BGH, Urteil vom 10.07.2012, II ZR 48 / 11

 

Tatbestand

Die
Klägerin ist Aktionärin der beklagten Fresenius SE. Sie hat – soweit für das
Revisionsverfahren von Bedeutung – Anfechtungsklage gegen die in der
Hauptversammlung vom 8. Mai 2009 gefassten Beschlüsse über die Entlastung des
Vorstands und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008 erhoben.

Die
Klägerin ist der Auffassung, dass der Vorstand gegen § 114 AktG verstoßen habe.
Dem zugrunde liegen Beratungsverträge, die von der Beklagten und ihrer
Tochtergesellschaft mit der Anwaltssozietät N. LLP geschlossen
worden sind. Partner dieser Sozietät ist der stellvertretende
Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, Dr. S. . Die im Laufe
des Jahres 2008 geschlossenen Anwaltsverträge, auf die bereits Honorare in Höhe
von insgesamt etwa 1 Mio. € an die Sozietät N. gezahlt worden waren,
wurden erst in der späteren Aufsichtsratssitzung vom 4. Dezember 2008
genehmigt.

Das
Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat
zugelassene Revision, mit der die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren
weiterverfolgt.

Gründe

Die
Revision ist erfolgreich und führt – soweit zum Nachteil der Beklagten
entschieden worden ist – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, ZIP 2011, 425) hat seine
Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die
Entlastungsbeschlüsse seien für nichtig zu erklären, weil der Vorstand dadurch,
dass er Zahlungen an die Sozietät des Aufsichtsratsmitglieds Dr. S. geleistet
habe, obwohl die zugrunde liegenden Verträge noch nicht vom Aufsichtsrat
genehmigt gewesen seien, schwer und eindeutig gegen das Gesetz verstoßen habe.
Indem die Sozietät diese Zahlungen entgegen genommen habe, sei auch Dr. S. eine
Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen, so dass die Entlastung des Aufsichtsrats
ebenfalls – insgesamt – rechtswidrig sei. Nach Systematik und Regelungszweck
sei § 114 Abs. 1 AktG als Verhaltensnorm auszulegen. Danach sei unabhängig von
einer späteren Genehmigung des Aufsichtsrats die Zahlung von Vergütungen für
Beratungsleistungen an ein Aufsichtsratsmitglied verboten, es sei denn, der
Aufsichtsrat habe vor der Zahlung seine Zustimmung erteilt. Das gelte auch für
eine Vergütung, die nicht an das Aufsichtsratsmitglied persönlich, sondern an
eine Anwaltssozietät gezahlt werde, der das Aufsichtsratsmitglied angehöre,
wenn der diesem persönlich zugutekommende Betrag nicht nur ganz geringfügig
sei. Das könne hier angesichts des auf Dr. S. intern
entfallenden Honoraranteils von 10.000 € und seiner Gesamtvergütung für die
Aufsichtsratstätigkeit in Höhe von 149.000 € im Jahr 2008 nicht angenommen
werden.

II.
Diese Ausführungen enthalten in einem entscheidenden Punkt einen Rechtsfehler.
Die Entlastungsbeschlüsse sind nach den bisherigen Feststellungen des
Berufungsgerichts nicht anfechtbar.

1.
Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass sich die
Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung der Beklagten nach den
Regeln des deutschen Aktiengesetzes richtet. Zwar ist die Beklagte als Europäische
Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) verfasst. Da aber weder die
Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der
Europäischen Gesellschaft (SE) (ABl. L 294 vom 10. November 2001, S. 1) noch
das deutsche SE-Ausführungsgesetz (SEAG) eine Regelung zur Anfechtung von
Hauptversammlungsbeschlüssen enthält und auch keine entsprechenden
Satzungsbestimmungen zulässt, unterliegt die Beklagte gemäß Art. 9 Abs. 1
Buchst. c ii der SE-Verordnung insoweit den nationalen Rechtsvorschriften, die
auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der Societas Europaea gegründete
Aktiengesellschaft Anwendung finden würden, mithin den Regeln des deutschen
Aktiengesetzes.

2.
Ein Beschluss der Hauptversammlung über die Entlastung des Vorstands und des
Aufsichtsrats verstößt gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG und ist deshalb nach §
243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn damit ein Verhalten gebilligt wird, das einen
schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt (BGH,
Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 51; Urteil vom 18.
Oktober 2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 388; Beschluss vom 9. November 2009
– II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436 f.). Ein Verstoß gegen das Gesetz (§ 114 AktG)
lag hier nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt in der
Zahlung der Beratungshonorare an die Sozietät des Dr. S. ,
obwohl der Aufsichtsrat den zugrunde liegenden Verträgen nicht zugestimmt
hatte. Der Aufsichtsrat hat sich danach ebenfalls rechtswidrig verhalten, indem
er diese Praxis nicht beanstandet hat. Dieses Verhalten war aber kein schwerer
und eindeutiger Verstoß und führt deshalb nicht zur Anfechtbarkeit der
Entlastungsbeschlüsse.

Deshalb
kann offen bleiben, ob die Zahlung eines Beratungshonorars an ein
Aufsichtsratsmitglied vor Zustimmung des Aufsichtsrats ausnahmsweise dann
rechtmäßig ist, wenn – wie die Beklagte behauptet hat – bei ihr die Übung
besteht, dass am Anfang eines jeden Jahres vom Aufsichtsrat eine Obergrenze für
Mandate an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder oder deren Sozietäten festgelegt
wird und die einzelnen Verträge dann am Ende des Jahres dem Aufsichtsrat zur
Genehmigung vorgelegt werden. Denn in diesem Fall würde es erst recht an einem
eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß gefehlt haben.

a)
Auch insoweit gelten die Regeln des deutschen Aktiengesetzes. Denn weder die SE-Verordnung
noch das SE-Ausführungsgesetz enthalten eine Regelung zu Verträgen mit den
Mitgliedern des Aufsichtsrats oder lassen insoweit eine Regelung durch die
Satzung zu.

b)
Ein Vorstand darf gemäß § 114 Abs. 1 AktG grundsätzlich keine Honorare an ein
Aufsichtsratsmitglied oder seine Sozietät zahlen, bevor die zugrunde liegenden
Beratungsverträge vom Aufsichtsrat genehmigt worden sind.

(1)
Wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, ist der Regelungszweck des § 114
AktG in Zusammenhang mit demjenigen des § 113 AktG zu sehen. Nach § 113 AktG
hat die Hauptversammlung über die Höhe der Vergütung der
Aufsichtsratsmitglieder zu entscheiden – soweit das nicht bereits in der
Satzung geschehen ist. Der Zweck des § 114 AktG besteht zum einen darin,
Umgehungen des § 113 AktG zu verhindern, indem es dem Aufsichtsrat ermöglicht
wird, den vom Vorstand geschlossenen Beratungsvertrag präventiv darauf zu überprüfen,
ob er tatsächlich in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Gebot des § 113 AktG
nur Dienstleistungen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit zum Gegenstand
hat. Der dadurch bewirkte Zwang, den Beratungsvertrag offenzulegen und dem
Aufsichtsrat zur Zustimmung zu unterbreiten, soll diesem zugleich die Möglichkeit
eröffnen, sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Aktiengesellschaft an
einzelne Aufsichtsratsmitglieder – etwa in Form überhöhter Vergütungen – und
damit eine denkbare unsachliche, der Erfüllung seiner Kontrollaufgabe abträgliche
Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand zu verhindern (BGH,
Urteil vom 4. Juli 1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 ff.; Urteil vom 3.
Juli 2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rn. 9; Urteil vom 20. November 2006 –
II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 Rn. 9).

Diese
Kontrolle ist auch dann geboten, wenn der Beratungsvertrag nicht mit dem
Aufsichtsratsmitglied persönlich, sondern mit einer Gesellschaft – wie hier der
N. LLP – geschlossen wird, an der das Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist, und
ihm dadurch mittelbare Zuwendungen zufließen, bei denen es sich nicht nur um –
abstrakt betrachtet – ganz geringfügige Leistungen handelt oder die im
Vergleich zu der von der Hauptversammlung festgesetzten Aufsichtsratsvergütung
einen vernachlässigenswerten Umfang haben (BGH, Urteil vom 20. November 2006 –
II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 Rn. 8; Urteil vom 2. April 2007 – II ZR 325/05, ZIP
2007, 1056 Rn. 11). Danach fallen die Beratungsverträge hier in den
Anwendungsbereich des § 114 AktG.

Dabei
kann offen bleiben, ob die Überlegung des Berufungsgerichts zutrifft, die Aufträge
im Volumen einer jährlichen Honorarsumme in Höhe von etwa 1 Mio. € würden das
„Standing“ des Dr. S. in der Anwaltssozietät stärken
und begründeten schon deshalb ein beachtliches Eigeninteresse. Denn jedenfalls
betrug der intern auf Dr. S. entfallende
Honoraranteil schon nach dem Vortrag der Beklagten – die Klägerin hat demgegenüber
einen höheren Honoraranteil behauptet – etwa 10.000 € pro Jahr. Das ist weder
absolut noch im Vergleich zu seiner Aufsichtsratsvergütung in Höhe von 149.000 €
für 2008 – bei einer Festvergütung in Höhe von 20.000 € – eine zu vernachlässigende
Leistung, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Nach dem
Schutzzweck des § 114 AktG ist dabei auf die Gesamthöhe der gezahlten Vergütungen
abzustellen und nicht auf den Umfang des einzelnen Auftrags.

Eine
Ausnahme von der Anwendbarkeit des § 114 AktG ergibt sich auch nicht aus dem
Umstand, dass nach dem Vortrag der Beklagten etwa zwei Drittel der Beratungsverträge
nicht mit ihr, sondern mit einer von ihr abhängigen Gesellschaft geschlossen
worden sind. Dabei kann offen bleiben, ob das Berufungsgericht diesen Vortrag
zu Recht nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen hat. Ebenfalls offen bleiben
kann, ob Beratungsverträge mit verbundenen Unternehmen grundsätzlich – etwa
analog § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG – in den Anwendungsbereich des § 114 AktG
fallen (zum Meinungsstand s. MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 114 Rn. 16
f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 114 Rn. 2b). Denn jedenfalls bedürfen nach dem
Schutzzweck des § 114 AktG Beratungsverträge von Aufsichtsratsmitgliedern oder
deren Sozietäten mit von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen einer
Zustimmung des Aufsichtsrats, wenn der Vorstand in der Lage ist, den Vertragsschluss
mit dem abhängigen Unternehmen zu beeinflussen (Hopt/Roth in GroßKommAktG, 4.
Aufl. § 114 Rn. 41; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 114 Rn. 2b; MünchKommAktG/Habersack,
3. Aufl., § 114 Rn. 17; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, AktG §
114 Rn. 14; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 114 Rn. 14;
Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 114 Rn. 7; Lutter/Kremer, ZGR
1992, 87, 105 f.; Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 87 f.; E. Vetter, ZIP 2008, 1, 9;
Semler, NZG 2007, 881, 885; Pietzke, BB 2012, 658, 659; aA Mertens in KK-AktG,
2. Aufl., § 114 Rn. 8; s. auch OLG Hamburg, ZIP 2007, 814, 818). Davon ist nach
§§ 17 f. AktG im Regelfall auszugehen. Dass hier etwas anderes gelten würde,
hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und macht auch die Revision nicht
geltend.

(2)
Mit der Zahlung von Honoraren an die Sozietät N. zu
einem Zeitpunkt, zu dem der Aufsichtsrat seine Zustimmung zu den Beratungs-verträgen
noch nicht erteilt hatte, verstieß der Vorstand jedenfalls nach dem vom
Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt gegen § 114 Abs. 1 AktG.

Allerdings
ergibt sich schon aus § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG, dass der Aufsichtsrat den
Vertrag auch (nachträglich) genehmigen kann, und zwar auch noch nach Zahlung
der Vergütung. Ob eine Genehmigung auch dann möglich ist, wenn ein wegen
ungenauer Bezeichnung der Vertragspflichten gegen § 113 AktG verstoßender
Beratungsvertrag nachträglich konkretisiert wird, hat der Senat bisher
offengelassen (Urteil vom 20. November 2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 Rn.
15). Die Frage kann auch hier offen bleiben, weil das Berufungsgericht nicht
festgestellt hat, dass die geschlossenen Beratungsverträge nicht ausreichend
konkretisiert waren, sondern im Gegenteil unterstellt hat, dass sie sich nur
auf Tätigkeiten außerhalb der Pflichten des Dr. S. als
Aufsichtsrat bezogen haben.

Aus
der Möglichkeit, einen Beratungsvertrag zu genehmigen, folgt aber entgegen
einer in der Literatur vertretenen Meinung (Drygala, ZIP 2011, 427 ff.; Becker,
Der Konzern 2011, 233, 234 f.; Habersack, NJW 2011, 1234; Müller/König, CCZ
2011, 116 ff.; vgl. auch Linnerz, EWiR 2011, 203, 204; Pietzke, BB 2012, 658,
660 ff.) nicht, dass der Vorstand pflichtgemäß handelt, wenn er dem
Aufsichtsratsmitglied oder der Sozietät, an der das Aufsichtsratsmitglied
beteiligt ist, schon vor der Genehmigung des Vertrages durch den Aufsichtsrat
eine Vergütung zahlt. Der Vertrag ist bis zur Entscheidung über die Genehmigung
schwebend unwirksam. Ein Zahlungsanspruch aus dem Vertrag besteht daher noch
nicht. Die präventive Kontrolle, die eine Umgehung des § 113 AktG und eine
Beeinflussung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds verhindern soll,
hat noch nicht stattgefunden. Ob der Aufsichtsrat dem Vertragsschluss zustimmen
wird, steht noch nicht fest. Deshalb ist es dem Vorstand regelmäßig untersagt,
auf die bloße Erwartung hin, dass der Vertrag genehmigt wird, schon eine Vergütung
zu zahlen.

An
der Rechtswidrigkeit einer solchen Vergütungszahlung ändert sich – wie das
Berufungsgericht richtig gesehen hat – nichts, wenn der Aufsichtsrat den
Vertrag anschließend genehmigt (Spindler, NZG 2011, 334, 336 f.; wohl auch
Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 114 Rn. 47). Er gilt dann zwar nach §
184 Abs. 1 BGB als von Anfang an wirksam. Das ändert aber nichts daran, dass
sich der Vorstand grundsätzlich regelwidrig verhalten hat, indem er eine Vergütung
gezahlt hat, bevor der Vertrag vom Aufsichtsrat genehmigt worden ist. Dass der
Aufsichtsrat den Vertrag nachträglich als unbedenklich bezeichnet, schafft
einen Rechtsgrund für die Vergütungszahlung, vermag aber nichts daran zu ändern,
dass die nach dem Gesetzeszweck erforderliche präventive Kontrolle durch den
Aufsichtsrat zum Zeitpunkt der Vergütungs-zahlung noch nicht stattgefunden hat.
Schon die Zahlung einer zum Zahlungszeitpunkt rechtsgrundlosen Vergütung stellt
jedenfalls regelmäßig eine Privilegierung des Aufsichtsratsmitglieds dar, die
durch § 114 AktG gerade verhindert werden soll.

Dagegen
kann nicht eingewandt werden, das Erfordernis der vorherigen Zustimmung des
Aufsichtsrats sei angesichts seiner geringen Sitzungsfrequenz unpraktikabel und
führe dazu, dass keine Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern oder
deren Sozietäten geschlossen werden würden. Zum einen kann der Aufsichtsrat die
Zuständigkeit für Entscheidungen nach § 114 AktG auf einen Ausschuss übertragen,
wie ein Umkehrschluss aus § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG ergibt (Hüffer, AktG, 10.
Aufl., § 114 Rn. 6). Zum anderen verbietet § 114 AktG nicht, einen
Beratungsvertrag ohne vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats zu schließen und
seitens des Aufsichtsratsmitglieds zu erfüllen. Dadurch entsteht noch keine
Verflechtung zwischen Vorstand und Aufsichtsratsmitglied, wie sie von § 114
AktG verhindert werden soll. Dazu kann es erst kommen, wenn der Vorstand auch
die Vergütung vor der Entscheidung des Aufsichtsrats zahlt. Die sich aus der
Anwendung des § 114 AktG gegebenenfalls ergebende zeitliche Verzögerung der
Honorarzahlung ist der Preis, den ein Aufsichtsratsmitglied zahlen muss, wenn
es von der Gesellschaft Aufträge bekommen will (BGH, Urteil vom 20. November
2006 – II ZR 279/07, BGHZ 170, 60 Rn. 9).

c)
Wegen dieses – jedenfalls unter Zugrundelegung des vom Berufungsgericht
festgestellten Sachverhalts gegebenen – Gesetzesverstoßes sind die
Entlastungsbeschlüsse der Beklagten aber entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts nicht anfechtbar. Es fehlt an einem eindeutigen und
schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß.

Die
Rechtsfrage, von der die Rechtmäßigkeit der Zahlungen abhängt, war keineswegs –
wie das Berufungsgericht angenommen hat – eindeutig zu beantworten. Soweit
ersichtlich, hatte zum Zeitpunkt der Hauptversammlung vom 8. Mai 2009 lediglich
das Oberlandesgericht München in einem Urteil vom 24. September 2008 (ZIP 2009,
1667, 1668 mit insoweit offener Anmerkung von Ziemons, FD-HGR 2008, 269757) die
Meinung vertreten, Zahlungen an Aufsichtsrats-Anwälte oder deren Sozietäten
ohne vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats blieben auch dann rechtswidrig, wenn
die Genehmigung später erteilt werde. Diese Meinung war im
rechtswissenschaftlichen Schrifttum nicht vertreten worden (siehe etwa
Lutter/Drygala in Festschrift für Ulmer, 2003, S. 381, 396 f.). Die nach Veröffentlichung
des Berufungsurteils in der vorliegenden Sache zahlreich erschienenen
gegenteiligen Literaturbeiträge zeigen, dass es durchaus als vertretbar
angesehen werden konnte, die Rückwirkung der Genehmigung des Aufsichtsrats nach
§ 184 Abs. 1 BGB nicht nur auf den Rechtsgrund für die Zahlung, sondern auch
auf die Frage zu beziehen, ob das Verhalten des Vorstands noch als rechtswidrig
angesehen werden kann. Solange diese Frage nicht höchstrichterlich geklärt war,
konnten die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats nicht von einer
eindeutigen Rechtslage ausgehen (vgl. Henze, Der Aufsichtsrat 2011, 59).

III.
Das angefochtene Urteil lässt sich auch nicht aus anderen Gründen
aufrechterhalten.

1.
Die Entlastungsbeschlüsse sind nicht wegen Verletzung des § 161 AktG
anfechtbar.

a)
§ 161 AktG ist auf die Societas Europaea anwendbar (Lutter in KK-AktG, 3.
Aufl., § 161 Rn. 32).

b)
Gemäß § 161 Satz 1 AktG in der am 8. Mai 2009, dem Tag der Hauptversammlung,
geltenden Fassung (jetzt § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG) haben Vorstand und Aufsichtsrat
einer – wie hier – börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den
Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance
Kodex“ (DCGK) entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht
angewandt wurden oder werden. Ist die Entsprechenserklärung von vornherein in
einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einer später
eintretenden Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht
umgehend berichtigt, so liegt darin ein Gesetzesverstoß, der dazu führen kann,
dass eine unter Verstoß gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG dennoch erteilte
Entlastung anfechtbar ist im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG (BGH, Urteil vom 21.
September 2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rn. 16 – Umschreibungsstopp; Urteil
vom 16. Februar 2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 19 – Kirch/Deutsche Bank).

Nach
Nr. 5.5.3 Satz 1 DCGK ist der Aufsichtsrat verpflichtet, über aufgetretene
Interessenkonflikte und ihre Behandlung im Bericht an die Hauptversammlung zu
informieren. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ohne dass erklärt wird, die
Verwaltung folge der Empfehlung in Nr. 5.5.3 Satz 1 DCGK nicht, führt das aber
nur dann zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse, wenn es sich dabei – wie
auch sonst (siehe oben Rn. 9) – um einen eindeutigen und schwerwiegenden
Gesetzesverstoß handelt. Dafür muss die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung
über einen Formalverstoß hinausgehen und auch im konkreten Einzelfall Gewicht
haben. Zudem ist die hier in Betracht kommende Informationspflichtverletzung –
nämlich die fehlende Erwähnung des Interessenkonflikts im Bericht an die
Hauptversammlung – nach der Wertung des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur dann von
Bedeutung, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als
Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und
Mitgliedschaftsrechts ansähe (BGH, Urteil vom 21. September 2009 – II ZR
174/08, BGHZ 182, 272 Rn. 18 – Umschreibungsstopp).

Nach
diesen Grundsätzen sind die Entlastungsbeschlüsse nicht wegen eines Verstoßes
gegen § 161 AktG anfechtbar. Die Entsprechenserklärung des Vorstands und des
Aufsichtsrats, die nach der Feststellung des Berufungsgerichts insoweit keine
Besonderheiten enthielt, war nicht in diesem Sinne unrichtig.

a)
Zwar hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass auf den durch die
Auftragserteilung an die Sozietät des Aufsichtsratsmitglieds Dr. S. ausgelösten
Interessenkonflikt und seine Behandlung – wie in Nr. 5.5.3 Satz 1 DCGK an sich
vorgesehen – in dem Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nach §
171 AktG berichtet worden ist. Es wird darauf aber in dem Corporate-Governance-Bericht
der Beklagten hingewiesen. Das stellt keine berichtspflichtige Abweichung vom
Kodex dar.

b)
In dem im Geschäftsbericht enthaltenen Corporate-Governance-Bericht für das
Jahr 2008 heißt es dazu:

Ein
Mitglied des Aufsichtsrats ist Mitglied einer Anwaltskanzlei, die für den
Konzern rechtsberatend tätig ist. Der Aufsichtsrat hat dieser Mandatierung
zugestimmt. …

Damit
waren der Interessenkonflikt, in dem sich das Aufsichtsratsmitglied befunden
hat, und seine Behandlung ausreichend offen gelegt. Es bedurfte weder der
Bekanntgabe des Namens noch der Mitteilung, ob das betroffene
Aufsichtsratsmitglied an der Beschlussfassung über die Zustimmung mitgewirkt
hat. Insoweit konnte davon ausgegangen werden, dass sich das
Aufsichtsratsmitglied gesetzmäßig verhalten und das in diesen Fällen geltende
Stimmverbot (BGH, Urteil vom 2. April 2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 13)
beachtet hatte. Wenn ein Aktionär insoweit Zweifel hatte, stand es ihm frei, in
der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft zu verlangen, die ihm nach § 131
Abs. 1 Satz 1 AktG hätte erteilt werden müssen (vgl. Kersting in KK-AktG, 3.
Aufl., § 131 Rn. 221).

c)
Ob in dem Corporate-Governance-Bericht hätte mitgeteilt werden müssen, dass die
Vergütungen an die Sozietät des Aufsichtsratsmitglieds schon vor der Zustimmung
des Aufsichtsrats gezahlt worden sind, bedarf keiner Entscheidung. Auch wenn
das angenommen würde, läge in der dann falschen Entsprechenserklärung aus den
oben genannten Gründen jedenfalls keine eindeutige und schwerwiegende
Rechtsverletzung, die zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse führen würde.

2.
Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich aber
nicht beurteilen, ob die Entlastungsbeschlüsse wegen Verstoßes gegen § 131 AktG
anfechtbar sind.

a)
Auch § 131 AktG ist auf die Societas Europaea anwendbar, weil weder die SE-Verordnung
noch das deutsche SE-Ausführungsgesetz eine Regelung über das Auskunftsrecht
enthält oder eine entsprechende Regelung in der Satzung zulässt.

b)
Dass die Klägerin in der Hauptversammlung nicht selbst Fragen gestellt hat,
schließt eine auf die Verletzung des Auskunftsrechts gestützte Anfechtungsklage
nicht aus. Es genügt, dass die Klägerin in der Hauptversammlung gegen die
Entlastungsbeschlüsse Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat (vgl. BGH,
Urteil vom 15. Juni 1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 13).

c)
Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Entlastungsbeschluss wegen
Verletzung des Informationsrechts eines Aktionärs (§ 131 AktG) rechtswidrig und
daher gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn das nicht oder nicht ausreichend
beantwortete Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht gerichtet ist,
die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung
sind (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389 f.).

Das
trifft auf die Fragen 1 bis 3 und 5 zu, die sich auf die Beratungsverträge mit
der Sozietät N. beziehen. Es wurde gefragt, wann welches
Mandat zugunsten welcher Konzerngesellschaft erteilt worden ist, wann und in
welcher Höhe insoweit Zahlungen erfolgt sind, wann und auf welcher Tatsachengrundlage
die Mandate genehmigt worden sind und wie der Aufsichtsrat geprüft hat, ob das
einzelne Mandat genehmigt werden kann. Weiter von Bedeutung sein können die
Frage zu 4, die auf Verträge mit dem Beratungsunternehmen des
Aufsichtsratsmitglieds Prof. Dr. R. B. abzielt,
und die Fragen zu 9 bis 12, die sich auf Bewertungsfragen, Schmiergeldzahlungen
und Tantiemeberechnungen beziehen.

Ob
die dazu gegebenen Antworten ausreichend sind, hat das Berufungsgericht – von
seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht festgestellt. Das nachzuholen, hat
es in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung Gelegenheit.
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