BFH, Urteil vom 16.02.2011, X R 46 / 09

 

Tatbestand

I. Die
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine gemeinnützige Stiftung des
privaten Rechts und Alleinerbin der im Jahre 2006 verstorbenen R.
(Erblasserin). Die Erblasserin hatte im Jahre 1995 mit ihrem Ehemann ein
gemeinschaftliches Testament errichtet, in welchem sie sich gegenseitig zu
alleinigen Erben eingesetzt hatten. Ferner hatten sie bestimmt, dass nach dem
Tode des Nachversterbenden den Nachlass eine gemeinnützige auf ihrer beider
Namen lautende Stiftung erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemannes hatte die
Erblasserin erwogen, einen anderen gemeinnützigen Verein zu begünstigen. Ihre
juristischen Ratgeber rieten jedoch davon ab, da dies gegen die Bindungswirkung
des gemeinschaftlichen Testaments verstoße.

Nach dem Tode der Erblasserin errichtete ein
Nachlasspfleger die Stiftungssatzung. Im Jahre 2007 wurde die Klägerin von der
Aufsichtsbehörde genehmigt. Das Nachlassgericht erteilte darauf einen Erbschein,
nach dem die Klägerin Alleinerbin sei. Der Wert des Nachlasses übersteigt 1,4
Mio. €.

In der Einkommensteuererklärung für das Todesjahr 2006
der Erblasserin machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von 500.000 € als
Zuwendungen in den Vermögensstock einer Stiftung anlässlich deren Neugründung
nach § 10b Abs. 1a des Einkommensteuergesetzes in der für 2006 gültigen Fassung
(EStG) geltend. In der Folgezeit legte die Klägerin eine Spendenbescheinigung
vor, nach der die Erblasserin an ihrem Todestage der Klägerin 1 Mio. €
zugewendet habe. In der Spendenbescheinigung heißt es unter anderem, die
Zuwendung sei aufgrund des Testaments der Erblasserin anlässlich der
Neugründung der Klägerin innerhalb eines Jahres in ihren Vermögensstock
erfolgt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt
–FA–) ließ in dem Einkommensteuerbescheid 2006 die geltend gemachten
Aufwendungen unberücksichtigt. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das
Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010,
431 veröffentlicht ist, hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die
Aufwendungen seien nicht als Sonderausgaben der Erblasserin abziehbar, da sie
selbst keine Ausgaben geleistet habe. Für den Abfluss von Sonderausgaben gelte §
11 EStG. Das Vermögen der Erblasserin sei erst mit deren Tod kraft
Gesamtrechtsnachfolge auf die Klägerin übergegangen und deshalb nicht mehr zu
Lebzeiten der Erblasserin abgeflossen. Die Rückwirkungsfiktion in § 84 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bezwecke nur, der zum Todeszeitpunkt noch nicht
genehmigten und damit noch nicht rechtsfähigen Stiftung den Vermögenserwerb
durch Erbgang zu ermöglichen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung
von § 10b Abs. 1a EStG. Die Bezugnahme des FG auf die Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) zu Vermächtnissen (Senatsurteil vom 23. Oktober 1996 X R
75/94, BFHE 181, 472, BStBl II 1997, 239) hinsichtlich des Abflusszeitpunkts
der Aufwendungen sei unzulässig. Die Erfüllung eines Vermächtnisses sei eine
Leistung des Erben. Die Errichtung einer Stiftung von Todes wegen sei jedoch
eine vom Erblasser zu Lebzeiten freiwillig veranlasste Zuwendung aus seinem
Vermögen. Außerdem bedeute bei der Gesamtrechtsnachfolge „mit dem
Tode“ unmittelbar, d.h. ohne zeitlichen Zwischenraum zwischen Erbanfall
und Erbschaftserwerb –nicht einmal für eine juristische Sekunde–, so dass es
nie zu einer ruhenden oder herrenlosen Erbschaft komme (vgl. Palandt/Weidlich,
Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 1922 Rz 6).

Entgegen der Auffassung des FG sei die Erblasserin
auch nicht bis zum Zeitpunkt ihres Todes in der Verfügung über ihr Vermögen
frei gewesen. Vielmehr bestehe nach dem Tode des ersten Ehegatten eine Bindung
an wechselbezügliche Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments. Es fehle
auch nicht an der wirtschaftlichen Belastung der Erblasserin; diese falle mit
dem Zeitpunkt des Abflusses der Aufwendungen zusammen, welcher zu Lebzeiten der
Erblasserin stattgefunden habe. Der Abfluss der Zuwendungen sei in zeitlicher
Hinsicht der Sphäre der Erblasserin zuzuordnen. Die Erblasserin habe
Konsumverzicht geleistet und ihr Vermögen erhalten, um es einer gemeinnützigen
Stiftung zuzuführen; hierdurch sei die Erblasserin wirtschaftlich belastet
gewesen.

Außerdem werde für den Fall der Stiftungsgründung der
Abflusszeitpunkt bei der Erblasserin durch die Zuordnungsvorschrift des § 84
BGB konkretisiert. Diese Vorschrift sei im Hinblick auf den Erbanfall in das
Gesetz aufgenommen worden. Sie bewirke, dass das betreffende Vermögen zu einem
Zeitpunkt vor dem Tode des Erblassers als zugeflossen gelte. Da es sich bei dem
Zeitpunkt des Zu- und des Abflusses i.S. des § 11 EStG um einen einheitlichen
Zeitpunkt handele, folge aus § 84 BGB, dass die Zuwendung noch vor dem Tod der
Erblasserin aus ihrem Vermögen abgeflossen sei.

Die Nichtzulassung des Sonderausgabenabzugs
widerspreche zudem dem Zweck des § 10b EStG. Der Sonderausgabenabzug solle zu
förderungswürdigen Tätigkeiten im sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen
Bereich anregen. Durch das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements vom 10. Oktober 2007 (BGBl I 2007, 2332) seien rückwirkend zum 1.
Januar 2007 die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten für Zuwendungen an Stiftungen
verbessert worden. Deshalb sei eine restriktive Auslegung der bis zum 31. Dezember
2006 geltenden Gesetzesnorm verfehlt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid 2006 vom 31. März 2008 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13. November 2008 dahingehend zu ändern, dass die
Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision ist unbegründet und wird
zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Recht hat
das FA die Zuwendungen der Erblasserin an die Klägerin nicht zum
Sonderausgabenabzug nach § 10b Abs. 1a EStG zugelassen.

Nach § 10b Abs. 1a Satz 1 EStG in der im Streitjahr
2006 geltenden Fassung können Zuwendungen zur Förderung bestimmter als
gemeinnützig anerkannter Zwecke, die anlässlich der Neugründung in den
Vermögensstock einer Stiftung des öffentlichen Rechts oder einer nach § 5 Abs.
1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes steuerbefreiten Stiftung des privaten
Rechts geleistet werden, bis zu einem Betrag von 307.000 € neben laufenden
Zuwendungen als Sonderausgaben abgezogen werden. Nach § 10b Abs. 1a Satz 2 EStG
gelten als anlässlich der Neugründung geleistet Zuwendungen bis zum Ablauf
eines Jahres nach Gründung der Stiftung. Unter Zuwendungen im Sinne dieser
Regelung sind alle Wertabgaben zu verstehen, die aus dem geldwerten Vermögen
des Spenders zur Förderung des begünstigten Zwecks abfließen und bei dem
Spender zu einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung führen (Senatsurteil
vom 20. Februar 1991 X R 191/87, BFHE 164, 235, BStBl II 1991, 690, unter 3.).
Hieran fehlt es im Streitfall.

1. Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer (§ 2 Abs.
7 Satz 1 EStG). Die Grundlagen für ihre Festsetzung sind jeweils für ein
Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Die persönliche
Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG erlischt mit dem Tode. Der Verstorbene als
Steuerpflichtiger ist daher für das Sterbejahr mit den bis zum Todeszeitpunkt
erzielten Einkünften zu veranlagen. Das sind alle Einkünfte, die zu Lebzeiten
zu versteuern gewesen wären (Schmidt/Heinicke, EStG, 29. Aufl., § 1 Rz 14). Für
die Ermittlung der jeweiligen Besteuerungsgrundlagen gelten die allgemeinen
Einkommensermittlungsgrundsätze. Für die Abziehbarkeit von Sonderausgaben ist
gemäß § 11 Abs. 2 EStG der Zeitpunkt maßgebend, zu dem sie geleistet wurden
(Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 10 Rz 12; vgl. zum Sonderausgabenabzug im Falle
des Übergangs von der unbeschränkten zur beschränkten Steuerpflicht BFH-Urteil
vom 22. Januar 1992 I R 55/90, BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550).
Sonderausgaben können deshalb nur bei der Veranlagung der Erblasserin
berücksichtigt werden, wenn sie bis zum Todeszeitpunkt geleistet wurden.

2. Bis zum Tode der Erblasserin sind keine Spenden
i.S. von § 10b Abs. 1a i.V.m. § 11 Abs. 2 EStG abgeflossen, da sie bis dahin
keine Zuwendungen an die Klägerin geleistet hatte.

Eine Ausgabe ist in dem Zeitpunkt abgeflossen, in dem
der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Geld bzw. das
geldwerte Gut verliert (z.B. BFH-Urteil vom 8. Oktober 1985 VIII R 284/83, BFHE
146, 108, BStBl II 1986, 481, unter 2.b, m.w.N.). Hieran fehlt es für den
Zeitraum der persönlichen Steuerpflicht der Erblasserin, denn sie hat zu
Lebzeiten keine Ausgabe geleistet.

a) Bei der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1
BGB geht das Vermögen mit dem Tod als Erbfall unmittelbar und von selbst kraft
Gesetzes auf den Erben über (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 1922 Rz 2 und 6).
Auslösendes Moment für den Übergang der Erbschaft ist daher der Tod des
Erblassers. Erst mit dem Tod fließt das Erbe ab; mithin ist ein Abfluss noch zu
Lebzeiten des Erblassers nicht gegeben. Dass es sich bei Erbeinsetzungen –worauf
die Klägerin abstellt– um eine freiwillige Entscheidung des Erblassers zu
dessen Lebzeiten handelt, hat keine Auswirkung auf den Abflusszeitpunkt. Denn
die freiwillige Entscheidung, wem der Erblasser sein Vermögen nach seinem Tod
zuwenden möchte, bildet nur den ersten Schritt des Vermögensübergangs. Der
tatsächliche Abfluss des Vermögens findet aber erst mit dem Tod statt.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine
Zurechnung der Ausgaben zur Sphäre der Erblasserin auch nicht daraus, dass die
Erblasserin durch die Zuwendungen wirtschaftlich belastet gewesen sei,
insbesondere aufgrund der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments.
Diese Bindungswirkung bezieht sich nicht auf die zu vererbende Vermögensmasse
als solche. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2
FGO) haben die Eheleute im Streitfall die Voll- und Schlusserbfolge nach § 2269
Abs. 1 BGB gewählt. Sie haben sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und
nach dem Tode des Letztversterbenden die Klägerin als Erbin bestimmt. Hierdurch
wurde die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes dessen alleinige Vollerbin;
der Nachlass ihres Ehemannes vereinigte sich mit ihrem Vermögen in ihrer Hand
zu einem einheitlichen Vermögen. Was davon bei ihrem Tod noch vorhanden war,
ging dann auf die Klägerin als Schlusserbin über (Palandt/Weidlich, a.a.O., §
2269 Rz 3); nur dies zu ändern, untersagt § 2271 BGB. Zu Lebzeiten konnte die
Erblasserin über das Vermögen frei verfügen; sie hätte es beispielsweise für
sich verbrauchen können. Die persönliche Entscheidung der Erblasserin, mit dem
Vermögen so zu wirtschaften, dass nach ihrem Tode ein beträchtlicher Betrag der
Klägerin zufließen konnte, war ungeachtet ihrer sozialen Komponente eine
freiwillige Entscheidung, die ihr nicht durch die Bindungswirkung des
gemeinschaftlichen Testaments auferlegt war.

c) Auch eine einschränkende Auslegung des § 11 Abs. 2
EStG i.V.m. § 10b Abs. 1a EStG dahingehend, dass der Normzweck des § 10b Abs.
1a EStG eine Zuordnung der Zuwendungen zu der Sphäre der Erblasserin geböte,
kommt nicht in Betracht. Es ist zwar richtig, dass durch das Gesetz zur
weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements die steuerlichen
Abzugsmöglichkeiten für Zuwendungen an Stiftungen verbessert wurden. Diese
Entscheidung lässt aber keine teleologische Reduktion des § 11 Abs. 2 EStG
dahingehend zu, den nicht mehr zu Lebzeiten der Erblasserin stattfindenden
Abfluss der Zuwendungen ungeachtet des Endes ihrer persönlichen Steuerpflicht
ihr zuzurechnen, wenn anderenfalls eine Zuwendung an eine gemeinnützige
Einrichtung i.S. des § 10b EStG sich nicht steuermindernd auswirken würde.
Durch die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Spenden nach § 10b EStG soll
zwar zu privatem uneigennützigem Handeln zugunsten bestimmter, als besonders
förderungswürdig anerkannter gemeinnütziger Zwecke angeregt werden
(Senatsurteil vom 22. September 1993 X R 107/91, BFHE 172, 362, BStBl II 1993,
874, m.w.N.). Der Senat hat aber bereits ausgeführt, dass § 10b EStG keine
Abweichung von dem Abflussprinzip nach § 11 Abs. 2 EStG gebietet (Einzelheiten
vgl. Senatsurteil in BFHE 181, 472, BStBl II 1997, 239, unter 3.b bb). An
dieser Auffassung hält der Senat auch für den Streitfall fest.

Eine ausdrückliche Abweichung vom Abflussprinzip nach §
11 Abs. 2 EStG enthält § 10b Abs. 1a Satz 1 EStG insoweit, als die Vorschrift
zulässt, Stiftungsgründungsspenden auf Antrag wahlweise im Jahr der Zuwendung
oder in beliebiger Verteilung auf dieses oder die nachfolgenden neun Jahre als
Sonderausgaben abzuziehen. Anhaltspunkte für eine weitere, nicht ausdrücklich
normierte Einschränkung des § 11 Abs. 2 EStG dahingehend, dass die Zuwendungen
bereits für vor dem Abflusszeitpunkt liegende Zeiträume als Sonderausgaben
geltend gemacht werden können, sind nicht erkennbar.

d) Schließlich enthält die zivilrechtliche
Sonderregelung des § 84 BGB keine Konkretisierung des Abflusszeitpunkts von
Stiftungsgründungsspenden.

Zwar kann diese Vorschrift, wonach eine Stiftung, die
erst nach dem Tode des Stifters genehmigt wird, für die Zuwendungen des
Stifters als schon vor dessen Tod entstanden gilt, auch im Steuerrecht
Anwendung finden (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 2003 I R 85/02, BFHE 204,
72, BStBl II 2005, 149, unter II.1.). § 84 BGB bewirkt aber keine Vorverlegung
des Abflusszeitpunkts von Zuwendungen, sondern fingiert lediglich die Existenz
der sowohl von Todes wegen als auch unter Lebenden errichteten Stiftung, wenn
der Stifter vor der Genehmigung der Stiftung verstorben ist (Senatsurteil in BFHE
181, 472, BStBl II 1997, 239, unter 3.b cc; Geserich, in: Kirchhof/
Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10b Rz Ba 131). Die Vorschrift ermöglicht dem Stifter
die Erbeinsetzung der Stiftung, was ohne diese Regelung nach § 1923 Abs. 1 BGB
unzulässig wäre (MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl., § 84 Rz 1).
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