich
bei Ehescheidung 3. Aufl. Rn. 54).

Der objektive Wert eines Unternehmens ist nach ständiger
Rechtsprechung des Senats aber nicht auf den Substanz- oder Liquidationswert
beschränkt. Daneben ist auch der Geschäftswert zu berücksichtigen, der sich
darin äußert, dass das Unternehmen im Verkehr höher eingeschätzt wird, als es
dem reinen Substanzwert der zum Unternehmen gehörenden Vermögensgegenstände entspricht
(BGHZ 75, 195, 199 = FamRZ 1980, 37, 38; BGHZ 70, 224 = FamRZ 1978, 332, 333
und BGH Urteil vom 13. Oktober 1976 – IV ZR 104/74 – FamRZ 1977, 38, 39). Dabei
kommt es trotz der stichtagsbezogenen Bewertung beim Zugewinnausgleich nicht
darauf an, ob das Unternehmen oder die Beteiligung daran tatsächlich veräußert
wird. Denn der vermögenswerte Gehalt der Beteiligung liegt in der
Mitberechtigung am Unternehmen und der anteiligen Nutzungsmöglichkeit des
Unternehmenswertes (BGHZ 75, 195, 199 = FamRZ 1980, 37, 38). Lediglich in
Fällen, in denen der Gesellschaftsvertrag für den Fall des Ausscheidens aus
einer Gemeinschaftspraxis eine Begrenzung des Abfindungsanspruchs (etwa auf den
Substanzwert) vorsieht, kann dies Auswirkungen auf den objektiven Wert haben (BGHZ
75, 195, 199 = FamRZ 1980, 37, 38; Senatsurteil vom 25. November 1998 – XII ZR
84/97 – FamRZ 1999, 361, 362; Schröder in Schröder/Bergschneider
Familienvermögensrecht 2. Aufl. Rn. 4.279 f.).

c) Diese Bewertungsgrundsätze hat der Senat im Ansatz auch
auf die Inhaberschaft oder Beteiligung an freiberuflichen Praxen angewandt, die
ebenfalls über einen über den Substanzwert hinausgehenden immateriellen Wert in
Form eines Goodwills verfügen können (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008,
761 Rn. 15 ff. und vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361,
362).

Allerdings sind solche freiberuflich betriebenen Praxen –
wie hier die Gemeinschaftspraxis des Beklagten und seines Sozius – regelmäßig
inhaberbezogen. Insbesondere bei kleineren freiberuflichen Kanzleien oder
Praxen, bei denen die unternehmerischen Fähigkeiten des Eigentümers Wohl und
Wehe des Unternehmens bestimmen (vgl. Schröder Bewertung im Zugewinnausgleich
4. Aufl. Rn. 84 e), hängt der Erfolg in erheblichem Maße auch von der Person
des Inhabers ab. Denn Angehörige eines freien Berufes erbringen regelmäßig eine
höchstpersönliche Leistung, bei der Hilfskräfte lediglich für untergeordnete,
nicht zum eigentlichen Berufsbild gehörende Tätigkeiten eingesetzt werden (BGH
Urteil vom 13. Oktober 1976 – IV ZR 104/74 – FamRZ 1977, 38, 40). Gleichwohl
schließt auch der objektive Wert einer freiberuflichen Kanzlei oder Praxis
regelmäßig einen über den Substanzwert hinausgehenden immateriellen Wert ein.
Die besondere Bedeutung des Inhabers ist in solchen Fällen jedoch bei der
Wertermittlung zu berücksichtigen (Michalski/Zeidler FamRZ 1997, 397, 400 f.).

Der neben dem Substanzwert vorhandene Goodwill gründet sich
auf immaterielle Faktoren wie Standort, Art und Zusammensetzung der
Mandanten/Patienten, Konkurrenzsituation und ähnlichen Faktoren, soweit sie auf
einen Nachfolger übertragbar sind; er hat somit in der Regel einen eigenen
Marktwert. Mit dem Goodwill bezahlt der Käufer einer freiberuflichen Praxis die
Chance, die Mandanten des bisherigen Praxisinhabers oder Teilhabers zu
übernehmen und auf dem vorhandenen Bestand und der gegebenen
Konkurrenzsituation aufbauen zu können (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ
2008, 761 Rn. 20 und vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361,
362). Daneben bemisst sich der Erfolg einer freiberuflichen Praxis allerdings
auch durch andere immaterielle Faktoren, wie Ruf und Ansehen des
Praxisinhabers, die mit dessen Person verknüpft und deswegen grundsätzlich
nicht übertragbar sind. Diese Faktoren können den Goodwill der Kanzlei oder
Praxis jedenfalls im Zugewinnausgleich nicht bestimmen. Es kann sogar Fälle
geben, in denen dem Ruf und Ansehen des Praxisinhabers eine solche überwiegende
Bedeutung zukommt, dass dies einen Goodwill vollständig ausschließt oder
jedenfalls deutlich herabsetzt (Senatsurteile vom 25. November 1998 – XII ZR
84/97 – FamRZ 1999, 361, 362 und vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ
1991, 43, 47). Im Regelfall erzielt der Inhaber oder Mitinhaber einer
freiberuflichen Praxis seine Einkünfte aber nicht ausschließlich aus der
Nutzung seiner Arbeitskraft, sondern auch unter Einsatz des vorhandenen
Goodwills seiner Kanzlei oder Praxis. Dem so zu bemessenden Goodwill kommt auch
bei freiberuflichen Praxen ein eigener Marktwert zu. Seine bestehende
Nutzungsmöglichkeit bestimmt über den Stichtag für den Zugewinnausgleich hinaus
den objektiven Wert der Kanzlei oder Praxis.

d) Auch ein zusätzlich zu bewertender Goodwill der
freiberuflichen Kanzlei oder Praxis darf aber nicht darauf hinauslaufen,
künftig zu erzielende Gewinne zu kapitalisieren und güterrechtlich
auszugleichen. Vielmehr ist auch insoweit nur der am Stichtag nachhaltig
vorhandene Wert der Praxis oder des Praxisanteils zu erfassen, der sich in der
bis dahin aufgebauten und zum maßgeblichen Zeitpunkt vorhandenen
Nutzungsmöglichkeit niederschlägt (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008,
761 Rn. 21; vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 363;
Hoppenz FamRZ 2006, 1242, 1244; Borth FamRB 2002, 371, 374).

aa) Im Hinblick darauf bestehen keine rechtlichen Bedenken,
wenn sich der sachverständig beratene Tatrichter bei der Bemessung des
Goodwills einer inhabergeführten Praxis im Wege einer modifizierten
Ertragswertmethode an den durchschnittlichen Erträgen orientiert und davon
einen Unternehmerlohn absetzt (vgl. Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008,
761 Rn. 19; vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 362 und vom
24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 – FamRZ 1991, 43, 44; Büte Zugewinnausgleich
bei Ehescheidung 3. Aufl. Rn. 75; Haußleiter/Schulz Vermögensauseinandersetzung
bei Trennung und Scheidung 5. Aufl. Kap. 1 Rn. 189, 222 ff.; vgl. auch die
Richtlinien zur Bewertung von Arztpraxen unter Ziff. D und die Hinweise für die
Ermittlung des Wertes einer Steuerberaterpraxis unter Ziff. III 1 jeweils abgedruckt
in Schröder Bewertung im Zugewinnausgleich 4. Aufl. Rn. 175 f. und Büte
Zugewinnausgleich bei Ehescheidung 3. Aufl. Anhang 2 und 4).

Weil der Ertrag einer freiberuflichen Praxis nicht nur von
dem vorhandenen Goodwill, sondern auch von dem persönlichen Einsatz des
Inhabers bestimmt wird, muss die am Ertrag anknüpfende Bewertung des auf einen
Übernehmer übertragbaren Goodwills einen Unternehmerlohn absetzen, der sich an
den individuellen Verhältnissen des Inhabers orientiert. Nur auf diese Weise
kann der auf den derzeitigen Praxis(mit)inhaber bezogene Wert ausgeschieden
werden, der auf dessen persönlichem Einsatz beruht und nicht auf einen
Übernehmer übertragbar ist (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn.
23 und vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 364;
Johannsen/Henrich/Jaeger aaO § 1376 BGB Rn. 23). Auch für einen Erwerber kommt
es bei der Wertermittlung wesentlich darauf an, mit welchem Einsatz der
zugrunde gelegte Ertrag zu erzielen ist. Einer freiberuflichen Praxis, deren
Ertrag mit einem geringeren zeitlichen Aufwand des Inhabers aufrechterhalten
werden kann, kommt stets ein höherer Goodwill zu als einer Praxis mit gleichem
Ertrag, die einen erheblich höheren Einsatz des Inhabers erfordert. Der Abzug
eines pauschal angesetzten kalkulatorischen Unternehmerlohns würde das Maß des
individuellen Einsatzes des Inhabers bei der Erzielung der Erträge hingegen
nicht im gebotenen Umfang berücksichtigen. Entsprechend gehen auch die
überarbeiteten „Hinweise“ der Bundesärztekammer zur Bewertung von
Arztpraxen seit 2008 mehr als die früheren Richtlinien zur Bewertung von
Arztpraxen von dem individuellen Einsatz des Praxisinhabers aus (DÄBl 2008,
A-2778).

bb) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht von dem
durchschnittlichen Praxisrohgewinn latente Ertragsteuern abgesetzt. In der
Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass bei der stichtagsbezogenen
Wertermittlung im Zugewinnausgleich eine solche latente Steuerlast wertmindernd
ins Gewicht fällt. Dies gilt nicht nur in Fällen, in denen eine Veräußerung
tatsächlich beabsichtigt ist.

Zwar beruht die Berücksichtigung des Wertes einer
freiberuflichen Praxis im Zugewinnausgleich wegen des Stichtagsbezugs nicht auf
einem späteren Veräußerungsfall, sondern hebt darauf ab, dass der am Stichtag
vorhandene Wert die damit verbundene Nutzungsmöglichkeit auch für den Inhaber
selbst weiterhin in sich birgt (Senatsurteil vom 25. November 1998 – XII ZR
84/97 – FamRZ 1999, 361, 363; BGHZ 75, 195, 199 = FamRZ 1980, 37, 38 und BGH
Urteil vom 13. Oktober 1976 – IV ZR 104/74 – FamRZ 1977, 38, 39). Die
Bewertung, die mit dem Zugewinnausgleich stichtagsbezogen endgültig vorzunehmen
ist, setzt aber voraus, dass die Praxis zu dem ermittelten Wert auch frei
verwertbar ist (BGHZ 75, 195, 201 = FamRZ 1980, 37, 38 f.; BGHZ 70, 224, 226 =
FamRZ 1978, 332, 333 und BGH Urteil vom 13. Oktober 1976 – IV ZR 104/74 – FamRZ
1977, 38, 40). Deswegen ist die Bewertungsmethode auch darauf gerichtet, einen
Wert der freiberuflichen Praxis zu ermitteln, der zum Bewertungsstichtag am
Markt erzielbar ist. Die Berücksichtigung latenter Ertragssteuern folgt aus der
Prämisse der Verwertbarkeit und ist somit auch eine Konsequenz der
Bewertungsmethode (vgl. Schröder aaO Rn. 74; Schröder in Schröder/Bergschneider
aaO Rn. 4.257). Soweit der Wert danach ermittelt wird, was im Falle einer
Veräußerung aus dem Substanzwert und dem Goodwill der freiberuflichen Praxis
oder Kanzlei zu erzielen wäre, darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass
wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer
wirtschaftlich nur der um die fraglichen Steuern verminderte Erlös verbleibt.
Insoweit handelt es sich um unvermeidbare Veräußerungskosten (Senatsurteile
BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 32; vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89 –
FamRZ 1991, 43, 48 und vom 27. September 1989 – IVb ZR 75/88 – FamRZ 1989,
1276, 1279; Johannsen/Henrich/Jaeger aaO § 1376 BGB Rn. 23; Büte aaO Rn. 194;
Kogel FamRZ 2004, 1337; aA Hoppenz FamRZ 2006, 449, 450; vgl. auch Tiedtke FamRZ
1990, 1188 ff. und Gernhuber NJW 1991, 2238, 2242 f.).

e) Die Berücksichtigung eines auf die vorgenannte Weise
ermittelten Wertes einer freiberuflichen Praxis unter Einschluss des
immateriellen Wertes in Form eines Goodwills widerspricht auch nicht dem Verbot
der zweifachen Teilhabe ein und desselben Vermögenswerts im Zugewinnausgleich
und im Unterhalt.

Zwar hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein
güterrechtlicher Ausgleich eines vorhandenen Vermögenswerts nicht
stattzufinden, soweit diese Vermögensposition bereits auf andere Weise, sei es
unterhaltsrechtlich oder im Wege des Versorgungsausgleichs, ausgeglichen wurde.
Für das Verhältnis zwischen Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich ergibt
sich dies bereits aus § 2 Abs. 4 VersAusglG (früher: § 1587 Abs. 3 BGB aF). Für
das Verhältnis zwischen Unterhalt und Zugewinnausgleich gilt nichts anderes,
auch wenn dies nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist (Senatsurteil vom 11.
Dezember 2002 – XII ZR 27/00 – FamRZ 2003, 432, 433).

aa) Eine solche doppelte Teilhabe kann aber nur eintreten,
wenn jeweils dieselbe Vermögensposition ausgeglichen wird. Das ist im
Verhältnis zwischen Unterhalt und Zugewinnausgleich regelmäßig nicht der Fall,
weil der Zugewinnausgleich auf ein stichtagsbezogenes Vermögen gerichtet ist,
während der Unterhalt, der den laufenden Lebensbedarf decken soll, auf
Einkünften und Vermögenserträgen aufbaut. Das Unterhaltsrecht verlangt den
Einsatz des Vermögensstamms für Unterhaltszwecke nur unter besonderen
Voraussetzungen (§§ 1577 Abs. 3, 1581 Satz 2 BGB). Zu einer Konkurrenz zwischen
Zugewinnausgleich und Unterhalt kann es somit lediglich dann kommen, wenn zum
Unterhalt auch der Vermögensstamm herangezogen wird (Senatsurteil BGHZ 175, 207
= FamRZ 2008, 761 Rn. 17; Hoppenz FamRZ 2006, 1242, 1243 und FamRZ 2008, 765, 766;
Münch NJW 2008, 1201 f.).

Eine zweifache Teilhabe ist deswegen ausgeschlossen, wenn
der Unterhalt lediglich aus Vermögenseinkünften bemessen wird, während sich der
Zugewinnausgleich auf den Vermögensstamm beschränkt. Das ist etwa der Fall,
wenn Zinseinkünfte bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs berücksichtigt
werden und dem Zugewinnausgleich lediglich das Bankguthaben als Vermögensstamm
zugrunde gelegt wird. Gleiches gilt bei vorhandenem Wohneigentum, dessen Stamm
im Zugewinnausgleich zu berücksichtigen ist, während sich ein vorhandener
Wohnwert auf die Höhe des Unterhalts auswirkt. In solchen Fällen ist lediglich
zu beachten, dass durch den Zugewinnausgleich auch die Vermögenseinkünfte
verlagert werden, was für die Zukunft unterhaltsrechtliche Auswirkungen hat.

Eine unzulässige doppelte Teilhabe an ein und demselben
Vermögenswert liegt hingegen vor, wenn der Vermögensstamm ausnahmsweise
unterhaltsrechtlich berücksichtigt wird. Das ist regelmäßig bei Abfindungen
nach Aufgabe einer Erwerbstätigkeit der Fall, soweit diese Lohnersatzfunktion
haben und deswegen auf die Zeit der geminderten Erwerbstätigkeit als
ergänzendes Einkommen aufzuteilen sind. Im Umfang der unterhaltsrechtlichen
Berücksichtigung ist dann ein zusätzlicher güterrechtlicher Ausgleich
ausgeschlossen (Senatsurteil vom 21. April 2004 – XII ZR 185/01 – FamRZ 2004,
1352 f. mit Anm. Bergschneider; Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der
familienrechtlichen Praxis 7. Aufl. § 1 Rn. 16, 71; vgl. aber Senatsurteil vom
2. Juni 2010 – XII ZR 138/08 – FamRZ 2010, 1311 Rn. 28 f.).

bb) Eine Doppelverwertung ist auch bei der Berücksichtigung
des Goodwills einer freiberuflichen Praxis im Zugewinnausgleich ausgeschlossen,
wenn – wie dargestellt – der nach den individuellen Verhältnissen konkret
gerechtfertigte Unternehmerlohn in Abzug gebracht wurde.

Der dem Zugewinnausgleich zugrunde zu legende objektive Wert
der freiberuflichen Praxis oder Kanzlei beschränkt sich auf den am Stichtag
vorhandenen Substanzwert und den im selben Zeitpunkt vorhandenen Goodwill des
Unternehmens unter Abzug des Unternehmerlohns nach den individuellen
Verhältnissen des Inhabers. Selbst wenn der Inhaber seiner freiberuflichen
Praxis Beträge entnimmt, die über den nach den individuellen Verhältnissen
bemessenen Unternehmerlohn hinausgehen und als unterhaltsrelevantes Einkommen
zugrunde gelegt werden, liegt darin keine zusätzliche Teilhabe an dem im
Zugewinnausgleich zugrunde gelegten Vermögensstamm. Denn die Entnahmen des
Inhabers müssen sich nicht nur aus seinem individuellen Arbeitseinsatz ergeben,
der bei der Bemessung des Praxiswertes abgesetzt wird und somit im Endvermögen
unberücksichtigt bleibt. Höhere Entnahmen können auch auf der Inanspruchnahme
des vorhandenen Goodwills beruhen und bilden insoweit bloße Vermögenserträge.
Sollten die Entnahmen über die Summe dieser beiden Positionen hinausgehen und
damit den Vermögensstamm betreffen, wären sie unterhaltsrechtlich ohnehin nicht
zu berücksichtigen, weil insoweit auf einen objektiven Maßstab abzustellen ist
(Senatsurteil vom 4. Juli 2007 – XII ZR 141/05 – FamRZ 2007, 1532 Rn. 27).

f) Nach dieser Rechtsprechung des Senats ist die Bewertung
des Anteils des Beklagten an der zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis durch das
Oberlandesgericht nicht zu beanstanden.

aa) Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ist es
von den durchschnittlichen Praxiseinnahmen der Jahre 1996 bis 1998, also der
drei dem Endstichtag vorangegangenen Jahre, ausgegangen. Wenn es davon unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles lediglich 90 % als nachhaltig
realisierbar angesetzt hat, ist dagegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern.

Der revisionsrechtlichen Prüfung hält auch stand, dass das
Oberlandesgericht sodann durch Abzug der Kosten, Ausgaben und einer
Abschreibung einen durchschnittlichen Rohgewinn dieser Jahre ermittelt und im
Rahmen der von ihm angewandten Methode davon einen individuellen
Unternehmerlohn der beiden Inhaber sowie latente Ertragsteuern abgesetzt hat.

Den abzusetzenden Unternehmerlohn hat das Berufungsgericht
in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ermittelt. Dabei ist es auf
der Grundlage des Tariflohns für Zahnärzte, erhöht um den Arbeitgeberzuschlag
für Lohnnebenkosten, von der wöchentlichen Arbeitszeit der beiden Inhaber mit
je 34 Stunden ausgegangen. Dies berücksichtigt in hinreichender Weise den
individuellen Einsatz der Praxisinhaber, zumal weitere Umstände, die eine über
den üblichen Umfang hinausgehende Bedeutung der Inhaberleistung rechtfertigen
könnten, nicht substantiiert vorgetragen sind. Revisionsrechtlich ebenfalls
nicht zu beanstanden ist die Erhöhung des nach den individuellen Verhältnissen
gerechtfertigten Unternehmerlohns um 50 % wegen des zusätzlich vorhandenen
Labors und die Berücksichtigung der Steuerlast von 35 %, was zu einem
abzusetzenden Nettounternehmerlohn für beide Inhaber in Höhe von insgesamt
180.000 DM führt.

Den so errechneten Ertragswert hat das sachverständig
beratene Oberlandesgericht mit einem Rentenbarwertfaktor multipliziert, den es
für das Ende der Ehezeit mit 2,7620 bemessen hat. Dabei hat es den im Rahmen
seiner Bewertungsmethode um die Ertragssteuer reduzierten Basiszinssatz, einen
Zuschlag für das allgemeine Unternehmensrisiko, eine Abzinsung der
Zukunftsgewinne und eine dreijährige Nachhaltigkeitsdauer berücksichtigt. Wenn
es auf diese Weise zu einem Goodwill der gesamten Zahnarztpraxis in Höhe von
1.200.322,54 DM und zzgl. des vorhandenen Substanzwertes von 189.985 DM zu
einem gesamten Praxiswert in Höhe von 1.390.307,54 DM gelangt ist, ist auch
dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch die Revision erinnert gegen
diese Berechnung nichts.

Entsprechend dem 50 %igen Anteil des Beklagten an der
Gemeinschaftspraxis hat das Oberlandesgericht dessen Anteil mit 695.153 DM und
abzüglich latenter Ertragsteuern mit 321.157 DM in das Endvermögen eingestellt.
Hinsichtlich der Ertragsteuern ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass
diese im Wege der „Fünftelregelung“ gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermittelt
wurden (vgl. Tiedtke FamRZ 1990, 1188, 1189).

bb) Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, führt die
Einbeziehung des Goodwills bei der Ermittlung des objektiven Wertes einer
freiberuflichen Praxis oder Kanzlei nicht ohne weiteres zur Notwendigkeit einer
Liquidierung des betreffenden Vermögensgegenstandes. Die Ausgleichspflicht
beläuft sich gemäß § 1378 Abs. 1 BGB nur auf die Hälfte des
Zugewinnüberschusses des ausgleichspflichtigen Ehegatten. Die zu ihrer
Erfüllung notwendigen Mittel können häufig bereits aus einem anderen liquiden
Teil des vorhandenen Vermögens aufgebracht werden. Ist dies im Einzelfall nicht
möglich, so ist zu beachten, dass das Gesetz in § 1382 BGB unter den dort
genannten Voraussetzungen die Möglichkeit der Stundung und Ratenzahlung
vorsieht. Auf diese Weise kann der Schuldner in die Lage versetzt werden, den
Zugewinnausgleich ratenweise aus seinem künftigen laufenden Einkommen zu
leisten (Senatsurteile BGHZ 175, 207 = FamRZ 2008, 761 Rn. 31 und vom 25.
November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 363).

Die Einbeziehung des objektiven Wertes freiberuflicher
Praxen in den Zugewinnausgleich verstößt deswegen auch weder gegen die
Berufsfreiheit aus Art. 12 GG noch gegen die Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG
(Senatsurteil vom 25. November 1998 – XII ZR 84/97 – FamRZ 1999, 361, 363).

cc) Entgegen der Auffassung der Revision führt auch der
Zinsausspruch in dem angefochtenen Urteil nicht zu einer Doppelberücksichtigung
vorhandener Vermögenswerte.

Die Zinsforderung der Klägerin beruht nicht auf einer
Bewertung vorhandenen Vermögens, sondern folgt aus dem Gesetz. Sie beruht
darauf, dass der bereits bei rechtskräftiger Ehescheidung geschuldete
Zugewinnausgleich deutlich später geleistet wird, so dass dem Beklagten als
Schuldner der Ausgleichsforderung für die Übergangszeit die
Verwertungsmöglichkeit des vorhandenen Vermögens verblieben war. Dass der
Beklagte für diese Zeit auf der Grundlage seines Arbeitseinsatzes und des
anteiligen Goodwills der Gemeinschaftspraxis Unterhalt geleistet hat, steht dem
nicht entgegen. Der Zugewinnausgleich kann unterhaltsrechtlich erst dann zu
einer Änderung des geschuldeten Unterhalts führen, wenn er tatsächlich
geleistet wird und Auswirkungen auf die Zuordnung der Vermögenserträge hat
(vgl. Senatsurteil vom 4. Juli 2007 – XII ZR 141/05 – FamRZ 2007, 1532 Rn. 33).

g) Unter Berücksichtigung des dem Beklagten zurechenbaren
hälftigen Werts der Gemeinschaftspraxis von 321.157 DM und der weiteren
unstreitigen Vermögenswerte hat das Oberlandesgericht zutreffend und von der
Revision insoweit nicht angegriffen ein Endvermögen des Beklagten in Höhe von
452.014,76 DM und nach Abzug des ebenfalls zutreffend ermittelten und von der
Revision als ihr günstig nicht angegriffenen indexierten Anfangsvermögens von
94.925,64 DM einen Zugewinn in Höhe von 357.089,12 DM errechnet. Die Differenz
zum Zugewinn der Klägerin (169.248,16 DM) beläuft sich mithin auf 187.840,96
DM, der hälftige Ausgleichsanspruch der Klägerin auf (93.920,48 DM =) 48.020,78
€.

3. Im Ergebnis zu Recht hat das Oberlandesgericht auch eine
aufrechenbare Gegenforderung des Beklagten verneint.

a) Zwar hat der Beklagte nach seinem Vortrag noch nach der
Trennung der Parteien einen Gesamtbetrag in Höhe von 71.635,80 € auf
Verbindlichkeiten geleistet, für die er gemeinsam mit der Klägerin als
Gesamtschuldner haftet. Nach § 426 Abs. 1 BGB haften Gesamtschuldner im
Innenverhältnis zu gleichen Anteilen, soweit nicht ein anderes bestimmt ist.
Entsprechend geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen
Gesamtschuldner nach § 426 Abs. 2 BGB auf den Gesamtschuldner über, der den
Gläubiger befriedigt. Der Beklagte könnte danach also hälftige Erstattung der
von ihm geleisteten Beträge verlangen, wenn nicht im Innenverhältnis der
Parteien etwas anderes bestimmt wäre.

b) Die güterrechtlichen Vorschriften über den
Zugewinnausgleich verdrängen den Gesamtschuldnerausgleich nicht, und zwar
unabhängig davon, ob die Leistung eines gesamtschuldnerisch haftenden Ehegatten
vor oder nach Rechtshängigkeit des Scheidungsverfahrens erbracht worden ist.
Bei richtiger Handhabung der güterrechtlichen Vorschriften vermag der
Gesamtschuldnerausgleich das Ergebnis des Zugewinnausgleichs allerdings nicht
zu verfälschen (Senatsurteil vom 6. Oktober 2010 – XII ZR 10/09 – FamRZ 2011,
25 Rn. 16).

Die Tilgung der Gesamtschuld durch einen der haftenden
Ehegatten bewirkt im Regelfall keine Veränderung der für die Ermittlung des
Zugewinns maßgeblichen Endvermögen, wenn die Gesamtschulden wirtschaftlich
zutreffend, d.h. unter Beachtung des gesamtschuldnerischen Ausgleichs, in die
Vermögensbilanz eingestellt werden. Soweit bei Zustellung des Scheidungsantrags
als Stichtag für die Berechnung des Endvermögens gemeinsame Verbindlichkeiten
der Ehegatten noch nicht getilgt sind, ist im Endvermögen beider Ehegatten
jeweils die noch bestehende Gesamtschuld in voller Höhe als Passivposten zu
berücksichtigen. Demgegenüber ist – die Durchsetzbarkeit vorausgesetzt – der
jeweilige Ausgleichsanspruch gegen den anderen Ehegatten, der die Befriedigung
des Gläubigers nicht voraussetzt, als Aktivposten anzusetzen. Im Ergebnis hat
das regelmäßig zur Folge, dass Ehegatten, die als Gesamtschuldner haften, die
gemeinsamen Verbindlichkeiten bei ihrem Endvermögen jeweils nur mit der Quote
ansetzen können, die im Innenverhältnis auf sie entfällt (Senatsurteil vom 6.
Oktober 2010 – XII ZR 10/09 – FamRZ 2011, 25 Rn. 16).

aa) Im Außenverhältnis haften die Parteien für die als
Gesamtschuldner aufgenommenen Darlehen jeweils voll. Die sich daraus ergebende
hälftige Ausgleichspflicht war während der intakten Ehe allerdings durch die
eheliche Lebensgemeinschaft überlagert, so dass von einer stillschweigend
geschlossenen Vereinbarung im Sinne des § 426 Abs. 1 BGB auszugehen ist, die es
einem Ehegatten verwehrt, Ausgleich für Zahlungen zu verlangen, die er während
des Zusammenlebens erbracht hat. Eine solche anderweitige Vereinbarung endet
allerdings mit dem Scheitern der Ehe und der Trennung der Ehegatten.
Ausgleichs- und Freistellungsansprüche entstehen dann für weitere Zahlungen und
künftig fällig werdende Leistungen, soweit nicht an die Stelle der
Lebensgemeinschaft andere besondere Umstände treten, aus denen sich erneut ein
vom Regelfall abweichender Maßstab ergibt (Senatsurteile vom 11. Mai 2005 – XII
ZR 289/02 – FamRZ 2005, 1236 f. und vom 30. November 1994 – XII ZR 59/93 –
FamRZ 1995, 216, 217).

bb) Soweit der Beklagte die Gesamtschulden der Parteien
zwischen Trennung und Zustellung des Scheidungsantrags getilgt hat, wäre eine
hälftige Ausgleichsforderung nach § 426 Abs. 2 BGB als Vermögenswert in sein
Endvermögen aufzunehmen, während sie als Verbindlichkeit im Endvermögen der
Klägerin zu berücksichtigen wäre. Der hälftige Ausgleich der Differenz durch
den Zugewinn neutralisiert mithin regelmäßig die Ausgleichsforderung nach § 426
Abs. 2 BGB.

Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts verfügt die
zugewinnausgleichsberechtigte Ehefrau im vorliegenden Fall über einen eigenen
Zugewinn, der die Ausgleichsforderung übersteigt. Weil sich die
Ausgleichsforderung nach § 426 Abs. 2 BGB deswegen im Ergebnis nicht auswirkt
und sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in die Endvermögen
der Parteien eingestellt wurde, kann von einer anderweitigen Vereinbarung
ausgegangen werden, die den Ausgleich im Innenverhältnis der Parteien dem
Zugewinnausgleich belässt.

cc) Soweit das Oberlandesgericht auch eine aufrechenbare
Ausgleichsforderung des Beklagten aus § 426 Abs. 2 BGB für Tilgungsleistungen
nach Zustellung des Scheidungsantrags abgelehnt hat, hält dies ebenfalls der
revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Eine anderweitige Bestimmung, die die grundsätzlich
anteilige Haftung von Gesamtschuldnern im Innenverhältnis verdrängt, liegt nach
der Rechtsprechung des Senats dann nahe, wenn die alleinige Schuldentilgung
durch einen der getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten bereits bei der
Berechnung des dem anderen zustehenden Unterhalts berücksichtigt wurde. Denn
dies führt zu einer dem hälftigen Schuldenabtrag nahezu entsprechenden
Reduzierung des Unterhalts und damit wirtschaftlich zu einer mittelbaren
Beteiligung des Unterhaltsberechtigten am Schuldenabtrag (Senatsurteil vom 9.
Januar 2008 – XII ZR 184/05 – FamRZ 2008, 602 Rn. 9).

Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts hier vor, weil der Unterhaltsanspruch der Klägerin unter
Berücksichtigung der gesamten Tilgungsleistungen des Beklagten bemessen wurde.
Diese Feststellungen sind rechtlich nicht zu beanstanden und werden auch von
der Revision nicht substantiiert angegriffen. Zwar ist die Höhe des Bedarfs der
Klägerin auf Trennungsunterhalt durch Urteil des Oberlandesgerichts vom 30.
November 2004 konkret mit 4.935 DM Elementarunterhalt, 1.600 DM
Altersvorsorgeunterhalt und 650 DM Krankenvorsorgeunterhalt bemessen worden.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die fortlaufende Tilgung des
gemeinsamen Kredits aber auch die Bemessung des konkreten Unterhaltsbedarfs
beeinflusst, was zu einer wirtschaftlichen Beteiligung der Klägerin an der
Kredittilgung führt.

Es kommt deswegen nicht darauf an, welchen Teil der
Tilgungsleistungen der Beklagte noch vor Zustellung des Scheidungsantrags
vorgenommen hat und auf welchen Betrag sich die Tilgungsleistungen nach
Zustellung des Scheidungsantrags belaufen.

4. Weil das Berufungsgericht den Beklagten deswegen zu Recht
zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs in Höhe von 48.020,78 € nebst Zinsen
verurteilt hat, ist seine Revision zurückzuweisen.
Quicklink: uw111002

BFH, Urteil vom 03.02.2011, VI R 4 / 10

 

Tatbestand

I. Streitig ist die Nachversteuerung vertraglich zugesagten,
aber nicht zur Auszahlung gebrachten Weihnachtsgeldes.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist
Rechtsnachfolger einer GmbH, an deren Kapital er und seine Ehefrau mit je 50 %
beteiligt waren. Im Gesellschaftsvertrag war vereinbart, dass
Gesellschafterbeschlüsse der einfachen Mehrheit bedürfen, wobei die Abstimmung
nach Geschäftsanteilen (je 1.000 DM eine Stimme) erfolgte. Mit
Anstellungsvertrag vom 30. November 1995 (§ 1) wurde der Kläger zum
alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Er war von den
Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. Nach § 4 des
Anstellungsvertrages hatte er Anspruch auf ein monatliches Gehalt von 6.000 DM.
Darüber hinaus wurde ihm ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Monatsgehaltes
zugesichert. Am 25. Juli 1996, 31. Dezember 1997, 1. Juni 2000 und 31. Dezember
2000 erfolgten das Gehalt sowie das Weihnachtsgeld betreffende Ergänzungen zum
Anstellungsvertrag. Obwohl sich die GmbH nicht in Zahlungsschwierigkeiten
befand, wurde dem Kläger das vereinbarte Weihnachtsgeld in den Jahren 1998 bis
2001 (9.500 DM in 1998, 10.000 DM in 1999, 12.625 DM in 2000 und 14.599 DM in
2001) in Höhe von insgesamt 46.724 DM (= 23.889,60 EUR) nicht ausgezahlt.
Entsprechende Nachträge zum Geschäftsführer-Anstellungsvertrag hierzu wurden
nicht vorgenommen. Unstreitig hatte die Gesellschaft das Weihnachtsgeld auch
weder als Aufwand gebucht noch dafür entsprechende Passivposten in ihrer Bilanz
ausgewiesen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) nahm
im Anschluss an eine für den streitigen Zeitraum 1. Januar 1998 bis 31. Oktober
2002 durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung die GmbH mit Haftungsbescheid für
Lohn- und Kirchensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag der Jahre 1998 bis
2002 in Anspruch, soweit für das Weihnachtsgeld keine Lohnsteuer einbehalten
worden war. Das FA war der Auffassung, dass bei einem beherrschenden
Gesellschafter nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine
Forderung bei Fälligkeit als zugeflossen gelte und dies auch vorliegend für das
vertraglich zugesagte Weihnachtsgeld gelten müsse, nachdem der Kläger darauf
nicht klar, eindeutig und im Voraus verzichtet habe.

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das
Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1785
veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 11 des
Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe verkannt, dass das Weihnachtsgeld
dem Kläger mit Fälligkeit zugeflossen sei.

Es beantragt,

das Urteil des Thüringer FG vom 18. Februar 2009 III K
1027/05 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II. 1. Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat im
Ergebnis zu Recht entschieden, dass der angefochtene Haftungsbescheid
rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn die GmbH war
wegen des streitigen Weihnachtsgeldes nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet.

a) Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die
Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn
einzubehalten und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach § 38 Abs. 2
Satz 2 EStG entsteht die Lohnsteuer jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem der
Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.

b) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch
zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem
Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den
Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht
nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist,
sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von
nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den
Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und
leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa
BFH-Urteile vom 2. November 1962 VI 284/61 S, BFHE 76, 270, BStBl III 1963, 96;
vom 14. Mai 1982 VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469; vom 14.
Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 2. März 1993
VIII R 13/91, BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602; vom 24. März 1993 X R 55/91,
BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499; vom 2. September 1994 VI R 35/94, BFH/NV
1995, 208; vom 11. Mai 1999 VIII R 70/95, BFH/NV 2000, 18; vom 30. Oktober 2001
VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138; vom 18. Dezember 2001 IX R
74/98, BFH/NV 2002, 643, m.w.N.; vom 28. Oktober 2008 VIII R 36/04, BFHE 223,
166, BStBl II 2009, 190, und vom 11. Februar 2010 VI R 47/08, BFH/NV 2010,
1094).

c) Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen
Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet (vgl. BFH-Urteil
vom 12. April 2007 VI R 89/04, BFHE 217, 555, BStBl II 2007, 719, m.w.N.), kann
das Zufließen i.S. des § 11 EStG nicht fingiert werden. Eine Ausnahme macht die
Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer
Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der
Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen
können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind (BFH-Urteile in
BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480, unter 2.b; vom 16. November 1993 VIII R
33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632). Allerdings werden von dieser
Zuflussfiktion (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 29. Aufl., § 11 Rz 10) nur
Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft
den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung
ihres Einkommens ausgewirkt haben (BFH-Urteil vom 11. Februar 1965 IV 213/64 U,
BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407).

d) Hingegen sind nach der Rechtsprechung des BFH keine
Einnahmen zugeflossen, wenn der Gläubiger (Gesellschafter) gegenüber dem
Schuldner (Gesellschaft) auf bestehende oder künftige Ansprüche ohne Ausgleich
verzichtet und dadurch eine Vermögenseinbuße erleidet (Beschluss des Großen
Senats des BFH vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307,
m.w.N.). Etwas anderes gilt nur, wenn der verzichtende Gesellschafter den
Erlass gewährt und dadurch eine (verdeckte) Einlage leistet. Denn hierdurch
erleidet er keine Vermögenseinbuße, sondern bewirkt eine Umschichtung seines
Vermögens (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 183, 187, BStBl II 1998,
307).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das FG vorliegend im Ergebnis
zutreffend darauf erkannt, dass dem Kläger das streitige Weihnachtsgeld weder
tatsächlich (a) noch bei Fälligkeit (b) oder im Wege einer verdeckten Einlage
(c) zugeflossen ist.

a) Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118
FGO) sind dem Kläger im Haftungszeitraum die streitigen Weihnachtsgeldbeträge
weder bar ausgezahlt noch auf ein für ihn bei einem Kreditinstitut bestehendes
Konto überwiesen worden. Auch ist nach den Feststellungen des FG nicht
ersichtlich, dass ihm die streitigen Beträge in den Büchern der GmbH
gutgeschrieben worden sind. Somit hat der Kläger vorliegend keine
Verfügungsmacht über die streitigen Weihnachtsgeldbeträge erlangt.

b) Die von der GmbH nicht ausgezahlten Beträge gelten dem
Kläger auch nicht mit Fälligkeit des Weihnachtsgeldes als zugeflossen. Denn die
Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem beherrschenden
Gesellschafter sind vorliegend nicht anzuwenden.

Zum einen haben sich die streitigen Beträge bei der
Ermittlung des Einkommens der GmbH nicht ausgewirkt. Denn sie sind unstreitig
in den Büchern der Gesellschaft nicht als Gehaltsaufwand erfasst worden. Schon
deshalb kommt vorliegend ein Zufluss bei Fälligkeit nicht in Betracht. Zum
anderen war der Kläger im Haftungszeitraum kein beherrschender Gesellschafter
der GmbH. Dies verkennt das FA. Der Kläger war nach den nicht angefochtenen
Feststellungen des FG lediglich zu 50 % am Stammkapital der GmbH beteiligt und
besaß keine Stimmrechtsmehrheit. In einem solchen Fall ist der Gesellschafter
kein beherrschender (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 9/03, BFH/NV
2005, 526). Denn eine beherrschende Stellung eines GmbH-Gesellschafters liegt
im Regelfall vor, wenn der Gesellschafter die Mehrheit der Stimmrechte besitzt
und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben
kann. Im Allgemeinen ist das erst der Fall, wenn der Gesellschafter, der durch
Leistungen der Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50 % der
Stimmrechte hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Dezember 1989 I R 99/87, BFHE
159, 338, BStBl II 1990, 454; vom 26. Juli 1978 I R 138/76, BFHE 125, 557,
BStBl II 1978, 659; vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II
1982, 139; vom 8. Januar 1969 I R 91/66, BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347).

Hält ein Gesellschafter –wie im Streitfall der Kläger–
nicht mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile, kann er nach ständiger
Rechtsprechung einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn
er mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle Interessen
verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine ihren
Gesellschafterinteressen entsprechende Willensbildung der Kapitalgesellschaft
herbeizuführen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 4. Dezember 1991 I R 63/90, BFHE 166,
279, BStBl II 1992, 362, m.w.N.; vom 13. Dezember 1989 I R 45/84, BFH/NV 1990,
455; vom 28. Februar 1990 I R 83/87, BFHE 160, 192, BStBl II 1990, 649; vom 10.
März 1993 I R 51/92, BFHE 171, 58, BStBl II 1993, 635, m.w.N.). Tatsachen, die
vorliegend auf gleichgerichtete materielle Interessen der beiden im nämlichen
Umfang an der GmbH beteiligten Gesellschafter schließen lassen, sind im
Streitfall jedoch weder festgestellt noch vorgetragen. Allein der Umstand, dass
die Gesellschafter Eheleute sind, kann eine entsprechende Vermutung jedenfalls
nicht begründen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März
1985 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83,
BVerfGE 69, 188, BStBl II 1985, 475). Schon deshalb kann die anders lautende
Erkenntnis des FG, beim Kläger habe es sich um einen beherrschenden
Gesellschafter gehandelt, den erkennenden Senat nicht binden.

Ein Zufluss des Weihnachtsgeldes bereits mit Fälligkeit
kommt im Streitfall daher nicht in Betracht. Die vom FA aufgeworfene Frage, ob
der Kläger rechtzeitig vor Fälligkeit wirksam auf seinen Anspruch auf
Weihnachtsgeld verzichtet hat, braucht der Senat deshalb nicht zu entscheiden.
Denn sie ist vorliegend ohne Bedeutung.

c) Schließlich hat der Kläger durch den Verzicht auf das
Weihnachtsgeld keine Zufluss begründende (weil vermögensumschichtende)
verdeckte Einlage bewirkt. Der Verzicht des Klägers hat nicht zum Wegfall einer
zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der GmbH und damit zu einer Vermehrung
ihres Vermögens und ihrer Ertragsfähigkeit geführt. Denn das streitige
Weihnachtsgeld ist zu keinem Zeitpunkt als Aufwandsposten in die Bücher der
GmbH eingegangen. Damit hat der Kläger im Streitfall durch den Verzicht sein Vermögen
nicht in Beteiligungskapital umgeschichtet, sondern eine tatsächliche
Vermögenseinbuße erlitten.

Nach alldem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Quicklink: uw111001

BGH, Urteil vom 25.01.2011, II ZR 196 / 09

 

Tatbestand

Der Beklagte war Geschäftsführer der I.
Bauingenieurgesellschaft mbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen
aufgrund eines Antrags vom 25. Januar 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet
wurde. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter. Er verlangt von dem Beklagten
zwei Zahlungen ersetzt, die dieser am 21. und 25. Oktober 2005 zu Lasten des
Gesellschaftsvermögens an das Finanzamt D. und die AOK H. geleistet hat. Der
Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits
überschuldet gewesen.

Die Zahlung an die AOK in Höhe von 51.640,24 € diente der
Begleichung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen. Davon zahlte die
AOK aufgrund einer Anfechtung des Klägers 27.817,56 € zurück. Der Restbetrag in
Höhe von 23.822,68 € und die an das Finanzamt gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von
51.371,19 € sind Gegenstand der Klage.

Hilfsweise hat der Kläger seine Klage darauf gestützt, dass
auf dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin bei der
Raiffeisenbank O. eG in der Zeit zwischen dem 21. und 25. Oktober 2008
Überweisungen in Höhe von 121.212,50 € gutgeschrieben worden sind.

Das Landgericht hat die Klage bezüglich der beiden Zahlungen
des Beklagten an die AOK und das Finanzamt abgewiesen und ihn bezüglich der auf
dem Konto gutgeschriebenen Zahlungen unter Zurückweisung des weitergehenden
Antrags verurteilt, an den Kläger 18.501,07 € zu zahlen, nämlich die Differenz
zwischen den Gutschriften auf dem Geschäftskonto und den an das Finanzamt und
die AOK gezahlten Beträgen.

Das Berufungsgericht hat die Klage auf die Berufung des
Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers in vollem
Umfang abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

Die Revision führt in Bezug auf die Zahlung an die AOK in
Höhe von 23.822,68 € – nach Abzug der zurückgezahlten 27.817,56 € – zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht. Im Übrigen bleibt die Revision ohne Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt
begründet:

Der Beklagte habe mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsleiters gehandelt, als er 51.371,19 € an das Finanzamt und 51.640,24 €
an die AOK gezahlt habe. Denn mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung
könne einem Geschäftsführer nicht angesonnen werden, sich strafbar und
ersatzpflichtig zu machen, indem er fällige Umsatzsteuern und
Sozialversicherungsbeiträge nicht abführe. Das gelte nicht nur für die nach
Ablauf der Insolvenzantragsfrist fällig werdenden Beträge, sondern ebenso für
die Rückstände.

Auch hinsichtlich der auf dem Konto der Schuldnerin
gutgeschriebenen Beträge sei die Klage unbegründet. Zwar müsse ein
Geschäftsführer, wenn er schon den fälligen Insolvenzantrag nicht stelle,
wenigstens dafür sorgen, dass die verteilungsfähige Vermögensmasse nicht durch
Zahlungen auf ein debitorisches Geschäftskonto zugunsten der Bank geschmälert
werde. Die Pflichtverletzung des Beklagten habe aber nicht zu einem ihm
zurechenbaren Schaden geführt. Die allen Gläubigern zur Verfügung stehende
Insolvenzmasse wäre auch dann vermindert worden, wenn der Beklagte ein neues
Konto bei einer anderen Bank eingerichtet hätte. Denn zwischen der Schuldnerin
und ihrer Hausbank, der Raiffeisenbank O. eG, sei eine Globalzession vereinbart
gewesen. Damit wäre der Auszahlungsanspruch der Schuldnerin aus dem neu
eingerichteten Konto ohnehin an die Hausbank gefallen.

II. Das hält rechtlicher Überprüfung nur teilweise stand.

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die Klage
abgewiesen, soweit sie auf Ersatz der Zahlung an das Finanzamt in Höhe von
51.371,19 € gerichtet ist. Insoweit hat der Kläger keinen Anspruch aus § 64
Satz 1 GmbHG gegen den Beklagten. Denn diese Zahlung war mit der Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftleiters vereinbar i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG.

Wenn der Geschäftsführer einer GmbH – auch nach Eintritt der
Insolvenzreife – fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen, ebenso
wie einbehaltene Lohnsteuer, nicht an das Finanzamt abführt, begeht er eine mit
einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i.V.m.
§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und setzt sich außerdem der
persönlichen Haftung gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus (vgl. BFH, Urteil vom 27.
Februar 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604 Rn. 16 ff.; Beschluss vom 4. Juli
2007 – VII B 268/06, BFH/ NV 2007, 2059 Tz. 6; Urteil vom 23. September 2008 –
VII R 27/07, ZIP 2009, 122, jeweils zur Lohnsteuer; KG, Beschluss vom 22.
September 1997 – 2 Ss 250/97, juris; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche
Nebengesetze, Stand: Juni 2004, § 380 AO Rn. 3 ff., jeweils zum
Bußgeldtatbestand; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 77). Die
dadurch bewirkte Pflichtenkollision hat den Senat bewogen, die Zahlung von
Umsatz- oder Lohnsteuer als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
vereinbar anzusehen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265
Rn. 11 f.; Urteil vom 29. September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn.
10).

Diese Rechtsprechung bezieht sich – wie das Berufungsgericht
zutreffend erkannt hat – nicht nur auf laufende, erst nach Eintritt der
Insolvenzreife fällig werdende Steuerforderungen, sondern auch auf
Steuerrückstände. Zwar erfüllt der Geschäftsführer schon mit der Nichtabführung
der laufenden Steuer den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit und macht sich
persönlich ersatzpflichtig. Dennoch besteht der Interessenkonflikt zwischen der
Befolgung der Massesicherungspflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG und der Erfüllung
der steuerlichen Abführungspflicht fort. Zum einen ist die freiwillige
Nachzahlung der Steuer ein Umstand, der bei der Verhängung und Bemessung der
Geldbuße jedenfalls nach § 17 Abs. 3, 4 OWiG, § 377 Abs. 2 AO zugunsten des
Geschäftsführers zu berücksichtigen ist. Zum anderen entfällt mit der
Nachzahlung auch die persönliche Haftung des Geschäftsführers nach §§ 69, 34
Abs. 1 AO. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dem Geschäftsführer nicht
zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die
Möglichkeit zu verzichten, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens
nach § 47 OWiG oder jedenfalls für die Verhängung einer geringeren Geldbuße zu
schaffen und sich von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu
befreien.

Entgegen der Auffassung der Revision kann diese
Fallgestaltung nicht damit verglichen werden, dass einem Vertretungsorgan eine
bereits abgeschlossene unerlaubte Handlung zur Last fällt und es nun versucht,
durch Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen den Schaden wiedergutzumachen. Die
Nichtabführung der Steuer ist ein Dauerdelikt, das bei Fälligkeit zwar
vollendet, aber erst bei Erlöschen der Abführungspflicht beendet ist (vgl. KG,
Beschluss vom 22. September 1997 – 2 Ss 250/97, juris Rn. 15; Göhler/Gürtler,
OWiG, 15. Aufl., Rn. 17 vor § 19). Daher geht es bei der nachträglichen Abführung
der Steuer nicht nur um Schadenswiedergutmachung, sondern um die Erfüllung der
mit einer Geldbuße bewehrten Pflicht.

2. Die Abweisung der Klage ist aber von den bisherigen
Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gedeckt, soweit sie auf Erstattung
der an die AOK gezahlten und nicht zurückgezahlten 23.822,68 € gerichtet ist.

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob es sich bei
den vom Beklagten gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen um Arbeitnehmer- oder
Arbeitgeberanteile gehandelt hat. Waren es Arbeitnehmeranteile, ist die Klage
auch insoweit unbegründet. Waren es dagegen Arbeitgeberanteile, ist der
Beklagte nach § 64 Satz 1 GmbHG zur Erstattung verpflichtet.

a) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats handelt ein
Geschäftsführer einer GmbH grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen
Geschäftsmanns i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG und haftet deshalb nicht nach § 64
Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle
zahlt (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.;
Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 6). Denn es kann ihm
mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, diese Zahlung
im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger
in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach
§ 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m.
§ 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen
Erwägungen wie zu den Steuerforderungen.

Das gilt auch für die Frage, ob von der Privilegierung nur
die laufenden, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdenden
Arbeitnehmerbeiträge oder auch die Beitragsrückstände erfasst werden. Das
Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Geschäftsführer auch die
Rückstände zahlen kann, ohne sich der Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG
auszusetzen. Es kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des
Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, sich
Straffreiheit nach § 266a Abs. 6 Satz 1, 2 StGB oder jedenfalls eine
Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 a.E. StGB oder eine Einstellung des
Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit nach §§ 153, 153a StPO zu verdienen
und sich von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu befreien.

b) Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass eine
Zahlung an die Einzugsstelle der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
widerspricht, wenn sie zur Tilgung von Arbeitgeberanteilen zur
Sozialversicherung geleistet wird. Denn nur das Vorenthalten von
Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt und begründet eine
Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile
fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den
Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG einzuschränken
(BGH, Urteil vom 8. Juni 2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 6 f.).

Für einen Vertrauensschutz wegen einer zuvor gegenteiligen
Rechtsprechung besteht – anders als die Revisionserwiderung meint – kein
Anlass. Aus der Rechtsprechung des Senats hat sich auch vor der Entscheidung
vom 8. Juni 2009 (aaO) kein Anhaltspunkt für eine Privilegierung der Zahlung
von Arbeitgeberanteilen ergeben. Die durch das Urteil des Senats vom 14. Mai
2007 vollzogene Rechtsprechungsänderung betrifft allein die Frage, ob der
Anwendungsbereich der § 64 Satz 1, 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG bei
einer Zahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung wegen der
Strafandrohung in § 266a StGB und der deliktischen Schadensersatzhaftung aus §
823 Abs. 2 BGB einzuschränken ist (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007- II ZR 48/06,
ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.; ebenso Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ
146, 264, 274 f.; Urteil vom 18. April 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026,
1029; Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678). Dass eine
Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung nach der Rechtsprechung
des Senats mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S. der § 64
Satz 2 GmbHG, § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG vereinbar sei, wurde seit Inkrafttreten der
Insolvenzordnung zu keiner Zeit ernsthaft angenommen (s. etwa Streit/Bürg, DB 2008,
742, 744; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 43 Rn. 82 ff.).

3. Die Abweisung der Klage hinsichtlich der auf dem
Geschäftskonto der Schuldnerin gutgeschriebenen Beträge beanstandet die
Revision im Ergebnis nicht. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken.

III. Danach ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben, als
der Anspruch auf Erstattung der Zahlung an die AOK abgewiesen worden ist.

Für die wiedereröffnete mündliche Verhandlung weist der
Senat auf Folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht wird festzustellen haben, ob die
Zahlung an die AOK Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberanteile betroffen hat. Eine
Vermutung für Arbeitnehmeranteile besteht nicht (BGH, Urteil vom 8. Juni 2009 –
II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 7). Die Tilgungsreihenfolge richtet sich
vielmehr nach § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung,
Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages –
Beitragsverfahrensverordnung (BVV).

2. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht der Frage
nachzugehen haben, ob die Zahlung an die AOK deshalb nicht zu einem
Ersatzanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG geführt hat, weil sie dem debitorisch
geführten Geschäftskonto der Schuldnerin belastet worden ist. Damit könnte
insoweit ein bloßer – haftungsrechtlich unschädlicher – Gläubigertausch
vorliegen.

Von einem Gläubigertausch in diesem Sinne ist grundsätzlich
dann auszugehen, wenn – wie hier – aus einem debitorisch geführten Bankkonto
eine Gesellschaftsschuld beglichen wird. Dann wird lediglich der befriedigte
Gläubiger durch die Bank als Gläubigerin ersetzt, ohne dass die Insolvenzmasse
geschmälert würde und die gleichmäßige Verteilung der Masse unter den übrigen
Gläubigern beeinträchtigt wäre. Das gilt aber nur, wenn die Bank nicht über
freie Sicherheiten verfügt, die sie zu einer abgesonderten Befriedigung nach §§
50 f. InsO berechtigen. Denn dann wird die Gemeinschaft der Gläubiger durch die
Zahlung insoweit geschädigt, als zur gleichmäßigen Verteilung nur noch eine
geringere Vermögensmasse zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 29. November 1999
– II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 187 f.; Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05,
ZIP 2007, 1006, 1007; Urteil vom 25. Januar 2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470
Rn. 10).

Das Berufungsgericht hat zu den im Hinblick auf den
Debetsaldo bestehenden freien Sicherheiten der Bank keine Feststellungen
getroffen. Es hat zwar im Zusammenhang mit dem Hilfsbegehren des Klägers
ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Globalzession den Debetsaldo des Geschäftskontos „weit überstiegen“
habe. Das kann sich aber nur auf die Grenze beziehen, ab der eine ursprüngliche
Übersicherung zur Nichtigkeit der Sicherungsabtretung nach § 138 Abs. 1 BGB
führt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256, 1259;
Urteil vom 12. März 1998 – IX ZR 74/95, ZIP 1998, 684, 685). Diese Grenze ist
erst bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen dem realisierbaren Wert der Sicherheit
und der gesicherten Forderung erreicht. Im vorliegenden Zusammenhang geht es
dagegen um die Frage, in welchem Umfang die Globalzession werthaltig war. Wenn
die Bank schon vor der Überweisung an die AOK ihre Forderungen gegen die Schuldnerin
aus der Globalzession und den ihr eingeräumten sonstigen Sicherheiten nicht
decken konnte, hätte die Zahlung keinen Einfluss auf die zur gleichmäßigen Befriedigung
aller Gläubiger zur Verfügung stehende Masse gehabt. In diesem Fall würde eine
Ersatzpflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG ohne Rücksicht darauf entfallen, ob es sich
bei der Zahlung der AOK um Arbeitgeber- oder Arbeitnehmeranteile gehandelt hat.

3. Von Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits kann auch
sein, ob die Zahlung an die AOK aufgrund einer Kontopfändung erfolgt ist.
Sollte das zutreffen, würde der Beklagte nicht aus § 64 Satz 1 GmbHG haften,
weil er die Zahlung nicht veranlasst hätte (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009
– II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 13 f., zu § 130a Abs. 2 HGB). Das
Berufungsgericht, das dazu keine Feststellungen getroffen hat, wird der Frage
im Hinblick auf den vorgetragenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19.
Oktober 2005 gegebenenfalls nachzugehen haben.

4. Gegebenenfalls wird festzustellen sein, ob die
Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung am 25. Oktober 2005 insolvenzreif war. Ob
die Zahlung den Zeitraum der Insolvenzantragsfrist betraf, ist dagegen
unerheblich. Während der Insolvenzantragsfrist besteht zwar ein
Rechtfertigungsgrund für den Geschäftsführer, der die Arbeitnehmeranteile zur
Sozialversicherung nicht abführt. Dadurch wird aber nach Ablauf der
Insolvenzantragsfrist der Interessenkonflikt für den Geschäftsführer nicht
ausgeschlossen. Denn der Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der
Geschäftsführer den Insolvenzantrag nicht fristgerecht stellt (BGH, Urteil vom 29.
September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10 a.E.; Beschluss vom 9.
August 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678, 1679).

5. Schließlich wird gegebenenfalls zu beachten sein, dass
dem Beklagten, wenn er aus § 64 Satz 1 GmbHG haften sollte, in dem Urteil
vorzubehalten ist, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den
Insolvenzverwalter zu verfolgen; dabei deckt sich der ihm zustehende Anspruch
nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger
im Insolvenzverfahren erhalten hätte (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR
88/99, BGHZ 146, 264, 279).
Quicklink: uw111201

BFH, Urteil vom 07.12.2010, IX R 40 / 09

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die
im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Mit
Gesellschaftsvertrag vom 20. September 2000 gründete der Kläger zusammen mit
fünf weiteren Personen eine GmbH; Gegenstand des Unternehmens der
–mittlerweile liquidierten—GmbH war nach § 2 des Gesellschaftsvertrages die
Verwaltung eigenen Vermögens. Das Stammkapital der GmbH betrug 350. 000 €, von
dem der Kläger sowie weitere vier Gesellschafter eine Bareinlage in Höhe von
jeweils 50. 000 € (entsprechend einem Anteil am Stammkapital von 14,29 v.H.)
sowie der Gesellschafter M eine Bareinlage in Höhe von 100. 000 € (entsprechend
einem Anteil von 28,55 v.H.) übernahmen.

Der Gesellschafter M, der nach den Bestimmungen des
Gesellschaftsvertrags vom 20. September 2000 zum Geschäftsführer der GmbH
bestellt war, übertrug mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung unter dem
30. November 2001 einen Teilanteil seines Geschäftsanteils in Höhe von 50. 000
€ unentgeltlich auf eine nahe stehende Person, so dass von diesem Zeitpunkt an
sieben Gesellschafter mit jeweils 50. 000 € (entsprechend einem Anteil am
Stammkapital von 14,29 v.H.) an der GmbH beteiligt waren.

Die GmbH handelte in den Jahren 2000 und 2001 fast
ausschließlich mit Aktien am Neuen Markt. Aufgrund der negativen
Börsenentwicklung betrug das in Wertpapieren angelegte Vermögen der GmbH zum
31. Dezember 2001 nur noch 94.575,73 DM. Vor diesem Hintergrund veräußerten
sechs der sieben Gesellschafter der GmbH mit Verträgen vom 14. und 17. Dezember
2001 ihre jeweilige Beteiligung von 14,29 v.H. zum Kaufpreis in Höhe von 7. 500
€ reihum an einen Mitgesellschafter und erwarben zeitgleich wieder eine
Beteiligung in gleicher Höhe von einem jeweils anderen Mitgesellschafter. In
diesem Zusammenhang veräußerte auch der Kläger mit notariell beurkundetem
Vertrag vom 17. Dezember 2001 seine Beteiligung an den Gesellschafter M und
erwarb mit Notarvertrag vom selben Tag eine Beteiligung in gleicher Höhe von
einem anderen Gesellschafter. Den Veräußerungs- und Erwerbsvorgängen lagen die
einstimmigen Beschlüsse der außerordentlichen Gesellschafterversammlungen vom
8. und 15. Dezember 2001 zugrunde. Nach den Veräußerungs und Erwerbsvorgängen
waren alle Gesellschafter wiederum mit 14,29 v.H., d.h. mit derselben
Beteiligungsquote wie vor den Veräußerungen an der GmbH beteiligt.

In seiner Einkommensteuererklärung 2001 machte der Kläger
einen Verlust nach § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2, 4 des
Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) aus der Veräußerung der
GmbH Beteiligung in Höhe von 83. 123 DM (entspricht 42. 500 €) geltend,
resultierend aus der Differenz zwischen dem Wert der Stammeinlagen bei Gründung
der Gesellschaft in Höhe von 50. 000 € und dem Veräußerungspreis von 7. 500 €.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust
im Einkommensteuerbescheid für 2001 vom 17. Mai 2002 nur unter Vorbehalt sowie
in dem auf Grund einer Betriebsprüfung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung
(AO) geänderten Einkommensteuerbescheid vom 24. September 2002 wegen
Gestaltungsmissbrauchs nicht mehr an.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) folgte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 99
veröffentlichten Urteil der Auffassung des FA, die Berücksichtigung eines
Veräußerungsverlustes nach § 17 EStG komme im Streitfall nicht in Betracht, da
in dem gleichzeitig vereinbarten erneuten Erwerb der Gesellschaftsanteile, für
den es an einem wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen außersteuerlichen
Grund fehle, ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 Abs.
1 AO) liege.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren nach
Berücksichtigung ihres Veräußerungsverlusts weiter. § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG
enthalte speziell normierte Verlustabzugsverbote zur Bekämpfung von
missbräuchlichen Gestaltungen; im Übrigen gehe das Gesetz aber davon aus, dass
Verluste abziehbar seien: Die Realisierung von Verlusten aus der Veräußerung
von Anteilen sei mithin im Gesetz als Normalfall der Besteuerung angelegt, ohne
dass auf solche Fälle § 42 AO Anwendung finden könne. Aber auch die im
Einzelfall gewählte Gestaltung werde von § 17 EStG nicht missbilligt. Soweit
das FG in diesem Zusammenhang eine Parallele zu den Fällen der Veräußerung und
des zeitnahen Rückerwerbs von Anteilen gezogen habe und –basierend auf dieser
Annahme– einen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 1 AO angenommen habe,
betreffe die insoweit einschlägige Rechtsprechung andere Fallgestaltungen. Das
angefochtene Urteil des FG weiche ferner von der aktuellen höchstrichterlichen
Rechtsprechung ab, welche in der Verlust verursachenden Veräußerung von
Anteilen i.S. des § 17 EStG keinen Verstoß gegen eine vom Gesetzgeber
vorgegebene Wertung, sondern lediglich eine dem Steuerpflichtigen durch das
Gesetz eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit gesehen habe. In der im Streitfall
von den Klägern verwirklichten Sachverhaltgestaltung liege schließlich auch
keine missbräuchliche Anteilsrotation.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid des FA für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16. Dezember 2004 dahin zu ändern, dass der geltend
gemachte Veräußerungsverlust in Höhe von 83. 123 DM (42. 500 €) bei den
Einkünften aus § 17 EStG berücksichtigt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der
Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung). Zu Unrecht hat das FG die Veräußerung der
Geschäftsanteile des Klägers an einen Mitgesellschafter nicht der Besteuerung
nach § 17 Abs. 1 und 2 EStG zugrunde gelegt.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist die Veräußerung der
Geschäftsanteile an der GmbH kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des
Rechts i.S. des § 42 Satz 1 AO.

a) Ein Gestaltungsmissbrauch ist gegeben, wenn eine
rechtliche Gestaltung gewählt wird, die –gemessen an dem erstrebten Ziel–
unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche
oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Das
Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht
unangemessen. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der
Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen
eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen
ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel
nicht erreichbar sein soll (Urteil des Bundesfinanzhofs — BFH– vom 29. Mai
2008 IX R 77/06, BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, m.w.N.).

b) Dem Kläger stand es frei, ob, wann und an wen er seine
Anteile an der GmbH veräußert. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die
Veräußerung im Streitfall zu einem Verlust geführt hat. Denn die
Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht nicht nur im Einklang mit §
17 EStG, sondern entspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung nach der
Leistungsfähigkeit. Unstreitig hat der Kläger mit seiner Veräußerung auch
keinen Fall des § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr 2001
geltenden Fassung erfüllt und daher mit der Veräußerung seiner Anteile nicht gegen
eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer
ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Stimmt die
Gestaltung mit den gesetzlichen Zielen überein, bedarf es weiterer,
insbesondere außersteuerlicher Motive hierfür grundsätzlich nicht (BFH-Urteil
in BFHE 221, 231, BStBl II 2008, 789, m.w.N.).

c) Im Streitfall war der gewählte Weg des Anteilsverkaufs
zur Verlustnutzung nach der Wertung des Steuerrechts auch nicht ungewöhnlicher
als etwa der einer Liquidation, da nach § 17 Abs. 4 EStG die Rückzahlung des
Gesellschaftsvermögens anlässlich der Liquidation einer Kapitalgesellschaft wie
eine Anteilsveräußerung behandelt wird (BFH-Urteil vom 8. Mai 2003 IV R 54/01,
BFHE 202, 219, BStBl II 2003, 854). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger
wirtschaftlich seine Anteile überhaupt nicht veräußern wollte oder durch die
Anteilsveräußerung nur formal ein Rechtsträgerwechsel eintreten sollte,
bestehen nach den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht. Im Gegenteil: Der
Kläger wollte endgültig veräußern, um den inzwischen eingetretenen Wertverlust
der Beteiligung im Einklang mit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung zu
realisieren.

d) Die vom Kläger gewählte Gestaltung wird auch nicht
dadurch rechtsmissbräuchlich, dass er im zeitlichen Zusammenhang mit der
Veräußerung wiederum Anteile an der GmbH in gleichem Umfang von einem
Mitgesellschafter erwarb. Zwar hat der Senat es im Einzelfall als
rechtsmissbräuchlich angesehen, wenn Beteiligte zivilrechtlich mögliche (und
damit steuerrechtlich grundsätzlich zulässige) Gestaltungen durch gegenläufige
Rechtsgeschäfte –auf der Nutzungsebene– tatsächlich und wirtschaftlich
konterkarieren (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2003 IX R 56/03, BFHE
205, 70, BStBl II 2004, 648). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor: Der
Erwerb von (anderen) Anteilen an der GmbH durch Vertrag vom 17. Dezember 2001
berührt die Vermögensebene des Klägers. Überdies hat sich durch den (erneuten)
Anteilserwerb die steuerrechtliche Ausgangslage für den Kläger geändert: Denn
der im Fall einer zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommenen Veräußerung dieser
Anteile bzw. im Falle der Liquidation der Gesellschaft zu ermittelnde Gewinn
oder Verlust i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG war nunmehr unter Berücksichtigung
der niedrigeren Anschaffungskosten aus dem Erwerbsvorgang vom 17. Dezember 2001
zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, die von § 17 Abs. 2
Satz 4 EStG selbst nicht missbilligte Gestaltung mit Hilfe des § 42 AO zu
korrigieren.

2. Die Sache ist spruchreif. Die Höhe des dem Kläger aus der
Veräußerung entstandenen Verlusts ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

 
Quicklink: uw110609

FG München, Urteil vom 22.11.2010, 4 K 1790 / 10

Tatbestand

Streitig ist, ob auf die schenkweise Übertragung des
positiven Kapitalkontos an einer Kommanditgesellschaft auf einen Dritten, der
nicht selbst Gesellschafter ist, die Vorschriften über den für die Schenkung
von Betriebsvermögen vorgesehenen verminderten Wertansatz Anwendung finden.

Der im Jahr 2007 verstorbene X war im Jahr 2002 einer
von vier beschränkt haftenden Gesellschaftern (Kommanditisten) der
Kommanditgesellschaft Fa. X GmbH & Co. mit Sitz in S. Die mit
Gesellschaftsvertrag vom 18. Juli 1996 errichtete KG war gemäß § 18 des Vertrags
auf unbestimmte Zeit geschlossen und das Gesellschaftsverhältnis eines jeden
Gesellschafters war unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten
zum Ende eines Geschäftsjahrs, frühestens jedoch zum 31. Dezember 2010,
kündbar. Persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die Fa. X Verwaltung
GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG waren allein die Kommanditisten am
Betriebsvermögen der KG beteiligt, wobei ihre Anteile jeweils in einem festen
Kapitalkonto (Kapitalkonto I) und einem variablen Kapitalkonto (Kapitalkonto
II) ausgewiesen wurden. Über die Kapitalkonten II sollten laut
Gesellschaftsvertrag die Gewinnanteile, die Entnahmen und die Einlagen der
Kommanditisten verbucht werden. Außerdem schrieb der Gesellschaftsvertrag den
Kommanditisten vor, in welchem Umfang sie zu Entnahmen aus ihrem jeweiligen
Kapitalkonto II berechtigt waren.

Mit einem als „Rahmenvereinbarung” bezeichneten und
auf den 25. Oktober 2002 datierten Vertrag schenkte X seinem Sohn Y und seiner
Tochter Z mit Wirkung zum 31. Dezember 2002 u.a. seine Gesellschaftsanteile
sowohl an der KG als auch an der GmbH. Unter demselben Datum schloss X zwei
weitere – von den Zuwendungsempfängern abgesehen inhaltlich gleichlautende –
Schenkungsverträge. Hierin war u.a. ausgeführt, dass das Kapitalkonto II von X
an der KG zum 31. Dezember 2001 zu dessen Gunsten ein Guthaben von ca. 3,0 Mio.
EUR auswies. Dieses Guthaben übertrug X durch die vorgenannten beiden Verträge
ebenfalls mit Wirkung zum 31. Dezember 2002 jeweils zur Hälfte auf zwei jeweils
auch am 25. Oktober 2002 gegründete Gesellschaften bürgerlichen Rechts,
namentlich auf die „Y Vermögensverwaltung GbR” (GbR I) und auf die „Z
Vermögensverwaltung GbR” (GbR II). Gesellschafter der GbR I waren neben Y
dessen vier Kinder, die Kläger zu 1) bis 4), zu jeweils 15. Gesellschafter der
GbR II waren neben Z deren vier Kinder, die Kläger zu 5) bis 8), gleichfalls zu
je 15. Der Gegenstand, d.h. der Zweck der GbR I sowie der GbR II ist in
derselben Weise beschrieben. Laut § 2 der jeweiligen Gesellschaftsverträge
besteht deren Gegenstand im „Halten und Verwalten von Vermögensgegenständen”.
Tatsächlich bestand und besteht der Zweck der GbR I und der GbR II allein in
der Inhaberschaft des zugewendeten Kapitalkonto-Guthabens. Darüber hinaus haben
die GbR I und die GbR II kein weiteres Gesellschaftsvermögen. Den Klägern
wurden in der Folge auch keine anteiligen (gewerblichen) Einkünfte aus der KG
zugerechnet. Nach dem Sachvortrag der Kläger sollten ihnen durch die
Zuwendungen weder Gesellschaftsanteile an der KG noch Unterbeteiligungen an
Gesellschaftsanteilen anderer Kommanditisten eingeräumt werden. Für die
schenkweisen Zuwendungen gaben die Kläger keine Schenkungsteuererklärungen ab.

Der Beklagte setzte gegen jeden einzelnen der Kläger
mit Bescheiden vom 16. Dezember 2009 eine Schenkungsteuer in jeweils derselben
Höhe von 27.368 EUR fest. Die Schenkungsteuer beruhte dabei auf dem Ansatz
eines Werts des Erwerbs von jeweils 300.000 EUR, der nach Abzug eines
Freibetrags von 51.200 EUR einem Tarif von 11% unterworfen wurde. Mit
inhaltlich gleichlautenden Schriftsätzen jeweils vom 18. Dezember 2009 legten
die Kläger gegen ihre Steuerbescheide Einspruch ein. Die Einsprüche der Kläger
blieben erfolglos und wurden mit jeweils getrennten Einspruchsentscheidungen
vom 12. Mai 2010 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen erhoben die Kläger
jeweils mit am 1. Juni 2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsätzen vom 31. Mai
2010 getrennt Klagen (Az.: 4 K 1790 – 1797/10). Mit Beschluss des Senats vom 7.
Juni 2010 wurden sämtliche Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung unter dem Aktenzeichen des vorliegenden Verfahrens verbunden.

Ihre nunmehr gemeinschaftliche Klage begründen die
Kläger wie folgt:

Die klagegegenständlichen Schenkungsteuerbescheide
seien rechtswidrig, weil den Klägern der für geschenktes Betriebsvermögen
geltende verminderte Wertansatz zustünde. Entgegen der Rechtsansicht des
Beklagten habe es sich bei dem jeweils schenkweise zugewendeten
Kapitalkontoguthaben um gewerbliches Betriebsvermögen und nicht etwa um eine
Barschenkung gehandelt. Das Kapitalkonto II sei ausweislich der Bestimmungen
des Gesellschaftsvertrags der KG keine bloße Geldforderung. Vielmehr habe es
der Verbuchung von Einlagen und Entnahmen der Gesellschafter gedient, sei
unverzinslich und nicht gesondert kündbar gewesen. Hieraus werde der Charakter
als Bestandteil des Betriebsvermögens der KG ersichtlich. Das gemäß § 16 des
Gesellschaftsvertrags der KG neben dem Kapital I und II eventuell zu führende
Verlustkonto sei auch ein Unterkonto des Kapitalkontos, was dazu führe, dass
der Verlust mit dem Kapitalkonto zu verrechnen sei. Demnach seien sämtliche
Konten insgesamt als Eigenkapital anzusehen. Beim Schenker sei der
Kapitalanteil insgesamt als gewerbliches Betriebsvermögen anzusetzen. Dies
würde selbst dann gelten, wenn das Kapitalkonto schon in der Person des
Schenkers Forderungscharakter hätte. Mit dieser steuerrechtlichen Qualität als
Betriebsvermögen komme das Kapitalkonto auch bei den Klägern als Beschenkte an.
Unabhängig davon handle es sich bei den geschenkten Kapitalkonten der Kläger
auch deshalb um Betriebsvermögen, weil dies bei den gleichfalls beschenkten
Mitgesellschaftern der Kläger innerhalb der GbR I und der GbR II, Y bzw. Z
wegen deren mitunternehmerschaftlichen Rechtsstellung in Bezug auf die KG in
jedem Fall anzunehmen sei. Hierdurch würden auch die Einkünfte der Kläger aus
der jeweiligen GbR und somit auch die von diesen erworbenen Kapitalkonten II
gewerblich „infiziert”. Aus diesem Grund seien die Voraussetzungen für den
Bewertungsabschlag in Höhe von 40% des jeweils zugewendeten Vermögens gegeben.
Darüber hinaus sei nicht vom Nominalwert des zugewendeten Vermögens auszugehen.
Es handle sich bei den abgetretenen Guthaben auf dem Kapitalkonto II um Ansprüche
nach § 717 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit § 105
Abs. 3, § 161 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB). Diese Forderungen auf ein
anteiliges Auseinandersetzungsguthaben seien wegen ihrer
gesellschaftsvertraglich vereinbarten Unverzinslichkeit und der frühesten
Kündbarkeit des Gesellschaftsvertrags der KG zum 31. Dezember 2010 schenkungssteuerrechtlich
nicht mit dem Nennwert anzusetzen, sondern auf die Laufzeit von acht Jahren mit
dem Faktor 0,652 abzuzinsen. Letzteres gelte im Übrigen selbst dann, wenn die
Voraussetzungen für die Gewährung des verminderten Wertansatzes für Betriebsvermögen
nicht vorlägen. Demnach sei die Schenkungsteuer der Kläger jeweils auf der
Grundlage von 300.000 EUR zu ermitteln. Nach Abzug eines Bewertungsabschlags
hiervon von 40% und Multiplikation mit dem Abzinsungsfaktor 0,652 ergebe sich
jeweils ein Vermögenswert von 117.360 EUR, der gekürzt um den persönlichen
Freibetrag von 51.200 EUR bei Anwendung eines Steuersatzes von 7% jeweils eine
festzusetzende Schenkungsteuer von 4.631 EUR ergebe.

Die Kläger beantragen,

die jeweils einzeln gegen sie ergangenen Schenkungsteuerbescheide
vom 16. Dezember 2009 in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 12.
Mai 2010 mit der Maßgabe zu ändern, die jeweilige Schenkungsteuer auf 4.631 EUR
herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Seiner Ansicht nach seien die festgesetzten
Schenkungsteuern rechtmäßig. Zum einen könnten die Kläger die Vergünstigung für
Betriebsvermögen schon deshalb nicht geltend machen, weil sie bislang keine
Schenkungsteuererklärungen abgegeben hätten. Zum anderen finde der verminderte
Wertansatz keine Anwendung auf einzelne Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens.
Dem Kapitalkonto II komme keine Teilbetriebsqualität zu. Außerdem setze die
Vergünstigung voraus, dass das geschenkte Wirtschaftsgut auch Betriebsvermögen
bleibe. Die Anteile der Kläger an den beiden GbR befänden sich jedoch in deren
Privatvermögen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung übergibt der
Beklagte mit Einverständnis des nach eigenen Angaben auch im Namen der am
Verfahren nicht beteiligten Kommanditisten der KG, Y und Z handelnden
Prozessbevollmächtigten der Kläger einen Auszug aus der Handelsbilanz der KG
zum 31. Dezember 2002 und zum 31. Dezember 2003. Danach war zum 1. Januar 2002
zugunsten des Schenkers und früheren Kommanditisten X ein Betrag von 3.924.537,39
EUR als „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern” passiviert, der sich zum
31. Dezember 2002 auf 3.674.468,15 EUR vermindert hatte. In der Handelsbilanz
der KG zum 31.12.2003 ist dieser Betrag unter ausdrücklichem Hinweis auf die im
Streit stehenden Schenkungsvereinbarungen mit der GbR I und der GbR II als
„Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern” ausgebucht und in Höhe von
jeweils 1.649.734,07 EUR als „Sonstige Verbindlichkeiten mit einer Restlaufzeit
von bis zu einem Jahr” zugunsten der beiden vorgenannten Gesellschaften
bürgerlichen Rechts bilanziert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs.
3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten,
insbesondere auf die dem Gericht vorgelegten Gesellschaftsverträge der KG, der
GbR I und der GbR II und die Auszüge aus der Handelsbilanz der KG zum 31.
Dezember 2002 und 2003, sowie auf die die Kläger betreffende Verwaltungsakte
und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. November 2010
Bezug genommen.

Gründe

1.) Die fristgerecht erhobene, und daher zulässige
Klage ist unbegründet.

a) Als der Schenkungsteuer unterliegende Schenkungen
unter Lebenden gelten insbesondere freigebige Zuwendungen unter Lebenden,
soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 1
Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuerund
Schenkungsteuergesetzes in der auf den Zeitpunkt der im Streitfall vorliegenden
Zuwendung anzuwendenden Fassung – ErbStG –). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt
die nach Maßgabe des § 12 ErbStG zu bewertende Bereicherung des Erwerbers,
soweit sie nicht durch die in § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG in Bezug genommenen
Vorschriften von der Besteuerung freigestellt ist. Für die schenkweise
Zuwendung von Betriebsvermögen sieht die Vorschrift des § 13 a ErbStG eine
steuerliche Vergünstigung in zweierlei Hinsicht vor. Zum einen gewährt § 13 a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 ErbStG auf Antrag den im Streitfall von den Klägern
jedoch nicht geltend gemachten Freibetrag. Zum anderen ist der nach Anwendung
des § 13 a Abs. 1 ErbStG verbleibende Wert des zugewendeten Betriebsvermögen
nur noch mit einer Quote von 60% schenkungsteuerrechtlich zu berücksichtigen (§
13 a Abs. 2 ErbStG). Die Anwendung dieser auch als Bewertungsabschlag
bezeichneten Vergünstigung von Betriebsvermögen ist dabei unabhängig von der
Inanspruchnahme des optionalen Freibetrags gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Halbsatz 1 ErbStG (vgl. Meincke ErbStG 12. Auflage 1999 § 13 a Rdnr. 13). Der
verminderte Wertansatz gilt jedoch – ebenso wie der hier nicht streitige
Freibetrag – nur für inländisches (gewerbliches) Betriebsvermögen im Sinn des §
12 Abs. 5 ErbStG beim Erwerb eines ganzen Gewerbebetriebs, eines Teilbetriebs,
eines Anteils an einer mitunternehmerischen Gesellschaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 2
bzw. Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder eines Anteils daran (§ 13 a
Abs. 4 Nr. 1 ErbStG). Nicht begünstigt ist somit die schenkweise Übertragung
einzelner Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen (BFH-Beschluss vom 14.
November 2005 II B 51/05, BFH/NV 2006, 305 und Urteil vom 10. März 2005 II R
49/03, BFH/NV 2005, 1566).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall
kann die Klage in der Sache keinen Erfolg haben.

aa) Der Gegenstand der zwischen X und den beiden
Gesellschaften bürgerlichen Rechts am 25. Oktober 2002 geschlossenen
Schenkungsverträge hat jeweils in einer Darlehensforderung gegenüber der KG
mindestens in der vom Beklagten angenommenen Höhe von jeweils 1,5 Mio. EUR
bestanden. Der Beklagte ist in den klagegegenständlichen
Schenkungsteuerbescheiden daher zu Recht von schenkweisen Zuwendungen an die
Kläger von jeweils 300.000 EUR ausgegangen.

Das in der Handelsbilanz einer Personengesellschaft –
wie im Streitfall der KG – nach Maßgabe der Vorschriften der § 242 Abs. 1 Satz
1, § 247 Abs. 1 HGB auszuweisende Eigenkapital ist kein eigener
handelsrechtlicher Vermögensgegenstand, sondern stellt den rechnerischen Saldo
aus einerseits dem Vermögen der Gesellschaft (Aktiva) und deren Schulden
(Passiva) dar. Um infolge der Verbuchung der Anteile der Gesellschafter am
laufenden Gesellschaftsgewinn oder – verlust, sowie von Vermögensmehrungen
infolge von Einlagen oder Vermögensminderungen durch Entnahmen eine ständige
Veränderung der gesellschaftsrechtlich – für z.B. die Gewinnverteilung oder die
Stimmrechte – maßgeblichen Beteiligungsquoten zu vermeiden, können die
Kapitalkonten der Gesellschafter einer Personengesellschaft in einen festen und
einen variablen Teil aufgespaltet sein. Hiervon haben die Gesellschafter der KG
zumindest im Zeitpunkt ihrer Gründung im Jahr 1996 ausweislich der Bestimmung
des § 17 des Gesellschaftsvertrages Gebrauch machen wollen. Bei den variablen
Konten der Gesellschafter kann es sich handels- und gesellschaftsrechtlich je
nach Ausgestaltung um Posten des Eigen- oder des Fremdkapitals handeln.
Eigenkapital der Gesellschaft im Sinn des Handels- und Gesellschaftsrechts
liegt aber nur dann vor, wenn der Posten 1.) für Verluste der Gesellschaft voll
haftet, 2.) im Insolvenzfall der Gesellschaft nicht als Insolvenzforderung
geltend gemacht werden darf und 3.) bei der Liquidation der Gesellschaft erst
nach der Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger auszugleichen ist
(Ballwieser in Münchener Kommentar – MK – zum HGB, 2001, Band 4, § 246 Rdn. 86;
Förschle/Hoffmann in Beck`scher Bilanzkommentar 7. Auflage 2010, § 247 Rdn.
160).

Im Streitfall ist aus den auszugsweise vorgelegten
Handelsbilanzen der KG zum 31. Dezember 2002 und 2003 zweifelsfrei ersichtlich,
dass das den beiden Gesellschaften bürgerlichen Rechts geschenkte Guthaben des
X in der bilanzierten Höhe von abgerundet 3,6 Mio. EUR handels- und
gesellschaftsrechtlich bereits vor Abschluss der Schenkungsverträge vom 25.
Oktober 2002 als Fremdkapital der Gesellschaft behandelt worden ist. Angesichts
der gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung des X als Kommanditist hat
der Senat auch keine Zweifel an der Richtigkeit dieser bilanzrechtlichen Qualifizierung.
Mithin hat das – hier in Rede stehende – Guthaben des X zivilrechtlich bereits
vor dem Vollzug der Schenkung eine gegenüber der KG bestehende
Darlehensforderung im Sinn des § 488 BGB (bzw. § 607 BGB alter Fassung)
dargestellt und nicht – wie die Kläger meinen – einen Anspruch auf ein
(künftiges) gesellschaftsvertragliches Auseinandersetzungsguthaben oder
anderweitige Sozialansprüche im Sinn der § 717 Satz 2 BGB, § 105 Abs. 3, § 161
Abs. 2 HGB. Unabhängig davon hätte den Klägern ein Auseinandersetzungsguthaben
mangels eigener Gesellschafterstellung in der KG überhaupt nicht zustehen
können. Insoweit folgerichtig hat die KG den Vollzug der Schenkungsverträge vom
25. Oktober 2002 zum Jahreswechsel 2002/2003 wegen der fehlenden
Gesellschafterstellung der Kläger in der KG in ihrer handelsrechtlichen
Schlussbilanz zum 31. Dezember 2003 als Umqualifizierung einer (zivilrechtlichen)
Verbindlichkeit der KG gegenüber ihrem Gesellschafter in eine „sonstige”
Verbindlichkeit gegenüber Dritten behandelt. Dem Umstand, dass die bis zum
Jahreswechsel 2002/2003 dem Schenker gegenüber der KG zustehenden
Darlehensansprüche bilanzsteuerrechtlich möglicherweise zutreffend zu dessen
Anteil am ertragsteuerrechtlichen Betriebsvermögen der KG zu zählen gewesen
sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), ist im Zusammenhang mit
der Bestimmung des Gegenstands der freigebigen Zuwendung im Sinn des § 7 Abs. 1
Nr. 1 ErbStG keine Bedeutung beizumessen.

bb) Der Senat folgt schließlich auch nicht der
Rechtsansicht der Kläger, der Nominalbetrag des Guthabens sei in der
behaupteten Weise abzuzinsen gewesen.

Die Guthabensanteile als Darlehensansprüche sind
Kapitalforderungen gewesen, die für die Ermittlung der Schenkungsteuer
grundsätzlich mit ihrem Nennwert zu berücksichtigen sind (§ 12 Abs. 1 ErbstG, §
12 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes – BewG –), der je Kläger unstreitig
300.000 EUR betragen hat. Eine Abzinsung der Forderungen entsprechend der
Rechtsansicht der Kläger scheidet aus, weil im Streitfall hierfür die
tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 12 Abs. 3 BewG nicht vorliegen. Gemäß §
12 Abs. 3 Satz 1 BewG ist der Wert unverzinslicher Forderungen, deren Lauf mehr
als ein Jahr beträgt und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig sind, der Betrag,
der vom Nennwert nach Abzug von Zwischenzinsen unter Berücksichtigung von
Zinsenzinsen verbleibt. Auszugehen ist dabei gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG von
einem Zinssatz von 5,5 %. Voraussetzung für die Abzinsung einer
Kapitalforderung ist somit zwingend deren Unverzinslichkeit sowie deren
Befristung, d.h. die Bestimmung eines genauen Fälligkeitszeitpunkts sowie eine
Laufzeit von mehr als einem Jahr (BFH-Urteil vom 21. April 2009 II R 57/07, BStBl
II 2009, 606). Diese Anforderungen sind im Streitfall in keiner Weise erfüllt.
Da Ansprüche im Fall ihrer Abtretung grundsätzlich ihren rechtlichen Gehalt und
Umfang allein durch den Wechsel der Person des Gläubigers nicht ändern (vgl. §§
401, 404 BGB), haben die Kläger die Ansprüche nur so erworben, wie sie auch dem
Schenker zugestanden hatten. Es ist schon fraglich, ob der Guthabensanspruch
von X als unverzinsliche Forderung vereinbart worden ist. Der
Gesellschaftsvertrag der KG enthält hierzu jedenfalls keine Aussage und eine
anderweitige Vereinbarung liegt dem Senat nicht vor. Darüber hinaus sieht der
Senat keinen Anhaltspunkt dafür, dass für den Guthabensanspruch ein bestimmter
Fälligkeitstermin vereinbart worden wäre. Vielmehr spricht dessen Passivierung
in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 2003 als „Sonstige Verbindlichkeit mit
einer Restlaufzeit bis zu einem Jahr” dafür, dass für den Rückzahlungsanspruch
allenfalls die gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten (§ 488 Abs. 3 Satz
2 BGB bzw. § 609 Abs. 2 BGB alter Fassung) gelten sollte. Bei
Kapitalforderungen mit einer Laufzeit von unter einem Jahr kommt eine Abzinsung
– wie ausgeführt – nicht in Betracht. Der Senat folgt in diesem Zusammenhang
nicht der Rechtsansicht der Kläger die Laufzeit des Guthabensanspruchs von X
habe sich an den nach § 18 des Gesellschaftsvertrags der KG vereinbarten
Fristen für die Kündigung der Gesellschaftsverhältnisse zu orientieren. Hierfür
ergeben sich aus dem Gesellschaftsvertrag keinerlei Anhaltspunkte. Wenn dies
aber nicht für X als ursprünglichem Inhaber der Forderungen gegolten hat, hat
dies auch nicht für die Kläger als Abtretungsempfänger gelten können.

cc) Die Gewährung der – hier streitigen –
schenkungsteuerrechtlichen Vergünstigung des verminderten Wertansatzes nach § 13
a Abs. 2 ErbStG ist schon deshalb abzulehnen, weil X den Klägern in Gestalt der
Zuwendung seines Guthabens weder einen Teilbetrieb, noch einen Mitunternehmerschaftsanteil
im Sinn des § 15 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 3 EStG oder auch nur einen Anteil
hieran übertragen hat, wie dies als tatbestandliche Voraussetzung der im Streit
stehenden Vergünstigung in § 13 a Abs. 4 Nr. 1 ErbStG zwingend vorgesehen ist.
Dem Sachvortrag der Kläger zufolge hat weder der Schenker den Klägern einen
unmittelbaren oder mittelbaren mitunternehmerschaftlichen Anteil an der KG
einräumen wollen, noch sind letztere in der Folgezeit an den (gewerblichen)
Einkünften der KG tatsächlich beteiligt worden. Wie bereits ausgeführt, hat der
Schenker den Klägern im Rahmen der beiden Gesellschaften bürgerlichen Rechts
Kapitalforderungen zugewendet, die unabhängig von der weiteren Frage nach ihrer
Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen die Voraussetzungen des § 13 a Abs. 4 Nr. 1
ErbStG lediglich als Erwerb eines einzelnen Wirtschaftsguts oder mehrerer
einzelner Wirtschaftsgüter anzusehen sind ( BFH-Beschluss vom 14. November 2005
a.a.O. und Urteil vom 10. März 2005 a.a.O.). Dies hat das Bundesgericht im
Übrigen auch schon in Bezug auf die Übertragung eines Kapitalkontos entschieden
(BFH-Urteil vom 15. März 2006 II R 74/04, BFH/NV 2006, 1663).

dd) Mit der weiteren, in der schriftsätzlichen
Korrespondenz der Beteiligten ausführlich erörterten Frage, ob den schenkweise
zugewendeten Vermögenswerten die steuerrechtliche Qualität als Betriebsvermögen
im Sinne des § 12 Abs. 5 ErbStG beizumessen wäre, braucht sich der Senat aus
den unter cc) dargestellten Gründen nicht mehr zu befassen. Insbesondere gilt
dies für die von den Klägern vorgetragene Rechtsansicht, zumindest die von Y
bzw. Z im Rahmen der jeweiligen Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit den
Klägern zeitgleich erworbenen Anteile am Guthaben des Schenkers hätten ihre
Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen der KG durch die Schenkungsverträge vom 25.
Oktober 2002 nicht eingebüßt und würden diese Rechtsqualität auch den
Guthabensanteilen der Kläger vermitteln.

c) Aufgrund der im Termin zur mündlichen Verhandlung
auszugsweise vorgelegten Handelsbilanz der KG zum 31. Dezember 2003, aus der
sich die Passivierung von Verbindlichkeiten gegenüber den beiden Gesellschaften
bürgerlichen Rechts in Höhe von nahezu 3,3 Mio. EUR ergibt, könnten Zweifel an
der zutreffenden schenkungsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage angezeigt sein.
Dies bedarf aber keiner weiteren Erörterung, weil dem Senat eine
Verschlechterung der prozessrechtlichen Lage der Kläger wegen der
Rechtsschutzfunktion des finanzgerichtlichen Verfahrens verwehrt ist
(Gräber/Stapperfeld FGO 7. Auflage 2010, § 96 Rz. 7).

2.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135

 
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BGH, Beschluss vom 22.11.2010, II ZB 7 / 09

 

Tatbestand

Der Musterkläger verlangt von der Musterbeklagten
Schadensersatz wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige
Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden Prof. S. 2 Nach der Hauptversammlung
der Musterbeklagten vom 6. April 2005 trug sich Prof. S. … zunehmend mit dem
Gedanken, vor Ablauf seiner bis 2008 reichenden Bestellung als
Vorstandsvorsitzender auszuscheiden. Seine Ehefrau, die als Führungskraft sein
Büro betreute, weihte er in diese Überlegungen ein. Am 17. Mai 2005 erörterte
er seine Absicht mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden K.…. Am 1. Juni 2005 wurden
die Aufsichtsratsmitglieder W.… und L.… über die Pläne informiert, spätestens
am 15. Juni 2005 setzte Prof. S.… das Vorstandsmitglied Dr. Z.…, der sein
Nachfolger als Vorstandsvorsitzender werden sollte, in Kenntnis. Am 6. Juli
2005 wurde die Chefsekretärin B.… informiert, ab dem 10. Juli 2005 arbeiteten
der Kommunikationschef S.…, Frau S.… und Frau B.… an einer Pressemitteilung,
einem externen Statement und einem Brief an die Mitarbeiter der
Musterbeklagten.

Am 13. Juli 2005 wurde zu einer Aufsichtsratssitzung auf den
28. Juli 2005 eingeladen. Die Einladung enthielt ebenso wie die Einberufung des
Präsidialausschusses des Aufsichtsrats auf den 27. Juli 2005 keinen Hinweis auf
einen möglichen Wechsel in der Person des Vorstandsvorsitzenden. Am 18. Juli
2005 verständigten sich Prof. S.… und der Aufsichtsratsvorsitzende K.… darauf,
in der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 das vorzeitige Ausscheiden von
Prof. S.… zum Ende des Jahres und die Bestimmung von Dr. Z.… zum Nachfolger
vorzuschlagen. Am 25. Juli 2005 erörterte Prof. S.… mit dem
Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats Kl.
… den Wechsel. Ob Kl.… bereits am 11. Juli 2005 telefonisch über den
beabsichtigten Wechsel informiert wurde, ist streitig. Kl.… besprach die
Personalfrage mit den übrigen Arbeitnehmervertretern, führte Gespräche mit Dr.
Z.… und kündigte am 27. Juli 2005 Prof. S.… an, dass die Arbeitnehmerbank für
den Wechsel stimmen werde.

Am 27. Juli 2005 wurden die beiden weiteren Mitglieder des
Präsidialausschusses Dr. Kl.… und Dr. S.… informiert , bevor um 17.00 Uhr die
Sitzung des Präsidialausschusses begann. Der Präsidialausschuss beschloss, dem
Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden von Prof.
S.… zum Jahresende und der Bestellung von Dr. Z.… zu seinem Nachfolger
zuzustimmen. Prof. S.… informierte um 18.30 Uhr das Vorstandsmitglied Dr. C.…,
das in der Öffentlichkeit als möglicher Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden
gegolten hatte , und um 19.00 Uhr die beiden weiteren Vorstandsmitglieder Dr.
G.… und U.… von dem beabsichtigten Wechsel. Um 19.30 Uhr fand ein Abendessen
der Anteilseignervertreter unter den Aufsichtsratsmitgliedern statt, bei dem
die Empfehlung des Präsidialausschusses Gesprächsthema war.

Am 28. Juli 2005 beschloss der Aufsichtsrat der
Musterbeklagten gegen 9.50 Uhr, dass Prof. S.… zum Jahresende aus dem Amt
ausscheiden und Dr. Z.… neuer Vorstandsvorsitzender werden sollte. Eine
entsprechende Ad-hoc-Mitteilung sandte die Musterbeklagte an die
Geschäftsführungen der Börsen und der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorab um 10.02 Uhr, um 10.32 Uhr wurde
die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der Deutschen Gesellschaft für
Adhoc- Publizität veröffentlicht. Der an diesem Tag bereits nach der
Veröffentlichung der Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 angestiegene Kurswert
der Aktien der Musterbeklagten stieg nach der Mitteilung über den Wechsel im
Amt des Vorstandsvorsitzenden deutlich an.

Mehrere Anleger, die Aktien der Musterbeklagten vor diesem
Zeitpunkt verkauft hatten, haben wie der Musterkläger Klage gegen die
Musterbeklagte erhoben, mit der sie Schadensersatz wegen der ihrer Ansicht nach
verspäteten Ad-hoc- Mitteilung verlangen. Das Landgericht Stuttgart hat das
Oberlandesgericht Stuttgart um die Entscheidung zu mehreren, für die Verfahren
entscheidungserheblichen Feststellungen nach § 4 KapMuG gebeten. Das
Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Musterentscheid vom 15. Februar 2007
festgestellt, dass eine Insider-Information im Sinne des § 37b Abs. 1 WpHG erst
am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und dass die Musterbeklagte
diese unverzüglich veröffentlicht habe.

Der Bundesgerichtshof hat diesen Musterentscheid mit
Beschluss vom 25. Februar 2008 (II ZB 9/07, ZIP 2008, 639) aufgehoben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht
Stuttgart zurückverwiesen. Am 22. April 2009 hat das Oberlandesgericht
Stuttgart einen Musterentscheid mit folgendem Inhalt erlassen:

1. Es wird festgestellt, dass in der Zeit vom 17. Mai 2005
bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats der Musterbeklagten am 28. Juli 2005
keine Insider-Information des Inhalts entstanden ist, dass Prof. S.… gegenüber
dem Aufsichtsratsvorsitzenden die einseitige Amtsniederlegung erklärt hat,

2. Es wird festgestellt, dass am 27. Juli 2005 nach 17.00
Uhr mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der
Musterbeklagten eine Insider-Information entstanden ist, dass der Aufsichtsrat
in seiner Sitzung am 28. Juli 2005 über den Vorschlag des Präsidialausschusses
beschließen wird, der vorzeitigen Aufhebung der Bestellung von Prof. S. zum
Vorstandsvorsitzenden zum 31. Dezember 2005 zuzustimmen,

3. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte von der
Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung dieser Information nicht bis zur
Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat am 28. Juli 2005 gem. § 15 Abs. 3 WpHG
befreit war.

a) Die Musterbeklagte wäre von der Pflicht zur
Veröffentlichung bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 nach §
15 Abs. 3 WpHG bei Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen kraft Gesetzes
und unabhängig von einer bewussten Entscheidung über diesen Aufschub befreit
gewesen.

b) Es wäre für den berechtigten Aufschub nicht darauf
angekommen, ob die Gründe für diese Befreiung an die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mitgeteilt worden sind.

c) Die Voraussetzungen für den Aufschub waren nur teilweise
gegeben.

aa) Der Schutz der berechtigten Interessen der
Musterbeklagten erforderte den Aufschub der Veröffentlichung.

bb) Eine Irreführung der Öffentlichkeit durch den Aufschub
war nicht zu besorgen.

cc) Die Vertraulichkeit der Insider-Information war nicht
gewährleistet, weil die Musterbeklagte ein Aufsichtsratsmitglied nicht
ausreichend über die insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen aufgeklärt
hat.

4. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte auch bei
Erforderlichkeit einer bewussten Entscheidung über den Aufschub nach § 15 Abs.
3 WpHG und trotz der fehlenden Belehrung des Aufsichtsratsmitglieds nicht nach
§ 37b WpHG auf Schadensersatz wegen Unterlassens einer unverzüglichen
Veröffentlichung der unter 2 genannten Insider-Informationen haftet, weil sie
sich darauf berufen kann, dass der geltend gemachte Schaden gleichermaßen
eingetreten wäre, wenn sie eine bewusste Entscheidung über den Aufschub
getroffen sowie das mit den Insiderregeln hinreichend vertraute
Aufsichtsratsmitglied noch einmal belehrt und damit rechtmäßig gehandelt hätte.

Dagegen hat der Musterkläger Musterrechtsbeschwerde
eingelegt, der zwölf weitere Kläger beigetreten sind.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung
im Wesentlichen ausgeführt:

Es lasse sich nicht feststellen, dass am 17. Mai 2005 oder
später eine Insider- Information entstanden sei, Prof. S.… lege sein Amt
unabhängig von der Zustimmung des Aufsichtsrats einseitig zum Jahresende 2005
nieder. Erst mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses am 27. Juli 2005
nach 17.00 Uhr sei eine Insider-Information des Inhalts entstanden, dass der
Aufsichtsrat auf seiner Sitzung am folgenden Tag über den Vorschlag des
Präsidialausschusses entscheiden werde. Die Absicht oder Überlegung des
Vorstandsvorsitzenden, vorzeitig, aber im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat aus
dem Amt auszuscheiden, könne kursrelevant sein. Für solche zukunftsbezogenen
Umstände als Insider-Information komme es aber darauf an, ob die Verwirklichung
der Absicht oder des Vorhabens hinreichend wahrscheinlich sei. Einzelne
Zwischenschritte als Insider-Informationen anzusehen sei überflüssig, weil es
auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen
angestrebten Ereignisses ankomme. Wenn man jeden eingetretenen Zwischenschritt
im Fall seiner Kursrelevanz als Insider-Information ansehen wolle, führe das zu
denselben Ergebnissen, weil solche Umstände aus der Sicht eines verständigen
Anlegers nur kursrelevant sein könnten, wenn das künftige Ereignis hinreichend
wahrscheinlich eintreten werde.

Die Zustimmung des Aufsichtsrats zum vorzeitigen Rücktritt
von Prof. S.…, die der maßgebende kursrelevante künftige Umstand sei, sei vor
der Verabschiedung des Beschlussvorschlags durch den Präsidialausschuss am 27.
Juli 2005 nach 17.00 Uhr nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen. Aus der
Sicht eines verständigen Anlegers sei sie hinreichend wahrscheinlich, wenn eine
Vorabstimmung erfolgt sei. Erst mit der einstimmigen Abstimmung im paritätisch
besetzten Präsidialausschuss sei erkennbar gewesen, dass der Vorschlag, dem
Rücktritt von Prof. S.… zuzustimmen und Dr. Z.… zu seinem Nachfolger zu
bestimmen, gleichermaßen bei Arbeitnehmerwie Anteilseignervertretern Rückhalt
gefunden habe. Außerdem habe erst damit festgestanden, dass der
Aufsichtsratsvorsitzende K.… die Personalie auf die Tagesordnung des
Aufsichtsrats setzen würde.

Die Voraussetzungen für einen Aufschub der Veröffentlichung
der Insider-Information bis zum folgenden Tag hätten zwar nicht vorgelegen,
weil das Aufsichtsratsmitglied La.… nicht über seine insiderrechtlichen
Pflichten und Sanktionen belehrt gewesen sei und so die formalen Anforderungen
zur Gewährleistung der Vertraulichkeit nicht gewahrt gewesen seien. Der von den
Klägern behauptete Schaden wäre aber auch eingetreten, wenn der Zeuge La.…
belehrt gewesen wäre und sich die Musterbeklagte bewusst für einen Aufschub
entschieden hätte.

III. Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt
von der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/124/EG ab.

1. Nach nationalem deutschen Recht ist ein Emittent von
Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind,
einem Dritten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zum Ersatz des durch
die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn er es unterlässt,
unverzüglich eine Insider-Information zu veröffentlichen (§ 37b Abs. 1 WpHG).
Nach § 15 Abs. 1 WpHG muss ein Inlandsemittent Insider-Informationen, die ihn
unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG
definiert eine Insider-Information als eine konkrete Information über nicht
öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von
Insiderpapieren – das sind u.a. Finanzinstrumente, die an einer inländischen
Börse zum Handel zugelassen sind – oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen
und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen-
oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche
Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner
Anlageentscheidung berücksichtigen würde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Als
Umstände nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG gelten auch solche, bei denen mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in
Zukunft eintreten werden (§ 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). § 13 Abs. 1 WpHG beruht auf
Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG und auf Art. 1 Abs. 1 und 2 der
Richtlinie 2003/124/EG, die deshalb bei der Auslegung der nationalen Vorschrift
zu berücksichtigen sind.

2. Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt
davon ab, ob bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem über mehrere
Zwischenschritte ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes
Ereignis herbeigeführt werden soll, für die Anwendung von Artikel 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/6/EG, Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG nur darauf
abzustellen ist, ob dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis als
präzise Information nach diesen Richtlinienbestimmungen anzusehen ist, und
demgemäß zu prüfen ist, ob man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon
ausgehen kann, dass dieser künftige Umstand oder das künftige Ereignis
eintreten wird, oder ob bei einem solchen zeitlich gestreckten Vorgang auch
Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der
Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise
Informationen im Sinn der genannten Richtlinienbestimmungen sein können.

a) Die Musterrechtsbeschwerde hat Erfolg, wenn auch die
bereits realisierten Zwischenschritte eines zeitlich gestreckten Vorgangs auf
ihre Kursrelevanz zu untersuchen sind. Das Oberlandesgericht hat zur
Kursrelevanz der Zwischenschritte – von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent
– keine Feststellungen getroffen. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass eine
Insider-Information im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG (Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/124/EG) im Hinblick auf den künftigen Umstand, dass mit dem Aufsichtsratsbeschluss
das Ausscheiden von Prof. S.… zum Jahresende sicher war, erst entstand, als
dieser Aufsichtsratsbeschluss hinreichend wahrscheinlich war. Die vorgelagerten
Einzelstufen des Entscheidungs- und Vorbereitungsprozesses als bereits
existierende Umstände – wie etwa die Äußerung der Rücktrittsabsicht gegenüber
K.…, das Einverständnis des Aufsichtsratsvorsitzenden, die Information und die
Bereitschaftserklärung von Dr. Z.… – hat es nicht selbständig auf ihre Eignung
zur Beeinflussung des Börsenkurses der Insiderpapiere untersucht. Es hat sie
nur darauf geprüft, ob deshalb mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen war, dass der künftige Umstand eintreten werde. Dagegen ist das
Oberlandesgericht Frankfurt (NJW 2009, 1520, 1521) im Bußgeldverfahren davon
ausgegangen, dass die Verknüpfung mehrerer eigenständiger Umstände zu einer
einheitlichen Gesamtentscheidung dem Wortlaut der Vorschrift des § 13 Abs. 1
Satz 1 WpHG und den Vorgaben der Richtlinien 2003/6/EG sowie 2003/124/EG
widerspreche. Daher komme es nicht darauf an, ab wann die endgültige
Aufsichtsratsentscheidung getroffen worden sei. Die Publizitätspflicht beginne
vielmehr bereits dann, wenn der Bereich interner Willensbildung sich zu einer
konkreten Tatsache verdichtet habe und das Ergebnis dieses
Willensbildungsprozesses gegenüber einem Entscheidungsträger des Unternehmens
als konkrete Tatsache objektiv nach außen zu Tage trete (z.B. Mitteilung
gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied, das Amt niederlegen zu wollen).

Beide Auffassungen führen nicht etwa deshalb zum selben
Ergebnis, weil – wie das Oberlandesgericht Stuttgart meint – Zwischenschritte
eines gestreckten Vorgangs nur dann kursrelevant sind, wenn das künftige
Ereignis, auf das sie inhaltlich gerichtet sind, hinreichend wahrscheinlich
eintreten wird. Die Kursrelevanz eines bereits eingetretenen Umstandes oder
Ereignisses hängt nicht stets davon ab, ob ein damit verknüpfter künftiger
Umstand oder verknüpftes künftiges Ereignis hinreichend wahrscheinlich
eintreten wird. Eine Eignung, im Fall der öffentlichen Bekanntmachung einer
Insider-Information den Börsenkurs erheblich zu beeinträchtigen oder spürbar zu
beeinflussen (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Art. 1 Abs. 2 der
Richtlinie 2003/124/EG), ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die
Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen (§ 13 Abs. 1 Satz 2
WpHG) oder wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung
nutzen würde (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124/EG). Auf die hinreichende
Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Umstände wird nicht abgestellt. Zwar
mag ein verständiger Anleger im Hinblick auf künftige Ereignisse seine
Anlageentscheidungen insbesondere davon abhängig machen, inwieweit mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Eintritt eines Ereignisses ausgegangen
werden kann. Ein Anleger wird bei seiner Anlageentscheidung aber auch in seine
Überlegungen einbeziehen, dass ein Entscheidungsprozess mit offenem Ausgang im
Gang ist. So kommt, wenn bei einem Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden wie hier
eher mit steigenden Kursen zu rechnen ist, selbst bei offenem Ausgang als
Anlageentscheidung in Betracht, Aktien jedenfalls bis zur Entscheidung zu
halten. Schließlich muss ein verständiger Anleger die Insider-Information über
einen bereits existierenden Zwischenschritt nicht nur im Hinblick auf das
inhaltlich angestrebte Ziel und damit die Wahrscheinlichkeit des angestrebten
Ereignisses bei seiner Anlageentscheidung bewerten. Vielmehr kann die
Insider-Information über das angestrebte Ziel auch im Hinblick auf andere
Umstände von Bedeutung und damit kursrelevant sein. So kann gegebenenfalls
bereits aus der Absicht des Vorstandsvorsitzenden, im Einvernehmen mit dem
Aufsichtsrat aus dem Amt zu scheiden, auf seine Amtsmüdigkeit geschlossen werden
und damit darauf, dass er eine bestimmte, mit ihm verknüpfte Geschäftspolitik –
unabhängig von der Dauer seines Verbleibs im Amt – nicht mehr fortführen will.

b) Ob mit einem künftigen Umstand oder einem künftigen
Ereignis verknüpfte, bereits realisierte Zwischenschritte eigenständige präzise
Informationen sind oder die Verknüpfung mit künftigen Umständen oder
Ereignissen die Bewertung der Zwischenschritte als kursrelevante präzise
Informationen sperrt und sie nur für die Wahrscheinlichkeit, ob die künftigen
Umstände oder Ereignisse eintreten, von Bedeutung sind, hängt von der Auslegung
von Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Art. 1 Abs. 1 und 2 der
Richtlinie 2003/124/EG ab. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG
definiert eine Insider-Information als eine nicht öffentlich bekannte präzise
Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von
Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die,
wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser
Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer
Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen. Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
2003/124/EG ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine
Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft
existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese
Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf
eine mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf
die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten
zulässt. Von der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124/EG hängt
ab, ob die oben genannte Frage dahingestellt bleiben kann, weil – wie das
Oberlandesgericht meint – ein Zwischenschritt nur dann zur Kursbeeinflussung
geeignet ist, wenn der angestrebte Umstand oder das angestrebte Ereignis
hinreichend wahrscheinlich ist.

3. Die Entscheidung über die Musterrechtsbeschwerde hängt
weiter davon ab, was unter einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nach Art. 1
Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG zu verstehen ist. 19 a) Das Oberlandesgericht
hat – entsprechend einem rechtlich nicht bindenden Hinweis im Beschluss des
Senats vom 25. Februar 2008 – seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass von dem
künftigen Umstand des Aufsichtsratsbeschlusses, mit dem das Ausscheiden von
Prof. S.… zum Jahresende beschlossen wurde, erst mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit im Sinn des § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG (Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/124/EG) ausgegangen werden konnte, wenn aus der Sicht eines
verständigen Anlegers die Entscheidung des Aufsichtsrats vorabgestimmt sei.
Eine solche Vorabstimmung hat es mit der Sitzung des Präsidialausschusses am
27. Juli 2005 angenommen. Der Senat hat im Beschluss vom 25. Februar 2008
ausgeführt, dass offen bleiben könne, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im
Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG (Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/ EG)
eine hohe oder nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert werde. Zu dem
einvernehmlichen Ausscheiden war ein Beschluss des Gesamtaufsichtsrats erforderlich
und nach der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats durfte bereits auf den Widerspruch
eines Mitglieds hin kein Beschluss zu dem in der Tagesordnung nicht angekündigten
Ausscheiden von Prof. S.… gefasst werden. Daher sei, so der Senat, die
Würdigung des Oberlandesgerichts nicht zu beanstanden, dass offen gewesen sei,
ob der Aufsichtsrat sofort zu einer Entscheidung im Sinn des Vorschlags zum Ausscheiden
von Prof. S.… und der Bestellung von Dr. Z.… als Nachfolger kommen oder sie
vertagen würde. Anders sei dies ggf. bei einer definitiven Vorabstimmung des Aufsichtsratsbeschlusses
zu beurteilen.

b) An dieser an einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung
orientierten Auslegung, die mindestens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
verlangt und zudem im Ergebnis bei Entscheidungen von mit mehreren Personen
besetzten Gremien wie dem Aufsichtsrat hohe Anforderungen an die
Eintrittswahrscheinlichkeit stellt, sind dem Senat aufgrund des Urteils des
Gerichtshofes vom 23. Dezember 2009 in der Rechtssache C-45/08 (Spector Photo
Group NV und Chris Van Raemdonck gegen Commissie voor het Bank-, Financie- en
Assurantiewezen, NZG 2010, 107) Zweifel gekommen. Danach besteht ein enger
Zusammenhang zwischen dem Verbot von Insider-Geschäften und dem Begriff der
Insider-Information in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG und damit mit
den Vorteilen, die eine Insider-Information dem Insider verschafft (Rn. 50).
Der Bezug des Begriffs der Insider-Information zu Insidergeschäften spricht
dagegen, für künftige Umstände oder Ereignisse allein auf die überwiegende
Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens abzustellen. Auch wenn der Eintritt eines
künftigen Ereignisses offen ist, setzt sich ein Insider unter Umständen
geringeren Marktrisiken aus als ein Anleger, dem noch gar nicht bekannt ist,
dass die Absicht besteht, bestimmte Umstände oder Ereignisse herbeizuführen,
und dass ein Entscheidungsprozess in Gang gesetzt ist. Erst recht gilt dies,
wenn er die inneren Verhältnisse des Emittenten kennt und nach dem bisher
üblichen Verlauf von Entscheidungsprozessen erwarten kann, dass der Umstand
oder das Ereignis in Zukunft eintritt. Solche Informationen nicht schon als
präzise anzusehen, kann dem Zweck des Insider-Handelsverbots widersprechen, zu
verhindern, dass aus einer Information ungerechtfertigt ein Vorteil zum
Nachteil Dritter, denen diese Information unbekannt ist, gezogen wird und
infolgedessen die Integrität der Finanzmärkte sowie das Vertrauen der
Investoren beeinträchtigt werden.

Zweifel bestehen an der Auslegung, dass für eine
Insider-Information eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts
künftiger Umstände oder eines künftigen Ereignisses erforderlich ist, auch
aufgrund anderer sprachlicher Fassungen von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie
2003/124/EG, die den Begriff der Wahrscheinlichkeit nicht enthalten, wie in
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG in der englischen Fassung „a set of
circumstances which … may reasonably be expected to come into existence“ bzw. „an event which has occurred or may
reasonably be expected to do so“) oder in der französischen Fassung „d’un
ensemble de circonstances … dont on peut raisonnablement penser qu’il existera“
bzw. „d’un événement … dont on peut raisonnablement penser qu’il se produira“).

c) Die Auslegung ist für die Entscheidung über die
Musterrechtsbeschwerde erheblich. Liegt eine präzise Information bereits vor,
wenn der Eintritt künftiger Umstände oder Ereignisse offen ist, ohne
unwahrscheinlich zu sein, war eine Insider-Information bereits entstanden, als
Prof. S.… den Aufsichtsratsvorsitzenden K.… über seine Absicht informierte, zum
Jahresende im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat vom Amt des
Vorstandsvorsitzenden zurückzutreten, wenn außerdem festgestellt werden kann,
dass ein verständiger Anleger diese Information wahrscheinlich als Teil der
Grundlage seiner Anlageentscheidung genutzt hätte. Wenn für das Maß der
Wahrscheinlichkeit auf das Ausmaß der Auswirkungen beim Emittenten abzustellen
ist, liegt es angesichts der tatsächlich erheblichen Kursbewegungen nach
Bekanntwerden des Rücktritts von Prof. S.… nahe, ein geringeres Maß der
Wahrscheinlichkeit als die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen zu lassen.

 
Quicklink: uw110604

OLG München, Urteil vom 11.11.2010, U ( K ) 2143 / 10

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine Holdinggesellschaft mit beschränkter Haftung, macht gegen den Beklagten,
der Gesellschafter der Klägerin mit einem Stammkapitalanteil von 20 % ist, einen Vertragsstrafenanspruch gemäß § 15.5 i.V.m. § 15.2 des Gesellschaftsvertrags vom 09.07.2005 (Anlage K1) wegen Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot durch Entwicklung und Vertrieb eines angeblichen Konkurrenzproduktes (Gerät P. N. -01 PC) im Zeitraum 27.10.2008 bis 31.12.2008 geltend.

§ 15 des Gesellschaftsvertrags vom 09.07.2005 (Anlage K 1) lautet auszugsweise wie folgt:

„2. Alle Gesellschafter unterliegen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter nach Maßgabe der folgenden
Vorschriften einem Wettbewerbsverbot; ebenso unterliegen alle Geschäftsführer – vorbehaltlich anderweitiger Vereinbarungen im Zusammenhang mit deren Anstellungs- oder Dienstverträgen – einem Wettbewerbsverbot. Dementsprechend ist es den Gesellschaftern und den Geschäftsführern nicht gestattet, unmittelbar oder mittelbar, in eigenem oder fremdem Namen, für eigene oder fremde Rechnung, selbständig oder unselbständig in einem Betrieb tätig zu sein, der dem Betrieb einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Gesellschaft gleichartig ist oder mit ihm im Wettbewerb steht oder stehen könnte oder im wesentlichen Umfang Geschäftsbeziehungen mit einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft unterhält.

Wesentlich in diesem Sinne sind Geschäftsbeziehungen mit Leistungsvergütungen im Wert von mindestens € 10.000,00 p. a. Unzulässig ist insoweit auch eine freiberufliche oder beratende Tätigkeit. In gleicher Weise ist ihnen untersagt, sich an einem solchen Betrieb zu beteiligen oder einen solchen Betrieb zu beraten oder ihn in anderer Weise zu fördern, auch nicht mittelbar, nicht vorübergehend gelegentlich oder unentgeltlich.

4. Räumlich ist das Wettbewerbsverbot auf eine Tätigkeit in der Europäischen Union, Nordamerika und
Asien beschränkt, da die Gesellschafter einvernehmlich davon ausgehen, dass dort die Hauptaktivitäten der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften der Gesellschaft sein werden.

5. Durch Gesellschafterbeschluß kann Befreiung von dem vorstehenden Wettbewerbsverbot erteilt
werden. Im Falle eines Verstoßes gegen das vorgenannte Wettbewerbsverbot hat der Zuwiderhandelnde für jeden Fall des Verstoßes eine Vertragsstrafe von € 50.000,00 zu zahlen. Je zwei Wochen eines fortgesetzten Verstoßes gelten als selbständiger und unabhängiger Verstoß. Das Recht, Schadensersatz oder Unterlassung zu verlangen, wird durch die Zahlung der Vertragsstrafe nicht berührt; sie wird jedoch auf den Schadensersatz angerechnet.

Statt Schadensersatz und Vertragsstrafe kann die Gesellschaft nach ihrer Wahl auch die Rechte des § 113 HGB geltend machen, die insoweit ausdrücklich für anwendbar erklärt werden.“

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Teilbetrag einer Vertragsstrafe in Höhe von 200.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit der Zustellung der Klage zu zahlen.

Der Beklagte hat in erster Instanz

Klageabweisung

beantragt.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.02.2010 mit der Begründung abgewiesen, das vereinbarte Wettbewerbsverbot sei in seiner umfassenden Wirkung nichtig, da es zum einen gegen § 1 GWB, zum anderen gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung verstoße.

Auf dieses Urteil wird einschließlich der darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Die Klägerin beantragt in der Berufungsinstanz:

I. Das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 10.2.2010 AZ.: 1 HK O 56/09, zugestellt am 12. Februar 2010, wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Teilbetrag einer Vertragsstrafe in Höhe von 200.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit der Zustellung der Klage zu zahlen.

Hilfsweise beantragt die Klägerin in der Berufungsinstanz,

unter Aufhebung des Urteils erster Instanz wird der Rechtsstreit an das Landgericht Landshut
zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen.

Der Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll des Termins der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2010 Bezug genommen.

Gründe

Die
zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

1. Der
Klägerin steht der geltend gemachte Vertragsstrafenanspruch nicht gemäß § 339 Satz
2 BGB i.V.m. Nr. 15.5 des Gesellschaftsvertrags vom 09.07.2005 zu, weil das in
§ 15.2 des Gesellschaftsvertrags vereinbarte Wettbewerbsverbot gemäß § 138 Abs.
1 BGB nichtig ist und dies die Nichtigkeit der Vertragsstrafenvereinbarung nach
sich zieht (§ 344 BGB).

a) Grundsätzlich
können allerdings Wettbewerbsverbote für Gesellschafter einer GmbH in der
Satzung vereinbart werden (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, Tz. 13,
juris m.w.N.). Sie sind jedoch zum einen nur in den von § 1 GWB und von Art.
101 Abs. 1 AEUV (= Art. 81 Abs. 1 EG a.F.) vorgegebenen Grenzen zulässig (vgl.
BGH, Urt. v. 23.06.2009 -KZR 58/07, Tz. 14 ff., juris – Gratiszeitung Hallo). Zum anderen
sind gesellschaftsvertragliche Wettbewerbsverbote am Maßstab von Art. 12 GG, §
138 Abs. 1 BGB zu messen, weil sie regelmäßig die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit
des betroffenen Gesellschafters berühren. Mit Rücksicht auf die insbesondere
bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachtenden verfassungsrechtlichen
Wertentscheidungen – hier für die freie Berufsausübung – ist ein gesellschaftsvertragliches
Wettbewerbsverbot nur zulässig, wenn es nach Ort, Zeit und Gegenstand nicht
über die schützenswerten Interessen des Begünstigten hinausgeht und den
Verpflichteten nicht übermäßig beschränkt (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR
208/08, Tz. 13, juris m.w.N.). Ob ein gesellschaftsvertragliches
Wettbewerbsverbot den genannten Anforderungen entspricht, ist aufgrund einer
Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der jeweiligen
Umstände des Einzelfalls, insbesondere des mit dem Wettbewerbsverbot verfolgten
Zwecks, zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, Tz. 13,
juris m.w.N.). Ist ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot wegen
Überschreitung des in räumlicher oder gegenständlicher Hinsicht Zulässigen nach
§ 138 Abs. 1 BGB nichtig, kommt es auf eine Spürbarkeit der
Wettbewerbsbeschränkung im Außenverhältnis nicht an (vgl. BGH, Urt. v.
23.06.2009 – KZR 58/07, Tz. 31, juris – Gratiszeitung
Hallo
m.w.N.; BGH, Urt. v. 10.12.2008 – KZR 54/08, Tz. 23
f., juris – Subunternehmervertrag II).

b) Nach
diesen Grundsätzen ist das in § 15.2 des Gesellschaftsvertrages vom 09.07.2005 (Anlage
K 1) vereinbarte Wettbewerbsverbot gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil es in
gegenständlicher Hinsicht über die schützenswerten Interessen der Klägerin hinausgeht
und den Beklagten übermäßig beschränkt. Das Wettbewerbsverbot bezieht sich auf
jegliche unmittelbare oder mittelbare Tätigkeit – sei es im eigenen oder fremden
Namen, für eigene oder fremde Rechnung, selbständig oder unselbständig – in einem
Betrieb, der dem Betrieb einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der
Klägerin „gleichartig ist oder mit ihm in
Wettbewerb steht oder stehen könnte oder im wesentlichen Umfang
Geschäftsbeziehungen mit einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Klägerin
unterhält“.
Die Regelung nimmt Bezug auf den Betrieb aller
derzeitigen und/ oder künftigen Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften der
Klägerin mit beliebigen Unternehmensgegenständen und verwehrt dem Beklagten
nicht nur jegliche Tätigkeit in einem Betrieb, der mit dem Betrieb einer
Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Klägerin in Wettbewerb steht,
sondern darüber hinaus auch jegliche Tätigkeit in einem Betrieb, der dem
Betrieb einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Klägerin gleichartig
ist oder mit ihm in Wettbewerb stehen könnte
oder im wesentlichen Umfang Geschäftsbeziehungen mit
einer Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft der Klägerin unterhält. Die
Klägerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass mit dem
Wettbewerbsverbot die Entwicklung und der Vertrieb sämtlicher medizinischer
Analysegeräte einschließlich z.B. Fieberthermometer ausgeschlossen werden
sollte (vgl. Schriftsatz vom 12.03.2009, S. 2 f.), d.h. auch die Entwicklung
und der Vertrieb solcher Geräte, die mit den von klägerischen Tochter- oder
Beteiligungsgesellschaften entwickelten und vertriebenen Geräten nicht austauschbar
(substituierbar) sind. Ein derart ausgedehntes Wettbewerbsverbot wird nicht durch
den legitimen Zweck gerechtfertigt zu verhindern, dass die Gesellschaft durch einen
Gesellschafter von innen her ausgehöhlt und ihrer wirtschaftlichen
Existenzgrundlage beraubt wird (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR 208/08,
Tz. 16, juris, m.w.N), sondern schaltet in zu missbilligender Weise in
weitergehendem Umfang Wettbewerb aus (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2009 – II ZR
208/08, Tz. 17, juris m.w.N.). Bei der gebotenen Abwägung ist ferner zu Gunsten
des Beklagten zu berücksichtigen, dass es sich bei ihm – der Beklagte war weder
Geschäftsführer der Klägerin noch ist er dies – nicht um einen Gesellschafter
handelt, der kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Befugnisse gemäß dem
Gesellschaftsvertrag vom (vgl. § 6 des Gesellschaftsvertrags vom 09.07.2005) in
der Lage wäre, strategisch wichtige Entscheidungen der Klägerin zu blockieren
(vgl. zu diesem Kriterium BGH, Urt. v. 23.06.2009 – KZR 58/07, Tz. 18, juris – Gratiszeitung Hallo).

Der Vortrag
der Klägerin im Schriftsatz vom 12.03.2009, S. 2 f. unter Nr. 2.1. b) zu den Hintergründen
der Regelung des Wettbewerbsverbots im Gesellschaftsvertrag kann als wahr unterstellt werden, weshalb es
der Vernehmung der von der Klägerin in diesem Zusammenhang benannten Zeugen Dr.
M. G., J. V., M. K.-Z. und Dr. M. L. (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom
12.03.2009, S. 3) nicht bedarf. Dieser Vortrag ändert nichts daran, dass das Wettbewerbsverbot
bei einer Abwägung der Interessen der Beteiligten in gegenständlicher Hinsicht
über die schützenswerten Interessen der Klägerin hinausgeht und den Beklagten übermäßig
beschränkt.

Daran
ändert auch die Regelung des § 15.5 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages vom
09.07.2005 nichts, wonach durch Gesellschafterbeschluss Befreiung von dem in §
15.2 vereinbarten Wettbewerbsverbot erteilt werden kann. Die Regelung des §
15.5 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages ist nicht geeignet, den unzulässigen
Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beklagten zu rechtfertigen. Denn
der Beklagte hat nach dem Gesellschaftsvertrag keinen Anspruch darauf, dass im
Einzelfall eine solche Befreiung erteilt wird. Die Befreiung steht vielmehr im
nicht näher konturierten Ermessen der Gesellschafter. Die Klausel in § 15.5
Satz 1 des Gesellschaftsvertrages enthält keine sachlichen Kriterien dazu, in
welchen Fällen sich das genannte Ermessen auf Null reduziert und eine Befreiung
erteilt werden muss. Wird ein Antrag des Beklagten auf Befreiung von dem in §
15.2 des Gesellschaftsvertrages vereinbarten Wettbewerbsverbot durch Gesellschafterbeschluss
aus sachwidrigen Gründen abgelehnt, hätte der Beklagte zwar die Möglichkeit,
diesen Beschluss in einem Gerichtsverfahren anzufechten. Die Herbeiführung einer
derartigen rechtskräftigen Gerichtsentscheidung erfordert indessen, selbst wenn
nur eine Gerichtsinstanz angerufen wird, regelmäßig mehrere Monate. Bereits
durch die Last, einen solchen Prozess führen zu müssen, wird die
Berufsausübungsfreiheit des Beklagten beeinträchtigt, da er bis zum rechtskräftigen
Ausgang des Gerichtsverfahrens das Projekt, das Gegenstand des
Befreiungsantrags ist, – zumal unter Berücksichtigung der
Vertragsstrafendrohung – nicht nachhaltig verfolgen kann. Insgesamt ist deshalb
die Regelung des § 15.5 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages nicht geeignet, den
unzulässigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Beklagten zu
rechtfertigen.

Mit der
Rüge, das Landgericht habe die Beweisanträge im klägerischen Schriftsatz vom
12.03.2009, S. 3 übergangen, hat die Klägerin aus den vorstehenden Gründen
keinen Erfolg.

c) Das in §
15.2 des Gesellschaftsvertrages vom 09.07.2005 vereinbarte Wettbewerbsverbot kann
unbeschadet der Ersetzungsklausel in § 23.2 dieses Vertrags nicht im Wege einer
geltungserhaltenden Reduktion auf ein Wettbewerbsverbot im zulässigen Umfang zurückgeführt
werden (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.2008 – KZR 54/08, Tz. 25 – Subunternehmervertrag II). Denn
dazu wäre eine Änderung der gegenständlichen Grenzen des Verbots erforderlich.
Das kommt nicht in Betracht. Nur dann, wenn das Wettbewerbsverbot das zeitlich
zulässige Maß überschreitet, ist eine geltungserhaltende Reduktion auf das noch
zu billigende Maß möglich (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.2008 – KZR 54/08, Tz. 25 – Subunternehmervertrag II;BGH, Urt.
v. 14.07.1997 – II ZR 238/96, juris, Tz. 8 ff.).

d) Bei
dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob der Beklagte durch Entwicklung
bzw. Vertrieb des Gerätes P. N. -01 PC im Zeitraum 27.10.2008 bis 31.12.2008
gegen das Wettbewerbsverbot gemäß § 15.2 des Gesellschaftsvertrags vom 09.07.2005
(Anlage K 1) verstoßen hat.

e) Keinen
Erfolg hat die Klägerin mit der Rüge, das Landgericht habe ihr Recht auf rechtliches
Gehör verletzt, weil es nach der mündlichen Verhandlung vom 13.05.2009 nicht darauf
hingewiesen habe, dass es – entgegen der in der genannten Verhandlung
geäußerten Rechtsauffassung – von einem Verstoß der Wettbewerbsklausel des
Gesellschaftsvertrags gegen § 1 GWB oder Art. 12 GG ausgehe. Abgesehen davon,
dass die Klägerin nach dem Hinweisbeschluss des Landgerichts vom 20.10.2009
nicht mehr davon ausgehen konnte, dass das Landgericht das Wettbewerbsverbot
für uneingeschränkt wirksam erachten würde, ist eine etwaige Verletzung des
klägerischen Rechts auf rechtliches Gehör jedenfalls geheilt. Denn die Klägerin
hat im vorliegenden Berufungsverfahren Gelegenheit gehabt, zur Rechtsauffassung
des Landgerichts im angefochtenen Urteil Stellung zu nehmen, wie die Klägerin
das auch getan hat.

f) Für eine
Zurückverweisung der Sache an das Landgericht entsprechend dem Hilfsantrag der
Klägerin besteht aus den vorstehend genannten Gründen keine Veranlassung.

2. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

3. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711
ZPO.

4. Die
Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im
Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat und im Übrigen auch die
Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen (vgl. dazu
BGH NJW 2003, 65 ff.).

 
Quicklink: uw110603

BFH, Urteil vom 03.11.2010, I R 98 / 09

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine im
Jahr 1895 errichtete Familienstiftung. Zweck der Klägerin ist es, das Vermögen
des Stifters den männlichen Abkömmlingen seines Vaters und Großvaters zu
erhalten und den Abkömmlingen durch Zuwendungen der Stiftung eine in
wirtschaftlicher Beziehung gesicherte Lebensstellung zu verschaffen.

Anteilsberechtigt sind die ehelichen männlichen Abkömmlinge
eines Neffen und zweier Vettern des Stifters. Jeder der Anteilsberechtigten hat
unter weiteren in der Satzung niedergelegten Voraussetzungen Anspruch auf eine
Kapitalzuwendung und eine Zeitrente oder auf eine lebenslängliche jährliche
Rente in Höhe von 1. 000 DM.

Die Klägerin erzielte in den Streitjahren 2002 bis 2005
Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 106. 340 € (2002), 113. 902 € (2003),
116. 122 € (2004) und 80. 924 € (2005) sowie jeweils Einkünfte aus Vermietung
und Verpachtung in Höhe von 460. 772 € (2002), 448. 887 € (2003), 151. 061 €
(2004) und 243. 230 € (2005).

In der Anlage zum Körperschaftsteuerbescheid 2004 wies der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) die Klägerin darauf hin, dass
eventuell geleistete Destinatärzahlungen seit dem 1. Januar 2002 gemäß § 20
Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 7a des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002)
i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts
(Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001,
3858, BStBl I 2002, 35) – EStG 2002 n.F. – dem Kapitalertragsteuerabzug
unterlägen, und forderte die Klägerin auf, Kapitalertragsteueranmeldungen
abzugeben. Die Klägerin teilte daraufhin mit, ihre Auskehrungen an die
Destinatäre stellten keine Leistungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F.
dar, so dass Kapitalertragsteueranmeldungen nicht abzugeben seien. Sie erklärte
ferner, es seien laufende Rentenzahlungen in Höhe von 30.970,80 € (2002),
35.072,30 € (2003), 54.728,78 € (2004) und 35.892,60 € (2005) sowie
Sonderzahlungen in Höhe von jeweils 245. 000 € (2002 und 2003), 311.083,32 €
(2004) und 42. 000 € (2005), insgesamt 999.747,80 €, geleistet worden.

Das FA nahm die Klägerin daraufhin für Kapitalertragsteuer
2002 bis 2005 nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 210.946,79 €
nach § 44 Abs. 5 EStG 2002 n.F. als Haftende in Anspruch.

Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg gab der dagegen
gerichteten Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 55
veröffentlichtem Urteil vom 16. September 2009 8 K 9250/07 statt.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen
Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Gründe

Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des
erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Klage.

1. Entgegen der Auffassung des FG war die Klägerin nach § 44
Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG 2002 n.F. zur Einbehaltung
der Kapitalertragsteuer verpflichtet. Denn die Zahlungen an die Destinatäre
sind Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F.

a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. gehören zu den Einkünften
aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der
Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder
Vermögensmasse i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes
(KStG 2002), die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F.
wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen
i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. gehören.

b) Die Klägerin ist eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002
unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Stiftung, die nicht von der
Körperschaftsteuer befreit ist. Ihre Zahlungen an die Destinatäre stellen
Leistungen dar, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002
n.F. wirtschaftlich vergleichbar sind.

aa) Der Zusatz in § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F., dass die
Leistungen „Gewinnausschüttungen im Sinne der Nummer 1 wirtschaftlich
vergleichbar“ sein müssen, ist erst durch das
Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz eingefügt worden. Die ursprüngliche
Fassung durch das Steuersenkungsgesetz vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433,
BStBl I 2000, 1428) sah diese Einschränkung noch nicht vor. Nach der
Gesetzesbegründung sollte damit klargestellt werden, dass eine Leistung i.S.
des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. beispielsweise dann nicht vorliege, wenn
ein nicht von der Körperschaftsteuer befreiter Verein in Erfüllung seiner
allgemeinen satzungsmäßigen Aufgaben Leistungen an Mitglieder aufgrund von
Beiträgen i.S. von § 8 Abs. 5 KStG 2002 erbringe, die von den Mitgliedern
lediglich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder nach der Satzung zu entrichten
seien. Diese Leistungen seien nicht mit einer Gewinnausschüttung vergleichbar,
da sie allgemein mit den Mitgliedsbeiträgen abgegolten seien (BTDrucks 14/6882,
S. 35). Hieraus lässt sich schließen, dass nur solche Leistungen nicht von § 20
Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. erfasst sein sollen, denen im weitesten Sinne eine
Gegenleistung des Leistungsempfängers – z.B. in Form eines Mitgliedsbeitrags –
gegenübersteht.

bb) Demgegenüber spielt es entgegen der Auffassung des FG
keine Rolle, ob die Leistungsempfänger am Vermögen beteiligt sind. Dies folgt
schon daraus, dass § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. ausdrücklich Leistungen von
„Vermögensmassen“ aufführt, demnach auch selbständige Stiftungen,
obwohl bei diesen eine Beteiligung der Leistungsempfänger am Vermögen nicht
möglich ist und auch Mitgliedschaftsrechte nicht bestehen. Wie aus der
Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/2683, S. 114) ersichtlich, war dem Gesetzgeber
bewusst, dass bei den in der Vorschrift genannten Körperschaftsteuersubjekten
grundsätzlich keine Ausschüttungen an Anteilseigner oder Mitglieder möglich
sind. Gleichwohl komme es auch bei diesen Körperschaften zu
Vermögensübertragungen an die „hinter diesen Gesellschaften stehenden Personen“.
Diese Vermögensübertragungen seien wirtschaftlich gesehen mit
Gewinnausschüttungen vergleichbar. Es ist zudem davon auszugehen, dass dem
Gesetzgeber die weiteren strukturellen Unterschiede zwischen
Kapitalgesellschaften und Vermögensmassen bekannt waren. Gleichwohl hat er auch
deren Leistungen ausdrücklich in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 9
EStG 2002 n.F. einbezogen, woraus zu schließen ist, dass er diesen
Unterschieden keine der Besteuerung ihrer Leistungen als Kapitaleinkünfte
entgegenstehende Bedeutung beigemessen hat.

Damit ist es unbeachtlich, ob die Destinatäre rechtlich die
Stellung eines Anteilseigners innehaben. Ausschlaggebend ist, ob ihre Stellung
wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspricht (gl.A.
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 7. Mai 2009 5 K 277/06, EFG 2009, 1558;
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 9. Mai 2006, BStBl I 2006,
417; Schiffer, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2005, 508, 511, m.w.N. auf S.
512; Schiffer/v. Schubert, Betriebs-Berater – BB – 2002, 265, 267 f.; Freundl,
DStR 2004, 1509, 1513; Jansen/Gröning, Steuer und Wirtschaft 2003, 140;
Kußmaul/ Meyering, Zeitschrift für Steuern und Recht 2004, 41, 43; sowie
weitere Nachweise bei Kirchhain, BB 2006, 2387, Fußnote 5; a.A. Kirchhain,
daselbst; Fischer in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 22 Rz 10; differenzierend
Orth, DStR 2001, 325; Wassermeyer, DStR 2006, 1733; Schlotter in Littmann/Bitz/
Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 20 Rz 735).

cc) Es kann im Streitfall offenbleiben, ob – wie die Gesetzesbegründung
zu § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. nahelegt – alle auf Wiederholung angelegten
Leistungen der in § 1 Nr. 3 bis 5 KStG 2002 genannten Körperschaften,
Personenvereinigungen und Vermögensmassen, denen keine Gegenleistungen der
Empfänger gegenüberstehen, zu den Einkünften i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG
2002 n.F. gehören. Denn jedenfalls unter den Gegebenheiten des Streitfalls sind
die Zahlungen der Klägerin an die Destinatäre Gewinnausschüttungen i.S. des §
20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F. wirtschaftlich vergleichbar.

aaa) Ausschließlicher Stiftungszweck der Klägerin ist die
Erhaltung des Stiftungsvermögens für die männlichen Abkömmlinge des Neffen und
der beiden Vettern des Stifters und die Verschaffung einer in wirtschaftlicher
Hinsicht gesicherten Lebensstellung für diese Abkömmlinge. Die
Anspruchsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar am Vermögen der Klägerin
beteiligt; sie sind aber ausschließliche Nutznießer der Erträge des
Stiftungsvermögens. Ähnlich einem Gesellschafter, der die Früchte aus dem
hingegebenen Kapital erhält, sind die anspruchsberechtigten Familienmitglieder
Begünstigte der Früchte aus dem einst hingegebenen Stiftungskapital (gl.A.
Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil in EFG 2009, 1558). Wird die Stiftung durch
Familienbeschluss oder kraft Gesetzes aufgelöst, fällt das Stiftungsvermögen
überdies zu gleichen Teilen an die männlichen Abkömmlinge der drei Stammväter
(§ 13 der Satzung).

Das Kuratorium der Klägerin bestimmt zwar die Verwendung der
Erträge. Jedoch soll gemäß § 4 Abs. 3 der Satzung zumindest ein Mitglied der
Familie im Kuratorium vertreten sein. Ferner können Kuratoriumsmitglieder
jederzeit durch Beschluss abberufen werden, den eine Mehrheit von mindestens
zwei Dritteln sämtlicher stimmberechtigter Familienmitglieder auf einem
ordentlichen oder außerordentlichen Familientag durch Abstimmung fasst (§ 4
Abs. 11 der Satzung). Zur Teilnahme an Familienbeschlüssen sind alle
volljährigen männlichen Abkömmlinge der drei Stammväter berechtigt (§ 5 der
Satzung).

bbb) Damit haben im Streitfall die Destinatäre ähnlich wie
die Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung Einfluss auf die Verwendung
der Erträge der Stiftung und letztlich auch des Vermögens. Zudem ist die zu
verrentende Kapitalzuwendung, die jedem anspruchsberechtigten Familienmitglied
zusteht, der Disposition des Kuratoriums entzogen, da insoweit bereits ein
unmittelbarer Anspruch aus der Satzung besteht (§ 7 der Satzung). Zumindest
dann, wenn die Leistungsempfänger – wie hier – unmittelbar oder mittelbar Einfluss
auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können, handelt es sich um
„hinter der Stiftung stehende Personen“ und sind die Leistungen
wirtschaftlich Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 n.F.
vergleichbar.

ccc) Dem steht nicht entgegen, dass die
anspruchsberechtigten Familienmitglieder auch Anspruch auf eine zu verrentende
Kapitalzuwendung von 31. 250 DM haben, die unabhängig von den Erträgen der
Stiftung zu leisten ist. Aus den von der Klägerin genannten Leistungen der Streitjahre
ergibt sich, dass es sich bei dem überwiegenden Teil nicht um Rentenzahlungen
handelt. Vielmehr werden die Erträge, soweit sie nicht für den Erhalt des
Stiftungsvermögens erforderlich sind, an die anspruchsberechtigten
Familienangehörigen ausgekehrt.

2. Ob die Zahlungen der Klägerin zugleich die
Voraussetzungen des § 22 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a EStG 2002 n.F. erfüllen, kann
im Streitfall dahingestellt bleiben. Denn in § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG 2002 n.F.
ist ausdrücklich die Nachrangigkeit der sonstigen Einkünfte gegenüber den
Einkünften aus Kapitalvermögen angeordnet.

3. Die Klägerin hat entgegen ihrer Verpflichtung nach § 44
Abs. 1 Satz 3 und 5 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7a EStG 2002 n.F. die
Kapitalertragsteuer auf die ausgezahlten Kapitalerträge nicht einbehalten und
an das FA abgeführt. Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002 n.F. haftet sie für die
nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer, es sei denn, sie weist
nach, dass sie die ihr auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig
verletzt hat. Dieser Nachweis ist ihr entgegen der Auffassung des FG nicht
gelungen.

a) Das FG hat ausgeführt, ein schuldhaftes Verhalten der
Klägerin liege deshalb nicht vor, weil „namhafte Autoren“ der
Auffassung gewesen seien, die streitbefangenen Zahlungen stellten keine
Einkünfte i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2002 n.F. dar. Dem ist nicht zu
folgen. Zumindest ab dem Zeitpunkt, ab dem der Klägerin bekannt war oder über
ihre steuerlichen Berater hätte bekannt sein müssen, dass im Fachschrifttum auch
„namhafte Autoren“ die gegenteilige Auffassung vertreten (zur
Stiftungsliteratur vgl. insbesondere die Nachweise bei Schiffer, DStR 2005,
508, 512, und Kirchhain, BB 2006, 2387, Fußnote 5), wäre es angesichts der im
Auszahlungszeitpunkt bestehenden rechtlichen Ungewissheit allein pflichtgerecht
gewesen, zur Vermeidung von Haftungsfolgen die Kapitalertragsteuer auf die
Zahlungen an die anspruchsberechtigten Familienmitglieder einzubehalten und an
das FA abzuführen. Kommt ein Steuerpflichtiger bei umstrittener Rechtslage
seiner Verpflichtung, Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das FA
abzuführen, nicht nach, handelt er regelmäßig grob fahrlässig. Seinen
gegenteiligen rechtlichen Standpunkt kann er ggf. durch Anfechtung der
Kapitalertragsteuerfestsetzungen geltend machen (s. auch Senatsurteil vom 17.
Februar 2010 I R 85/08, BFHE 229, 114, m.w.N.). Das vereinfachte Verfahren der
Kapitalertragsteuererhebung an der Quelle würde erheblich beeinträchtigt,
könnte der Abzugsverpflichtete bei jeder strittigen Rechtsfrage vom Steuerabzug
absehen und das FA auf die Zahlungsgläubiger verweisen.

b) Das FA war auch nicht gehalten, gegenüber der Klägerin
einen Steuerbescheid zu erlassen, da dieser im Verhältnis zum Haftungsbescheid
nicht das mildere Mittel ist. Das FA hat vielmehr ein Wahlrecht, den
Haftungsschuldner entweder durch Haftungsbescheid oder durch Steuerbescheid in
Anspruch zu nehmen, wenn dieser seine Steueranmeldepflicht nicht erfüllt hat
(Senatsbeschluss vom 18. März 2009 I B 210/08, BFH/NV 2009, 1237, m.w.N.).

c) Das FA hat auch sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt
(vgl. § 102 FGO). Das FA mag zwar im Grundsatz gehalten sein, unter den – im
Streitfall vorliegenden – Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 EStG
2002 n.F. in erster Linie den Steuerschuldner und erst nachrangig einen
Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Dieser Grundsatz kann aber nur dann
durchgreifen, wenn keine Gründe für eine abweichende Ermessensausübung
bestehen. Dabei kommt es für die Frage, ob die Inanspruchnahme des Abführungsverpflichteten
ermessensfehlerfrei ist oder nicht, entscheidend auf die Verhältnisse im
Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung an (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26.
März 1991 VII R 66/90, BFHE 164, 7, BStBl II 1991, 545).

Bei Erlass des streitigen Haftungsbescheides waren dem FA
die Namen der Destinatäre nicht bekannt. Die Klägerin hat zwar im
Einspruchsverfahren gegen den Haftungsbescheid sechs Destinatäre namentlich
benannt, nicht jedoch deren Anschriften. Das FA war allein aufgrund dieser
Information nicht gehalten, vor Erlass der Einspruchsentscheidung die Klägerin
dazu aufzufordern, die Anschriften und die zuständigen Finanzämter der
Destinatäre mitzuteilen. Es wäre vielmehr Sache der Klägerin gewesen,
spätestens im Einspruchsverfahren zur Vermeidung der eigenen Inanspruchnahme
die Steuerschuldner einschließlich deren Anschriften zu benennen. Nachdem die
Klägerin dies nicht getan hat, konnte das FA davon ausgehen, dass die Klägerin
nicht willens war, die Leistungsempfänger zu benennen. Daher ist die in der
Einspruchsentscheidung gegebene Begründung des FA für die Aufrechterhaltung des
Haftungsbescheides, die Ermittlung der Destinatäre sei mit erheblichem
Ermittlungsaufwand verbunden, frei von Ermessensfehlern.

4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein
Urteil ist aufzuheben; die Klage ist abzuweisen.
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BFH, Urteil vom 27.10.2010, II R 37 / 09

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt von
ihrem späteren Ehemann –E– (Eheschließung am 6. Januar 1997) durch Vertrag vom
2. März 1996 ein mit banküblichen Sparbuchzinsen zu verzinsendes Darlehen über 2
750 000 DM zugesagt, das sie vereinbarungsgemäß zum Erwerb eines land- und forstwirtschaftlichen
Betriebs mit einem Herrenhaus verwendete. Nach den getroffenen Vereinbarungen
müssen Rückzahlungen bis zu einem Betrag von 50 000 DM sechs Monate vorher und
größere Summen (Höchstbetrag 200 000 DM) zwei Jahre vorher angekündigt werden.

Durch Zusatzvereinbarung vom 8. Januar 1997 wurde das
Darlehen für die Vergangenheit und für die Zukunft zinslos gestellt. Am 24.
Januar 1997 tilgte die Klägerin einen Teilbetrag des Darlehens (700 000 DM).
Das verbleibende Darlehen von 2 050 000 DM erließ E der Klägerin durch Vertrag
vom 22. November 2004 als Gegenleistung für einen Erb- und Pflichtteilsverzicht.

Nachdem dieser Sachverhalt dem Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA–) im Jahr 2004 bekannt geworden war, vertrat
er die Auffassung, die zunächst zinsgünstige und dann unentgeltliche Gewährung
des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital zu nutzen, sowie der Verzicht
auf die bereits angefallenen Zinsen und das restliche Darlehen stellten
freigebige Zuwendungen des E an die Klägerin dar.

4 Das FA ging davon aus, dass die erste dieser freigebigen
Zuwendungen am 31. März 1996 (Tag der Fälligkeit des Kaufpreises für den
Betrieb der Land- und Forstwirtschaft) ausgeführt worden sei, und setzte dafür
durch Bescheid vom 21. April 2006 aufgrund eines Steuerwerts der Bereicherung
von 515 771 DM Schenkungsteuer in Höhe von 60 255,75 € (117 850 DM) fest. Es
nahm dabei an, der jährliche Zinsvorteil bestehe im Unterschied zwischen den
vereinbarten banküblichen Sparbuchzinsen, die 2 % betrügen, und dem in § 15
Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) bestimmten Zinssatz von 5,5 %. Die
Kapitalwerte des Zinsvorteils errechnete das FA nach der jeweiligen
tatsächlichen Laufzeit des am 24. Januar 1997 getilgten Teils des Darlehens und
des später erlassenen Restbetrags mit 19 477 DM und 496 294 DM, zusammen also
515 771 DM. Der Einspruch blieb erfolglos.

5 In der Vereinbarung vom 8. Januar 1997 sah das FA eine
freigebige Zuwendung zum einen hinsichtlich des Verzichts auf die bereits
entstandenen Zinsen in Höhe von 14 972 DM und zum anderen mit einem Wert von
263 903 DM hinsichtlich des Zinsverzichts für die Zukunft. Unter
Berücksichtigung des nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (ErbStG)
zustehenden Freibetrags von 600 000 DM und des Anrechnungsbetrags für den
Vorerwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG von 60 255,75 € ergab sich daraus keine
festzusetzende Schenkungsteuer.

Für den am 22. November 2004 vereinbarten Erlass der
restlichen Darlehensschuld setzte das FA in der Einspruchsentscheidung
abweichend vom Steuerbescheid vom 19. September 2005 Schenkungsteuer in Höhe
von 157 750 € fest. Es rechnete dabei dem Nennwert der erlassenen
Darlehensforderung von 2 050 000 DM = 1 048 148 € nach § 14 Abs. 1 Satz 1
ErbStG einen Gesamtwert der Vorerwerbe von 406 296 € hinzu. Von der sich bei
einem Steuersatz von 19 % ergebenden Schenkungsteuer von 218 006 € zog das FA
die tatsächlich zu entrichtende Steuer für die Vorerwerbe von 60 255,75 € ab,
da die fiktive Steuer aus Vorerwerben (§ 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) nach seiner
Berechnung lediglich 10 912 € beträgt.

Mit der Klage wandte sich die Klägerin gegen die Besteuerung
der zunächst zinsgünstigen und dann zinslosen Darlehensgewährung und vertrat
ferner die Auffassung, der am 22. November 2004 vereinbarte Darlehensverzicht
unterliege nicht mit dem Nennwert des restlichen Darlehensbetrags der
Schenkungsteuer, sondern sei mit dem 9,3-fachen Jahreswert des Zinsvorteils
abzuzinsen. Zudem stelle der Darlehensverzicht zu 800/2 750 eine nach § 13 Abs.
1 Nr. 4a ErbStG steuerfreie Freistellung von im Zusammenhang mit der Anschaffung
des Herrenhauses eingegangenen Verpflichtungen dar. Dieses Haus werde von ihr
und E bewohnt und sei daher ein Familienwohnheim im Sinne dieser Vorschrift. Es
besteht dabei Einigkeit zwischen den Beteiligten, dass von dem Kaufpreis von 2
750 000 DM für den Betrieb 800 000 DM auf das Herrenhaus entfielen.

Die Klägerin beantragte, die Schenkungsteuerbescheide für
die Erwerbe vom 31. März 1996 und vom 22. November 2004 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 31. Mai 2006 aufzuheben.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die
Steuerfestsetzung für den Erwerb vom 31. März 1996 ab. In der Gewährung des
niedrig verzinslichen Darlehens liege eine freigebige Zuwendung des E an die
Klägerin.

Für die Zuwendung vom 22. November 2004 setzte das FG die
Schenkungsteuer in der Weise herab, dass statt von einem Steuerwert der
freigebigen Zuwendung von 1 048 148 € von einem Steuerwert von 991 831 €
ausgegangen wird. Die Voraussetzungen für eine teilweise Steuerbefreiung des
Darlehensverzichts nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG seien nicht erfüllt. Bei dem
Herrenhaus handele es sich nämlich nach § 33 Abs. 2 i.V.m. § 34 Abs. 3 BewG um
Betriebsvermögen, das nicht der Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr.
4a ErbStG, sondern der Begünstigungsvorschrift des § 13a ErbStG unterfalle. Der
erlassene Darlehensbetrag sei aber nicht mit dem Nennwert anzusetzen, sondern
wegen der vereinbarten niedrigen Verzinsung und der Laufzeit von mehr als einem
Jahr abzuzinsen. Der der Abzinsung zugrunde zu legende jährliche Zinsverlust
betrage 1 % von 1 048 148,30 € (Nennwert der erlassenen Forderung). Es sei
nämlich von dem Unterschied zwischen den ursprünglich vereinbarten banküblichen
Sparbuchzinsen von 2 % und einem Zinssatz von 3 % auszugehen. Für die
Kapitalisierung dieses jährlichen Zinsverlustes sei die mittlere
Lebenserwartung des E zum Zeitpunkt des Erlasses maßgebend, die nach der
Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland 2002/2004 noch 6,34 Jahre
betragen habe. Das Darlehen habe nämlich für die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft
der Klägerin mit E nicht gekündigt werden können, wie sich aus den Umständen
des Streitfalles ergebe. Die (künftigen) Erben des E hätten das Darlehen aber
unabhängig von etwa für die Zeit nach dessen Tod vereinbarten Einschränkungen
der ordentlichen Kündigung deshalb kündigen können, weil die Klägerin die
vereinbarten jährlichen Zinsen von 2 % nicht hätte bezahlen können und daher
den Erben das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 490 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) zugestanden hätte. Der mittleren Lebenserwartung des E
entsprechend sei ein sich aus einer Interpolation der Vervielfältiger für
sieben und sechs Jahre lt. Tabelle 2 zu § 12 Abs. 1 BewG von 5,839 bzw. 5,133
ergebender Vervielfältiger von 5,373 anzusetzen. Der Kapitalwert des
Zinsverlustes belaufe sich somit auf 1 % von 1 048 148,30 € × 5,373 = 56 317 €.
Der anzusetzende Gegenwartswert des erlassenen Darlehens betrage somit rd. 991
831 €.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 7 Abs. 1
Nr. 1 und § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Die Vorteile aus der Gewährung eines
zinslosen oder niedrig verzinslichen Darlehens unterlägen nicht der
Schenkungsteuer. Zumindest müsse aber insoweit ebenso wie für den
Darlehensverzicht die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG angewendet
werden. Das FG habe ferner den Gegenwartswert der erlassenen Darlehensschuld
unzutreffend berechnet. Der jährliche Zinsverlust betrage nicht 1 %, sondern
nach § 12 Abs. 3 BewG 5,5 % der erlassenen Darlehensschuld. Unzutreffend sei
auch der vom FG angesetzte Vervielfältiger. Das Darlehen sei auf längere,
unbestimmte Zeit gelaufen. Die Kündigungsmöglichkeiten seien auch nach dem Tod
des E dahingehend beschränkt gewesen, dass jeweils nur ein Teilbetrag des
Darlehens bis zu einer Höhe von 200 000 DM mit einer Kündigungsfrist von zwei
Jahren habe kündbar sein sollen. Ein außerordentliches Kündigungsrecht wegen
Nichtentrichtung der vereinbarten Zinsen hätte den Erben des E aufgrund der
vereinbarten Zinslosigkeit des Darlehens nicht zugestanden. Für die Abzinsung
müsse daher der 9,3-fache Jahreswert des Zinsverlustes angesetzt werden. Der
erlassene Darlehensbetrag von 2 050 000 DM sei demgemäß mit 9,3 × 5,5 % = 51,15
% und somit um 1 048 575 DM auf 1 001 425 DM abzuzinsen. Davon seien 800/2 750
als Familienheim-Zuwendung steuerfrei. Hieraus ergebe sich ein Steuerwert der
Zuwendung von 710 101 DM = 363 068 €.

Die Klägerin beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung der
Steuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung für die Zuwendung vom 31.
März 1996 von einem Steuerwert von 0 DM und für die Zuwendung vom 22. November
2004 ohne Berücksichtigung von Vorerwerben von einem Steuerwert von 363 068 €
auszugehen.

Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Klägerin könne die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr.
4a ErbStG nicht beanspruchen, da das Herrenhaus bei dessen Anschaffung im März
1996 noch kein Familienwohnheim gewesen sei.

Gründe

Die Revision ist hinsichtlich der Zuwendung vom 31. März
1996 unbegründet und war daher insoweit zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung –FGO–). Bezüglich der Zuwendung vom 22. November 2004 ist
die Revision begründet; sie führt insoweit zur Aufhebung der Vorentscheidung
und unter Änderung des Schenkungsteuerbescheids vom 19. September 2005 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 zur Herabsetzung der
Schenkungsteuer auf 2 864 € (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).

1. Das FG hat die Rechtmäßigkeit des für die Zuwendung vom
31. März 1996 ergangenen Schenkungsteuerbescheids in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 zutreffend bejaht.

a) Der Schenkungsteuer unterliegt als Schenkung unter
Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung, soweit der
Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1
ErbStG; vgl. auch § 516 Abs. 1 BGB). Dieser Schenkungsteuertatbestand setzt
objektiv eine Vermögensverschiebung voraus, d.h. eine Vermögensminderung auf
der Seite des Zuwendenden und eine Vermögensmehrung auf der Seite des
Bedachten, subjektiv den Willen des Zuwendenden zur Freigebigkeit (Urteil des
Bundesfinanzhofs – BFH– vom 9. Dezember 2009 II R 22/08, BFHE 228, 165, BStBl
II 2010, 363). Der Gegenstand der Schenkung richtet sich nach bürgerlichem
Recht (BFH-Urteile vom 25. November 2008 II R 38/06, BFH/NV 2009, 772, und vom
9. Dezember 2009 II R 28/08, BFHE 228, 169, BStBl II 2010, 566).

b) In der zinslosen Gewährung eines Darlehens liegt eine
freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wie der BFH in ständiger
Rechtsprechung entschieden hat (grundlegend BFH-Urteil vom 12. Juli 1979 II R
26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631; ferner BFH-Urteile vom 4. Dezember
2002 II R 75/00, BFHE 200, 406, BStBl II 2003, 273; vom 29. Juni 2005 II R
52/03, BFHE 210, 459, BStBl II 2005, 800; vom 21. Februar 2006 II R 70/04,
BFH/NV 2006, 1300, und vom 11. April 2006 II R 13/04, BFH/NV 2006, 1665;
BFH-Beschluss vom 14. Januar 2010 II B 112/09, BFH/NV 2010, 901). Der Empfänger
eines zinslosen Darlehens erfährt durch die Gewährung des Rechts, das als
Darlehen überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen, eine Vermögensmehrung,
die der Schenkungsteuer unterliegt. Der Jahreswert des Nutzungsvorteils beträgt
nach § 15 Abs. 1 BewG 5,5 %, wenn kein anderer Wert feststeht.

Wird das Darlehen nicht zinslos, sondern mit einem niedrigen
Zinssatz gewährt, liegt ebenfalls eine freigebige Zuwendung vor. In diesem Fall
ist der Jahreswert des Nutzungsvorteils mit 5,5 % abzüglich des vereinbarten
Zinssatzes zu berechnen, wenn kein anderer Wert feststeht (BFH-Beschluss vom
15. März 2001 II B 171/99, BFH/NV 2001, 1122, unter Hinweis auf das in einer
Grunderwerbsteuersache ergangene BFH-Urteil vom 17. April 1991 II R 119/88,
BFHE 164, 130, BStBl II 1991, 586).

Da die unentgeltliche Gewährung eines zinslosen oder
zinsgünstigen Darlehens eine (sonstige) freigebige Zuwendung i.S. von § 7 Abs.
1 Nr. 1 ErbStG darstellt (BFH-Urteil vom 30. März 1994 II R 105/93, BFH/NV
1995, 70; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15.
Aufl., § 7 Rz 9), ist es unerheblich, dass zivilrechtlich in der bloßen
vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das
Vermögen mindernde Zuwendung liegt, wie sie für eine Schenkung gemäß § 516 Abs.
1 BGB erforderlich ist; eine Schenkung gemäß §§ 516 ff. BGB setzt nämlich eine
Zuwendung voraus, durch die der Schenker die Substanz seines Vermögens
vermindert und das Vermögen des Beschenkten entsprechend vermehrt (Urteile des
Bundesgerichtshofs – BGH– vom 11. Dezember 1981 V ZR 247/80, BGHZ 82, 354, und
vom 1. Juli 1987 IVb ZR 70/86, BGHZ 101, 229; BGH-Beschluss vom 11. Juli 2007
IV ZR 218/06, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2008, 192; Urteil
des Oberlandesgerichts Hamm vom 5. Februar 1996 2 U 139/95, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1996, 717). Der Begriff der
freigebigen Zuwendung ist weiter als derjenige einer Schenkung im
zivilrechtlichen Sinn.

c) Die Steuerfestsetzung für die Zuwendung vom 31. März 1996
ist somit nicht zu beanstanden. Das FA hat bereits berücksichtigt, dass die
teilweise Tilgung des Darlehens und der Erlass des restlichen Darlehens
rückwirkende Ereignisse i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung
(AO) darstellen (BFH-Urteil in BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631).

d) Die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG kann
für die Zuwendung vom 31. März 1996 nicht berücksichtigt werden, weil die
Vorschrift lediglich Zuwendungen unter Ehegatten betrifft und die Klägerin und
E seinerzeit noch nicht verheiratet waren. Die spätere Eheschließung spielt
keine Rolle; denn für die Besteuerung kommt es auf die Verhältnisse zum
Zeitpunkt der Entstehung der Steuer mit Ausführung der freigebigen Zuwendung an
(§ 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Ein rückwirkendes Ereignis i.S. des §
175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stellt die Eheschließung nicht dar.

2. Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Steuerbefreiung
nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG sei bezüglich des Herrenhauses für die
Zuwendungen vom 8. Januar 1997 und 22. November 2004 nicht anwendbar.

a) Zuwendungen unter Lebenden, mit denen ein Ehegatte dem
anderen Ehegatten Eigentum oder Miteigentum an einem im Inland belegenen, zu
eigenen Wohnzwecken genutzten Haus oder einer im Inland belegenen, zu eigenen
Wohnzwecken genutzten Eigentumswohnung (Familienwohnheim) verschafft oder den
anderen Ehegatten von eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der
Anschaffung oder der Herstellung des Familienwohnheims freistellt, bleiben nach
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG steuerfrei. Es muss sich dabei nicht um eine
freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG handeln. Die Vorschrift gilt
vielmehr auch für Abfindungsleistungen für einen Erb- oder
Pflichtteilsverzicht, die nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG als Schenkungen unter
Lebenden gelten (Meincke, a.a.O., § 13 Rz 19). Die Steuerbefreiung bezieht sich
nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur auf das Haus verstanden als Gebäude,
sondern auch auf das Grundstück, dessen wesentlicher Bestandteil es nach § 94
Abs. 1 Satz 1 BGB ist (BFH-Urteil vom 26. Februar 2009 II R 69/06, BFHE 224,
151, BStBl II 2009, 480).

25 b) Entgegen der Auffassung des FG steht der Anwendbarkeit
des § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG kein Vorrang der Steuervergünstigungen
nach § 13a ErbStG entgegen.

aa) Zum einen ist für jeden der Schenkungsteuer
unterliegenden Vorgang gesondert zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen
für eine Steuerbefreiung oder Steuervergünstigung erfüllt sind. Sind die
Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gegeben, kann diese nicht mit der Begründung
versagt werden, bei Verwirklichung eines anderen steuerbaren Tatbestands könne
eine Steuervergünstigung beansprucht werden. Derartige hypothetische
Betrachtungen scheiden aus, weil es für die Besteuerung nur auf den tatsächlich
verwirklichten Tatbestand ankommt (§ 38 AO). Es ist zudem nicht erkennbar,
warum eine bloße Steuervergünstigung einer Steuerbefreiung vorgehen soll.

bb) Zum anderen hat das FG zu Unrecht angenommen, das
Herrenhaus werde von den Steuervergünstigungen nach § 13a ErbStG bei Vorliegen
der allgemeinen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfasst.

Der Freibetrag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und der verminderte
Wertansatz (§ 13a Abs. 2 ErbStG) gelten gemäß § 13a Abs. 4 Nr. 2 ErbStG für
inländisches land-und forstwirtschaftliches Vermögen i.S. des § 141 Abs. 1 Nr.
1 und 2 BewG, vermietete Grundstücke, Grundstücke i.S. des § 69 BewG und die in
§ 13 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Gesetzes vom
24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) genannten Gebäude oder Gebäudeteile bei bestimmten,
in der Vorschrift näher genannten Erwerben unter der Voraussetzung, dass dieses
Vermögen ertragsteuerlich zum Betriebsvermögen eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft
gehört. Der in § 141 Abs. 1 Nr. 3 BewG genannte Wohnteil (§ 141 Abs. 4 i.V.m. §
34 Abs. 3 BewG) wird danach von den Steuervergünstigungen nach § 13a ErbStG nur
erfasst, wenn er nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des § 13 Abs. 4 Satz 1
und 2 EStG unter § 13 Abs. 2 Nr. 2 EStG fällt. Nach dem Veranlagungszeitraum
1986 angeschaffte Objekte fallen nicht unter die Übergangsvorschrift und sind
daher ertragsteuerlich stets Privateigentum (Kube in Kirchhof, EStG, 9. Aufl.,
§ 13 Rz 27).

Das Herrenhaus der Klägerin stand danach im Privateigentum
und erfüllte somit von vornherein nicht die Voraussetzungen für die
Steuervergünstigungen nach § 13a ErbStG.

c) Der Anwendbarkeit des § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG
auf die Zuwendungen vom 8. Januar 1997 und 22. November 2004 steht auch nicht
entgegen, dass das Herrenhaus bei der Anschaffung durch die Klägerin noch kein
Familienwohnheim war, weil die Klägerin und E seinerzeit noch nicht miteinander
verheiratet waren.

Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für die
Anwendbarkeit dieser Vorschrift gegeben sind, kommt es gemäß § 11 i.V.m. § 9
Abs. 1 Nr. 2 ErbStG auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Ausführung der
Zuwendung an (BFH-Urteil in BFHE 224, 151, BStBl II 2009, 480, unter II.2.a).
Liegt zu diesem Zeitpunkt ein Familienwohnheim vor, so genügt dies (H.-U.
Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Bewertungsgesetz, 3. Aufl., § 13 ErbStG Rz 35). Es ist nicht zusätzlich
erforderlich, dass es sich bereits bei der Anschaffung oder Herstellung um ein
Familienwohnheim gehandelt hat. Dies gilt sowohl für die Übertragung des
Eigentums oder Miteigentumsanteils an dem Familienwohnheim als auch bei der
Freistellung von eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Anschaffung
oder Herstellung des Familienwohnheims (ebenso Beschluss des FG München vom 3.
Februar 2006 4 V 2881/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 686; Jülicher
in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rz 66). Für eine unterschiedliche
Behandlung dieser Fallgruppen gibt es keine Grundlage.

d) Steuerfrei gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG sind
danach jeweils bezogen auf den auf das Herrenhaus entfallenden Anteil an dem
Darlehen der am 8. Januar 1997 vereinbarte Verzicht auf die bereits
entstandenen und künftig entstehenden Zinsen und der Erlass des restlichen
Darlehens am 22. November 2004.

e) Da das FG von einer anderen Auffassung ausgegangen ist,
war die Vorentscheidung aufzuheben, soweit sie die Zuwendung vom 22. November
2004 betrifft.

3. Die Sache ist spruchreif.

a) Das FG hat dem Grunde nach zutreffend angenommen, dass
der Erlass des restlichen Darlehens nicht mit dem Nennwert, sondern mit einem
abgezinsten Wert anzusetzen sei, den Abzinsungsbetrag jedoch fehlerhaft
berechnet.

aa) Die Bewertung des Darlehenserlasses richtet sich gemäß §
12 Abs. 1 ErbStG nach den Vorschriften des Ersten Teils des BewG (Allgemeine
Bewertungsvorschriften). Kapitalforderungen, die nicht in § 11 BewG bezeichnet
sind, und Schulden sind gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG mit dem Nennwert
anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert
begründen. Derartige Umstände können in einer langfristigen Zinslosigkeit oder
einer langfristigen niedrigen Verzinsung in Verbindung mit längerer
Unkündbarkeit liegen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1988 I R 146/85, BFHE 152, 265,
BStBl II 1988, 372, m.w.N.).

bb) Die Voraussetzungen für den Ansatz des erlassenen
Darlehens mit einem geringeren Wert als dem Nennwert sind im Streitfall
erfüllt. Das Darlehen war aufgrund der Zusatzvereinbarung vom 8. Januar 1997
zinslos und nach den vom FG getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO)
jedenfalls für die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft der Klägerin mit E
nicht kündbar. Da die statistische Lebenserwartung des E bei der Vereinbarung
des Erlasses des restlichen Darlehens noch 6,34 Jahre betrug, war das Darlehen
längerfristig nicht kündbar.

cc) Bei der Berechnung des Abzinsungsbetrags ist entgegen
der Auffassung des FG nicht von der ursprünglich vereinbarten niedrigen
Verzinsung, sondern aufgrund der der Besteuerung zugrunde gelegten
Zusatzvereinbarung vom 8. Januar 1997 von der Zinslosigkeit des Darlehens
auszugehen. Da die Vertragsparteien eine Verzinsung in der Zusatzvereinbarung
vom 8. Januar 1997 ausdrücklich ausgeschlossen hatten, ist der in § 12 Abs. 3
Satz 2 BewG vorgesehene Abzinsungsfaktor von 5,5 % anzuwenden, um die
Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu gewährleisten (BFH-Urteil vom 17. Oktober
1980 III R 52/79, BFHE 132, 298, BStBl II 1981, 247).

Zu Unrecht hat das FG auch einen aus der Lebenserwartung des
E abgeleiteten Vervielfältiger angewendet. Da das Darlehen auf unbestimmte
Dauer lief, ist als Abzinsungsbetrag gemäß § 13 Abs. 2 BewG das 9,3-fache des
Jahresbetrags der mit 5,5 % berechneten Zinsen anzusetzen. Das Darlehen war
nicht bis zum Tod des E befristet, sondern sollte jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt
lediglich nicht kündbar sein. Da das Darlehen zinslos war, hätten die Erben des
E das Darlehen nicht außerordentlich wegen Nichtzahlung von Zinsen durch die
Klägerin kündigen können. Es wäre danach allenfalls eine ordentliche Kündigung
des Darlehens durch die Erben nach Maßgabe des Darlehensvertrags möglich
gewesen. Es ist somit davon auszugehen, dass das Darlehen nach dem Tod des E
von unbestimmter Dauer gewesen wäre.

dd) Das erlassene Darlehen mit einem Nennwert von 2 050 000
DM ist danach mit dem 9,3-fachen von 5,5 %, also 51,15 %, abzuzinsen. Von dem
verbleibenden Betrag von 1 001 425 DM entfallen auf das Herrenhaus 800/2 750,
also 291 324 DM, die nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG steuerfrei sind. Es
verbleibt mithin ein anzusetzender Wert der freigebigen Zuwendung von 710 101
DM = 363 068 €.

b) Der am 8. Januar 1997 vereinbarte Verzicht auf die
bereits entstandenen und künftig entstehenden Zinsen ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr.
4a Satz 1 ErbStG ebenfalls zu 800/2 750, also mit einem Teilbetrag von 81 128
DM steuerfrei. Der in der Einspruchsentscheidung angesetzte Wert der Zuwendung
von 278 875 DM vermindert sich somit auf 197 747 DM.

4. Die Steuer für die Zuwendung vom 22. November 2004
berechnet sich danach wie folgt:

 

Steuerwert der Bereicherung 363.068,00
Steuerwert der Vorerwerbe* 364.815,00
Freibetrag (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) ./. 307.000,00
steuerpflichtiger Erwerb (abgerundet auf volle hundert €) 420.800,00
Steuersatz 15 % Schenkungsteuer 63.120,00
Steuerabzug für Vorerwerbe (§ 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG) 60.255,75
festzusetzende Steuer (abgerundet) 2.864,00
*Berechnung des Steuerwerts der Vorerwerbe DM
Vorerwerb vom 31. März 1996 515.771,00
Vorerwerb vom 8. Januar 1997 197.747,00
Summe 713.518,00
= 364.815,00 €

 
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