BGH, Beschluss vom 08.10.2013, II ZB 26 / 12

 

Tatbestand

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Die Antragsteller sind Aktionäre der Antragsgegnerin, einer Aktiengesellschaft. Mit einer Adhoc-Meldung vom 11. Februar 2011 gab die Antragsgegnerin den vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossenen Wechsel vom regulierten Markt der Wertpapierbörse in Berlin in den Entry Standard des Freiverkehrs (Open Market) der Frankfurter Wertpapierbörse bekannt. Am 16. Februar 2011 wurde der Widerruf der Zulassung am regulierten Markt wirksam; seither sind die Aktien der Antragsgegnerin in den Entry Standard einbezogen. Mit ihren am 9. Mai 2011 bzw. 16. Mai 2011 eingegangenen Anträgen haben die Antragsteller ein Spruchverfahren zur Festlegung einer angemessenen Barabfindung beantragt. Das Landgericht hat die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerden der Antragsteller sind ohne Erfolg geblieben. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Antragsteller.

 

Gründe

 

II.

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Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg. Es ist kein
Spruchverfahren zur Ermittlung einer Barabfindung durchzuführen. Bei einem
Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt auf
Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine
Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines
Pflichtangebotes.

 

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1. Der Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten
Markt nach § 39 Abs. 2 BörsenG auf Antrag der Gesellschaft führt nicht zu einer
Beeinträchtigung des Aktieneigentums. Der Bundesgerichtshof ist allerdings
davon ausgegangen, dass für die Minderheits- und Kleinaktionäre, deren
Engagement bei einer Aktiengesellschaft allein in der Wahrnehmung von
Anlageinteressen besteht, der Wegfall des Handels im regulierten Markt
wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich bringt, die auch nicht durch die
Einbeziehung der Aktien in den Freihandel ausgeglichen werden können, und dass
daher der verfassungsrechtliche Schutz des Aktieneigentums der Minderheitsaktionäre
gebietet, dass ihnen mit dem Beschlussantrag an die Hauptversammlung, die über
den Widerruf der Börsenzulassung zu entscheiden hat, ein Pflichtangebot über
den Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft oder ihren Großaktionär vorzulegen
ist (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff.).

 

Dieser Rechtsprechung ist durch die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, nach der der Widerruf der Börsenzulassung für den
regulierten Markt den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs
nicht berührt (BVerfG, ZIP 2012, 1402 [BVerfG 11.07.2012 – 1 BvR 3142/07]), die
Grundlage entzogen. Der Widerruf der Börsenzulassung nimmt danach dem Aktionär
keine Rechtspositionen, die ihm von der Rechtsordnung als privatnützig und für
ihn verfügbar zugeordnet sind; er lässt die Substanz des Anteilseigentums in
seinem mitgliedschaftsrechtlichen und seinem vermögensrechtlichen Element
unbeeinträchtigt. Zu dem von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Bestand zählt nur
die rechtliche Verkehrsfähigkeit, während die tatsächliche Verkehrsfähigkeit
eine schlichte Ertrags- und Handelschance ist.

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Die mitgliedschaftsrechtliche Stellung des Aktionärs wird
durch den Rückzug von der Börse nicht wie bei einer Mediatisierung seiner
Mitwirkungsrechte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 – II ZR 174/80,
BGHZ 83, 122, 136 ff.; Urteil vom 26. April 2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30,
37 ff.) geschwächt (BGH, Urteil vom 25. November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153,
47, 54).

 

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2. Ein Barabfindungsangebot ist nicht in entsprechender
Anwendung von § 207 UmwG erforderlich. Teilweise wird zwar vertreten, dass
wegen einer Ähnlichkeit des Verlustes der Börsennotierung mit einem Formwechsel
die umwandlungsrechtlichen Vorschriften über den Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG)
entsprechend anwendbar seien (Drygala/Staake, ZIP 2013, 905, 912; aA
Wackerbarth, WM 2012, 2077, 2078; Kiefner/Gillessen, AG 2012, 645, 653).
Dagegen spricht aber schon, dass ein Formwechsel bei einer Aktiengesellschaft
nicht immer zu einer Barabfindung führt. Nach § 250 UmwG ist § 207 UmwG auf den
Formwechsel einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien
oder den umgekehrten Fall nicht anwendbar.

 

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Die Unterschiede zwischen einer börsennotierten und einer
nicht börsennotierten Aktiengesellschaft kommen einem Formwechsel auch nicht
gleich, weil die Vorschriften, die eine Börsennotierung voraussetzen, weder die
Organisationsstruktur noch die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft
entscheidend verändern. Zwar knüpfen zahlreiche Vorschriften des Aktienrechts
an die Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt (§ 32 Abs. 1
BörsenG) an (§ 67 Abs. 6 Satz 2, § 87 Abs. 1 Satz 2, § 93 Abs. 6, § 100 Abs. 2
Nr. 4, § 110 Abs. 3, § 120 Abs. 4 Satz 1, § 121 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4a und Abs.
7, § 122 Abs. 2 Satz 3, § 123 Abs. 3 Satz 3, § 124 Abs. 1 Satz 2, § 124a Satz
1, § 125 Abs. 1 Satz 3, § 126 Abs. 1 Satz 3, § 130 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2
und Abs. 6, § 134 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Sätze 3 und 4, § 135 Abs. 5 Satz 4,
§ 149 Abs. 1, § 161 Abs. 1 Satz 1, § 171 Abs. 2 Satz 2, § 175 Abs. 2 Satz 1, §
176 Abs. 1 Satz 1, § 248a Satz 1, § 328 Abs. 3 und § 404 Abs. 1 Satz 1 und Abs.
2 Satz 1 AktG über die Legaldefinition in § 3 Abs. 2 AktG, § 20 Abs. 8 AktG und
§ 21 Abs. 5 AktG über § 21 Abs. 2 WpHG, der im Inland ebenfalls nur die
Zulassung im regulierten Markt betrifft [vgl. § 2 Abs. 5 WpHG,
MünchKomm-AktG/Bayer, 3. Aufl., Anh. § 22, § 21 WpHG Rn. 12]). Weder die Börsenzulassung
noch ihr Widerruf erfordern aber nach den genannten aktienrechtlichen
Vorschriften in jedem Fall eine Satzungsänderung. Die grundlegende
Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft oder die Beteiligungsrechte sind
von den genannten Vorschriften nicht betroffen. Die Zulassung zum Handel im
regulierten Markt kann schließlich auch ohne Antrag der Gesellschaft, etwa
wegen eines geringen Handelsumsatzes, widerrufen werden (§ 39 Abs. 1 BörsenG).
Wenn der Widerruf der Zulassung einem Formwechsel gleichkommen soll, müsste
auch für diesen Fall ein Formwechsel angenommen werden. Regelungen für einen
zwangsweisen Formwechsel enthalten die §§ 190 ff. UmwG jedoch nicht.

 

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3. Das Erfordernis eines Pflichtangebots folgt auch nicht
aus § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG. Teilweise wird vertreten, dass der Vorstand einen
Beschluss der Hauptversammlung herbeiführen müsse, weil er nicht selbst über
die rechtlichen Bedingungen entscheiden dürfe, unter denen er für die
Gesellschaft unternehmerische Entscheidungen treffe, und bei Vorhandensein
eines Großaktionärs dieser einen ihm durch das Delisting bzw. Downlisting
entstehenden Sondervorteil durch ein Abfindungsangebot nach § 243 Abs. 2 Satz 2
AktG ausgleichen müsse (Wackerbarth, WM 2012, 2077, 2079 f.). Dagegen spricht schon,
dass aktienrechtlich eine Beteiligung der Hauptversammlung nicht vorgeschrieben
ist (§ 119 Abs. 1 AktG). Sie kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass
der Vorstand nicht über die Regeln für seine eigene Vergütung (§ 87 Abs. 1 Satz
2 AktG) mitbestimmen, Berichtspflichten abschaffen (§ 176 Abs. 1 AktG), die
Verjährung seiner Haftung bei Pflichtverletzungen verkürzen (§ 93 Abs. 6 AktG),
seine Strafbarkeit verringern (§ 404 Abs. 1 AktG) oder über das Stimmrecht von
Aktionären entscheiden (§ 328 Abs. 3 AktG) soll. Dass eine
Geschäftsführungsmaßnahme auch günstige Auswirkungen auf den Vorstand hat,
nimmt ihm nicht die Geschäftsführungsbefugnis. Wenn der Vorstand
Geschäftsführungsmaßnahmen nicht alleine verantworten soll, ist in erster Linie
der Aufsichtsrat und nicht die Hauptversammlung zur Mitwirkung berufen (§ 111
Abs. 1 und 4 AktG). Abgesehen davon passt die Regelung in § 243 Abs. 2 AktG auf
das Delisting nicht. Der Börsenrückzug ist nicht immer ein Sondervorteil, den
ein Großaktionär gesucht hat. In § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG ist ein angemessener
Ausgleich und keine Abfindung für die anderen Aktionäre vorgesehen, und das
Fehlen eines angemessenen Ausgleichs führt nicht zu einem Spruchverfahren,
sondern zur Nichtigerklärung des Beschlusses (§ 243 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1
AktG).

 

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4. Auf den Rückzug von der Börse ist auch nicht § 29 Abs. 1
Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG entsprechend anzuwenden (aA Klöhn, NZG 2012, 1041,
1045; Habersack, ZHR 176 [2012], 463, 464 f.). Allerdings ist die Vorschrift
eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die formwahrende Verschmelzung
grundsätzlich abfindungsfrei ist. Wenn dennoch bei der Verschmelzung einer
börsennotierten auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft ein
Abfindungsangebot zu machen ist, beruht dies auf dem Wechsel aus dem
regulierten Markt. Daraus kann aber nicht entnommen werden, dass der
Gesetzgeber mit § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG einen allgemeinen
Grundsatz anerkennen wollte, dass der Wechsel aus dem regulierten Markt in
jedem Fall zu einer Abfindung führt. Dem Anerkenntnis eines solchen allgemeinen
Grundsatzes steht entgegen, dass für andere Fälle des „kalten“
Delistings, in denen Maßnahmen auf indirektem Weg zur Beendigung der Zulassung
führen können, wie bei der Eingliederung in eine nicht börsennotierte
Aktiengesellschaft, keine Barabfindung vorgesehen ist (§ 320b Abs. 1 Satz 2
AktG). Die Gesetzesbegründung verweist auch nicht auf einen allgemeinen
Grundsatz, sondern sieht nur in der faktischen Erschwernis der Veräußerbarkeit
der Aktien einen Grund zur Gleichbehandlung mit der Verschmelzung auf einen
nicht börsenfähigen Rechtsträger (Gesetzentwurf der Bundesregierung eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, BT-Drucks. 16/2919 S.
13). Bis zur Einfügung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG waren die
Aktionäre vor einer Beeinträchtigung durch das „kalte“ Delisting bei
der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine
nichtbörsennotierte Aktiengesellschaft nicht geschützt. Für das reguläre Delisting
enthält dagegen bereits § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG eine Regelung, wonach der
Widerruf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf.

 

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Dass nur der spezielle Fall des sogenannten
„kalten“ Delistings bei der Verschmelzung einer börsennotierten
Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft geregelt
werden sollte und § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG nicht Ausdruck eines
allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist, nach dem der Rückzug von der Börse mit einem
Barabfindungsangebot einhergehen muss, folgt auch aus der
Gesetzgebungsgeschichte des zweiten Gesetzes zur Änderung des
Umwandlungsgesetzes. Der Bundesrat hatte unter Berufung auf das Urteil des
Senats vom 25. November 2002 (II ZR 133/01, BGHZ 153, 47) darum gebeten, die
Aufzählung der dem Spruchverfahrensgesetz unterliegenden Verfahren in § 1
SpruchG um das Delisting zu erweitern (Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks.
548/06 S. 10). Die Bundesregierung hat dies in ihrer Gegenäußerung (BT-Drucks.
16/2919 S. 28) abgelehnt, weil die Diskussion in Wissenschaft und Praxis über
die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Delistings andauere und der
Gesetzgeber keine vorschnelle Antwort geben solle.

 

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5. Eine Pflicht zu einem Barabfindungsangebot besteht auch
nicht aufgrund einer nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG, ZIP 2012, 1402, 1406 [BVerfG 11.07.2012 – 1 BvR 3142/07]) zulässigen
Gesamtanalogie zu gesetzlichen Regelungen anderer gesellschaftsrechtlicher
Strukturmaßnahmen (§§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG) (im Ergebnis
ebenso Wasmann in KK-AktG, 3. Aufl., § 1 SpruchG Rn. 25; Bungert/Wettich, DB
2012, 2265, 2268 f.; Goetz, BB 2012, 2767, 2773; Kiefner/Gillessen, AG 2012,
645, 651 f.). Da keine Gesamtanalogie zu diesen Vorschriften zu bilden ist und
der Rückzug von der Börse auch nicht unter den Fällen genannt ist, in denen
nach § 119 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung beschließt, besteht auch keine
aktienrechtliche Pflicht, einen Hauptversammlungsbeschluss herbeizuführen.

 

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a) Der Widerruf der Börsenzulassung ist keine
Strukturmaßnahme und ähnelt ihr nicht. Die Binnenstruktur der Gesellschaft
erfährt dadurch, dass sie sich aus dem regulierten Markt der Börse zurückzieht,
keine Veränderung (Kiefner/Gillessen, AG 2012, 645, 651 f.; Wackerbarth, WM
2012, 2077, 2078). Die aktienrechtlichen Vorschriften, die auf die
Börsennotierung abstellen, dienen nur mittelbar den Vermögens- und
Mitgliedsinteressen des einzelnen Aktionärs (BVerfG, ZIP 2012, 1402, 1405 f.
[BVerfG 11.07.2012 – 1 BvR 3142/07]). Sie berühren die Interessen des Aktionärs
– wie etwa die Besonderheiten bei der Vorstandsvergütung oder der
Vorstandshaftung – kaum oder führen – wie etwa die Veränderung der
Informationspflichten im Zusammenhang mit der Einberufung der Hauptversammlung
-nicht zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen der Beteiligung in einem
Ausmaß, das einer Strukturänderung gleichkommt und eines entsprechenden
Schutzmechanismus bedarf.

 

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b) Auch die bedeutenderen Auswirkungen des Rückzugs aus dem
regulierten Markt im Kapitalmarktrecht auf die Interessen der Anleger
rechtfertigen eine analoge Anwendung der Vorschriften über Strukturmaßnahmen
nicht. Die Meldepflichten für einen Beteiligungserwerb sind nach § 21 Abs. 1
Satz 1 WpHG bei börsennotierten Gesellschaften differenzierter als in § 20 Abs.
1 und 4 AktG; ein Kontrollwechsel kann aber grundsätzlich auch bei nicht
börsennotierten Gesellschaften nicht unbemerkt stattfinden. Ein wesentlicher
Unterschied liegt darin, dass bei einer nicht börsennotierten Gesellschaft kein
Pflichtangebot nach § 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG gemacht werden muss. Allerdings
genießen auch die Aktionäre einer börsennotierten Gesellschaft keinen
vollständigen Schutz durch ein Barabfindungsangebot nach dem Kontrollerwerb.
Die einzelnen Aktionäre haben keinen Anspruch auf eine Gegenleistung, wenn
entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG kein Pflichtangebot veröffentlicht wird (BGH, Urteil
vom 11. Juni 2013 – II ZR 80/12, WM 2013, 1511 Rn. 11 ff.); vielmehr ist eine
Kontrolle öffentlichrechtlich durch die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht organisiert. Die Verbote bei Insidergeschäften (§
14 WpHG) und das Marktmanipulationsverbot (§ 20a WpHG) gelten auch für nicht
börsennotierte Gesellschaften, solange sie in den Freiverkehr einbezogen sind (§
12 Satz 1 Nr. 1 WpHG). Lediglich die Ad-hoc-Publizitätspflicht gemäß § 15 WpHG
trifft nach § 2 Abs. 7 WpHG nur Gesellschaften, deren Aktien zum Handel im
regulierten Markt zugelassen sind oder die einen Antrag auf Zulassung gestellt
haben (§ 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Der Verlust solcher Informationspflichten
rechtfertigt aber keine gesellschaftsrechtlichen, sondern allenfalls
kapitalmarktrechtliche Maßnahmen.

 

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c) Der Schutz der Anleger ist in § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG
geregelt. Dass dieser Schutz vor den tatsächlichen Beeinträchtigungen der
Verkehrsfähigkeit durch den vollständigen Rückzug von der Börse oder den
Wechsel in andere Börsensegmente durch das Börsengesetz unzureichend und
darüber hinaus gesellschaftsrechtlich ein Barabfindungsangebot erforderlich
ist, lässt sich entgegen der früheren Annahme des Senats (BGH, Urteil vom 25.
November 2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 54), die allerdings den
grundrechtlichen Schutz des Aktieneigentums im Blick hatte, nicht feststellen.

 

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§ 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG verlangt, dass der Widerruf der
Zulassung zum Handel im regulierten Markt nicht dem Schutz der Anleger
widersprechen darf. Soweit die Börsenordnungen vorsehen, dass nach der
Bekanntgabe der Widerrufsentscheidung den Anlegern ausreichend Zeit verbleiben
muss, die vom Widerruf betroffenen Wertpapiere im regulierten Markt zu
veräußern, und dazu die Wirksamkeit des Widerrufs bis zu sechs Monate
hinausschieben, wenn den Aktionären nicht gleichzeitig ein Kaufangebot
unterbreitet wird (z.B. § 40 Abs. 2 der Börsenordnung für die Frankfurter
Wertpapierbörse), bleibt der Schutz der Anleger hinter dem Schutz durch ein
Barabfindungsangebot nicht zurück. Der Aktionär kann sich damit selbst für eine
Deinvestition entscheiden, wenn er Vermögensnachteile aus dem Börsenrückzug und
der Veränderung der Rahmenbedingungen für seine Investition befürchtet. Dass
schon die Ankündigung des Börsenrückzugs regelmäßig zu einem Kursverlust führt,
lässt sich nicht feststellen (Heldt/Royé, AG 2012, 660, 667 f.). Wenn der Anleger
sich unter diesen Voraussetzungen selbst für eine Deinvestition zum aktuellen
Börsenkurs entscheidet, steht er im wirtschaftlichen Ergebnis nicht anders als
bei einem Barabfindungsangebot. Auch bei einem Barabfindungsangebot muss sich
der Anleger zeitnah entscheiden, ob er es annimmt. Er kann nicht die weitere
Kursentwicklung abwarten und darf nicht zu Lasten der Gesellschaft oder ihres
Großaktionärs spekulieren.

 

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Auch wenn die Geschäftsführungen der Börse die sofortige
Wirksamkeit des Widerrufs ohne ein Kaufangebot an die Anleger zulassen, wie
hier offensichtlich die Berliner Börse im Fall des Wechsels in den Freiverkehr
der Frankfurter Börse, muss dies nicht notwendig dem in § 39 Abs. 2 Satz 2
BörsenG verlangten Schutz der Anleger widersprechen. Die plötzliche Veränderung
der Grundlagen der Beteiligung ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts keine Eigentumsbeeinträchtigung. Eine
Beeinträchtigung der Liquidität der Beteiligung und des Veräußerungswerts muss
mit dem Wechsel, etwa vom regulierten Markt einer kleinen Börse in ein
gesuchtes Segment des Freiverkehrs einer großen Börse, nicht zwangsläufig
verbunden sein. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kurswert der Aktie
infolge des Wechsels in den (qualifizierten) Freiverkehr grundsätzlich sinkt
(Heldt/Royé, AG 2012, 660, 667 f.). Das war auch im Fall des Downlisting der
Aktien der Antragsgegnerin nicht anders. Soweit die Rechtsbeschwerdeführer einen
Kursverlust von 10% zwischen Veröffentlichung des Widerrufs und
Beschwerdeeinlegung beklagt haben, hat dem die Antragsgegnerin unwidersprochen
entgegengehalten, dass der Kursverlust der allgemeinen Kursentwicklung
entsprochen habe.

 

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Wenn die Anleger in der Verwaltungspraxis nicht ausreichend
geschützt werden, ist einer unzutreffenden Anwendung von § 39 Abs. 2 Satz 2
BörsenG mit den verwaltungsrechtlichen, auch aufsichtsrechtlichen Mitteln zu
begegnen. § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsenG bietet, wie der 8. Revisionssenat des
Bundesverwaltungsgerichts in seiner Stellungnahme zu den
Verfassungsbeschwerden, die zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
11. Juli 2012 geführt haben, betont hat (1 BvR 3142/07, […] Rn. 35),
ausreichende Ansatzpunkte für einen angemessenen, mit Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Zulassung durchsetzbaren Schutz der
betroffenen Aktionäre. Hierdurch kann ein effektiver Rechtsschutz auch
unabhängig von einer Erstreckung der grundrechtlichen Eigentumsgarantie nach
Art. 14 GG auf die durch eine Börseneinführung gesteigerte Verkehrsfähigkeit
der Aktien gewährleistet werden. Soweit der Gesetzgeber im Kapitalmarktrecht
den Anlegerschutz allein öffentlichrechtlich ausgestaltet hat, ist eine
Ergänzung durch einen zivilrechtlichen Anspruch der Anleger nicht schon deshalb
veranlasst, weil ein individuell durchsetzbarer Anspruch für sinnvoll oder
effektiver gehalten wird.

 

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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 15 Abs. 2 und 4
SpruchG, die auch für Rechtsmittelverfahren gelten (BGH, Beschluss vom 13.
Dezember 2011 – II ZB 12/11, ZIP 2012, 266 Rn. 21). Angesichts der ungeklärten
Rechtslage bestand kein Anlass, aus Billigkeitsgründen die Gerichtskosten den
Rechtsbeschwerdeführern aufzuerlegen.

 
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