BFH, Urteil vom 29.06.2011, IX R 63 / 10

 

Tatbestand

I.
Die Beteiligten streiten um die Steuerbarkeit der Veräußerung eines von Todes
wegen erworbenen Grundstücks. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind
zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.

Die
Klägerin und ihre Schwester sind aufgrund notariellen Testaments die alleinigen
Erbinnen zu gleichen Teilen ihrer verstorbenen Mutter (Erblasserin). In § 3 des
Testaments räumte die Erblasserin der Klägerin das Recht ein, nach ihrem Tod
ihren gesamten Grundbesitz (Grundstück mit Wohnhaus und Landwirtschaftsflächen)
zu übernehmen. Hierfür sollte die Klägerin an ihre Schwester einen Betrag von
25 % des auf den Tod der Erblasserin festzustellenden Verkehrswerts des
Grundbesitzes bezahlen.

Nach
dem Tod der Erblasserin am 5. Mai 2002, die keine weiteren Vermögenswerte
hinterließ, nahm die Klägerin das Übernahmerecht mit Schreiben vom 12. Februar
2003 wahr und bot ihrer Schwester mit notariellem Angebot vom 16. April 2003
den Abschluss eines Grundstücksübertragungsvertrags an. Hierin war u.a.
bestimmt, dass die Klägerin 25 % des geschätzten Verkehrswertes von 238.800 €
an ihre Schwester bezahlen sollte, was „einem Übernahmepreis von 50 % des
Verkehrswerts bei hiermit erfolgter sofortiger Aufteilung unter den beiden
Erben im Wege der Teilerbauseinandersetzung entspricht“ (§ 1 Nr. 5 des
Grundstücksübertragungsvertrags). Die Schwester der Klägerin nahm das Angebot
an und die Klägerin leistete vereinbarungsgemäß 59.700 € an ihre Schwester.

Mit
notariellem Vertrag vom 7. April des Streitjahres (2004) veräußerte die Klägerin
den Grundbesitz zu einem Preis von insgesamt 240.000 €. In ihrer
Einkommensteuererklärung erfasste die Klägerin den Veräußerungsvorgang nicht.

Der
Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ging –veranlasst durch
eine Veräußerungsmitteilung– davon aus, dass die Klägerin die nicht auf ihren
eigenen Erbanteil entfallende Grundstückshälfte entgeltlich von ihrer Schwester
erworben habe und sah in der Weiterveräußerung ein privates Veräußerungsgeschäft.
Den Gewinn ermittelte er, indem er vom erzielten Grundstücksveräußerungspreis
120.000 € der Grundstückshälfte der Schwester zurechnete und hiervon die
Anschaffungskosten von 59.700 € abzog. Den Differenzbetrag, vermindert um die
Veräußerungskosten (2.642 €), unterwarf das FA in Höhe von 57.658 € als Veräußerungsgewinn
der Besteuerung.

Mit
dem dagegen eingelegten Einspruch begehrte die Klägerin, lediglich einen Veräußerungsgewinn
von 300 € anzusetzen, weil sie das Grundstück lediglich zu einem Viertel
entgeltlich erworben habe. Sie habe ein Viertel des Grundstücks durch die Ausgleichszahlung
angeschafft.

Einspruch
und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in
Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 706 veröffentlichten Urteil zur Begründung
aus, im Streitfall sei ein Vorausvermächtnis (§ 2150 des Bürgerlichen
Gesetzbuches –BGB–) und keine Erbauseinandersetzung anzunehmen. Es handele
sich um ein Kaufrechtsvermächtnis, dessen Gegenstand das Übernahmerecht als
solches sei. Das Grundstück werde zur Hälfte (nämlich die Hälfte der Schwester)
entgeltlich erworben. Soweit einem Wirtschaftgut Anschaffungskosten zugeordnet
würden, werde es angeschafft.

Hiergegen
richtet sich die Revision der Kläger, die sie auf Verletzung materiellen Rechts
(§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres
–EStG–) stützen. Es müsste das Verhältnis der Ausgleichsleistung zum übernommenen
Vermögen angesetzt werden. Es komme darauf an, ob das Kaufrechtsvermächtnis
einkommensteuerrechtlich im Rahmen der Erbauseinandersetzung wie eine
Ausgleichszahlung behandelt werde oder ob außerhalb der Erbauseinandersetzung
ein eigener Tatbestand vorliege. Die Erfüllung von Erbfallschulden stelle
normalerweise keinen Anschaffungs- und Veräußerungsvorgang dar.

Die
Kläger beantragen sinngemäß,

das
angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr vom 23. März 2010 insoweit zu ändern, als keine Einkünfte aus
privaten Veräußerungsgeschäften der Besteuerung zugrunde gelegt werden.

Das
FA beantragt,

die
Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und
Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, die Klägerin hätte die Hälfte des
Grundstücks entgeltlich erworben, und verletzt damit § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG.

1.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG
sind Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften bei Grundstücken steuerbar,
bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn
Jahre beträgt. Im Streitfall hatte die Klägerin das Grundstück nur zu einem
Viertel entgeltlich erworben und deshalb keinen Veräußerungsgewinn realisiert. Ist
der Klägerin für den unentgeltlichen Erwerb zu drei Viertel nämlich die –außerhalb
der Veräußerungsfrist gelegene– Anschaffung der Rechtsvorgängerin zuzuordnen,
steht den Anschaffungskosten für den entgeltlich erworbenen Grundstücksteil von
59.700 € lediglich ein Veräußerungspreis von 60.000 € gegenüber, so dass sich
nach Abzug der Veräußerungskosten kein Gewinn ergibt.

Die
Klägerin hat das Grundstück aufgrund des testamentarisch eingeräumten Vermächtnisses
zu drei Viertel unentgeltlich –und damit nur zu einem Viertel entgeltlich–
erworben.

a)
Der Senat pflichtet dem FG und den Beteiligten dahin bei, dass Rechtsgrundlage
für den Erwerb des Grundstücks das testamentarisch eingeräumte Übernahmerecht
ist.

Wenn
die Erblasserin in § 3 des notariellen Testaments der Klägerin das Recht einräumt,
das Grundstück zu übernehmen, so ordnet sie ein Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB)
an. Aufgrund dessen erwirbt die bedachte Klägerin mit dem Tod der Erblasserin
eine aufschiebend bedingte Forderung gemäß § 2174 BGB gegen den Beschwerten
(hier die Erbengemeinschaft) auf Übertragung des Grundstücks gegen Zahlung des
von der Erblasserin festgelegten Preises (vgl. zu Kaufrechtsvermächtnissen
eingehend die Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 13. August 2008 II R
7/07, BFHE 222, 71, BStBl II 2008, 982, und vom 8. Oktober 2008 II R 15/07,
BFHE 222, 93, BStBl II 2009, 245). Da die Erblasserin der Klägerin als begünstigter
Miterbin über ihren Erbteil hinaus etwas zuwenden will (nämlich das gesamte
Grundstück zu einem Preis, der unter dem Verkehrswert der Kaufsache liegt; vgl.
dazu BFH-Urteil vom 6. Juni 2001 II R 76/99, BFHE 195, 415, BStBl II 2001,
605), erschöpft sich die Regelung nicht in einer Verteilung der Nachlassgegenstände
im Rahmen der Erbteile (hier zu je 1/2) und es handelt sich damit nicht um eine
Teilungsanordnung (§ 2048 BGB), sondern um ein Vermächtnis (vgl. zur Abgrenzung
BFH-Urteil vom 15. März 1994 IX R 84/89, BFH/NV 1994, 847).

b)
Der Erwerb von Vermögen aufgrund eines Vermächtnisses ist zwar regelmäßig ein
unentgeltlicher Vorgang. Etwas anderes gilt indes dann, wenn der Vermächtnisnehmer
für den Erwerb des vermachten Gegenstandes eine Gegenleistung erbringen muss
(BFH-Urteil vom 13. November 2002 I R 110/00, BFH/NV 2003, 820; Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 14. März 2006, BStBl I 2006, 253, Tz 63;
aus dem Schrifttum vgl. z.B. Reiß in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 16 Rz 92). So
liegt ein in vollem Umfang entgeltliches Geschäft vor, wenn der Vermächtnisnehmer
für den Erwerb des vermachten Gegenstandes eine Gegenleistung erbringen muss,
deren Wert die vermächtnisweise Zuwendung annähernd ausgleicht (so BFH-Urteil
in BFH/NV 2003, 820). Ist das aber nicht der Fall, muss also der Vermächtnisnehmer
den Wert der Zuwendung nicht voll ausgleichen, handelt es sich um ein
teilentgeltliches Erwerbsgeschäft, das in einen entgeltlichen und in einen
unentgeltlichen Teil aufzuteilen ist (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2000 IX R 50,
51/97, BFH/NV 2000, 1396; vgl. dazu die h.M. im Schrifttum, z.B. Musil in
Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 23 EStG Rz 236; Schmidt/Weber-Grellet, EStG,
30. Aufl., § 23 Rz 43; Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 98, jeweils m.w.N.).

c)
Nur in Bezug auf den entgeltlichen Teil des Erwerbs liegt ein Anschaffungsvorgang
vor und erfüllt die bedachte Klägerin mithin die Voraussetzungen eines
steuerbaren Veräußerungsgeschäfts. Soweit sie unentgeltlich erworben hat, ist
ihr nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Anschaffung durch den Rechtsvorgänger
zuzurechnen. Da der Vermächtnisnehmer nicht Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolger
des Erblassers ist (BFH-Urteil vom 6. März 1975 IV R 213/71, BFHE 116, 254,
BStBl II 1975, 739), ist er Einzelrechtsnachfolger der Erbengemeinschaft, die
ihrerseits den Nachlass unentgeltlich erworben und damit nicht angeschafft hat
(vgl. dazu BFH-Beschluss vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, BStBl II
1990, 837; BFH-Beschluss vom 28. Januar 1998 VIII B 9/97, BFH/NV 1998, 959).
Selbst wenn die Anschaffung durch den Erblasser gegen die Erbengemeinschaft
wirkt (vgl. dazu Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 23 Rz B 81;
HHR/Musil, § 23 EStG Rz 236) und die Klägerin nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG in
diese Position eintritt, ist für eine Veräußerung in laufender Veräußerungsfrist
nichts ersichtlich.

2.
Da das angefochtene Urteil den dargelegten Maßstäben nicht entspricht, ist es
aufzuheben.

a)
Das FG geht unzutreffend davon aus, die Klägerin hätte Anschaffungskosten für
die zusätzlich zu ihrem Erbteil erworbene Grundstückshälfte der Schwester
getragen. Die Klägerin erwarb aber nicht nur –wie das FG ausführt– in Höhe
ihres eigenen Anteils am Grundstückswert unentgeltlich. Vielmehr erwarb die Klägerin
durch den Erbfall zunächst nur einen Anteil an der Erbengemeinschaft und eben
nicht einen Anteil am Grundbesitz. Hinterlässt ein Erblasser mehrere Erben, so
geht sein Vermögen mit seinem Tode im Ganzen auf die Erben über und wird bei
ihnen zu gemeinschaftlichem Vermögen (§ 1922 Abs. 1, § 2032 Abs. 1 BGB). Das
Grundstück, um das es hier geht, ging also auf die Erbengemeinschaft über. Von
dieser erwarb es schließlich die Klägerin, und zwar –wie dargelegt– zu drei
Viertel unentgeltlich. Rechtsgrundlage für diesen Erwerb ist das Vorausvermächtnis,
mit dem die Erblasserin die Klägerin bedachte und mit dem sie die
Erbengemeinschaft, bestehend aus der Klägerin und ihrer Schwester, belastete.
In Erfüllung dieses Vermächtnisses gemäß § 2174 BGB kam sodann der Grundstücksübertragungsvertrag
vom 17. April 2003 zustande, mit dem die Erbengemeinschaft der Klägerin –in
einer mit „Teilerbauseinandersetzung“ (§ 2 des Vertrags) überschriebenen
Klausel– das Grundstück übertrug.

b)
Die Klägerin hat mit der Veräußerung des Grundstücks für 240.000 € ein nach §
23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbares Veräußerungsgeschäft nur insoweit
verwirklicht, als sie das Grundstück aufgrund des Grundstücksübertragungsvertrags
in Erfüllung des Vermächtnisses entgeltlich erworben hatte. Dies geschah hier
in Höhe von 25 %. Denn die Klägerin musste lediglich einen Betrag von 25 % des
Verkehrswerts an die Miterbin zahlen. Damit ist den Anschaffungskosten von
59.700 € ein anteiliger Veräußerungspreis von 60.000 € gegenüberzustellen, so
dass sich unter Berücksichtigung von unstreitigen Veräußerungskosten kein Gewinn
nach § 23 Abs. 3 EStG ergibt.

3.
Die Sache ist spruchreif; der Klage ist stattzugeben. Die Klägerin hat nach den
tatsächlichen Feststellungen des FG keinen Veräußerungsgewinn erzielt.

Ob,
wie die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vorträgt, darüber hinaus ein
Verlust entstanden ist, kann offenbleiben, weil sie explizit den Antrag
gestellt hat, keine Einkünfte zu berücksichtigen. Der BFH darf nach § 96 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. § 121 FGO nicht über diesen Antrag hinausgehen.
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