BGH, Urteil vom 26.10.2011, IV ZR 72 / 11

 

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten, ihrem Bruder, Übertragung des hälftigen
Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück. Die Eltern der Parteien
errichteten am 20. Februar 1986 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie
sich gegenseitig als Erben einsetzten sowie bestimmten, Erben des Überlebenden
von ihnen sollten ihre gemeinschaftlichen Kinder sein. Nach dem Tod des Vaters
errichtete die Erblasserin, die Mutter der Parteien, am 18. Januar 2005 ein
Testament mit folgendem Inhalt:

„Ich,
Regina P. , vermache mein Haus mit Grundstück … meinem Sohn
Klaus P. . …

Meine
Tochter Doris P. … hat als Erbvorauszahlung ab 18.12.1984 in
bar einen Betrag von 172.300,- DM erhalten, Belege liegen bei.

Meine
Tochter bekommt mein Bargeld auf meinem Sparkonto bei der Kreissparkasse. …“

Mit
Vertrag vom 28. November 2006 übereignete die Erblasserin dem Beklagten das von
ihr bewohnte Hausgrundstück, welches sie von ihren Eltern geerbt hatte. Die Überlassung
an den Beklagten, der den Wert der ihm gemachten Zuwendung gemäß §§ 2050 ff.
BGB nicht zur Ausgleichung bringen sollte, erfolgte unentgeltlich. § 3 Nr. 7
des Vertrages bestimmt ferner, dass weitere Gegenleistungen, insbesondere die
Vereinbarung von Wart- und Pflegeleistungen, von den Vertragsteilen trotz
Belehrung durch den Notar nicht gewünscht werden.

Die
Klägerin verlangt vom Beklagten Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils
an dem Grundstück, weil es sich um eine beeinträchtigende Schenkung gemäß §
2287 BGB handele. Der Beklagte hat Hilfswiderklage in Höhe von 42.610,53 €
erhoben. Im Falle seiner Verurteilung stehe ihm jedenfalls ein Gegenanspruch
auf Zahlung in Höhe des Wertes der hälftigen Schenkungen zu, die die Klägerin
nach dem Tod des Vaters in den Jahren 1995 bis 2002 über insgesamt 39.706,06 €
erhalten habe. Hinzu komme die Hälfte des Kontovermögens der Erblasserin von
45.515 €, welches an die Klägerin geflossen sei.

Das
Landgericht hat der Klage und der Hilfswiderklage stattgegeben. Das
Berufungsgericht hat die nur vom Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen.

II.
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Parteien seien als Erben zu gleichen
Teilen bedacht worden. Die Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder sei nicht
nur für den Vater, sondern auch für die Mutter der Parteien wechselbezüglich
und damit bindend gewesen. Allein der Umstand, dass die Vermögensverhältnisse
der Eltern der Parteien unterschiedlich gewesen seien und das Hausgrundstück
der Mutter gehört habe, zwinge nicht zur Verneinung der Wechselbezüglichkeit.
Der Klägerin stehe auch gemäß § 2287 BGB ein Anspruch auf Übertragung des hälftigen
Miteigentumsanteils zu. Die Voraussetzungen für ein lebzeitiges Eigeninteresse
der Mutter der Parteien an der Begünstigung des Beklagten lägen nicht vor, da
in § 3 Nr. 7 des Vertrages ausdrücklich festgehalten worden sei, dass Wart- und
Pflegeleistungen nicht gewünscht seien. Ob die Klägerin selbst Vorempfänge
erhalten habe, sei im Rahmen des Anspruchs aus § 2287 BGB unerheblich. Sein
Zweck sei es vielmehr, zunächst die Situation zu bereinigen, die durch die
beeinträchtigende Schenkung entstanden sei.

III.
Die Stattgabe der Klage ohne Beweisaufnahme verletzt den Anspruch des Beklagten
auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in
entscheidungserheblicher Weise.

1.
Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der Klägerin
gegen den Beklagten ein Anspruch auf Übertragung des hälftigen
Miteigentumsanteils an dem Wohnhausgrundstück gemäß § 2287 Abs. 1 i.V.m. §§ 818
ff. BGB zustehen könnte. Die Regelung ist auf wechselbezügliche letztwillige
Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, das nach dem Tod des
erstverstorbenen Ehegatten unwiderruflich geworden ist, entsprechend anzuwenden
(Senatsurteil vom 26. November 1975 IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8, 15).

Ohne
Erfolg greift der Beklagte hierbei die Feststellungen des Berufungsgerichts an,
dass die Erbeinsetzung der Parteien durch die Erblasserin wechselbezüglich zu
ihrer Erbeinsetzung durch ihren Ehemann i.S. von § 2270 Abs. 1 BGB ist. Zwar
kann der Umstand, dass ein Ehegatte über ein wesentlich größeres Vermögen verfügt
als der andere, bei der Auslegung dazu führen, dass die Schlusserbeneinsetzung
durch den vermögenden Ehegatten nicht wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung
durch den vorverstorbenen vermögenslosen Ehegatten ist, weil der vermögende
Ehegatte an der eigenen Erbeinsetzung durch seinen vermögenslosen Ehegatten häufig
kein Interesse hat, sondern seine Freiheit behalten will, wen er als
Schlusserben einsetzt (RGZ 116, 148, 150; OLG Celle FamRZ 2003, 887, 888; OLG
Brandenburg FamRZ 1999, 1541, 1543; BayObLG ZEV 1994, 362, 364; FamRZ 1984,
1154, 1155; OLG Hamm ZEV 1995, 146, 147; OLG Saarbrücken FamRZ 1990, 1285,
1286).

Der
Beklagte hat hierzu geltend gemacht, die Erblasserin sei Alleineigentümerin des
Hausgrundstücks gewesen, während sonstiges wesentliches Kapitalvermögen der
Eltern nicht vorhanden gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die
unterschiedlichen Vermögensverhältnisse der Eheleute aber durchaus gesehen.
Ferner hat es erkannt, dass unterschiedliche Vermögensverhältnisse nicht ohne
Weiteres dazu führen, dass die Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung
durch den vermögenden Ehegatten mit der eigenen Erbeinsetzung durch den vermögenslosen
Ehegatten verneint werden müsste (vgl. OLG Hamm aaO; BayObLG aaO). Soweit sich
das Berufungsgericht auf dieser Grundlage die Überzeugung gebildet hat, dass
trotz unterschiedlicher Vermögensverhältnisse Wechselbezüglichkeit bestehe, ist
das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat hiergegen nichts
Durchgreifendes vorgebracht.

2.
Unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art.103
Abs. 1 GG) hat das Berufungsgericht sodann allerdings ohne Beweisaufnahme
angenommen, dass die Voraussetzungen für ein lebzeitiges Eigeninteresse der
Erblasserin an der Begünstigung des Beklagten nicht vorgelegen haben.

a)
Gemäß § 2287 Abs. 1 BGB kann der Vertragserbe (bzw. bei einem
gemeinschaftlichen Testament der Schlusserbe), nachdem ihm die Erbschaft
angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den
Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern,
wenn der Erblasser in der Absicht, den Vertrags- bzw. Schlusserben zu beeinträchtigen,
eine Schenkung gemacht hat. Da die Benachteiligungsabsicht mit der Absicht, den
Beschenkten zu begünstigen, meist untrennbar verbunden ist, wäre sie von
Ausnahmefällen abgesehen in einer solchen Lage praktisch immer
gegeben (vgl. Senatsurteil vom 5. Juli 1972 IV ZR 125/70, BGHZ 59,
343, 350). Dennoch greift die Vorschrift nicht zwangsläufig bei jeder Schenkung
ein. Erforderlich ist vielmehr, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu
lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liegt nicht
vor, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm
vorgenommenen Schenkung hatte (Senat aaO; ferner Senatsurteile vom 23. April
1986 IVa ZR 97/85, FamRZ 1986, 980 unter III 3; vom 23. September
1981 IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274, 282; vom 26. November 1975 aaO).
Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines
objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch
unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und
gerechtfertigt erscheint (Senatsurteil vom 12. Juni 1980 IVa ZR
5/80, BGHZ 77, 264, 266). Ein derartiges Interesse kommt etwa dann in Betracht,
wenn es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch
Pflege geht (Senatsurteile vom 27. Januar 1982 IVa ZR 240/80, BGHZ
83, 44, 46; vom 23. September 1981 IVa ZR 185/80, NJW 1982, 43 unter
3; vom 26. November 1975 aaO 16) oder wenn der Erblasser in der Erfüllung einer
sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die
ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will (Senatsurteile
vom 27. Januar 1982 und vom 26. November 1975 je aaO). Beweispflichtig für die
Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse ist der Vertrags-
bzw. Schlusserbe (Senatsurteil vom 23. September 1981 aaO).

b)
Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, das Fehlen eines
lebzeitigen Eigeninteresses ergebe sich aus der Regelung in § 3 Nr. 7 des Überlassungsvertrages,
wonach Wart- und Pflegeleistungen nicht gewünscht seien. Hierbei verkennt es
aber, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an einer Schenkung
auch dann vorliegen kann, wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung
Leistungen etwa zur Betreuung im weiteren Sinne übernimmt,
tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will. Im Falle der Übernahme
einer rechtlichen Verpflichtung zu Gegenleistungen handelt es sich hingegen
bereits nicht mehr um eine Schenkung i.S. des § 2287 Abs. 1 BGB (vgl. Musielak
in MünchKomm, BGB 5. Aufl. § 2287 Rn. 12, 18).

Hier
hat der Beklagte im Einzelnen und unter Beweisantritt vorgetragen, dass er für
die Erblasserin in den Jahren 1986 bis 2009 zahlreiche Leistungen erbracht
habe, die er selbst mit einem Wert von 93.887,08 € bemisst. Hierbei geht es um
den Winterdienst, Gartenpflege mit Rasenmähen, Heckenschnitt etc. sowie die
monatliche Fahrt zum Großeinkauf im Zeitraum von 1986 bis Februar 2009, das wöchentliche
Besorgen des Haushalts (Putzen, Staubsaugen, Betten abziehen) nach der
Erkrankung der Erblasserin ab 2003, wöchentliche Einkäufe und Botengänge für
die Erblasserin ab 2004 sowie die Übernahme sämtlicher Fahrdienste. Über den
Umfang dieser von der Klägerin bestrittenen Leistungen des Beklagten und den
hierzu mit der Erblasserin getroffenen Übereinkünften muss Beweis erhoben
werden. Ein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin kann insbesondere auch
dann in Betracht kommen, wenn der Beschenkte sich um Haus, Garten, Einkäufe,
Reinigung etc. kümmert, zumal die Erblasserin gerade ein Interesse daran hatte,
dass sie in dem Haus wohnen bleiben kann und es als Familienbesitz erhalten
wird.

c)
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass ein lebzeitiges
Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten Schenkungsgegenstand angenommen
werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen
und insoweit einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht auszuschließen
vermag. Die sich dann stellende Frage, ob der Vertrags- bzw. Schlusserbe Übereignung
des Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung des Betrages verlangen kann, bis zu
dem er die Schenkung hinnehmen muss, oder ob er nur Zahlung des Betrages
beanspruchen kann, der dem Teilwert der Schenkung entspricht, ist entsprechend
den Grundsätzen zu beantworten, die für die gemischte Schenkung entwickelt
wurden (Senatsurteil vom 12. Juni 1980 aaO 271 f.). Das geschenkte Grundstück
kann hiernach nur bei entsprechender Zug-​um-​Zug-​Leistung
herausverlangt werden, wenn die Schenkung überwiegend nicht anzuerkennen ist,
wenn also derjenige Wertanteil der Schenkung, der hinzunehmen ist, geringer
wiegt als der nach § 2287 BGB auszugleichende überschießende Anteil. Hierbei
ist allerdings keine rein rechnerische Gegenüberstellung des Wertes der vom
Beklagten erbrachten Leistungen mit dem Wert des Grundstücks vorzunehmen.
Vielmehr hat auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Leistungen noch in
Zukunft erfolgen sollten und der Erblasser sich ihm erbrachte oder zu
erbringende Leistungen „etwas kosten lassen darf“, eine umfassende
Gesamtabwägung zu erfolgen (OLG Oldenburg FamRZ 1992, 1226, 1227;
Palandt/Weidlich, BGB 70. Aufl. § 2325 Rn. 9).

3.
Sollte hiernach ein Anspruch der Klägerin in Betracht kommen, so ist dieser
unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie selbst Vorempfänge erhalten hat,
die im Falle einer Nachlassauseinandersetzung nach §§ 2050 ff. BGB berücksichtigt
werden müssten. Der Anspruch aus § 2287 BGB stellt einen rein persönlichen
Anspruch des Vertrags- bzw. Schlusserben dar und fällt nicht in den Nachlass
(vgl. Senatsurteile vom 4. März 1992 IV ZR 309/90, FamRZ 1992, 665
unter 3 d; vom 21. Juni 1989 IVa ZR 302/87, NJW 1989, 2389 unter 4;
vom 28. September 1983 IVa ZR 168/82, BGHZ 88, 269, 271; vom 3. Juli
1980 IVa ZR 38/80, BGHZ 78, 1, 3). Der Anspruch aus § 2287 BGB darf
deshalb nicht in die Auseinandersetzung des Nachlasses hineingezogen werden.
Insbesondere kann der Beschenkte die Herausgabe des Geschenks nicht mit der
Begründung verweigern, dass der Vertrags- bzw. Schlusserbe selbst Vorempfänge
erhalten habe und nach § 2050 BGB ausgleichspflichtig sei. Derartige
Ausgleichspflichten sind erst im Rahmen der Erbauseinandersetzung vorzunehmen
und nicht vorweg beim Anspruch aus § 2287 BGB.

IV.
Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob eine etwaige Änderung des
landgerichtlichen Urteils Auswirkungen auf die erhobene Hilfswiederklage haben
kann.
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