BFH, Urteil vom 27.09.2012, II R 9 / 11

Tatbestand

Der
Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist zu 1/4 Miterbe des im Januar 2009 verstorbenen
Bruders seines Vaters. Der Nachlass setzte sich aus Guthaben bei
Kreditinstituten und einem Steuererstattungsanspruch zusammen. Der Wert des auf
den Kläger entfallenden Anteils am Nachlass belief sich auf 51.266 €.

Nach
Berücksichtigung des für Personen der Steuerklasse II vorgesehenen
Freibetrags von 20.000 € gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 5 des
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der für Erwerbe, für die die
Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entstanden ist, geltenden Fassung –ErbStG–
(Art. 1 des Erbschaftsteuerreformgesetzes –ErbStRG– vom 24. Dezember
2008, BGBl I 2008, 3018, § 37 Abs. 1 ErbStG) und nach Abrundung gemäß
§ 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG verblieb ein steuerpflichtiger Erwerb
von 31.200 €, für den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–)
die Erbschaftsteuer unter Anwendung des für die Steuerklasse II geltenden
Steuersatzes von 30 % (§ 19 Abs. 1 ErbStG) auf 9.360 €
festsetzte.

Einspruch
und Klage, mit denen der Kläger eine Herabsetzung der Steuer auf 4.680 €
begehrte, blieben erfolglos. Der Kläger war der Meinung, der in § 19 Abs. 1
i.V.m. § 37 Abs. 1 ErbStG in der für Steuerentstehungszeitpunkte nach
dem 31. Dezember 2009 geltenden Fassung des Art. 6 des
Wachstumsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 2009 –ErbStG n.F.–
(BGBl I 2009, 3950) für steuerpflichtige Erwerbe in der Steuerklasse II
vorgesehene Steuersatz von 15 % sei aus Gründen der Gleichbehandlung auch
im Streitfall anzuwenden.

Das
Finanzgericht wies die Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte
2011, 1079 veröffentlichte Urteil mit der Begründung ab, die Anwendung des
Steuersatzes von 30 % verstoße weder gegen das Grundrecht aus Art. 6
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
(Art. 3 Abs. 1 GG). Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten,
Personen der Steuerklasse II erbschaftsteuerrechtlich besser zu behandeln
als Personen der Steuerklasse III. Verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden sei auch, dass die Gleichstellung der Personen der Steuerklasse II
und III nur für Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr 2009 gelte, während für die
Zeit davor und danach die Personen der Steuerklasse II
erbschaftsteuerrechtlich besser behandelt würden als die Personen der
Steuerklasse III. Der Gesetzgeber habe dadurch seinen Gestaltungsspielraum
nicht überschritten.

Der
Kläger rügt mit der Revision Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 6
Abs. 1 GG. Die Änderung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz zugunsten der Personen der Steuerklasse II
hätte rückwirkend auf das Jahr 2009 erfolgen müssen.

Der
Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und unter Änderung des
Erbschaftsteuerbescheids vom 17. Februar 2010 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung die Erbschaftsteuer auf 4.680 € herabzusetzen.

Das
FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der
Senat hat durch Beschluss vom 5. Oktober 2011 II R 9/11 (BFHE
234, 368, BStBl II 2012, 29) gemäß § 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, und darauf hingewiesen, dass es im
Streitfall um die Fragen gehe, ob die auf Steuerentstehungszeitpunkte im Jahr
2009 beschränkte Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III
verfassungsgemäß ist und ob § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. §§ 13a und
13b ErbStG deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt, weil §§ 13a
und 13b ErbStG es ermöglichen, durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die
Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von
dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl zu erreichen.

Das
BMF, das dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Auffassung, die
Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III im Jahr 2009 sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es bestehe keine
verfassungsrechtliche Pflicht, Erwerber der Steuerklasse II und III
unterschiedlich zu behandeln. Der Gesetzgeber sei auch nicht verpflichtet
gewesen, die Anwendung der Neufassung des § 19 Abs. 1 ErbStG durch
das Wachstumsbeschleunigungsgesetz rückwirkend auf Steuerentstehungszeitpunkte
im Jahr 2009 anzuordnen. Die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b
ErbStG seien bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten durch die
Erhaltung von Arbeitsplätzen beim Betriebsübergang auf Erben oder durch
Schenkung gerechtfertigt. Dass Betriebe mit weniger Beschäftigten die
Steuervergünstigungen ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen
beanspruchen könnten, diene der Verringerung des Bürokratieaufwands für Unternehmen
und Verwaltung. Überwiegend vermögensverwaltenden Betrieben stünden diese
Steuervergünstigungen nicht zu. Bei dem Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 2
Satz 1 ErbStG) handle es sich typisierend um Vermögen, das in erster Linie
der weitgehend risikolosen Renditeerzielung diene und in der Regel weder die
Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen
bewirke. Sonstige Forderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen,
Festgeldkonten und Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie Forderungen
an verbundene Unternehmen zählten nicht zum Verwaltungsvermögen, da sie keine
Wertpapieren vergleichbare Forderungen seien (§ 13b Abs. 2 Satz 2
Nr. 4 ErbStG).

Zu
der vom Senat im Beschluss in BFHE 234, 368, BStBl II 2012, 29 gestellten Frage
zu den praktischen Erfahrungen mit den darin aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten
machte das BMF lediglich statistische Angaben. Es teilte nicht mit, wie die
Finanzverwaltung diese Gestaltungsmöglichkeiten beurteilt und behandelt.

Gründe

Die
Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist gemäß Art. 100 Abs. 1
Satz 1 GG i.V.m. § 80 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes geboten.
Der Senat ist zwar der Ansicht, dass die Gleichstellung von Personen der
Steuerklasse II und III im Jahr 2009 verfassungsrechtlich hinzunehmen ist.
Er ist aber davon überzeugt, dass die Vorschrift des § 19 Abs. 1
ErbStG i.V.m. §§ 13a und 13b ErbStG wegen Verstoßes gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, weil die in
§§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Steuervergünstigungen in wesentlichen
Teilbereichen von großer finanzieller Tragweite über das verfassungsrechtlich
gerechtfertigte Maß hinausgehen und dadurch die Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen
nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit
entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt werden.

I.
Rechtslage/Rechtsentwicklung

1.
Der Steuertarif

§ 19
Abs. 1 ErbStG sieht insgesamt acht unterschiedliche Steuersätze (Prozentsätze)
im Bereich von 7 % bis 50 % vor, nach denen die Erbschaftsteuer
erhoben wird. Die Höhe des jeweils anzuwendenden Steuersatzes richtet sich zum
einen nach der Höhe des Werts des steuerpflichtigen Erwerbs i.S. von § 10 ErbStG
und zum anderen nach der anzuwendenden Steuerklasse (§ 15 ErbStG), die
ihrerseits vom persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder
Schenker abhängt. Zur Steuerklasse II gehören nach § 15 Abs. 1
ErbStG die Eltern und Voreltern, soweit sie nicht zur Steuerklasse I gehören,
die Geschwister, die Abkömmlinge ersten Grades von Geschwistern, die
Stiefeltern, die Schwiegerkinder, die Schwiegereltern und der geschiedene
Ehegatte. Der Steuerklasse III sind die nicht zur Steuerklasse I oder
II rechnenden Erwerber und die Zweckzuwendungen zugeordnet.

Die
in § 19 Abs. 1 ErbStG für Personen der Steuerklasse II und III
bestimmten Steuersätze stimmen überein. § 19 Abs. 1 ErbStG weicht
insoweit sowohl von den früheren Fassungen der Vorschrift als auch von § 19
Abs. 1 ErbStG n.F. ab, die für Erwerber der Steuerklasse II Steuersätze
vorsehen, die von einzelnen Ausnahmen bei bestimmten Wertstufen abgesehen
zwischen den Steuersätzen für Erwerber der Steuerklasse I und III liegen.
Die bis zum Jahr 2008 geltende Fassung des § 19 Abs. 1 ErbStG ergab
sich aus Art. 19 Nr. 7 des Steuer-Euroglättungsgesetzes vom 19. Dezember
2000 (BGBl I 2000, 1790).

2.
Bemessungsgrundlage/steuerpflichtiger Erwerb

§ 10
ErbStG regelt die Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs. Als solcher gilt
nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers,
soweit sie nicht nach den im Einzelnen genannten Vorschriften des ErbStG (u.a. §§ 13a
und 13c ErbStG) steuerfrei ist. Als Bereicherung gilt beim Erwerb von
Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 ErbStG) gemäß § 10
Abs. 1 Satz 2 ErbStG unbeschadet § 10 Abs. 10 ErbStG der
Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden
Wert des gesamten Vermögensanfalls, soweit er der Besteuerung nach dem ErbStG
unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen
Nachlassverbindlichkeiten mit ihrem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert
abgezogen werden. Bei Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2,
§ 7 ErbStG) gilt dies gemäß § 1 Abs. 2 ErbStG entsprechend (vgl.
Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 8. Oktober 2003 II R 46/01,
BFHE 204, 299, BStBl II 2004, 234, und vom 11. Mai 2005 II R 12/02,
BFH/NV 2005, 2011). Der Besteuerung unterliegt danach der Nettovermögenszuwachs
des Erwerbers.

3.
Entwicklung der Steuervergünstigungen für den Erwerb von Betriebsvermögen, von
Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und von Anteilen an
Kapitalgesellschaften

a)
Steuervergünstigungen für den Erwerb von Betriebsvermögen, Betrieben der Land-
und Forstwirtschaft und von Anteilen an Kapitalgesellschaften wurden beginnend
für Steuerentstehungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 1993 in mehreren
Schritten im ErbStG vorgesehen. Wegen der Einzelheiten der früheren
Rechtsentwicklung wird auf die Ausführungen im BVerfG-Beschluss vom 7. November
2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192,
unter A.I.3.a cc, c bb, d bb) und im BFH-Beschluss vom 22. Mai 2002 II R 61/99
(BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598, unter B.I.4.a, b cc, d) verwiesen. Nach § 13a
Abs. 1 ErbStG in der für Erwerbe, für die die Steuer vor dem 1. Januar
2009 entstanden ist, geltenden Fassung (ErbStG a.F.) war bei einem Erwerb von
Betriebsvermögen, von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und von Anteilen
an Kapitalgesellschaften bei Vorliegen der gesetzlich bestimmten
Voraussetzungen zunächst ein Freibetrag von 225.000 € abzuziehen. Der
verbleibende Wert war gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG a.F. mit 65 %
anzusetzen.

b)
Das BVerfG hat mit dem Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192 auf die
Vorlage des BFH im Beschluss in BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598 entschieden,
dass § 19 Abs. 1 ErbStG vom 17. April 1974 (BGBl I 1974, 933) in
der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (BGBl I 1997, 378) in
allen seinen seitherigen Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit
unvereinbar ist, als er die Erwerber von Vermögen, das gemäß § 10 Abs. 1
Satz 1 Halbsatz 1, Satz 2, § 12 ErbStG i.V.m. den von § 12
ErbStG in Bezug genommenen Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) in der
Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1991 (BGBl I 1991, 230), zuletzt
geändert durch das Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3794),
bewertet wird, unabhängig von der jeweiligen Vermögensart mit einheitlichen
Steuersätzen belastet. Das BVerfG ließ die weitere Anwendung des bisherigen
Rechts bis zu einer spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffenden
Neuregelung zu.

c)
Die vom BVerfG geforderte Neuregelung hat der Gesetzgeber im ErbStRG für
Erwerbe getroffen, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entsteht
(§ 37 Abs. 1 ErbStG). Die Bewertung von Grundbesitz, von nicht
notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften und von Betriebsvermögen für die
Erbschaftsteuer ab 1. Januar 2009 wurde dabei in § 12 Abs. 2, 3
und 5 ErbStG i.V.m. §§ 157 bis 203 BewG sowie in den Anlagen 14 bis 26
zum BewG neu geregelt. Die Neuregelung ist gemäß § 205 Abs. 1 BewG
auf Bewertungsstichtage nach dem 31. Dezember 2008 anzuwenden.

Die
Steuerbefreiung für Betriebsvermögen, Betriebe der Land- und Forstwirtschaft
und Anteile an Kapitalgesellschaften wurde in §§ 13a und 13b ErbStG
ebenfalls neu geregelt. § 13a ErbStG wurde durch Art. 6 Nr. 1 des
Wachstumsbeschleunigungsgesetzes in der Weise geändert, dass die
Voraussetzungen für die Steuerbefreiung in verschiedener Hinsicht gelockert
wurden, und zwar gemäß § 37 Abs. 3 Satz 1 ErbStG i.d.F. des Art. 6
Nr. 4 Buchst. b des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes bereits für
Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entstanden ist.

Die
Vorschrift des § 19a ErbStG über die für natürliche Personen der
Steuerklasse II oder III geltende Tarifbegrenzung beim Erwerb von
Betriebsvermögen, von Betrieben der Land- und Forstwirtschaft und von Anteilen
an Kapitalgesellschaften wurde durch das ErbStRG ebenfalls für Erwerbe, für die
die Steuer nach dem 31. Dezember 2008 entsteht (§ 37 Abs. 1
ErbStG), neu gefasst und durch Art. 6 Nr. 3 des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
mit Wirkung zum gleichen Zeitpunkt geändert.

d)
Die Änderungen des § 13b Abs. 2 ErbStG durch Art. 14 Nr. 2
des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010,
1768) sind nach § 37 Abs. 4 ErbStG i.d.F. des Art. 14 Nr. 6
JStG 2010 auf Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 13. Dezember
2010 entsteht. Die weiteren Änderungen der §§ 13a und 13b durch Art. 8
Nr. 1 und 2 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November
2011 (BGBl I 2011, 2131) sind gemäß § 37 Abs. 6 ErbStG i.d.F. des
Art. 8 Nr. 3 dieses Gesetzes auf Erwerbe anzuwenden, für die die
Steuer nach dem 30. Juni 2011 entsteht. Diese Änderungen betreffen somit
nicht das Streitjahr 2009 und sind im Übrigen ohne Bedeutung für die Gründe,
die dem Vorlagebeschluss zugrunde liegen.

4.
Inhalt und Umfang der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG

§§ 13a
und 13b ErbStG unterscheiden zwischen einer Steuerbefreiung von 85 % und
von 100 %. Im Einzelnen gilt dabei Folgendes:

a)
Regelverschonung

Die
Regelverschonung ist in § 13a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13b
Abs. 4 ErbStG geregelt.

aa)
Danach sind 85 % des in § 13b Abs. 1 ErbStG genannten Vermögens
(Nr. 1: land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Nr. 2: Betriebsvermögen,
Nr. 3: bestimmte Anteile an Kapitalgesellschaften) begünstigt, wenn die
dafür in §§ 13a und 13b ErbStG im Einzelnen vorgesehenen
Voraussetzungen erfüllt sind. Der Wert solchen Vermögens bleibt in diesem Fall
in Höhe eines Verschonungsabschlags von 85 % außer Ansatz. Der
Erbschaftsteuer unterliegen somit nur 15 % des Werts. Je nach den Umständen
des Einzelfalles kann hiervon noch der in § 13a Abs. 2 ErbStG
vorgesehene Abzugsbetrag von 150.000 € abzuziehen sein.

bb)
Gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht begünstigt ist Vermögen
i.S. des § 13b Abs. 1 ErbStG, wenn das land- und forstwirtschaftliche
Vermögen oder das Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften zu mehr
als 50 % aus Verwaltungsvermögen besteht (zur Berechnung im Einzelnen vgl.
§ 13b Abs. 2 Sätze 4 und 5 ErbStG; nunmehr § 13b Abs. 2
Sätze 4 bis 6 ErbStG i.d.F. des Art. 14 Nr. 2 Buchst. a
JStG 2010).

Dies
beruht auf folgenden Erwägungen des Gesetzgebers (BTDrucks 16/7918, S. 35 f.):

„Überwiegend
vermögensverwaltende Betriebe sollen allgemein von den Verschonungen
ausgenommen bleiben. Durch die nach dem Einkommensteuerrecht geschaffene Möglichkeit,
Vermögensgegenstände, die nicht ihrer Natur nach der privaten Lebensführung
dienen, zu ‚gewillkürtem‘ Betriebsvermögen zu erklären, können praktisch alle
Gegenstände, die üblicherweise in Form der privaten Vermögensverwaltung
gehalten werden (vermietete und verpachtete Grundstücke und Gebäude,
Minderbeteiligungen an Kapitalgesellschaften, Wertpapiere), auch in Form eines
Gewerbebetriebs gehalten werden. Die derzeitigen Begünstigungen nach § 13a
ErbStG führten vermehrt zu solchen Gestaltungen. Vermögen, das in erster Linie
der weitgehend risikolosen Renditeerzielung dient und in der Regel weder die
Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen
bewirkt, wird daher nach der Zielrichtung dieses Gesetzentwurfs nicht begünstigt.“

cc) Was zum
Verwaltungsvermögen gehört, bestimmt im Einzelnen § 13b Abs. 2 Satz 2
ErbStG. Danach gehören zum Verwaltungsvermögen u.a.

 

– von bestimmten
Ausnahmen abgesehen Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke, Grundstücksteile,
grundstücksgleiche Rechte und Bauten (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
ErbStG);

 

– im Grundsatz Anteile
an Kapitalgesellschaften, wenn die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital
dieser Gesellschaften 25 % oder weniger beträgt (§ 13b Abs. 2
Satz 2 Nr. 2 ErbStG);

 

– Beteiligungen an
Gesellschaften i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3
oder § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und an
entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an
Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
ErbStG fallen, wenn bei diesen Gesellschaften das Verwaltungsvermögen mehr als
50 % beträgt (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG);

 

– von Ausnahmen für
Kreditinstitute, bestimmte Finanzdienstleistungsinstitute und
Versicherungsunternehmen abgesehen Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen
(§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG).

Da
§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG das Vermögen, das zum Verwaltungsvermögen
rechnet, im Einzelnen bestimmt, gehört Vermögen, das in dieser Vorschrift nicht
genannt ist, nicht deshalb zum Verwaltungsvermögen, weil es in erster Linie der
weitgehend risikolosen Renditeerzielung dient und in der Regel weder die
Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen
bewirkt. Vermögen, das § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG zum
Verwaltungsvermögen rechnet, kann andererseits nicht mit der Begründung, es lägen
erhebliche Risiken vor, als übriges, uneingeschränkt begünstigtes Betriebsvermögen
angesehen werden.

dd)
Wertpapiere i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG
werden dadurch gekennzeichnet, dass sie am Markt handelbar sind (vgl. § 2
Abs. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes –WpHG–, und im Einzelnen Geck in
Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG, Rz 130 ff.; S. Viskorf in
Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Bewertungsgesetz, 3. Aufl., § 13b ErbStG Rz 189 ff.;
Weinmann in Moench/Weinmann, § 13b ErbStG Rz 197 f.; R E
13b.17 Abs. 1 Sätze 2, 4 und 5 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011
–ErbStR 2011– vom 19. Dezember 2011, BStBl I 2011, Sondernummer 1,
2).

ee)
Wertpapieren vergleichbare Forderungen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2
Nr. 4 ErbStG sind solche, über die keine Urkunden ausgegeben wurden, die
aber nach § 2 Abs. 1 WpHG zu den Wertpapieren zählen, wie etwa stückelose
Staatsanleihen oder Inhaberschuldverschreibungen von Kreditinstituten. Sonstige
Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei
Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und
Forderungen an verbundene Unternehmen sowie Bargeld sind Wertpapieren nicht
vergleichbar (Geck, a.a.O., § 13b ErbStG, Rz 129, 132, 134 ff.; Geck,
Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge –ZEV– 2012, 399, 400; S. Viskorf,
a.a.O., § 13b ErbStG Rz 188, 191, 194 ff.; Weinmann, a.a.O., § 13b
ErbStG Rz 197, 200; Wachter, in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Auflage
§ 13b Rz 340 ff., m.w.N., Rz 360; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher,
ErbStG, § 13b Rz 314 f., m.w.N.; Meincke, Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 13b Rz 20; Moench/Hübner,
Erbschaftsteuer, 3. Aufl., Rz 1196; Korezkij, Deutsches Steuerrecht
–DStR– 2012, 1640, 1641; R E 13b.17 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2011;
H E 13b.17 der Hinweise zu den ErbStR 2011 vom 19. Dezember 2011,
BStBl I 2011, Sondernummer 1, 117).

Dies
ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
ErbStG, in dem anders als etwa in § 33 Abs. 3 Nr. 1 und § 158
Abs. 4 Nr. 3 und 6 BewG nicht die klaren Begriffe Zahlungsmittel,
Geldforderungen und Geschäftsguthaben verwendet werden.

Darüber
hinaus entspricht es regelmäßig dem Sinn und Zweck des § 13b Abs. 2
Satz 2 Nr. 4 ErbStG, dass insbesondere Geschäftsguthaben nicht zum Verwaltungsvermögen
gerechnet werden. Unternehmen benötigen nämlich im Rahmen ihrer Tätigkeit
laufend Zahlungsmittel, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Diese
Geschäftsguthaben dienen nicht der weitgehend risikolosen Renditeerzielung.

Diese
Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG wird auch
durch die Entstehungsgeschichte der Neuregelung bestätigt (Wachter, a.a.O., § 13b
Rz 346). Nach § 28a Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. d
ErbStG in der Fassung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge (BRDrucks 778/06) sollten
Geldbestände, Geldforderungen gegenüber Kreditinstituten sowie vergleichbare
Forderungen und Wertpapiere nicht zum begünstigten Vermögen gehören.
Hinsichtlich der Geldbestände, der Geldforderungen gegenüber Kreditinstituten
sowie der vergleichbaren Forderungen wurde dieser Gesetzentwurf nicht in das
ErbStG übernommen. Vielmehr wurden in § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
ErbStG die vergleichbaren Forderungen lediglich auf Wertpapiere bezogen.

Der
Bundesrat geht in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines JStG 2013 ebenfalls
davon aus, dass Zahlungsmittel, Sichteinlagen und Bankguthaben nicht zu den
Wertpapieren oder den Forderungen zählen, die Wertpapieren vergleichbar sind.
Er schlägt nämlich eine Neufassung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG
vor, nach der in der Vorschrift Zahlungsmittel, Sichteinlagen, Bankguthaben und
andere Forderungen ausdrücklich neben Wertpapieren sowie vergleichbaren
Forderungen erwähnt werden sollen (BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 113).

Zu
einem anderen Ergebnis kann auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 13b
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG nicht führen (vgl. unten B.II.6.g).

ff)
Schließt § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die Steuerbefreiung nicht
aus, sind die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG grundsätzlich
auch für das Verwaltungsvermögen zu gewähren. Lediglich Verwaltungsvermögen
i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 5 ErbStG, welches
dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre zuzurechnen war,
gehört nach § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG nicht zum begünstigten
Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 ErbStG.

gg)
Der Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) und der Abzugsbetrag (§ 13a
Abs. 2 ErbStG) fallen gemäß § 13a Abs. 5 Satz 1 ErbStG nach
Maßgabe des § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG mit Wirkung für die
Vergangenheit weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren
(Behaltensfrist) gegen eine der in § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1
bis 5 ErbStG bestimmten Behaltensregelungen verstößt. Der Wegfall des
Verschonungsabschlags beschränkt sich gemäß § 13a Abs. 5 Satz 2
ErbStG in den Fällen des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, 2, 4
und 5 ErbStG auf den Teil, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen
Verfügung verbleibenden Behaltensfrist einschließlich des Jahres, in dem die
Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltensfrist „ergibt“. Bei Überentnahmen
kommt es auf deren Umfang an (§ 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 3
ErbStG).

In
den Fällen des § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 ErbStG
ist nach § 13a Abs. 5 Satz 3 ErbStG von einer Nachversteuerung
abzusehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb der nach § 13b Abs. 1
ErbStG begünstigten Vermögensart verbleibt. Hiervon ist gemäß § 13a Abs. 5
Satz 4 ErbStG auszugehen, wenn der Veräußerungserlös innerhalb von sechs
Monaten in entsprechendes Vermögen investiert wird. Es ist dabei nicht
erforderlich, dass der Veräußerungserlös in Vermögen investiert wird, das wie
etwa betriebliche Grundstücke und Gebäude, Maschinen oder Fahrzeuge unmittelbar
der Erreichung des Unternehmenszwecks dient. Da Geldforderungen wie etwa
Sichteinlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten nicht zum Verwaltungsvermögen
i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG gehören, liegt eine zulässige
Reinvestition des Veräußerungserlöses vielmehr bereits dann vor, wenn er das
Guthaben auf dem betrieblichen Girokonto verstärkt oder im Betriebsvermögen
eines Betriebs derselben Vermögensart als Tages- oder Festgeld angelegt wird
(Geck in Kapp/Ebeling, a.a.O., § 13a ErbStG, Rz 121; Philipp in
Viskorf/Knobel/ Schuck, a.a.O., § 13a ErbStG Rz 153; Weinmann,
a.a.O., § 13a ErbStG Rz 146; Wachter, a.a.O., § 13a Rz 242;
Jülicher, a.a.O., § 13a Rz 359; Korezkij, DStR 2012, 1640, 1642; R E
13a.11 Satz 5 ErbStR 2011).

hh)
Bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten hängt die Gewährung des
Verschonungsabschlags nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG darüber
hinaus davon ab, dass innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb
(Lohnsummenfrist) die beim Erwerb vorhandenen Arbeitsplätze in bestimmtem
Umfang erhalten bleiben. Es kommt dabei nicht auf die Zahl der Arbeitsplätze,
sondern nach den in § 13a Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie Abs. 4
ErbStG im Einzelnen getroffenen Regelungen auf die Entwicklung der maßgebenden
Lohnsumme an. Unterschreitet die Summe der maßgebenden jährlichen Lohnsummen in
der Lohnsummenfrist die Mindestlohnsumme (400 % der Ausgangslohnsumme, § 13a
Abs. 1 Satz 2 ErbStG), vermindert sich gemäß § 13a Abs. 1
Satz 5 ErbStG der nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG zu gewährende
Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in demselben
prozentualen Umfang, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird.

Betriebe
mit einer Ausgangslohnsumme von 0 € oder mit nicht mehr als 20 Beschäftigten
sind hiervon nach § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG nicht betroffen.
Sie erhalten bei Erfüllung der o.g. allgemeinen Voraussetzungen den
Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13b
Abs. 4 ErbStG unabhängig von der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Es handelt
sich dabei um die weitaus größte Zahl von Betrieben. Nach dem Statistischen
Jahrbuch 2011 des Statistischen Bundesamts (S. 489) beschäftigten im Jahr
2008 über 91 % der erfassten Betriebe bis zu neun Arbeitnehmer. Rechnet
man die Betriebe mit 10 bis 20 Arbeitnehmern hinzu, hatten deutlich mehr
als 90 % der Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte (vgl. Weinmann,
a.a.O., § 13a ErbStG Rz 57). Da es sich bei den Betrieben mit einer
größeren Zahl von Arbeitnehmern häufig um Kapitalgesellschaften handelt, bei
denen der daran beteiligte Erwerber oder Schenker die in § 13b Abs. 1
Nr. 3 ErbStG geregelten Voraussetzungen für die Gewährung der Steuervergünstigungen
nicht erfüllt, spielen die Anforderungen an die Entwicklung der Lohnsummen in
der Zeit nach dem Erwerb im Ergebnis nur bei wenigen Betrieben eine Rolle.

b)
Option zur Vollverschonung

Der Erwerber kann
unter bestimmten Voraussetzungen durch Ausübung einer Option erreichen, dass
der Verschonungsabschlag 100 % beträgt und der Erwerb somit völlig
steuerfrei erfolgt (§ 13a Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Er muss dazu
nach § 13a Abs. 8 ErbStG unwiderruflich erklären, dass die
Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 1 bis 7 ErbStG i.V.m. § 13b
ErbStG nach folgender Maßgabe gewährt wird:

 

– § 13a Abs. 8
Nr. 1 ErbStG: Die in § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG bestimmte
Lohnsummenfrist beträgt nicht fünf, sondern sieben Jahre. An die Stelle der maßgebenden
Lohnsumme von 400 % tritt eine maßgebende Lohnsumme von 700 %.

 

– § 13a Abs. 8
Nr. 2 ErbStG: In § 13a Abs. 5 ErbStG tritt an die Stelle der
Behaltensfrist von fünf Jahren eine Behaltensfrist von sieben Jahren.

 

– § 13a Abs. 8
Nr. 3 ErbStG: Das land- und forstwirtschaftliche Vermögen oder das
Betriebsvermögen der Betriebe oder der Gesellschaften darf zu nicht mehr als 10 %
aus Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG
bestehen.

II.
Verfassungsrechtliche Prüfung

1.
Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

Der
allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem
Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu
behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen.
Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei
dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen aber
vorenthalten wird (BVerfG-Beschlüsse vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00,
BVerfGE 110, 412, unter C.II.1.; vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02,
BVerfGE 112, 164, unter B.I.1.; vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99,
BVerfGE 116, 164, unter C.I.1., und vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07
u.a., BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.a, je m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG
ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der
Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche
Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, u.a. also, wenn eine
Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen
anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von
solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung
rechtfertigen können (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 110, 412, unter C.II.1., und
in BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.b bb, je m.w.N.).

Im
Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber einen weitreichenden
Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch
bei der Bestimmung des Steuersatzes. Diese grundsätzliche Freiheit des
Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das
Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich
qualifiziert, wird für den Bereich des Steuerrechts vor allem durch zwei eng
miteinander verbundene Leitlinien begrenzt, nämlich durch die Ausrichtung der
Steuerlast an den Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit und der
Folgerichtigkeit (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192,
unter C.I.2.; in BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.a, und vom 18. Juli 2012 1 BvL 16/11,
Rz 41). Die mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffene
Belastungsentscheidung hat der Gesetzgeber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger
Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen
Ausgangstatbestandes folgerichtig umzusetzen. Ausnahmen von einer solchen
folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (BVerfG-Beschlüsse
vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, unter
C.I.2.a aa, und in BVerfGE 126, 400, unter B.I.2.a).

Der
Gleichheitssatz hat im Steuerrecht seine besondere Ausprägung in Form des
Grundsatzes der Steuergerechtigkeit gefunden, wobei die Besteuerung grundsätzlich
an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten ist. Die
Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich
und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Das danach –unbeschadet
verfassungsrechtlich zulässiger Differenzierungen– gebotene Gleichmaß
verwirklicht sich in dem Belastungserfolg, den die Anwendung der Steuersätze
beim einzelnen Steuerpflichtigen bewirkt.

Die
Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG)
fordert allerdings nicht einen gleichen Beitrag von jedem Inländer zur
Finanzierung der Gemeinlasten, sondern verlangt, dass jeder Inländer je nach
seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gleichmäßig zur Finanzierung der
allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen.
Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben
steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die
Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern ggf. auch ganzer Gruppen
vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf
allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen
Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung
notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Außerdem
darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen,
sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (BVerfG-Beschlüsse
in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter C.I.2.a, und in BVerfGE 120, 1,
unter C.I.2.a aa).

Der
Gesetzgeber ist durch den allgemeinen Gleichheitssatz auch nicht gehindert, außerfiskalische
Förderungs- und Lenkungsziele zu verfolgen. Führt ein Steuergesetz zu einer
steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen
Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche
Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der
Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten des Steuerpflichtigen aus Gründen des
Gemeinwohls fördern oder lenken will.

Bei
Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe kann die Entlastung dabei im
Ausnahmefall in verfassungsrechtlich zulässiger Weise sogar dazu führen, dass
bestimmte Steuergegenstände vollständig von der Besteuerung ausgenommen werden.
Der Kreis der Begünstigten muss dabei allerdings sachgerecht abgegrenzt sein.
Außerdem muss der Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen
Entscheidung getragen und seinerseits wiederum gleichheitsgerecht ausgestaltet
sein. Die Begünstigungswirkung muss den Begünstigungsadressaten daher möglichst
gleichmäßig zugutekommen. Sie darf nicht von Zufälligkeiten abhängen und deshalb
willkürlich eintreten, sondern muss sich direkt von der Entlastungsentscheidung
des Gesetzgebers ableiten lassen. Erforderlich ist schließlich auch ein
Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestandes.

Diese
Grundsätze gelten auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer (BVerfG-Beschlüsse
in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter C.I.2., und vom 17. April
2008 2 BvL 4/05, BVerfGE 121, 108, unter C.I.1.). Die
Grundentscheidung des Gesetzgebers, den mit dem Erbe anfallenden Vermögenszuwachs
jeweils entsprechend seinem Wert zu erfassen und die daraus resultierende
Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Erwerbers zu besteuern (§ 10
Abs. 1 ErbStG; vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 400, unter B.I.3.a bb),
muss danach folgerichtig umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen
folgerichtigen Umsetzung bedürfen auch bei dieser Steuerart eines besonderen
sachlichen Grundes (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192,
unter C.I.2.b, m.w.N.). Steuerliche Verschonungsnormen müssen bezogen auf die
verfolgten Lenkungszwecke zielgenau und normenklar ausgestaltet sein (BVerfG-Beschluss
in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter C.I.3.b aa und c).

Das
BVerfG hat seine Rechtsprechung, nach der die grundsätzliche Freiheit des
Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben
Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, vor allem
durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen
Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt wird,
durch den Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07
(BVerfGE 127, 224, unter D.I. und III.1.a) erneut bestätigt. Danach muss
jedenfalls bei den direkten Steuern, zu denen die Erbschaftsteuer und die
Schenkungsteuer gehören, im Interesse der verfassungsrechtlich gebotenen
steuerlichen Belastungsgleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei
gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern. Der Grundsatz der
gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten verlangt eine gesetzliche Ausgestaltung
der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht
darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt.
Der wirtschaftlich Leistungsfähigere muss danach höher belastet werden als der
wirtschaftlich Schwächere. Wirtschaftlich gleich Leistungsfähige müssen auch
gleich hoch besteuert werden.

Zusammengefasst
muss danach darauf abgezielt werden, die Steuergerechtigkeit sowohl in
„horizontaler“ Richtung (gleich hohe Besteuerung bei gleicher
Leistungsfähigkeit) als auch in „vertikaler“ Richtung (bei
unterschiedlicher Leistungsfähigkeit) zu gewährleisten (BVerfG-Beschlüsse in
BVerfGE 110, 412, unter C.II.2.a, m.w.N., und in BVerfGE 116, 164, unter
C.I.2.).

Nach
dem BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91
(BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, unter C.I.2.b bb) hat der
Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuerlast bei der Erbschaft- und
Schenkungsteuer zu berücksichtigen, dass die Existenz von bestimmten Betrieben
–namentlich von mittelständischen Unternehmen– durch zusätzliche finanzielle
Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer auftreten, gefährdet werden
kann. Derartige Betriebe, die durch ihre Widmung für einen konkreten Zweck
verselbständigt und als wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit
organisiert seien, seien in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und
gemeinwohlverpflichtet. Sie unterlägen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber
den Arbeitnehmern durch das Betriebsverfassungsrecht, das
Wirtschaftsverwaltungsrecht und durch die langfristigen Investitionen einer
gesteigerten rechtlichen Bindung. Dies habe zur Folge, dass die durch die
Erbschaftsteuer erfasste finanzielle Leistungsfähigkeit des Erben seinem durch
den Erbfall erworbenen Vermögenszuwachs nicht voll entspreche. Die Verfügbarkeit
über den Betrieb und einzelne dem Betrieb zugehörige Wirtschaftsgüter sei
beschränkter als bei nicht betrieblich gebundenem Vermögen.

Der
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) fordere danach, diese verminderte
Leistungsfähigkeit bei den Erben zu berücksichtigen, die einen solchen Betrieb
weiterführten, also den Betrieb weder veräußerten noch aufgäben, die ihn
vielmehr in seiner Sozialgebundenheit aufrechterhielten, ohne dass Vermögen und
Ertragskraft des Betriebs durch den Erbfall vermehrt würden. Die
Erbschaftsteuer müsse hier so bemessen werden, dass die Fortführung des
Betriebs steuerlich nicht gefährdet werde. Diese Verpflichtung, eine
verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen,
sei unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben.

Das
BVerfG hat in seiner neueren Rechtsprechung (Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl
II 2007, 192, unter C.II.2.b ee und 4.d) hervorgehoben, dass Umstände, die
sich in den der Besteuerung zugrunde liegenden Marktpreisen abbildeten, nicht
geeignet seien, zusätzliche Verschonungsregelungen zu begründen. Es hat demgemäß
zur Besteuerung des Erwerbs von Grundvermögen ausgeführt, bei dieser Vermögensart
bestehende Besonderheiten wie z.B. geringe Fungibilität, höhere Sozialbindung,
Mieterschutzbestimmungen, öffentlich-rechtliche Auflagen und die zusätzliche
Belastung durch Grundsteuer schieden als Rechtfertigung für
Verschonungsregelungen schon im Ansatz aus, soweit sich diese Besonderheiten
regelmäßig in den Marktpreisen abbildeten. Auch die Gemeinwohlbindung des land-
und forstwirtschaftlichen Vermögens kann nach dieser Entscheidung eine
Verschonungsregelung nicht rechtfertigen, wenn sich die Gemeinwohlbindung
bereits im gemeinen Wert abbildet.

2.
Verfassungsrechtlich maßgebliche Wechselwirkung von Steuertarif und
Steuerbemessungsgrundlage

Da
das ErbStG in § 19 ErbStG je nach Steuerklasse und Wert des
steuerpflichtigen Erwerbs einen einheitlichen Tarif vorsieht und
Differenzierungen bei der Belastung des Steuerpflichtigen auf der Ebene der
Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs vornimmt, können gleichheits- und
damit verfassungswidrige Vorschriften über die Ermittlung der
Bemessungsgrundlagen (Bewertungs- oder Befreiungsvorschriften) zu einem
gleichheits- und damit verfassungswidrigen Steuertarif führen. Erst über den
Tarif wirken sich die vom Gesetzgeber auf der Ebene der Erfassung des Erwerbs
angeordneten Differenzierungen aus. Bei komplexeren Regelungswerken ergibt sich
oft erst aus der Gesamtschau der Vorschriften (Bewertung, Vergünstigung und
Tarif) und deren Auswirkungen eine Gleichheitswidrigkeit (BVerfG-Beschluss in
BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter B.I.2.). Es sind demgemäß nicht die
einzelnen Begünstigungstatbestände isoliert zu betrachten, sondern ihre
Folgewirkungen über die Tarifvorschrift (BFH-Beschluss in BFHE 198, 342, BStBl
II 2002, 598, unter B.II.2.).

§ 19
ErbStG stellt somit eine „Klammernorm“ dar, über die Verstöße gegen
den Gleichheitssatz bei der Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs erst ihre
Wirkung entfalten. Die Belastungswirkung der Erbschaft- und Schenkungsteuer erschließt
sich erst aus dem Zusammenwirken des Steuertarifs mit den ausdifferenzierten
Vorschriften über die Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs einschließlich
der Regelungen über Steuerbefreiungen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1,
BStBl II 2007, 192, unter B.I.2.).

Dabei
führt nicht jeder Gleichheitsverstoß in einer Einzelregelung zur
Unvereinbarkeit der Tarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG mit Art. 3
Abs. 1 GG. Vielmehr muss im Hinblick darauf, dass eine verfassungswidrige
Tarifnorm das gesamte Gesetz erfasst, die mit dem Gleichheitssatz unvereinbare
Regelung nach der Zahl der betroffenen Steuerpflichtigen ebenso wie von ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung her wesentliche Teilbereiche des Erbschaft- und
Schenkungsteuerrechts betreffen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II
2007, 192, unter C.III.).

3.
Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II und III im Jahr 2009 nicht
verfassungswidrig

Nach
Ansicht des Senats ist die Gleichstellung von Personen der Steuerklasse II
und III im Jahr 2009 verfassungsrechtlich hinzunehmen (ebenso Längle in
Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, a.a.O., § 19 Rz 8a; Piltz, DStR 2010,
1913, 1922; a.A. Jülicher, a.a.O., § 19 Rz 2; Knobel in
Viskorf/Knobel/Schuck, a.a.O., § 19 ErbStG Rz 5; Geck, a.a.O., § 19
ErbStG, Rz 1; Wachter, Der Betrieb –DB– 2010, 74, 75; Crezelius, ZEV
2009, 1, 2; Stahl/Fuhrmann, Deutsche Steuer-Zeitung 2008, 13, 14).

a)
Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Erwerber der
Steuerklasse II besser zu stellen als Erwerber der Steuerklasse III.

Etwas
anderes lässt sich Art. 6 Abs. 1 GG nicht entnehmen. Diese Vorschrift
verpflichtet den Staat, die aus Eltern und Kindern bestehende
Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen wie auch im materiell-wirtschaftlichen
Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren und zu fördern.
Verfassungsrechtlichen Schutz genießt insofern die familiäre Verantwortlichkeit
füreinander, die von der wechselseitigen Pflicht von Eltern wie Kindern zu
Beistand und Rücksichtnahme geprägt ist, wie es auch der Gesetzgeber als
Leitbild der Eltern-Kind-Beziehung in § 1618a des Bürgerlichen Gesetzbuchs
statuiert hat (BVerfG-Beschluss vom 19. April 2005 1 BvR 1644/00
u.a., BVerfGE 112, 332, unter C.I.3.a). Art. 6 Abs. 1 GG bezieht sich
demgemäß nur auf die Familie als Gemeinschaft von Eltern und Kindern (BVerfG-Beschluss
vom 18. April 1989 2 BvR 1169/84, BVerfGE 80, 81,
unter B.I.1.), nicht aber auf Familienmitglieder im weiteren Sinn wie etwa Geschwister
oder Abkömmlinge von Geschwistern. Nach dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93,
165, BStBl II 1995, 671, unter C.I.2.b aa ist dementsprechend lediglich
bei Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1
ErbStG) der erbschaftsteuerliche Zugriff derart zu mäßigen, dass jedem dieser
Steuerpflichtigen der jeweils auf ihn überkommene Nachlass –je nach dessen Größe–
zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig
steuerfrei zugutekommt.

Aus
Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich nach Ansicht des Senats ebenfalls nicht
ableiten, dass Erwerber der Steuerklasse II besser als Erwerber der
Steuerklasse III gestellt werden müssen. Die Gleichbehandlung der Erwerber
der Steuerklasse II und III geht nicht über den dem Gesetzgeber
zustehenden weiten Gestaltungsspielraum bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer
hinaus.

b)
Aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden ist auch, dass die
Erwerber der Steuerklasse II nur für das Jahr 2009 den Erwerbern der
Steuerklasse III gleichgestellt wurden, während sie für die Jahre zuvor
und danach besser als diese behandelt wurden bzw. werden. Der Gesetzgeber war
nicht von Verfassungs wegen verpflichtet, die Änderung des § 19 Abs. 1
ErbStG zugunsten der Erwerber der Steuerklasse II durch das
Wachstumsbeschleunigungsgesetz ebenso wie die Änderung der §§ 13a und 19a
ErbStG rückwirkend auf Erwerbe vorzunehmen, für die die Steuer nach dem 31. Dezember
2008 entstanden ist.

Dass
§§ 13a und 19a ErbStG rückwirkend geändert wurden, beruhte nach der
amtlichen Begründung des Entwurfs des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
(BTDrucks 17/15, S. 10, 20) auf den noch nicht überwundenen Folgen der
schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland. Um Wachstumshemmnisse im Bereich der Erbschaft- und
Schenkungsteuer zu beseitigen, sollten die Bedingungen für die
Unternehmensnachfolge krisenfest, planungssicherer und mittelstandsfreundlicher
ausgestaltet werden. Die Betriebe sollten damit u.a. in die Lage versetzt werden,
auf Veränderungen der Beschäftigungslage flexibler reagieren zu können.

Die
Differenzierung der Steuersätze zwischen den Steuerklassen II und III
sollte hingegen dem familiären Näheverhältnis Rechnung tragen und auch die
erbrechtliche Sonderstellung der nahen Verwandten gegenüber fremden Dritten berücksichtigen.
Gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung sei eine solche
Differenzierung gerechtfertigt (BTDrucks 17/15, S. 10, 21). Dass die Änderung
der Steuersätze zugunsten der Erwerber der Steuerklasse II erst mit
Wirkung für Erwerbe nach dem 31. Dezember 2009 erfolgte, diente auch der Rücksichtnahme
auf die Erfordernisse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung der Länder.
Eine Rückwirkung der Änderung auf Erwerbsfälle im Jahr 2009 hätte zu Steuerausfällen
in Höhe von 370 Mio. € zulasten der Haushalte der Länder geführt
(BTDrucks 17/15, S. 15). Diese Zielsetzungen rechtfertigen es, dass nur
die Änderungen hinsichtlich der Besteuerung bei der Unternehmensnachfolge rückwirkend
in Kraft gesetzt wurden, nicht aber die Differenzierung der Steuersätze bei den
Erwerbern der Steuerklassen II und III.

Wiederholte
Gesetzesänderungen innerhalb eines kürzeren Zeitraums sind im Übrigen nach der
ständigen Rechtsprechung des BFH als solche nicht verfassungswidrig (BFH-Urteile
vom 9. März 2010 VIII R 109/03, BFH/NV 2010, 1266, unter II.3.b
und c, m.w.N., und vom 15. September 2010 X R 55/03, BFH/NV
2011, 231). Sog. Stichtagsregelungen sind trotz gewisser Härten grundsätzlich
zulässig. Ihre Einführung und die Wahl des Zeitpunkts müssen sich lediglich am
gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich vertretbar sein (BVerfG-Beschluss
vom 12. Mai 2009 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, unter
B.I. 2.c bb). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Zusammenhang erfüllt.

4.
Gleichheitswidrige Ausgestaltung der Steuerbemessungsgrundlage

Der Senat ist von
einem Verstoß der Tarifvorschrift des § 19 ErbStG gegen Art. 3 Abs. 1
GG überzeugt, weil

 

– die weitgehende oder
vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land-
und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder
Anteilen daran eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte
und damit verfassungswidrige Überprivilegierung darstellt, und zwar jedenfalls,
soweit die Gewährung der Steuervergünstigungen nicht von der Lohnsummenregelung
und somit von der Erhaltung von Arbeitsplätzen abhängt (s. B.II.5.) und

 

– §§ 13a und 13b
ErbStG einen verfassungswidrigen Begünstigungsüberhang aufweisen, da sie es
Steuerpflichtigen ermöglichen, durch rechtliche Gestaltungen nicht
betriebsnotwendiges Vermögen, das den Begünstigungszweck nicht erfüllt, in
unbegrenzter Höhe ohne oder mit nur geringer Steuerbelastung zu erwerben, und die
Vorschriften ferner auch hinsichtlich der Lohnsummenregelung dem
Folgerichtigkeitsgebot widersprechen (s. B.II.6. und 7.).

§§ 13a
und 13b ErbStG lassen es zu, Vermögen jeder Art und in jeder Höhe von Todes
wegen oder durch Schenkung unter Lebenden ohne Anfall von Erbschaftsteuer oder
Schenkungsteuer zu erwerben, ohne dass es auf eine Gemeinwohlverpflichtung und
Gemeinwohlbindung des erworbenen Vermögens ankommt. Dies widerspricht den
verfassungsrechtlichen Vorgaben. Danach ist es dem Gesetzgeber zwar unbenommen,
bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe mittels Verschonungsregelungen den
Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände –gegebenenfalls auch sehr weitgehend–
zu begünstigen. Solche Normen müssen allerdings den allgemein für Regelungen
zur außerfiskalischen Lenkung oder Förderung geltenden verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügen. Insbesondere müssen die Lenkungszwecke von erkennbaren
gesetzgeberischen Entscheidungen getragen, der Kreis der Begünstigten
sachgerecht abgegrenzt und die Lenkungszwecke gleichheitsgerecht ausgestaltet
sein. Erforderlich ist deshalb, dass die Begünstigungswirkungen ausreichend
zielgenau und innerhalb des Begünstigtenkreises möglichst gleichmäßig eintreten
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter D.I.). Die Begünstigungsregelungen
dürfen nicht insgesamt zu einer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Überprivilegierung
führen.

Diesen
Anforderungen werden §§ 13a und 13b ErbStG nicht gerecht. Sie führen
vielmehr zu einer weitgehenden, den Kern des Gesetzes treffenden
gleichheitswidrigen Fehlbesteuerung und erfassen im Zusammenspiel mit der
Tarifnorm des § 19 ErbStG alle wesentlichen Teilbereiche des ErbStG.

5.
Überprivilegierung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und
forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften

Der
Senat ist der Auffassung, dass die weitgehende oder vollständige Verschonung
des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und
Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran jedenfalls insoweit mit
dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar
ist, als –wie es im Regelfall zutrifft– der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte
hat und daher die Gewährung der Steuervergünstigungen nicht von der Erhaltung
von Arbeitsplätzen abhängt (§ 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG).

a)
Der Senat hat im Beschluss in BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598 (unter B.II.3.a bb
und b bb) zu dem seinerzeit geltenden Recht ausgeführt, eine pauschale Begünstigung
des Erwerbs von Betriebsvermögen oder von Anteilen an Kapitalgesellschaften im
damals vorgesehenen Umfang wäre nur dann unter dem Gesichtspunkt des Art. 3
Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn unterstellt werden könnte,
typischerweise gefährde die erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Belastung
die Betriebsfortführung. Für eine solche Annahme fehle jedoch jeder konkrete
Anhaltspunkt. Die Prämisse, die Erbschaftsteuer gefährde generell die Existenz
mittelständischer Unternehmen, sei nicht zu verifizieren. Die im Gesetz
getroffene Regelung trage auch den Fällen keine Rechnung, in denen neben dem
Betriebsvermögen noch weiteres Vermögen übergehe oder sich beim Erwerber
befinde, aus dem dieser die Steuer ohne Gefährdung der Betriebsfortführung
bezahlen könnte; denn das ErbStG nehme nicht das Unternehmen, sondern den
Erwerber des Unternehmens in Anspruch. Auch werde nicht berücksichtigt, dass
nach der Stundungsregelung des § 28 ErbStG bereits ein Instrument zur Verfügung
stehe, insbesondere in Erbfällen die Erhaltung des Betriebs zu sichern.
Insgesamt seien die Begünstigungen für das Betriebsvermögen in ihrer
Gesamtwirkung zu weitgehend, um noch von dem verfassungsrechtlich zulässigen
Differenzierungsgrund „Schutz der Betriebe“ gedeckt zu sein. Die
Regelung treffe zudem nicht „zielgenau“ und stelle nicht sicher, dass
nur solche Erwerbsvorgänge erfasst würden, bei denen der Begünstigungsgrund
vorliege. Auch beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften fehle es für
die pauschale Entlastung der Erwerber von der Steuer an einem ausreichenden
sachlichen Grund. Der Gesichtspunkt der Gleichstellung der Anteile an
Kapitalgesellschaften mit dem Betriebsvermögen bzw. den Anteilen an
Personengesellschaften rechtfertige keine derart weitgehende pauschale
Privilegierung, die im Ergebnis die Anteilserwerber in großem Umfang von der
Umverteilungswirkung des ErbStG ausnehme. Die Belastung mit Erbschaftsteuer
treffe beim Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften in der Regel lediglich
die private Vermögenssphäre des Erwerbers.

Mit
dieser vom BFH aufgeworfenen Frage einer Überprivilegierung des Erwerbs von
Betriebsvermögen und von Anteilen an Kapitalgesellschaften hat sich das BVerfG
im Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192 nicht auseinandergesetzt,
weil es die maßgeblichen Vorschriften bereits aus anderen Gründen als
verfassungswidrig angesehen hat (Abschn. C.II. 1.f).

b)
Der Senat hält an seiner im Beschluss in BFHE 198, 342, BStBl II 2002, 598
vertretenen Auffassung auch für das jetzt geltende Recht fest (vgl. auch
Wachter, in Fischer/Jüptner/ Pahlke/Wachter, a.a.O., § 13a Rz 8 ff.;
Geck in Kapp/Ebeling, Einl. Rz 3; Piltz, DStR 2010, 1913, 1916 ff.;
Crezelius, ZEV 2012, 1). Die Frage einer Überprivilegierung stellt sich nunmehr
sogar in verstärktem Maße, da die Steuervergünstigungen vielfach noch weit über
das frühere Recht hinausgehen und zu einer völligen Freistellung von der Steuer
führen können (vgl. oben B.I.4.b). Die weitgehende oder vollständige
Freistellung von der Steuer setzt darüber hinaus die Beachtung der
Behaltensregelungen des § 13a Abs. 5 ErbStG lediglich für einen
Zeitraum von fünf bzw. sieben Jahren voraus (§ 13a Abs. 5 Satz 1
ggf. i.V.m. Abs. 8 Nr. 2 ErbStG). Dieser Zeitraum ist im Hinblick auf
die Höhe der Steuervergünstigungen nach Ansicht des Senats unverhältnismäßig
kurz, zumal ein Verstoß gegen die Behaltensregelungen im Regelfall nur zu einem
teilweisen rückwirkenden Wegfall des Verschonungsabschlags führt (oben B.I.4.a gg)
und somit den Steuerpflichtigen längere Bindungsfristen zumutbar wären, ohne
die –vom Gesetzgeber mit den Steuervergünstigungen angestrebte– Betriebsfortführung
zu gefährden (kritisch insoweit auch Geck, a.a.O., Vor § 13a ErbStG, Rz 2.1).
§ 13a Abs. 5 ErbStG a.F. hatte bei Verstößen gegen die
Behaltensregelungen keinen lediglich zeitanteiligen Wegfall der Steuervergünstigungen
nach § 13a Abs. 1 und 2 ErbStG a.F. vorgesehen (BFH-Urteile vom 4. Februar
2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, und vom 4. Februar
2010 II R 35/09, BFH/NV 2010, 1601). Auch insoweit ist die neue
Regelung für die Steuerpflichtigen günstiger.

c)
Nach Ansicht des Senats geht es weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und
Zulässige hinaus, dass die Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b
ErbStG ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des
Erwerbers gewährt werden, und zwar auch dann, wenn die für eine
Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden sind oder –ggf.
im Rahmen einer Stundung der Steuer– ohne weiteres beschafft werden könnten
(vgl. Wachter, a.a.O., § 13a Rz 8). Da auch Erwerber großer und größter
Unternehmen von den Steuervergünstigungen profitieren, begünstigen die
Steuervorteile die Konzentration von Unternehmensvermögen bei vergleichsweise
wenigen Personen. Um das vom Gesetzgeber angestrebte Steueraufkommen zu
erreichen, werden zugleich die Erwerber von Privatvermögen und sonstigem nicht
begünstigten Vermögen mit höheren Steuern belastet. Nach Auffassung des Senats
ist diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt (vgl.
Moench/Hübner, a.a.O., Rz 756, 1082 ff.).

Nach
dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, unter C.I.2.b bb
hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuerlast bei der Erbschaft- und
Schenkungsteuer allerdings zu berücksichtigen, dass die Existenz von bestimmten
Betrieben –namentlich von mittelständischen Unternehmen– durch zusätzliche
finanzielle Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer aufträten, gefährdet
werden könne und die besondere Gemeinwohlbindung und Gemeinwohlverpflichtung
von Betrieben zu einer verminderten Leistungsfähigkeit der Erben führe, die
einen solchen Betrieb weiterführten, also den Betrieb weder veräußerten noch
aufgäben, die ihn vielmehr in seiner Sozialgebundenheit aufrechterhielten, ohne
dass Vermögen und Ertragskraft des Betriebs durch den Erbfall vermehrt würden.
Die Erbschaftsteuer muss demgemäß nach dieser Entscheidung so bemessen werden,
dass die Fortführung des Betriebs steuerlich nicht gefährdet wird. Dass die
Verpflichtung, die verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Erben in
diesem Zusammenhang erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen, unabhängig von
der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Erben zu einer vollständigen oder
weitgehenden Befreiung von der Steuer führen müsse oder den Gesetzgeber dazu
berechtige, hat das BVerfG aber nicht ausgeführt.

Der
Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat in diesem Zusammenhang in seinem zur Begünstigung
des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer erstatteten Gutachten 01/2012
ausgeführt, es sei zwar denkbar, aber keineswegs zwingend, dass die
Erbschaftsteuer ungünstige Liquiditätseffekte bei Unternehmen auslöse. Die
empirische Evidenz liefere kaum Hinweise darauf, dass Betriebe durch den mit
der Erbschaftsteuer verbundenen Liquiditätsentzug in Bedrängnis gebracht würden.
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage sei es nicht möglich
gewesen, einen konkreten Fall zu benennen, bei dem ein Betrieb aufgrund der
Erbschaftsteuer aufgegeben, veräußert oder zahlungsunfähig geworden sei
(BTDrucks 16/1350, Fragen 13 ff.). Es könne nicht völlig
ausgeschlossen werden, dass eine Aufhebung der Verschonungsregeln für das
Betriebsvermögen in Einzelfällen zu beschäftigungsmindernden Effekten führen
bzw. der Erbfall einen Zwang zur Veräußerung des Betriebs ausüben könnte. Eine
Betriebsveräußerung durch Erben stelle den Bestand des Betriebs indes nicht
infrage. Es spreche wenig dafür, dass eine Verschonung des Erwerbs von
Betriebsvermögen von der Erbschaftsteuer geboten sei, um Arbeitsplatzverluste
zu vermeiden. Die gegenwärtigen Verschonungsregelungen führten zu Fehlanreizen
und verzerrten auch die Entscheidungen über die Rechtsform und die Finanzierung
des Unternehmens, weil der Umfang des begünstigten Unternehmensvermögens von
diesen Entscheidungen abhänge (Hinweis insbesondere auf die Voraussetzungen für
die Gewährung der Steuervergünstigungen beim Erwerb von Anteilen an
Kapitalgesellschaften gemäß § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Die
daraus folgenden Belastungsunterschiede könnten zur Folge haben, dass nur aus
erbschaftsteuerrechtlichen Gründen eine bestimmte Rechtsform oder Finanzierung
gewählt werde. Die steuerliche Präferenz für eine bestimmte Eigentümerstruktur
könne volkswirtschaftlich ungünstige Effekte auslösen. Die Ausgestaltung der maßgeblichen
Vorschriften im Einzelnen führe zu zahlreichen willkürlich erscheinenden
Asymmetrien. Sie lade die Steuerzahler zu Gestaltungen ein, die ökonomischer
Zweckmäßigkeit zuwiderliefen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das
Gutachten verwiesen.

Diese
Ausführungen des Wissenschaftlichen Beirats bestätigen die Ansicht des Senats,
dass die in §§ 13a und 13b ErbStG vorgesehenen Verschonungsregelungen
jedenfalls insoweit, als die Lohnsummenregelung nicht anwendbar ist, nicht
durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden. Nach den
Darlegungen des Wissenschaftlichen Beirats können sie vielmehr das Gemeinwohl
sogar beeinträchtigen.

d)
Dass Betriebe mit nicht mehr als 20 Beschäftigten den Verschonungsabschlag
ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen können, kann
nach Auffassung des Senats im Hinblick auf Umfang und Tragweite der Steuervergünstigungen
nicht mit einer Verringerung des Bürokratieaufwands für Unternehmen und
Verwaltung begründet werden. Betriebe mit Arbeitnehmern müssen nämlich bereits
unabhängig von der Erbschaft- oder Schenkungsteuer u.a. aus arbeits-,
ertragsteuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen eine Lohnbuchhaltung
unterhalten. Eine Darstellung der Entwicklung der Lohnsummen ist danach auch
kleineren Unternehmen ohne größeren zusätzlichen Aufwand möglich und somit
zumutbar. Die Finanzämter müssen die Entwicklung des Betriebs bereits im Hinblick
auf die Behaltensregelungen in § 13a Abs. 5 ErbStG überwachen. Eine
zusätzliche Überwachung der Entwicklung der Lohnsummen bewirkt danach unter Berücksichtigung
des infrage stehenden Steueraufkommens keine verfassungsrechtlich relevante
Verringerung des Bürokratieaufwands bei den Finanzämtern.

e)
Darüber hinaus hat das BVerfG inzwischen im Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl
II 2007, 192, unter C.II.2.b ee –wie bereits dargelegt– zur Besteuerung
des Erwerbs von Grundvermögen ausgeführt, bei dieser Vermögensart bestehende
Besonderheiten wie z.B. geringe Fungibilität, höhere Sozialbindung,
Mieterschutzbestimmungen, öffentlich-rechtliche Auflagen und die zusätzliche
Belastung durch Grundsteuer schieden als Rechtfertigung für
Verschonungsregelungen schon im Ansatz aus, soweit sich diese Besonderheiten
regelmäßig in den Marktpreisen abbildeten. Auch die Gemeinwohlbindung des land-
und forstwirtschaftlichen Vermögens kann nach dieser Entscheidung (Abschn. C.II.4.d)
eine Verschonungsregelung nicht rechtfertigen, wenn sich die Gemeinwohlbindung
bereits im gemeinen Wert abbildet. Für Betriebsvermögen gewerblicher oder
freiberuflicher Unternehmen kann nichts anderes gelten (Piltz, DStR 2010, 1913,
1918; vgl. auch Moench/Albrecht, Erbschaftsteuer, 2. Aufl., Rz 839).
Darauf deutet insbesondere hin, dass das BVerfG im Beschluss in BVerfGE 117, 1,
BStBl II 2007, 192, unter C.II.2.b ee im vorliegenden Zusammenhang
hinsichtlich des Betriebsvermögens zustimmend auf Bareis (DB 1996, 1153, 1157)
und Seer (Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft Band 22,
1999, S. 191, 212) verwiesen hat, die sich kritisch mit den o.g. Ausführungen
des BVerfG im Beschluss in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, unter C.I. 2.b bb
auseinandersetzen.

Die
Gemeinwohlbindung und Gemeinwohlverpflichtung von Betrieben insbesondere auch
gegenüber den Arbeitnehmern scheiden nach diesen Grundsätzen als Rechtfertigung
für Verschonungsregelungen schon im Ansatz aus, weil sie sich im Regelfall
bereits in den Werten abbilden, die der Besteuerung gemäß § 12 ErbStG
zugrunde zu legen sind. Es handelt sich dabei um Umstände, die regelmäßig bei
der Bildung des Börsenkurses (§ 11 Abs. 1 BewG), bei der Aushandlung
eines Kaufpreises unter fremden Dritten (§ 11 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 1, §§ 199 ff. ggf. i.V.m. § 109 BewG) und bei der
Bemessung des Kaufpreises, den ein Erwerber zahlen würde (§ 11 Abs. 2
Satz 2 Halbsatz 2, §§ 199 ff. ggf. i.V.m. § 109 BewG),
berücksichtigt werden.

f)
Es ist darüber hinaus unter Berücksichtigung der Anforderungen des allgemeinen
Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht ersichtlich, warum zwar
die in § 28 Abs. 1 Satz 1 ErbStG vorgesehene Stundung nur zu gewähren
ist, soweit sie zur Erhaltung des Betriebs notwendig ist, die viel weiter gehenden
Steuervergünstigungen nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 8
sowie Abs. 2 ErbStG aber auch dann beansprucht werden können, wenn sie für
die Betriebsfortführung nicht erforderlich sind. Eine folgerichtige Umsetzung
der grundsätzlichen Belastungsentscheidung des Gesetzgebers müsste nach Ansicht
des Senats vielmehr unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit dazu führen, dass an eine weitgehende oder vollständige
Freistellung von der Steuer höhere Anforderungen als an eine bloße Stundung
gestellt werden.

6.
Verfassungswidriger Begünstigungsüberhang durch die Regelungen über das sog.
Verwaltungsvermögen

Über
die verfassungswidrige Überbegünstigung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land-
und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften hinaus
sind §§ 13a und 13b ErbStG auch nicht so ausgestaltet, dass der Kreis
der Begünstigten sachgerecht abgegrenzt wird und die Begünstigungswirkungen
hinreichend zielgenau eintreten. Dies beruht insbesondere auf der Ausgestaltung
und den Wirkungen des sog. Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2
ErbStG), die nicht geeignet sind, risikobehaftetes und deshalb zu begünstigendes
Betriebsvermögen von weitgehend risikolosem und daher nicht begünstigungswürdigem
Betriebsvermögen abzugrenzen.

a)
Ein dem Gleichheitssatz widersprechender Begünstigungsüberhang der Betriebsvermögensverschonung
nach §§ 13a und 13b ErbStG liegt nach Auffassung des Senats bereits darin,
dass nach § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei der Regelverschonung
das Betriebsvermögen bis zu 50 % (unschädliches Verwaltungsvermögen) aus
nicht betriebsnotwendigem Vermögen bestehen kann; ohne Einlage dieses Vermögens
in das Betriebsvermögen unterläge es als Privatvermögen der vollen Besteuerung.
Angesichts der sehr weitgehenden Steuerverschonung des Betriebsvermögens von 85 %
fehlt es bei dieser Regelung an der erforderlichen Zielgenauigkeit des
Gesetzes. Die Regelung nimmt von vornherein in Kauf, dass neben dem Vermögen,
das in der Zielrichtung der Betriebsvermögensverschonung liegt, Gegenstände der
privaten Vermögensverwaltung in gleicher Weise, nämlich bis zum Wert des
„echten“ Betriebsvermögens von der Verschonungsregelung erfasst
werden.

Bedingt
durch die Anknüpfung des erbschaftsteuerrechtlichen Betriebsvermögensbegriffs
an das Einkommensteuerrecht und die dort bestehende Möglichkeit, Vermögensgegenstände,
die nicht ihrer Natur nach der privaten Lebensführung dienen, zu „gewillkürtem“
Betriebsvermögen zu erklären oder in eine Kapitalgesellschaft oder gewerblich
geprägte Personengesellschaft einzulegen, können praktisch alle Gegenstände,
die üblicherweise in Form der privaten Vermögensverwaltung gehalten werden
(vermietete oder verpachtete Grundstücke und Gebäude, Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften von nicht mehr als 25 %, Wertpapiere), auch als
Betriebsvermögen gehalten werden. Solches Vermögen, das in erster Linie der
weitgehend risikolosen Renditeerzielung dient und in der Regel weder die
Schaffung von Arbeitsplätzen noch zusätzliche volkswirtschaftliche Leistungen
bewirkt, soll aber nach der Zielrichtung des Gesetzes gerade nicht begünstigt
werden (so ausdrücklich BTDrucks 16/7918, S. 35). § 13b Abs. 2
Satz 1 ErbStG eröffnet indes die Möglichkeit, im Kontext mit einem Betrieb
Gegenstände der privaten Vermögensverwaltung in gleicher Weise annähernd
steuerfrei zu übertragen oder zu vererben. Von dieser Möglichkeit wird in der
Praxis umfassend Gebrauch gemacht, wie sich bereits aus der Gesetzesbegründung
zum ErbStRG ergibt, wo zur früheren Rechtslage ausgeführt ist, dass
„solche Gestaltungen vermehrt“ aufgetreten seien (BTDrucks 16/7918,
S. 35).

b)
Neben der Möglichkeit, Vermögensgegenstände durch Widmung als gewillkürtes
Betriebsvermögen zu behandeln, ist es auch gängige Gestaltungspraxis, Gegenstände,
die ihrer Natur nach im Rahmen der privaten Vermögensverwaltung gehalten
werden, auf eine Kapitalgesellschaft oder eine gewerblich geprägte
Personengesellschaft zu übertragen (vgl. bereits BFH-Beschluss in BFHE 198,
342, BStBl II 2002, 598, unter B.II.4.). Der Anreiz zu solchen Gestaltungen ist
nunmehr noch deutlich gestiegen; denn die Verschonungsregelungen sind durch das
ErbStRG nochmals deutlich ausgeweitet worden, nämlich von 35 % (vor 2009)
auf 85 bzw. 100 % (ab 2009).

c)
Der Auffassung des BMF in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2012 unter 2.c,
die Festlegung des unschädlichen Verwaltungsvermögens mit bis zu 50 % des
gesamten Betriebsvermögens sei eine zulässige Typisierung, vermag der Senat
nicht beizutreten. Für eine so weitgehende Typisierungsregelung fehlt jede
sachliche Grundlage. Denn es ist nicht zu erkennen, dass Betriebe aus Gründen
der Liquidität, zur Absicherung von Krediten oder auch zur Stärkung der
Eigenkapitalbasis typischerweise bis zu 50 % über nicht unmittelbar dem
Betrieb dienende Wirtschaftsgüter (Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2
Satz 2 ErbStG) verfügen (müssen). Das mag im Einzelfall so sein; bei einer
Typisierung darf aber der Ausnahmefall nicht zum Regelfall erhoben werden. Die
Mittel zur Sicherstellung der laufenden Liquidität, wie z.B. Bargeld und
Bankguthaben, gehören im Übrigen ohnehin nicht zum Verwaltungsvermögen. Zur
Liquiditätssicherung bedarf es deshalb insoweit keiner zusätzlichen
Typisierung. Angesichts der weitreichenden Auswirkungen der
Typisierungsregelung auf den Verschonungsumfang ist es nach Auffassung des
Senats nicht vertretbar, Verwaltungsvermögen ohne jede Prüfung in gleicher
Weise und im gleichen Umfang wie das übrige Betriebsvermögen zu begünstigen.

Die
Möglichkeit, Gegenstände der privaten Vermögensverwaltung in eine
Kapitalgesellschaft oder gewerblich geprägte Personengesellschaft einzulegen
und damit Betriebsvermögen zu generieren, führt im Ergebnis zu einer durch
keine sachlichen Gründe gerechtfertigten Sonderverschonung des Privatvermögens
für einen bestimmten Personenkreis, nämlich für die Inhaber von Betriebsvermögen
oder Anteilseigner.

d)
Das Typisierungsargument wird zusätzlich entwertet und der verfassungswidrige
Begünstigungsüberhang dadurch erweitert, dass sich durch eine einfache,
durchaus verbreitete, mehrstufige Konzernstruktur der unter die
Verschonungsregelung fallende Anteil des Verwaltungsvermögens am Betriebsvermögen
mit jeder weiteren Beteiligungsstufe gemessen am Konzernvermögen deutlich erhöhen
kann, ohne dass dies der Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a
und 13b ErbStG entgegensteht.

Dies
ergibt sich aus § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG. Danach
gehören Beteiligungen an Gesellschaften i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 und Abs. 3 oder § 18 Abs. 4 EStG oder an
entsprechenden Gesellschaften im Ausland sowie Anteile an
Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
ErbStG fallen, zum Verwaltungsvermögen, wenn bei diesen Gesellschaften das
Verwaltungsvermögen mehr als 50 % beträgt. Anteile an solchen
Gesellschaften gehören demnach nicht zum Verwaltungsvermögen, wenn das
Verwaltungsvermögen bei diesen nicht mehr als 50 % beträgt. Derartige
Anteile zählen deshalb bei der Prüfung, ob das Verwaltungsvermögen bei dem übergeordneten
Unternehmen nicht mehr als 50 % ausmacht, im vollen Umfang zum begünstigten
Betriebsvermögen, obwohl 50 % ihres Vermögens aus Verwaltungsvermögen
bestehen kann.

Beispiel:

Erblasser A
ist als Gesellschafter an der GmbH 1 allein beteiligt. Zum Vermögen der
GmbH 1 gehört u.a. eine 100 %ige Beteiligung an der GmbH 2, die
wiederum eine 100 %ige Beteiligung an der GmbH 3 hält. Die GmbH 3
ist zu 100 % an der GmbH 4 beteiligt. Das Vermögen aller
Gesellschaften besteht zu 50 % aus Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b
Abs. 2 Satz 2 ErbStG. Das Vermögen der GmbH 1, 2 und 3 setzt
sich aus dem Verwaltungsvermögen und der Beteiligung an der jeweiligen
Tochtergesellschaft zusammen.

Die
Anteile an allen Gesellschaften gehören nicht zum Verwaltungsvermögen, sondern
zum übrigen Betriebsvermögen, weil bei ihnen jeweils für sich betrachtet das
Verwaltungsvermögen nicht mehr als 50 % beträgt. § 13b Abs. 2
Satz 2 Nr. 3 ErbStG fordert eine solche stufenweise Ermittlung des
Verwaltungsvermögensanteils und berücksichtigt nicht, dass sich neben dem auf
jeder Beteiligungsstufe unmittelbar vorhandenen Verwaltungsvermögen hinter der
Beteiligung an der nachgeordneten Gesellschaft weiteres Verwaltungsvermögen
verbirgt. So beträgt wirtschaftlich der Anteil des Verwaltungsvermögens auf der
Ebene der GmbH 4 noch 50 %, auf der Ebene der GmbH 3 bereits 75 %,
auf der Ebene der GmbH 2 87,5 % und auf der Ebene der GmbH 1
insgesamt 93,75 %. „Echtes“ Betriebsvermögen befindet sich nur
in der GmbH 4.

In
beispielhaft ausgewählten Zahlen ergibt sich demnach Folgendes:

GmbH 4:
Verwaltungsvermögen und „echtes“ Betriebsvermögen (z.B.
Betriebsgrundstücke, Maschinen, Fahrzeuge, Vorräte, Girokonto) je 100.000 €,
Gesamtwert: 200.000 €

GmbH 3:
Verwaltungsvermögen und Wert der GmbH 4 je 200.000 €, Gesamtwert:
400.000 €

GmbH 2:
Verwaltungsvermögen und Wert der GmbH 3 je 400.000 €, Gesamtwert:
800.000 €

GmbH 1:
Verwaltungsvermögen und Wert der GmbH 2 je 800.000 €, Gesamtwert:
1.600.000 €

Obwohl
in diesem Fall einem Wert des „echten“ Betriebsvermögens von 100.000 €
Verwaltungsvermögen im Gesamtwert von 1.500.000 € gegenübersteht, kann die
Regelverschonung für den Erwerb der Beteiligung an der GmbH 1 in Anspruch
genommen werden. Für zum Vermögen der Kapitalgesellschaft gehörendes
Verwaltungsvermögen, das deren Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als
zwei Jahre zuzurechnen war, gilt die Sonderregelung in dem durch Art. 14
Nr. 2 Buchst. a JStG 2010 mit Wirkung für Erwerbe, für die die Steuer
nach dem 13. Dezember 2010 entsteht (§ 37 Abs. 4 ErbStG), eingeführten
Satz 7 des § 13b Abs. 2 ErbStG (vgl. dazu R E 13b.19
Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 ErbStR 2011).

e)
Ein vergleichbarer Effekt ergibt sich auch bei der Vollverschonung nach § 13a
Abs. 8 ErbStG. Zwar bestimmt hier § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG
den höchstens zulässigen Anteil des Verwaltungsvermögens am Betriebsvermögen
mit 10 %. Diese Grenze von 10 % gilt aber nur für die oberste
Beteiligungsebene; für die nachfolgenden Beteiligungsebenen bleibt es bei der
50 %-Grenze in § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG
(ebenso Moench/ Hübner, a.a.O., Rz 1168; R E 13b.16 Abs. 2
ErbStR 2011).

Die
10 %-Grenze wäre danach im obigen Beispielfall nur auf der Ebene der GmbH 1
zu beachten gewesen. Hätte der Anteil des Verwaltungsvermögens am gesamten
Betriebsvermögen der GmbH 1 nicht mehr als 10 % betragen, hätte also
zur Vollverschonung optiert werden können. Das bei der GmbH 2, 3 und 4
vorhandene, unter Umständen umfangreiche Verwaltungsvermögen hätte dem nicht
entgegengestanden. So hätte wirtschaftlich der Anteil des Verwaltungsvermögens
auf der Ebene der GmbH 4 50 %, auf der Ebene der GmbH 3 75 %,
auf der Ebene der GmbH 2 87,5 % und auf der Ebene der GmbH 1
insgesamt 91,2 % betragen.

Im
obigen Zahlenbeispiel könnte demgemäß auch dann zur Vollverschonung optiert
werden, wenn als oberste Beteiligungsebene eine weitere GmbH (GmbH 0)
eingefügt worden wäre, in deren Vermögen sich lediglich die Beteiligung an der
GmbH 1 befände. Bis zur Grenze von 10 % könnte sich im Vermögen der
GmbH 0 sogar weiteres Verwaltungsvermögen befinden, ohne dass dies der
Vollverschonung entgegenstünde.

f)
Es handelt sich hierbei nach Auffassung des Senats nicht um missbräuchliche
Gestaltungen i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO), sondern um die Folgen
einer verfehlten Gesetzestechnik. Der Gesetzgeber hat diese Wirkungen gekannt
und hingenommen. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellungnahme zum Entwurf
des ErbStRG auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hingewiesen und gebeten, im
weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und wie Gestaltungen vermieden
werden können, mit denen durch Gründung von Tochtergesellschaften die in § 13b
Abs. 2 Satz 1 ErbStG gezogene Grenze für das Verwaltungsvermögen
unterlaufen werden kann (BRDrucks 4/08 [Beschluss] Nr. 16). In der
Gesetzesbegründung zum JStG 2010 (vgl. BTDrucks 17/2249, S. 91) wurde
ausdrücklich unter Hinweis auf die Prinzipien der finanziellen Leistungsfähigkeit
und Folgerichtigkeit eine Beseitigung der Gestaltungsmöglichkeiten für
erforderlich gehalten. Die Bestrebungen, das „Redaktionsversehen“
(vgl. BTDrucks 17/2249, S. 91) zumindest bei der Optionsverschonung zu
beseitigen, indem auf jeder Beteiligungsstufe der zulässige Anteil des
Verwaltungsvermögens auf 10 % beschränkt werden sollte (s. auch BTDrucks
17/2249, S. 28), scheiterten aber im Gesetzgebungsverfahren (vgl. Moench/Hübner,
a.a.O., Rz 1168).

g)
Ein weiterer, dem Gleichheitssatz widersprechender Überhang der
Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen ergibt sich daraus, dass
Geldforderungen wie etwa Sichteinlagen, Sparanlagen und Festgeldkonten bei
Kreditinstituten sowie Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie
Forderungen an verbundene Unternehmen nicht zum Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b
Abs. 2 ErbStG gehören (oben B.I.4.a ee). Ein Anteil an einer GmbH,
deren Vermögen ausschließlich aus solchen Forderungen besteht, kann deshalb
durch freigebige Zuwendung oder von Todes wegen erworben werden, ohne dass
Erbschaftsteuer anfällt, wenn die Voraussetzungen des § 13b Abs. 1
Nr. 3 ErbStG erfüllt sind und der Erwerber gemäß § 13a Abs. 8
ErbStG für die völlige Steuerbefreiung optiert und für sieben Jahre die
Behaltensregelungen des § 13a Abs. 5 ErbStG beachtet. Auf die
Erreichung bestimmter Lohnsummen und somit die Erhaltung von Arbeitsplätzen
nach dem Erwerb kommt es nicht an, weil eine derartige GmbH jedenfalls in aller
Regel nicht mehr als 20 Beschäftigte hat.

Von
dieser Gestaltungsmöglichkeit wird in der Praxis vielfach Gebrauch gemacht
(„Cash-GmbH“; vgl. Schrinner, Handelsblatt vom 1. Juni 2012, S. 16).
Der Bundesrat hat dies in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines JStG 2013
aufgegriffen und eine Gesetzesänderung gefordert (BRDrucks 302/12 [Beschluss],
S. 113 ff.; vgl. oben B.I.4.a ee). In der Begründung dazu hat er
ausgeführt, nach Auffassung der Finanzverwaltung und großer Teile des
Schrifttums seien Finanzmittel im Rahmen des bisher geltenden Rechts grundsätzlich
kein Verwaltungsvermögen, könnten also –z.B. in einer sog. „Cash-GmbH“–
den Begünstigungen für Betriebsvermögen zugeführt werden. Das sei nur
gerechtfertigt, soweit die Finanzmittel betriebsnotwendig seien oder aus der
Betriebstätigkeit entstanden und im Besteuerungszeitpunkt noch nicht in
„Produktiv-Vermögen“ angelegt seien.

Dasselbe
Ergebnis wie bei einer „Cash-GmbH“ kann auch durch Einschaltung einer
lediglich vermögensverwaltenden, aber gewerblich geprägten Personengesellschaft
i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG erreicht werden. § 13b Abs. 1
Nr. 2 ErbStG bezieht ausdrücklich auch den Erwerb eines Anteils an einer
solchen Gesellschaft in die Vergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG
ein.

Eine
missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO kann hierin nach Auffassung
des Senats nicht gesehen werden. Es handelt sich vielmehr lediglich um die
Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber dadurch eröffnet hat,
dass er Gesellschaften ausdrücklich nicht allein deshalb von den Steuervergünstigungen
nach §§ 13a und 13b ErbStG ausgenommen hat, weil sie lediglich vermögensverwaltend
tätig sind. Gegen die Anwendbarkeit des § 42 AO spricht auch, dass der
Gesetzgeber die Voraussetzungen, unter denen diese Steuervergünstigungen
beansprucht werden können und ggf. rückwirkend entfallen, detailliert geregelt
hat. Für die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 42 AO ist danach
kein Raum (vgl. Geck, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht –NZG– 2012, 93,
94). Der Bundesrat geht in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines JStG 2013
ersichtlich ebenfalls davon aus, dass keine missbräuchliche Gestaltung i.S. des
§ 42 AO vorliege; denn andernfalls bedürfte es nicht der geforderten Änderung
des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG (BRDrucks 302/12
[Beschluss], S. 113 ff.).

Diese
Bevorzugung der Erwerber von Anteilen an einer Gesellschaft, deren Vermögen
ausschließlich aus nicht zum Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2
ErbStG gehörenden Geldforderungen besteht, gegenüber den Erwerbern von
Geldforderungen im Privatvermögen ist nach Ansicht des Senats mit den
Anforderungen an eine willkürfreie, folgerichtige, an den Zuwachs an Leistungsfähigkeit
anknüpfende Besteuerung des Erwerbers und somit mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar (vgl. Seer in
Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl., § 13 ErbStG Rz 154; Seer,
GmbH-Rundschau 2011, 1328, 1331; Geck, NZG 2012, 93).

Gewichtige
Gründe, die die völlige Freistellung des Erwerbs eines Anteils an einer
Gesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus Guthaben bei Kreditinstituten
und/oder sonstigen Geldforderungen besteht, die nicht zum Verwaltungsvermögen
i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG gehören, aus verfassungsrechtlicher
Sicht rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden vom BMF in
seiner Stellungnahme auch nicht vorgetragen. Solche Gesellschaften sind nicht
in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet. Soweit ein öffentliches
Interesse daran besteht, dass Geld bei Kreditinstituten im In- oder Ausland
angelegt wird, gilt dies für die Anlagen von Privatpersonen ebenso. Besondere
Risiken sind mit dem Erwerb eines Anteils an einer Gesellschaft, deren Vermögen
ausschließlich aus Guthaben bei Kreditinstituten und/oder sonstigen
Geldforderungen besteht, nicht deshalb verbunden, weil es sich nicht um eine private
Anlage handelt. Umschichtungen innerhalb der nach § 13b Abs. 1 ErbStG
begünstigten Vermögensart sind dabei gemäß § 13a Abs. 5 Sätze 3
und 4 ErbStG unschädlich, soweit nicht in Vermögen investiert wird, das zum
Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG gehört. Auf die
Erreichung bestimmter Lohnsummen und somit die Erhaltung von Arbeitsplätzen
nach dem Erwerb kommt es wie bereits dargelegt nicht an, weil ein Betrieb, der
lediglich Geldforderungen verwaltet, jedenfalls in aller Regel nicht mehr als
20 Beschäftigte hat.

Die
Behaltensregelungen in § 13a Abs. 5 ErbStG stellen zudem keine ernst
zu nehmenden Gründe dar, die solche Gestaltungen verhindern oder zumindest maßgeblich
erschweren könnten. Diese geben der Finanzverwaltung keine Handhabe, den
Erwerber eines Anteils an einer Gesellschaft, deren Vermögen ausschließlich aus
Guthaben bei Kreditinstituten und/oder sonstigen Geldforderungen besteht, zur
Beachtung der Behaltensregelungen des § 13a Abs. 5 ErbStG zu zwingen.
Ausschüttungen der „Cash-GmbH“ an den Erwerber und Entnahmen des
Erwerbers aus der gewerblich geprägten Personengesellschaft wirken sich bei Ausübung
der Option für die Vollverschonung auf den Verschonungsabschlag nur aus, soweit
sie innerhalb der Behaltensfrist von sieben Jahren (§ 13a Abs. 5 Satz 1
i.V.m. Abs. 8 Nr. 2 ErbStG) die Summe der Einlagen des Erwerbers und
der ihm zuzurechnenden Gewinne oder Gewinnanteile seit dem Erwerb um mehr als
150.000 € übersteigen; Verluste bleiben unberücksichtigt (§ 13a Abs. 5
Satz 1 Nr. 3 ErbStG). Soweit die Ausschüttungen oder Entnahmen über
diese Grenze hinausgehen, führen sie in entsprechender Höhe lediglich zum rückwirkenden
Wegfall des Verschonungsabschlags. Weitere Nachteile sind damit nicht
verbunden. In Höhe von 150.000 € bleibt der Verschonungsabschlag auf jeden
Fall bestehen. Nach Ablauf der Behaltensfrist kann über das Gesellschaftsvermögen
frei verfügt werden, ohne dass sich dies noch auf den Verschonungsabschlag
auswirkt.

Die
völlige Freistellung des Erwerbs eines Anteils an einer „Cash-GmbH“
oder entsprechenden gewerblich geprägten Personengesellschaft kann auch nicht
unter dem Gesichtspunkt einer zulässigen Typisierung gerechtfertigt werden. Dem
Gesetzgeber steht zwar eine Befugnis zur Typisierung zu. Die wirtschaftlich ungleiche
Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen.
Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis
zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen
Belastung stehen. Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Steuervergünstigung
sind umso höher, je größer die Steuerverschonung und damit Sonderbegünstigung
einer bestimmten Gruppe ist (vgl. Seer in Tipke/Lang, a.a.O., § 13 ErbStG
Rz 159).

Diese
Anforderungen an eine völlige Freistellung von der Steuer sind im vorliegenden
Zusammenhang nicht erfüllt. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die
Steuerzahler übersteigt das verfassungsrechtlich zulässige Maß. Aktiv tätige
Unternehmen müssen zwar über die zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten
erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, und zwar üblicherweise in der Form
von Guthaben bei Kreditinstituten. Dies erfordert es aber auch unter Berücksichtigung
einer zulässigen und sachlich gebotenen Typisierung nicht, dass solche Guthaben
in beliebiger Höhe unabhängig vom Vorhandensein anderen Betriebsvermögens und
von dessen Wert nicht zum Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2
ErbStG gerechnet werden. Dies zeigt auch die vom Bundesrat in seiner
Stellungnahme zum Entwurf eines JStG 2013 vorgeschlagene Formulierung des § 13b
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG, nach der Zahlungsmittel,
Sichteinlagen, Bankguthaben und andere Forderungen grundsätzlich zum
Verwaltungsvermögen zählen sollen (BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 113 f.;
vgl. dazu Korezkij, DStR 2012, 1640; Geck, ZEV 2012, 399).

Die
Typisierung der Voraussetzungen für die Gewährung der Steuervergünstigungen
nach §§ 13a und 13b ErbStG macht es auch nicht notwendig, den Erwerb von
Anteilen an lediglich vermögensverwaltend tätigen, gewerblich geprägten
Personengesellschaften i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG in die
Vergünstigungen einzubeziehen.

Entgegen
einer in der Literatur ohne nähere Auseinandersetzung mit der Problematik in
Erwägung gezogenen Beurteilung (Wachter, DStR 2011, 2331, 2333; Geck, NZG 2012,
93, 94; anders wohl in ZEV 2012, 399, 400) können die dargelegten
Verfassungsverstöße nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 13b
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG dahingehend, dass Bankguthaben und
Festgelder schädliches Verwaltungsvermögen seien, beseitigt werden. Eine solche
Auslegung dieser Vorschrift wäre weder mit dem Wortlaut noch mit deren Sinn und
Zweck, dem systematischen Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte vereinbar
(vgl. oben B.I.4.a ee).

Aus
der grundsätzlichen Vermutung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ergibt
sich zwar das Gebot, ein Gesetz im Zweifel verfassungskonform auszulegen. Das
gilt aber nur, soweit unter Berücksichtigung von Wortlaut,
Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen der
betreffenden Bestimmung möglich sind, von denen zumindest eine zu einem
verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Durch den Wortlaut, die
Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck werden der verfassungskonformen
Auslegung Grenzen gezogen. Ein Verständnis, das in Widerspruch zu dem klar
erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers steht, kann auch im Wege
verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden (BVerfG-Beschluss vom 14. Oktober
2008 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39, unter B.I. 3.a,
m.w.N.).

Im
Wege der verfassungskonformen Interpretation darf der normative Gehalt einer
Regelung danach nicht neu bestimmt werden. Die zur Vermeidung eines
Nichtigkeitsausspruchs gefundene Interpretation muss eine nach anerkannten
Auslegungsgrundsätzen zulässige Auslegung sein. Die Grenzen
verfassungskonformer Auslegung ergeben sich grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen
Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. Der Respekt vor der gesetzgebenden
Gewalt gebietet es dabei, in den Grenzen der Verfassung das Maximum dessen
aufrechtzuerhalten, was der Gesetzgeber gewollt hat. Er fordert mithin eine
Auslegung der Norm, die durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt ist und die
prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers war. Die Deutung darf nicht dazu führen,
dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht
wird (BVerfG-Urteil vom 4. Mai 2011 2 BvR 2365/09
u.a., BVerfGE 128, 326, unter C.I.3.d bb (1), m.w.N.).

Eine
Verfehlung oder Verfälschung des gesetzgeberischen Ziels in einem wesentlichen
Punkt läge vor, wenn die Rechtsprechung § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
ErbStG entgegen dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck, dem systematischen
Zusammenhang und der Entstehungsgeschichte so auslegen würde, dass jede
Geldforderung Wertpapieren vergleichbar ist, und dadurch die Grenze zwischen
dem Verwaltungsvermögen und dem übrigen, uneingeschränkt zu begünstigenden
Betriebsvermögen ganz erheblich zulasten des Steuerpflichtigen verschieben würde.
Davon abgesehen hätte der BFH keine Möglichkeit, ein solches weites Verständnis
des Begriffs des Verwaltungsvermögens gegenüber der abweichenden, in den ErbStR
2011 veröffentlichten Verwaltungsauffassung durchzusetzen.

h)
Ein weiterer Begünstigungsüberhang ergibt sich bei der Betriebsvermögensverschonung
aus der Möglichkeit, durch Gestaltungen aus begünstigungsschädlichem
Verwaltungsvermögen begünstigtes Betriebsvermögen zu machen. Da
Geldforderungen, die Wertpapieren nicht vergleichbar sind, nicht zum Verwaltungsvermögen
i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG gehören, kann auch für
Gesellschaften, deren Vermögen ausschließlich oder zu einem hohen Anteil aus
Verwaltungsvermögen besteht, erreicht werden, dass der Verschonungsabschlag von
100 % zu gewähren ist. Dies ermöglicht es auch, Privatvermögen gleich
welcher Art und welchen Werts in die Verschonungsregelung für Betriebsvermögen
einzubeziehen.

Besteht
das Vermögen einer GmbH (GmbH 1) beispielsweise ausschließlich aus
Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG und
verkauft und überträgt diese das Vermögen zum Verkehrswert unter Stundung des
Kaufpreises an eine andere GmbH (GmbH 2) ohne sonstiges Vermögen, so kommt
der GmbH 2 im Erbfall oder bei einer freigebigen Zuwendung kein Wert zu;
denn dem auf sie übertragenen Aktivvermögen steht die gleichwertige
Kaufpreisverbindlichkeit gegenüber. Der Erbe oder Bedachte kann für den Erwerb
der Beteiligung an der GmbH 1, in deren Vermögen sich lediglich die
Kaufpreisforderung befindet, von der Optionsmöglichkeit nach § 13a Abs. 8
Nr. 4 ErbStG Gebrauch machen mit der Folge, dass keine Erbschaftsteuer
oder Schenkungsteuer anfällt, wenn die Behaltensregelungen des § 13a Abs. 5
i.V.m. Abs. 8 Nr. 2 ErbStG beachtet werden. Die Kaufpreisforderung
der GmbH 1 stellt keine einem Wertpapier vergleichbare Forderung i.S. des § 13b
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG dar und ist somit kein
Verwaltungsvermögen (vgl. dazu Piltz, DStR 2010, 1913, 1916). Auf die
Entwicklung der Lohnsumme in den auf den Erwerb folgenden Jahren kommt es nicht
an, weil die GmbH 1, die lediglich die Kaufpreisforderung gegen die GmbH 2
verwaltet, nicht mehr als 20 Beschäftigte benötigt. Das Aktivvermögen der
GmbH 2 kann beliebig umgeschichtet oder in das Privatvermögen überführt
werden, ohne dass sich dies vorbehaltlich eines im Einzelfall möglicherweise
gegebenen Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO)
auf die Gewährung des Verschonungsabschlags auswirkt; denn dieser bezieht sich
lediglich auf die GmbH 1.

Dies
gilt u.a. auch dann, wenn das an die GmbH 2 verkaufte Vermögen der GmbH 1
aus in die GmbH 1 eingebrachtem Privatvermögen des Alleingesellschafters
der beiden GmbHs besteht und z.B. aus Grundvermögen, Wertpapieren,
Beteiligungen an Kapitalgesellschaften bis zu 25 % und Edelmetallen
zusammengesetzt ist.

Wie
bereits ausgeführt (oben B.II.6.g), können diese Folgen entgegen einer in der
Literatur in Erwägung gezogenen Beurteilung (Wachter, DStR 2011, 2331, 2333)
nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 13b Abs. 2 Satz 2
Nr. 4 ErbStG dahingehend, dass Bankguthaben und Festgelder schädliches
Verwaltungsvermögen seien, beseitigt werden.

Der
Bundesrat hat diese Problematik in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines JStG
2013 ebenfalls aufgegriffen (BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 113 ff.).
Nach dem vorgeschlagenen neuen § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4
Satz 3 ErbStG sollen Forderungen, die aus der Veräußerung von
Verwaltungsvermögen stammen, zum Verwaltungsvermögen gehören. Nach der Begründung
des Bundesrats zielt die vorgeschlagene Neuregelung insbesondere auf
Gestaltungen, bei denen schädliches Verwaltungsvermögen auf Kredit an ein
verbundenes Unternehmen veräußert wird, wodurch das veräußernde Unternehmen
gegebenenfalls in die Lage versetzt wird, die Verwaltungsvermögens-Grenze von
50 % bzw. 10 % einzuhalten (BRDrucks 302/12 [Beschluss], S. 116).
Der Bundesrat geht somit ersichtlich davon aus, dass derartige Gestaltungen
nach dem gegenwärtig geltenden Recht bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen
sind. Andernfalls bedürfte es der Gesetzesänderung nicht.

i)
Das BMF hat sich in seiner Stellungnahme zur rechtlichen Beurteilung dieser
bereits im BFH-Beschluss in BFHE 234, 368, BStBl II 2012, 29 angesprochenen
Gestaltungsmöglichkeiten (oben g und h) nicht geäußert und insbesondere
nicht ausgeführt, dass solche Gestaltungen von der Finanzverwaltung etwa gemäß § 42
AO nicht anerkannt würden. Der Senat nimmt daher an, dass die Finanzverwaltung
derartige Gestaltungen der Besteuerung zugrunde legt oder legen würde. Es ist
allein schon wegen der günstigen steuerlichen Folgen (Verschonung bis zu 100 %)
davon auszugehen, dass solche Gestaltungen in erheblichem Umfang gewählt werden
und damit umfangreiches Vermögen nicht der Erbschaft- und Schenkungsteuer
unterliegt.

j)
Dass das ErbStG solche Gestaltungen mit steuerlicher Wirkung zulässt, ist nach
Ansicht des Senats mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes
(Art. 3 Abs. 1 GG) an die Besteuerung nicht vereinbar. Die Steuerlast
ist nämlich in einem derartigen Fall nicht an den Prinzipien der finanziellen
Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit ausgerichtet, sondern an der Wahl
einer bestimmten Form, ohne dass entsprechend gewichtige Gründe des Gemeinwohls
die vollständige Verschonung von der Steuer rechtfertigen.

k)
Die Ausgestaltung der Regelungen über das Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b
Abs. 2 Satz 2 ErbStG hat auch zur Folge, dass ein zu einem höheren
Zuwachs an Leistungsfähigkeit führender Erwerb eine weit niedrigere
Steuerfestsetzung zur Folge haben kann, ohne dass dafür entsprechend gewichtige
Gründe gegeben sind.

Besteht
beispielsweise das Vermögen einer Gesellschaft ausschließlich aus
Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG im Wert
von 10 Mio. €, ist kein Verschonungsabschlag zu gewähren. Befinden
sich im Vermögen der Gesellschaft zusätzlich Guthaben bei Kreditinstituten über
insgesamt 10 Mio. €, besteht das Betriebsvermögen der Gesellschaft
nicht zu mehr als 50 % aus Verwaltungsvermögen. Wenn die allgemeinen
Voraussetzungen für die Gewährung des Verschonungsabschlags von 85 % des
Gesamtwerts des Betriebsvermögens nach § 13a Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 13b Abs. 4 ErbStG erfüllt sind und das Verwaltungsvermögen
dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt mindestens zwei Jahre zuzurechnen war (§ 13b
Abs. 2 Satz 3 ErbStG), unterliegen nur 15 % von 20 Mio. €,
also 3 Mio. €, der Steuer. Mit dem vom BVerfG aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz abgeleiteten Grundsatz, dass Steuergesetze durch ihre
Ausgestaltung sicherstellen müssen, dass der wirtschaftlich Leistungsfähigere höher
belastet wird als der wirtschaftlich Schwächere, lässt sich diese Bevorzugung
des Erwerbers eines Anteils an der Gesellschaft mit dem höheren Wert nicht
vereinbaren.

l)
Weitere, im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine
gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige
Ausgestaltung von Steuergesetzen problematische Folgen aus dem gegenwärtig
geltenden Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht stellt Piltz (DStR 2010, 1913,
1915 f., 1920 ff.) und in Festschrift für H. Schaumburg 2009,
1057, 1066 ff. dar. Darauf wird verwiesen.

m)
Der Senat hat bereits in den Beschlüssen vom 24. Oktober 2001 II R 61/99
(BFHE 196, 304, BStBl II 2001, 834, unter II.2.d) und in BFHE 198, 342, BStBl
II 2002, 598 (unter B.II.4.) auf die verfassungsrechtliche Problematik der Möglichkeit,
durch bloße Rechtsformwahl Steuervergünstigungen bei der Erbschaftsteuer und
der Schenkungsteuer zu erreichen, hingewiesen. Darauf wird Bezug genommen.
Diese Situation hat sich gegenüber der früheren Rechtslage von vor 2009 nicht
verändert. Der Anreiz, solche Gestaltungen zu wählen, hat sich wegen der
erheblichen Ausweitung der Verschonungsregeln vielmehr deutlich verstärkt. Die
Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG knüpfen nach wie vor an
das ertragsteuerrechtliche Betriebsvermögen an (§ 12 Abs. 5 ErbStG, § 151
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 95, 96 und 97 BewG) und ermöglichen
es so, durch Schaffung gewillkürten Betriebsvermögens und weitere Gestaltungen selbst
beim Erwerb größter Vermögen von Todes wegen oder durch freigebige Zuwendung
die Höhe der Steuerbelastung zu vermindern oder das Entstehen von Steuer zu
vermeiden, ohne dass dies typischerweise durch hinreichend gewichtige Gründe
des Gemeinwohls verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die vom BMF genannten,
bei den Finanzbehörden bisher bekannt gewordenen Fallzahlen solcher
Gestaltungen (113 Fälle) sind erheblich und deshalb von besonderem
Gewicht, weil diese Gestaltungen wegen des damit verbundenen Beratungs- und
Gestaltungsaufwands auch und gerade für Großvermögen gewählt werden.

Das
BVerfG hat die Auswirkungen der Möglichkeit von Gewerbetreibenden, Betriebsvermögen
in weitem Umfang zu willküren, also auch nicht unmittelbar dem Betrieb dienende,
sondern nur zur objektiven Stärkung des Betriebs geeignete Wirtschaftsgüter in
das Betriebsvermögen aufzunehmen und so durch bilanzpolitische Maßnahmen auf
die Bemessungsgrundlage der Steuer einzuwirken, im Beschluss in BVerfGE 117, 1,
BStBl II 2007, 192, unter C.II.1.b und d bb aus verfassungsrechtlicher
Sicht ebenfalls kritisch gewürdigt.

7.
Verfassungswidriger Begünstigungsüberhang durch die Regelungen über die
Entwicklung der Lohnsummen

Die
Regelungen über die Lohnsummen, die in den Jahren nach dem Erwerb erreicht
werden müssen, um den vollen Verschonungsabschlag erhalten zu können (§ 13a
Abs. 1 Sätze 2, 3 und 5, Abs. 4, Abs. 8 Nr. 1 ErbStG),
spielen schon deswegen im Regelfall für die Verschonung keine entscheidende
Rolle, weil weit mehr als 90 % aller Betriebe nicht mehr als 20 Beschäftigte
aufweisen (vgl. oben B.I.4.a hh). Zusätzlich erweist sich der
Begünstigungsgrund „Arbeitsplatzerhalt“ aber auch deshalb als nicht
tragfähig, weil das Gesetz Gestaltungen zulässt, die es in vielen Fällen auf
einfache Art und Weise ermöglichen, dass es für die Gewährung des
Verschonungsabschlags auch bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten
nicht auf die Entwicklung der Lohnsummen und somit auf die Erhaltung von
Arbeitsplätzen in dem Zeitraum nach dem Erwerb ankommt.

a)
Als Gestaltung kommt dabei insbesondere in Betracht, dass ein Betrieb mit mehr
als 20 Beschäftigten vor der Verwirklichung des Steuertatbestandes bei
gleichen Beteiligungsverhältnissen in eine Besitzgesellschaft, die nicht mehr
als 20 Beschäftigte hat und bei der das Betriebsvermögen konzentriert
wird, und eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung
der Verbindlichkeiten keinen oder nur einen geringen Steuerwert hat und die
eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann, aufgespaltet wird (zu einer
solchen Betriebsaufspaltung vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 IV R 62/98,
BFHE 191, 295, BStBl II 2000, 417). Die Anforderungen an die Entwicklung der
Lohnsumme spielen dann bei der Besitzgesellschaft keine Rolle. Die Beschäftigten
der Betriebsgesellschaft sind der Besitzgesellschaft nicht zuzurechnen; denn
allenfalls die Beschäftigten einer nachgeordneten Gesellschaft können
hinsichtlich der Frage, ob die in § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG
vorgesehene Grenze von 20 Beschäftigten überschritten ist, der übergeordneten
Gesellschaft zugerechnet werden (so R E 13a.4 Abs. 2 Satz 9
ErbStR 2011; a.A. Philipp in Viskorf/Knobel/Schuck, a.a.O., § 13a ErbStG
Rz 38; Geck in Kapp/Ebeling, a.a.O., § 13a ErbStG, Rz 41;
Kirschstein in Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 13a ErbStG Rz 29).
Bei Schwestergesellschaften ist eine Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahlen
demgegenüber nicht vorgesehen (ebenso Jülicher, a.a.O., § 13a Rz 24,
115; R E 13a.4 Abs. 2 Satz 6 ErbStR 2011). Handelt es sich
bei der Besitzgesellschaft um eine Personengesellschaft, spielt die Höhe der
Beteiligung des Erblassers oder des Schenkers anders als bei
Kapitalgesellschaften (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) keine Rolle (§ 13b
Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

Der
Gewährung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG
hinsichtlich der Besitzgesellschaft steht die Überlassung der in ihrem Eigentum
befindlichen Wirtschaftsgüter an die Betriebsgesellschaft zur Nutzung nicht
entgegen. Die Nutzungsüberlassung als solche führt nicht zum Vorliegen von
Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG. Ob Verwaltungsvermögen
vorliegt, ist vielmehr für die einzelnen im Betriebsvermögen der
Besitzgesellschaft befindlichen Wirtschaftsgüter gesondert nach den in § 13b
Abs. 2 Satz 2 ErbStG bestimmten Merkmalen zu prüfen. Danach gehören
beispielsweise die Betriebsvorrichtungen, Fahrzeuge und gewerblichen
Schutzrechte, die die Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft zur Nutzung überlässt,
nicht zum Verwaltungsvermögen. Gleiches gilt für Forderungen der
Besitzgesellschaft gegen die Betriebsgesellschaft, wie insbesondere die Ansprüche
auf das Nutzungsentgelt sowie aus etwaigen Darlehen. Diese Forderungen sind nämlich
Wertpapieren nicht vergleichbar und zählen daher nach § 13b Abs. 2
Satz 2 Nr. 4 ErbStG nicht zum Verwaltungsvermögen. Die Grundstücke,
Grundstücksteile, grundstücksgleichen Rechte und Bauten, die die
Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft zur Nutzung überlässt, gehören
unter den in § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a
ErbStG bestimmten Voraussetzungen ebenfalls nicht zum Verwaltungsvermögen.

b)
Nach Auffassung des Senats fehlt es in diesem Zusammenhang an der
verfassungsrechtlich gebotenen Zielgenauigkeit der Verschonungsregelungen und
an einer folgerichtigen, an die Leistungsfähigkeit des Erwerbers anknüpfenden
Besteuerung; denn das Gesetz lässt es zu, dass in zahlreichen Fällen
aufgrund einer einfachen Gestaltung der Verschonungsabschlag im Ergebnis auch für
Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten beansprucht werden kann, ohne dass
es auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen ankommt.

c)
Das BMF hat sich zur rechtlichen Beurteilung dieser Gestaltungsmöglichkeit, die
bereits im BFH-Beschluss in BFHE 234, 368, BStBl II 2012, 29 aufgezeigt wurde
und von der nach den Ausführungen des BMF in der Praxis Gebrauch gemacht wird,
ebenfalls nicht geäußert.

8.
Freistellung als Regelfall, Besteuerung als Ausnahme

Die
Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG führen zusammen mit
zahlreichen anderen Verschonungen (z.B. die Tarifbegrenzung nach § 19a
ErbStG für bestimmte Erwerbe natürlicher Personen der Steuerklasse II oder
III [vgl. oben B.I.3.c] sowie gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a und 4b
ErbStG unter bestimmten Voraussetzungen zustehende Steuerbefreiungen im
Zusammenhang mit Familienheimen, und zwar unabhängig von deren Wert) und den
Freibeträgen des § 16 ErbStG dazu, dass nur ein geringer Teil der im
Grundsatz nach §§ 1, 2, 3 und 7 ErbStG steuerbaren Sachverhalte tatsächlich
mit Steuer belastet wird.

Dies
wird durch die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistiken 2010 und 2011 des
Statistischen Bundesamts bestätigt. Danach ergaben sich folgende Werte (in
1.000 €):

Erstmalige
Steuerfestsetzung im Jahr 2010 für das Steuerentstehungsjahr 2009 (S. 28
der Statistik 2010):

 

Land-
und forst­wirt­schaft­liches Vermögen:
83.145
Betriebs­ver­mögen: 1.003.709
Grund­ver­mögen: 3.893.604
übriges
Vermögen:
8.622.328

Erstmalige
Steuerfestsetzung im Jahr 2011 für das Steuerentstehungsjahr 2010 (S. 24
der Statistik 2011):

 

Land-
und forst­wirt­schaft­liches Vermögen:
115.093
Betriebs­ver­mögen: 1.607.659
Grund­ver­mögen: 4.617.004
übriges
Vermögen:
9.126.620

Dies
ist nach Ansicht des Senats mit den Anforderungen an eine gleichmäßige
Besteuerung nicht vereinbar (zutreffend Crezelius, ZEV 2012, 1, 3). Nach der
Ansicht des BVerfG (oben B.II.1.) kann zwar die Entlastung von der Steuer bei
Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe im Ausnahmefall in
verfassungsrechtlich zulässiger Weise sogar dazu führen, dass bestimmte
Steuergegenstände vollständig von der Besteuerung ausgenommen werden. Die
vollständige Befreiung bestimmter Steuergegenstände von der Besteuerung muss
danach aber die Ausnahme sein. Verfassungsrechtlich nicht zulässig ist es
demnach, wenn die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung
die Ausnahme ist.

III.
Maßgeblichkeitsprüfung

Für
die Entscheidung des Streitfalles kommt es auf die Gültigkeit des § 19
Abs. 1 ErbStG an (vgl. bereits oben B.II.2.).

1.
Sollte § 19 Abs. 1 ErbStG verfassungsgemäß sein, wäre die Revision
des Klägers nach § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.

2.
Sollte die Vereinbarkeit mit der Verfassung hingegen nicht gegeben sein, wäre
die Vorentscheidung auf die Revision des Klägers aufzuheben und der Klage
stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO), weil das
Fehlen einer den Steuersatz festlegenden Regelung die Festsetzung von
Erbschaftsteuer nicht zulassen würde, oder das Verfahren müsste gemäß § 74
FGO bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber ausgesetzt werden. Auch eine
solche Aussetzung wäre eine andere Entscheidung als im Falle der Gültigkeit des
Gesetzes (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter
B.I.1.).

Sollte
das BVerfG zu dem Ergebnis kommen, dass die weitgehende oder vollständige
Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem
Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder von Anteilen daran von der
Erbschaft- und Schenkungsteuer mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht
vereinbar ist, wäre der Gesetzgeber weder aus Rechtsgründen noch aus
offenkundigen tatsächlichen Gründen gehindert, auch für den Erwerb von
Privatvermögen unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen den §§ 13a und
13b ErbStG vergleichbare Steuervergünstigungen einzuführen (vgl. zu diesem
Gesichtspunkt BVerfG-Beschluss in BVerfGE 121, 108, unter B.I.).

Der
Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 19 Abs. 1 ErbStG
verfassungsgemäß ist, steht auch nicht entgegen, dass das BVerfG bei einer
Unvereinbarerklärung die weitere Anwendung des bisherigen Rechts anordnen kann,
auch wenn in diesem Fall der Rechtsstreit nicht anders zu entscheiden wäre als
bei Verfassungsmäßigkeit der Regelung (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE
117, 1, BStBl II 2007, 192, unter B.I.1., und in BVerfGE 121, 108, unter B.I.).

Schließlich
steht der Entscheidungserheblichkeit der Frage, ob § 19 Abs. 1 ErbStG
verfassungsgemäß ist, nicht entgegen, dass die in die verfassungsrechtliche Prüfung
einbezogenen §§ 13a und 13b ErbStG keinen unmittelbaren Anknüpfungspunkt
im Ausgangssachverhalt haben. Denn zum einen besteht von Verfassungs wegen
keine Veranlassung, die Zulässigkeit einer Richtervorlage auf den Vergleich mit
einer bestimmten, im Ausgangsfall betroffenen Vermögensart bzw. einer
bestimmten Verschonungsregelung zu beschränken (BVerfG-Beschluss in BVerfGE
117, 1, BStBl II 2007, 192, unter B.I.2.). Der Senat versteht § 19 Abs. 1
ErbStG nämlich als „Klammernorm“, über die Verstöße gegen den
Gleichheitssatz, die in den Bewertungs- und Verschonungsvorschriften angelegt
sind, erst ihre Wirkung entfalten. Dabei geht es nicht um verfassungswidrige
Ungleichbehandlungen, die in einzelnen Vorschriften enthalten sind. Vielmehr
vertritt der Senat die Auffassung, dass sich die gerügten Verfassungsverstöße
teils für sich allein, teils aber auch in ihrer Kumulation auf alle Teile des
ErbStG auswirken und zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden
verfassungswidrigen Fehlbesteuerung führen. Denn die Belastungswirkung dieser
Steuer erschließt sich erst aus dem Zusammenwirken des Steuertarifs mit den
ausdifferenzierten Regeln über die Bewertung der unterschiedlichen Vermögensarten
wie auch der Verschonungsregeln (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II
2007, 192, unter B.I.2.). So betrifft die gesetzlich zugelassene Möglichkeit,
Privatvermögen mittels der Betriebsvermögensverschonung in §§ 13a und 13b
ErbStG in nicht begrenzter Höhe steuerfrei zu vererben oder zu verschenken, über
die Tarifnorm zwangsläufig die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung des
gesamten sonstigen Vermögens (Privatvermögen). Dasselbe gilt für die
verfassungswidrige Überbegünstigung des Betriebsvermögens und des land- und
forstwirtschaftlichen Vermögens im Verhältnis zu allen anderen Vermögensarten.
Schließlich schlägt der Verstoß gegen die Grundsätze einer gleichmäßigen
Besteuerung auf das gesamte Gesetz durch.

3.
Diese nach Auffassung des Senats gegebenen Verfassungsverstöße können nicht
durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 19 Abs. 1 i.V.m. §§ 13a
und 13b ErbStG beseitigt werden. Die Voraussetzungen für eine solche Auslegung
(vgl. oben B.II.6.g) sind insoweit nicht erfüllt.

Die
Verfassungsverstöße betreffen nicht nur Einzelfragen, sondern auf vielfältige
Art und Weise den Kern des ErbStG. Da sowohl die Finanzverwaltung als auch die
Rechtsprechung an die Gesetze gebunden sind (Art. 20 Abs. 3 GG), können
sie die Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen weder durch eine mit dem
Gesetzeswortlaut nicht vereinbare Einschränkung der Steuervergünstigungen nach §§ 13a
und 13b ErbStG noch durch deren Ausdehnung auf den Erwerb von Privatvermögen
beseitigen. Dies wäre nur unter einer unzulässigen Verfälschung oder Verfehlung
der in den gesetzlichen Regelungen klar zum Ausdruck kommenden Zielsetzungen
des Gesetzgebers möglich. Eine verfassungskonforme Auslegung kann nach Ansicht
des Senats zudem nicht zu einer Ausdehnung der Besteuerung führen (ebenso Drüen,
Steuer und Wirtschaft 2012, 269, 278 ff.). Eine richterliche Einschränkung
von Steuervergünstigungen, die sich nicht mit den anerkannten Methoden der
Gesetzesauslegung rechtfertigen lässt, kann danach auch nicht mit einer
verfassungskonformen Auslegung begründet werden.

Der
Grundsatz der Gewaltenteilung, dem Art. 20 Abs. 2 GG Ausdruck
verleiht, schließt es aus, dass die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von
der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen worden sind, indem sie sich aus der
Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit
der Bindung an Gesetz und Recht entziehen. Richterliche Rechtsfortbildung darf
nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle
Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt. Der
Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des
Gesetzes entziehen; er muss vielmehr die gesetzgeberische Grundentscheidung
respektieren und bei der Gesetzesauslegung, auch bei der Rechtsfortbildung, den
anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgen (BVerfG-Beschluss vom 25. Januar
2011 1 BvR 918/10, BVerfGE 128, 193, unter B.I.3.b).

§ 13
Abs. 1 Nr. 18 ErbStG a.F., wonach lediglich Zuwendungen an politische
Parteien im Sinne des Parteiengesetzes, nicht aber an kommunale Wählervereinigungen
und ihre Dachverbände steuerbefreit waren, konnte demgemäß nicht
verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sich die Steuerbefreiung
auch auf kommunale Wählervereinigungen und ihre Dachverbände erstrecke.
Vielmehr verpflichtete das BVerfG den Gesetzgeber zu einer den
verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Neuregelung (BVerfG-Beschluss
in BVerfGE 121, 108).

Darüber
hinaus scheidet eine verfassungskonforme Auslegung auch deshalb aus, weil nicht
festgestellt werden kann, wie der Gesetzgeber das ErbStG ausgestaltet hätte,
wenn er die nach Auffassung des Senats vorliegenden Verfassungsverstöße erkannt
hätte. Eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich, wenn es mehrere Möglichkeiten
zur Beseitigung eines Verfassungsverstoßes gibt und nicht festgestellt werden
kann, in welcher Weise der Gesetzgeber –hätte er die Verfassungswidrigkeit der
Regelung erkannt– diese beseitigt hätte (BFH-Beschluss vom 10. August
2011 I R 39/10, BFHE 234, 396).

Teil C:
Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens

Da
der Senat die Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG bereits aus den
dargelegten Gründen als verfassungswidrig ansieht, kann auf sich beruhen, ob
die Vorschriften über die Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens
(§ 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 19 Abs. 1, § 151 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, § 157 Abs. 2, §§ 158 bis 175 BewG)
hinsichtlich der Bewertung des Wirtschaftsteils (§ 160 Abs. 2 BewG)
den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, obwohl sowohl das gesetzliche
Regelverfahren (§§ 162, 163 und 165 Abs. 1 BewG) als auch die
Ermittlung des Mindestwerts (§ 162 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2
i.V.m. § 164 BewG) an einen pauschalierten Ertragswert anknüpfen, und
welche Auswirkungen ein etwaiger Verfassungsverstoß auf die Tarifvorschrift des
§ 19 Abs. 1 ErbStG hätte.

Das
BVerfG hat im Beschluss in BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, unter C.II.4.
ausgeführt, die Ausrichtung der Bewertung des Betriebsteils nicht am Wertmaßstab
des gemeinen Werts, sondern am Ertragswert stelle einen Verstoß gegen die
Pflicht des Gesetzgebers zur folgerichtigen Ausgestaltung der
Belastungsentscheidung dar und sei deswegen mit Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar. Mit dem Bewertungsziel des Ertragswerts als eigenständiger
Wertkategorie neben dem gemeinen Wert werde bereits strukturell eine Erfassung
der im Vermögenszuwachs liegenden Steigerung der Leistungsfähigkeit des Erben
oder Beschenkten verfehlt, die sich aufgrund der der Erbschaftsteuer zugrunde
liegenden gesetzgeberischen Konzeption gerade nach dem bei einer Veräußerung
unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis, nicht aber allein nach dem
vermittels der Vermögenssubstanz erzielbaren Ertrag bemesse. Als
erbschaftsteuerliche Verschonungsmaßnahme sei die Wahl des Ertragswerts als
Wertmaßstab ungeeignet, weil sie bereits auf der Bewertungsebene ansetze und so
eine in ihrer Relation realitätsgerechte Erfassung der Vermögenswerte von
vornherein verhindere.

In
der Literatur wird dazu die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber sei dieser
Rechtsprechung des BVerfG bewusst nicht gefolgt. Es sei aber dennoch denkbar,
dass die Neuregelung der Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens
einer erneuten verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten werde (Moench/Hübner,
a.a.O., Rz 703).
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