BAG, Urteil vom 24.01.2013, 2 AZR 140 / 12

 

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer
ordentlichen Kündigung und damit im Zusammenhang stehende Zahlungsansprüche.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit Juli 2007 als
Hilfskraft beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit
Schreiben vom 24. November 2009 zum 31. Dezember 2009.

3

Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage
erhoben. Für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag hat er
die Zahlung von Urlaubsabgeltung, für den Fall des Obsiegens ua. die Zahlung
von Annahmeverzugsentgelt für die Zeit von Januar bis Mai 2010 geltend gemacht.
Er hat die Auffassung vertreten, im Betrieb der Beklagten finde das
Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Beklagte beschäftige dort mehr als zehn
Arbeitnehmer. Das ergebe sich aus ihrem eigenen Lohnjournal. Es seien auch die
bei ihr tätigen Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Diese würden wie eigene
Arbeitnehmer im Betrieb eingesetzt. Die Kündigung sei zudem gemäß § 612a, §
242, § 134 BGB rechtsunwirksam. Da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung
nicht aufgelöst worden sei, schulde ihm die Beklagte Annahmeverzugslohn.

4

Der Kläger hat – soweit noch von Interesse – beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch
die Kündigung der Beklagten vom 24. November 2009 nicht aufgelöst wurde;

hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem
Feststellungsantrag,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.107,48 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar
2010 zu zahlen;

hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem
Feststellungsantrag,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn näher bestimmte Beträge
nebst Zinsen für den Zeitraum von Januar bis Mai 2010 zu zahlen.

5

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat
vorgetragen, bei ihr seien – einschließlich des Klägers – nur zehn Arbeitnehmer
beschäftigt gewesen. Ihre Geschäftsführerin und die sich in Rente befindliche
Firmengründerin seien keine weisungsgebundenen Arbeitnehmer. Der vom Kläger
genannte Herr S sei nicht bei ihr beschäftigt, sondern bei der Firma seiner
Ehefrau, die als Subunternehmerin für sie Transportleistungen erbringe. Die
weiteren vom Kläger angeführten Namen könne sie nur teilweise bestimmten
Personen zuordnen. Bei diesen handele es sich um Leiharbeitnehmer. Diese
wiederum seien bei der Berechnung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 3
KSchG nicht mitzuzählen. Die Kündigung sei auch nicht aus sonstigen Gründen
rechtsunwirksam, insbesondere nicht wegen Verstoßes gegen das
Maßregelungsverbot. Kündigungsgrund sei die „schlampige“ Arbeitsweise des
Klägers gewesen. Er sei mit Schreiben vom 13. November 2009 einschlägig
abgemahnt worden.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die
Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung der
beanspruchten Urlaubsabgeltung verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung
zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Hauptbegehren und
seinen von dessen Erfolg abhängigen Hilfsantrag weiter.

Gründe

7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils, soweit die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde,
und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der
bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den betrieblichen
Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht verneinen (I.). Ob das
Kündigungsschutzgesetz tatsächlich Anwendung findet und ob auch dann die
Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, steht noch nicht fest (II.).

8

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die
im Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmer seien bei der Bestimmung der
Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG schon deshalb nicht zu
berücksichtigen, weil sie nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten
stünden.

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1. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gilt das
Kündigungsschutzgesetz für nach dem 31. Dezember 2003 eingestellte Arbeitnehmer
nicht in Betrieben, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer
beschäftigt werden. Berücksichtigte man allein die in einem Arbeitsverhältnis
zur Beklagten stehenden Arbeitnehmer, fände es im Streitfall keine Anwendung.
Die Beklagte beschäftigte nicht mehr als zehn „eigene“ Arbeitnehmer.

10

2. Ob bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1
Satz 3 KSchG auch die im Betrieb tätigen Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen
sind, hat das Bundesarbeitsgericht bislang nicht entschieden. Im Schrifttum und
in der Instanzrechtsprechung ist die Auffassung vorherrschend, Leiharbeitnehmer
seien im Entleiherbetrieb bei der Bestimmung der Anzahl der Beschäftigten nicht
zu berücksichtigen. Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass
Leiharbeitnehmer nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stünden
(KR/Bader 10. Aufl. § 23 KSchG Rn. 41; KR/Weigand 9. Aufl. § 23 KSchG Rn. 41;
ErfK/Kiel 13. Aufl. § 23 KSchG Rn. 19; HaKo/Pfeiffer 4. Aufl. § 23 Rn. 23;
KDZ/Deinert 8. Aufl. § 23 KSchG Rn. 31; LAG Berlin 30. Januar 2001 – 3 Sa
2125/00 – zu I 2 der Gründe; aA: HK-ArbR/Schubert 2. Aufl. 2010 § 23 KSchG Rn.
29; kritisch auch BTM/Backmeister 4. Aufl. § 23 KSchG Rn. 14).

11

3. Richtig ist, zur Berechnung des Schwellenwerts nach § 23
Abs. 1 Satz 3 KSchG sämtliche für den Betriebsinhaber weisungsgebunden tätigen
und in den Betrieb eingegliederten Arbeitnehmer mitzuzählen, soweit mit diesen
ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf abgedeckt wird. Dabei kann es sich auch
um im Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer handeln, soweit ihr Einsatz der den
Betrieb im Allgemeinen kennzeichnenden Beschäftigungslage entspricht. Dies
ergibt die Auslegung der Bestimmung.

12

a) Der Wortlaut von § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gibt keinen
eindeutigen Aufschluss darüber, ob ausschließlich in einem Arbeitsverhältnis
zum Betriebsinhaber stehende Arbeitnehmer oder auch Leiharbeitnehmer
mitzuzählen sind.

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Das Gesetz spricht von „Arbeitnehmern“, die „im Betrieb
beschäftigt werden“. Dies lässt sowohl ein Verständnis zu, wonach es sich um
„eigene“ Arbeitnehmer des Betriebsinhabers handeln muss, als auch ein solches,
demzufolge sämtliche Arbeitnehmer zählen, die in den Betrieb eingegliedert und
dort in Weisungsabhängigkeit vom Betriebsinhaber tätig sind, unabhängig davon,
ob sie zum Betriebsinhaber selbst in einem Arbeitsverhältnis stehen. Wäre das
zuletzt genannte Verständnis zutreffend, wären „in der Regel beschäftigte“
Leiharbeitnehmer mitzuzählen. Auch diese sind Arbeitnehmer, sind in den Betrieb
des Entleihers eingegliedert und dort diesem gegenüber weisungsgebunden tätig
(BAG 18. Oktober 2011 – 1 AZR 335/10 – Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 70 =
EzA BetrVG 2001 § 111 Nr. 8; 28. Juni 2000 – 7 AZR 45/99 – zu III 2 der Gründe,
BB 2001, 98; 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 – zu III 1 der Gründe, BAGE 67,
124; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 120 Rn. 5). Dementsprechend ist die
Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Stammarbeitnehmers als sog.
Austauschkündigung unwirksam, wenn sein Arbeitsplatz anschließend mit einem
Leiharbeitnehmer besetzt werden soll (vgl. BAG 26. September 1996 – 2 AZR
200/96 – zu II 2 d der Gründe, BAGE 84, 209). Beschäftigt der Arbeitgeber
Leiharbeitnehmer, um mit ihnen ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes
(Sockel-)Arbeitsvolumen abzudecken, kann außerdem von freien Arbeitsplätzen
iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG auszugehen sein, auf denen sonst zur Kündigung
anstehende Stammarbeitnehmer beschäftigt werden können (BAG 15. Dezember 2011 –
2 AZR 42/10 – Rn. 30, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 21 = EzA KSchG § 1
Soziale Auswahl Nr. 84).

14

b) Die Gesetzessystematik und der Regelungszusammenhang
geben ebenso wenig Aufschluss über das zutreffende Verständnis. Zwar regelt § 1
KSchG den allgemeinen Kündigungsschutz im Verhältnis des Arbeitnehmers zu
seinem Arbeitgeber. Das Kündigungsschutzgesetz betrifft damit nach seinem
persönlichen Geltungsbereich allein die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien
eines Arbeitsverhältnisses. Für seinen betrieblichen Anwendungsbereich knüpft §
23 Abs. 1 Satz 3 KSchG jedoch an die Größe des Betriebs gemessen an der Zahl
der dort beschäftigten Arbeitnehmer an. Es ist unter systematischen
Gesichtspunkten nicht zwingend, dass auch damit nur „eigene“ Arbeitnehmer des
Arbeitgebers und Betriebsinhabers gemeint sein können. Ein bestimmter vom
Gesetzgeber innerhalb eines Gesetzeswerks verwandter Begriff kann im jeweiligen
Regelungszusammenhang vielmehr eine unterschiedliche Bedeutung haben (vgl. nur
BAG 18. Oktober 2011 – 1 AZR 335/10 – Rn. 19, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 70 = EzA
BetrVG 2001 § 111 Nr. 8). Die Betriebsgröße, dh. die Anzahl der in einem
Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer muss sich deshalb nicht zwingend danach
richten, wie viele Arbeitnehmer zum Betriebsinhaber selbst in einem
Arbeitsverhältnis stehen und ihm gegenüber ggf. Kündigungsschutz beanspruchen
können. Dies zeigt sich etwa daran, dass im Gemeinschaftsbetrieb auch die
Arbeitnehmer des jeweils anderen Mitinhabers, obwohl sie nur zu diesem in einem
Arbeitsverhältnis stehen, die Größe des Betriebs iSv. § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG
mitbestimmen.

15

c) Aus der Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich ein
bestimmter Regelungswille des Gesetzgebers nicht ableiten. Soweit aus den
Materialien ersichtlich, ist in den Gesetzgebungsverfahren weder zur aktuellen
Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG noch zu den Vorläuferregelungen
erörtert worden, ob Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb bei der Bestimmung der
Betriebsgröße zu berücksichtigen sein können. Umgekehrt lässt sich aus dem
Umstand, dass dazu keine ausdrückliche Regelung getroffen ist, nicht schließen,
ihre Berücksichtigung solle ausgeschlossen sein.

16

aa) Eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die der Gesetzgeber
in seinen Willen aufgenommen haben könnte, gab es zu dieser Frage nicht. Zwar
hat das Bundesarbeitsgericht zu § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Fristen zur
Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 angenommen, als „im Betrieb
beschäftigte Angestellte“ im dortigen Sinne seien nur diejenigen Angestellten
mitzuzählen, die in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stünden (BAG 16.
Februar 1983 – 7 AZR 118/81 – zu II der Gründe, BAGE 41, 374). Das Gesetz
stelle nicht auf die Funktion ab, sondern auf den Status eines Angestellten,
der ein Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber voraussetze (BAG 16. Februar 1983
– 7 AZR 118/81 – aaO). Dies lässt sich aber nicht auf § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG
übertragen. Die Bestimmungen betreffen verschiedene Regelungsbereiche. Der
Statusbegriff des Angestellten spielt im Kündigungsschutzgesetz keine Rolle. Im
Übrigen ist das Gesetz über die Fristen zur Kündigung von Angestellten 1983
außer Kraft getreten, so dass es bei den letzten Novellierungen von § 23 Abs. 1
KSchG im Jahr 2003 schon lange nicht mehr galt.

17

bb) Außerdem haben sich die Rahmenbedingungen für den
Einsatz von Leiharbeitnehmern infolge der zunächst sukzessiven Verlängerung und
schließlich Abschaffung der Höchstdauer einer Überlassung verändert (vgl. zur
Rechtsentwicklung: Thüsing/Waas AÜG 3. Aufl. § 1 Rn. 9 ff.; Ulber AÜG 3. Aufl.
Einleitung B Rn. 15 ff.). Arbeitgeber mit zehn oder weniger eigenen
Arbeitnehmern können mittlerweile einen ggf. weit höheren regelmäßigen
Beschäftigungsbedarf durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern abdecken. Dabei
kommt es nicht darauf an, welche Bedeutung der mit Wirkung vom 1. Dezember 2011
in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG aufgenommenen Formulierung zukommt, die Überlassung
von Arbeitnehmern an Entleiher erfolge „vorübergehend“. Selbst wenn danach nur
ein jeweils vorübergehender Einsatz der einzelnen Leiharbeitnehmer als Personen
zulässig wäre, könnte durch ihren ständigen Austausch auch ein regelmäßiger
Beschäftigungsbedarf abgedeckt werden.

18

cc) Der Umstand, dass der Gesetzgeber des Jahres 2001 in § 7
Satz 2 BetrVG die Wahlberechtigung von Leiharbeitnehmern zur Wahl eines
Betriebsrats im Entleiherbetrieb ausdrücklich geregelt hat, rechtfertigt keinen
Umkehrschluss dahin, Leiharbeitnehmer seien, da es im Kündigungsschutzgesetz an
einer vergleichbaren Regelung fehle, für die Bestimmung der Betriebsgröße nach
§ 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG nicht zu berücksichtigen. Dass der Gesetzgeber
Regelungsbedarf im Betriebsverfassungsrecht gesehen hat, besagt nichts darüber,
aus welchen Gründen er im Kündigungsschutzgesetz eine Regelung unterlassen hat.

19

dd) Aus § 14 Abs. 1 AÜG lässt sich für die Auslegung von §
23 Abs. 1 Satz 3 KSchG nichts ableiten. Nach dieser Bestimmung bleiben
Leiharbeitnehmer zwar betriebsverfassungsrechtlich während der Zeit ihrer
Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des
Verleihers. Gleichwohl ordnet § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG das Mitbestimmungsrecht
des im Entleiherbetrieb gebildeten Betriebsrats beim Einsatz von
Leiharbeitnehmern nach § 99 Abs. 1 BetrVG an (vgl. dazu BAG 23. Januar 2008 – 1
ABR 74/06 – Rn. 22, BAGE 125, 306). Für einen Willen des Gesetzgebers,
Leiharbeitnehmer seien bei der Bestimmung der Betriebsgröße des
Entleiherbetriebs nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG nicht mitzuzählen, lässt sich
dem nichts entnehmen.

20

d) Die zutreffende Lesart von § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG folgt
aus dem Regelungszweck. Sinn und Zweck der Herausnahme von Kleinbetrieben aus
dem allgemeinen Kündigungsschutz nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG gebieten unter
Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG ein Verständnis, wonach Leiharbeitnehmer
im Entleiherbetrieb bei der Bestimmung der Betriebsgröße insoweit mitzuzählen
sind, wie ihr Einsatz einem „in der Regel“ vorhandenen Beschäftigungsbedarf
entspricht. Es kommt dabei nicht entscheidend darauf an, für welche Zeitdauer
der jeweils einzelne Leiharbeitnehmer im Betrieb eingesetzt ist. Auch dann,
wenn auf einem Arbeitsplatz ständig wechselnde Leiharbeitnehmer eingesetzt werden,
ist dieser, soweit er die regelmäßige Belegschaftsstärke kennzeichnet, zu
berücksichtigen.

21

aa) § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG benachteiligt die Arbeitnehmer
in Kleinbetrieben im Vergleich zu Arbeitnehmern in größeren Betrieben. Zwar
sind sie nicht schutzlos Kündigungen ausgeliefert, die auf willkürlichen oder
auf sachfremden Motiven beruhen. Wo die Bestimmungen des
Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, werden die Arbeitnehmer durch die
zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung
des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Soweit unter mehreren
Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche
Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein
gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme. Gleichwohl darf der durch die
Generalklauseln vermittelte Schutz nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmen
praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der
Sozialwidrigkeit auferlegt werden (vgl. zu § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG idF v. 26.
April 1985 BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B II 2 und B I 3 b cc der
Gründe, BVerfGE 97, 169).

22

bb) Die Benachteiligung von Arbeitnehmern in Kleinbetrieben
bedarf wegen Art. 3 Abs. 1 GG der verfassungsrechtlichen Legitimation. Diese
liegt darin, dass in Kleinbetrieben häufig eine enge persönliche Zusammenarbeit
stattfindet, dass Kleinbetriebe regelmäßig eine geringere Finanzausstattung
aufweisen, die sie häufig außerstande setzt, Abfindungen bei Auflösung des
Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger
benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen, und dass der
Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozess mit sich bringt, den
Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen belastet (BVerfG 27. Januar
1998 – 1 BvL 15/87 – zu B I 3 b bb und B II 4 b aa der Gründe, BVerfGE 97, 169;
BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – Rn. 21, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 48 = EzA
KSchG § 23 Nr. 37; 19. April 1990 – 2 AZR 487/89 – zu II 2 a bb der Gründe,
BAGE 64, 315). Ggf. ist durch eine verfassungskonforme Auslegung des
Betriebsbegriffs sicherzustellen, dass nicht auch solchen Arbeitnehmern der
allgemeine Kündigungsschutz entzogen wird, deren Beschäftigungsbetrieb bei
objektiver Betrachtung gerade nicht die typischen Merkmale eines Kleinbetriebs
im dargelegten Sinne aufweist (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B II 4
b bb der Gründe, aaO; vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – Rn. 21, Rn.
25, aaO).

23

cc) Danach ist es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen
geboten, bei der für die Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigenden
Zahl von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern nicht danach zu differenzieren,
ob diese in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen oder nicht. Der
Gesetzgeber hat die Grenze für einen Kleinbetrieb bei der Beschäftigung von
zehn Arbeitnehmern im Betrieb gezogen. Diese Festlegung stellt eine
Generalisierung dar, die grundsätzlich von der dem Gesetzgeber zukommenden
Einschätzungsprärogative gedeckt ist (vgl. BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87
– zu B II 4 b aa der Gründe, BVerfGE 97, 169). Rechtfertigt es danach die
Beschäftigung von mehr als zehn Arbeitnehmern nicht mehr, den Betrieb aus dem
Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes herauszunehmen, gilt dies sowohl
für den Fall, dass mehr als zehn eigene Arbeitnehmer beschäftigt werden, als
auch für den Fall, dass der weitere regelmäßige Beschäftigungsbedarf durch
Leiharbeitnehmer abgedeckt wird. Der Grad der persönlichen Zusammenarbeit, die
Finanzausstattung des Betriebs und dessen Belastbarkeit durch erhöhten
Verwaltungsaufwand hängen nicht davon ab, ob der Arbeitgeber regelmäßigen
Beschäftigungsbedarf durch eigene Arbeitnehmer oder durch Leiharbeitnehmer
abdeckt. Es macht für die Bestimmung der finanziellen Leistungsfähigkeit und
Belastbarkeit des Entleihers keinen Unterschied, ob die Arbeitsplätze mit
eigenen Arbeitnehmern oder mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Leiharbeitnehmer
besetzen diese wie eigene Arbeitnehmer und unterliegen dem Weisungsrecht des
Entleihers (zu § 111 BetrVG vgl. BAG 18. Oktober 2011 – 1 AZR 335/10 – Rn. 19,
AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 70 = EzA BetrVG 2001 § 111 Nr. 8). Durch den Einsatz
von Leiharbeitnehmern entstehen vergleichbare Personalkosten. Der Entleiher hat
zwar den Leiharbeitnehmern kein Arbeitsentgelt, er hat jedoch dem
Verleihunternehmen das vereinbarte Entgelt für deren Überlassung zu entrichten.
Auch die Erwägung, jenseits der Grenze von zehn Arbeitnehmern sei
typischerweise nicht mehr von einer für Kleinbetriebe kennzeichnenden engeren
persönlichen Zusammenarbeit auszugehen, gilt unabhängig davon, ob die
Beschäftigten eigene Arbeitnehmer oder Leiharbeitnehmer sind.

24

dd) Da § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auf die „in der Regel“ im
Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer abstellt, kommt es für die Betriebsgröße
nicht auf die zufällige tatsächliche Anzahl der Beschäftigten [im Zeitpunkt des
Kündigungszugangs] an. Maßgebend ist die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen
für den Betrieb kennzeichnend ist (BAG 24. Februar 2005 – 2 AZR 373/03 – zu B I
1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 34 = EzA KSchG § 23 Nr. 28). Zur
Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es deshalb eines
Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer
Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung; Zeiten außergewöhnlich hohen oder
niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen (BAG 24. Februar
2005 – 2 AZR 373/03 – aaO; 22. Januar 2004 – 2 AZR 237/03 – zu II 1 a der
Gründe, BAGE 109, 215). Dies gilt auch mit Blick auf Leiharbeitnehmer. Werden
diese zur Vertretung von Stammarbeitnehmern beschäftigt, zählen sie
grundsätzlich nicht mit. Sie zählen – ebenso wenig wie vorübergehend
beschäftigte eigene Arbeitnehmer – auch dann nicht mit, wenn sie nur zur
Bewältigung von Auftragsspitzen eingesetzt werden, die den allgemeinen
Geschäftsbetrieb nicht kennzeichnen. Dagegen sind sie mitzuzählen, soweit ihre
Beschäftigung dem „Regelzustand“ des Betriebs entspricht, soweit also bestimmte
Arbeitsplätze im fraglichen Referenzzeitraum stets mit Arbeitnehmern besetzt
waren bzw. sein werden, sei es mit eigenen Arbeitnehmern des Betriebsinhabers,
sei es, etwa nach deren Ausscheiden oder „immer schon“ mit (wechselnden)
Leiharbeitnehmern.

25

II. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist nicht
ausgeschlossen, dass die Kündigung der Beklagten vom 24. November 2009 der
sozialen Rechtfertigung nach dem Kündigungsschutzgesetz bedarf. Die Beklagte
beschäftigte im Zeitpunkt der Kündigung zehn eigene Arbeitnehmer und außerdem
zumindest eine Leiharbeitnehmerin. Feststellungen dazu, ob deren Einsatz auf
einem regelmäßigen Beschäftigungsbedarf beruhte, hat das Landesarbeitsgericht –
nach seiner Rechtsauffassung konsequent – nicht getroffen.

26

III. Die Sache war nach § 563 Abs. 1, Abs. 3 ZPO an das
Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht etwa deshalb
abschließend selbst entscheiden, weil feststünde, dass die Kündigung unabhängig
von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes rechtsunwirksam ist. Das
Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe keine Umstände dargelegt,
die die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 242 BGB oder nach § 612a BGB iVm. §
134 BGB begründen könnten. Hiergegen hat der Kläger keine Verfahrensrügen
erhoben.

27

IV. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht
den Parteien Gelegenheit zu geben haben, ergänzend zur Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes vorzutragen. Die Darlegungs- und Beweislast für die
betrieblichen Geltungsvoraussetzungen nach § 23 Abs. 1 KSchG trägt
grundsätzlich der Arbeitnehmer (BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR 131/07 – Rn. 29,
AP KSchG 1969 § 23 Nr. 43 = EzA KSchG § 23 Nr. 33; 26. Juni 2008 – 2 AZR 264/07
– Rn. 17 und 20, BAGE 127, 102). Etwaigen Schwierigkeiten, die sich mangels
eigener Kenntnismöglichkeiten ergeben, ist durch die Grundsätze der abgestuften
Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen (BAG 23. Oktober 2008 – 2 AZR
131/07 – Rn. 30, aaO; 26. Juni 2008 – 2 AZR 264/07 – Rn. 26, aaO).

28

Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass
der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes eröffnet ist,
wird es weiter zu prüfen haben, ob die Kündigung vom 24. November 2009 gem. § 1
Abs. 1 und Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist.

29

V. Von der Zurückverweisung umfasst sind die für den Fall
des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellten Anträge auf Zahlung von
Annahmeverzugsentgelt für die Zeit von Januar bis Mai 2010. Der Anspruch hängt
von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. November 2009 ab. Sollte das
Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, die Kündigung vom 24. November
2009 habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, und dem Kündigungsschutzantrag
stattgeben, hat es seine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von
Urlaubsabgeltung aufzuheben und für gegenstandslos zu erklären (vgl. BGH 14.
Dezember 1988 – IVa ZR 209/87 – zu IV der Gründe, BGHZ 106, 219). Anderenfalls
verbleibt es bei deren Rechtskraft.
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