Aktiengesetz

Zur  Zulässigkeit gesellschaftsvertraglicher „Russian Roulette“-Klauseln

Prof. Dr. Rainer Lorz, LL.M., Rechtsanwalt, Stuttgart

Problemstellung

In zweigliedrigen Personen und Kapitalgesellschaften mit identischer Gesellschaftsbeteiligung der beiden Gesellschafter, bei Gemeinschaftsunternehmen oder Joint Ventures stellt sich im Rahmen der Vertragsgestaltung die Thematik, wie vor dem Hintergrund der gegebenen Pattsituation auf Streitigkeiten im Gesellschafterkreis reagiert werden kann. Der vorausschauende Vertragsgestalter wird versuchen, bereits im Vorhinein im Gesellschaftsvertrag oder in Sondervereinbarungen hierzu Antworten auf typische Konfliktsituationen zu liefern, um Konfliktpotenzial und die mit einer Nichteinigung häufig verbundene Notwendigkeit der gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Streitbeilegung so weit als möglich zu vermeiden. Jedoch lässt sich nicht jede denkbare Konfliktsituation antizipieren. Auch gilt es regelmäßig Wege aufzuzeigen, wie die Gemeinschaft im Gesamten aufgelöst werden kann, wenn aufgrund tiefgreifender Zwistigkeiten der Gesellschafter eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist und wegen der Pattsituation eine Selbstblockade der Gesellschaftsorgane droht.

Zur Auflösung eines entsprechenden „deadlock“ wird in der Praxis nicht selten auf Vertragsklauseln zurückgegriffen, wonach einer der Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen und auf der Grundlage eines im Voraus festgelegten Verfahrens die Beteiligung des Mitgesellschafters erwerben kann, um auf diese Weise klare Entscheidungsstrukturen und die Handlungsfähigkeit des Unternehmens wiederherzustellen. Die Spielarten entsprechender, meist plastisch bezeichneter Bestimmungen sind mannigfaltig und reichen von „Russian Roulette“-Klauseln bis hin zu sog. „Shoot-Out“ oder „Texan Shoot- Out“-Klauseln (ausf. Schulte/Sieger, NZG 2005, 24; Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713).

Zum Sachverhalt

Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des OLG Nürnberg war eine im Gesellschaftsvertrag einer KG als „Chinesische Klausel“ bezeichnete Bestimmung, wonach jeder der Kommanditisten berechtigt ist, dem anderen seinen Kommanditanteil unter Nennung eines bestimmten Preises zum Ankauf anzubieten. Für den Fall der Nichtannahme eines solchen Angebots sollte der Angebotsempfänger verpflichtet sein, seine Beteiligung zu den Bedingungen des Angebots an den Anbietenden zu verkaufen und zu übertragen. Flankiert wurde diese Bestimmung, die wegen der Unvorhersehbarkeit des Verfahrensausgangs in der Tat Elemente des „Russischen Roulettes“ aufweist, durch die Regelung, dass der Ausscheidende verpflichtet ist, mit Zahlung des Kaufpreises für seinen Anteil sämtliche von ihm innegehabte Ämter in der Unternehmensgruppe niederzulegen, insbesondere in einer AG, an der die KG ursprünglich in Höhe von 100 % und im Zeitpunkt des Vollzugs der Klausel noch mit 44 % beteiligt gewesen ist.

Der Beklagte unterbreitete dem Kläger ein entsprechendes Angebot zum Ankauf seines KG-Anteils zum Kaufpreis von 1,35 Mio. €, welches der Kläger annahm. Nach erfolgter Übertragung seiner Beteiligung auf den Kläger erklärte der Beklagte die Niederlegung seines Vorstandsamtes bei der Beteiligungs-AG, wurde aber von deren Aufsichtsrat keine drei Monate später wieder zum Vorstand bestellt. Hiergegen wandte sich der Kläger unter Berufung auf die getroffenen Vereinbarungen, letztlich aber ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Der hier interessierende Teil der Entscheidung sind die Ausführungen des OLG Nürnberg zur Zulässigkeit der Ausstiegsklausel im Gesellschaftsvertrag der KG. Insoweit wirft das Gericht die Frage nach deren Vereinbarkeit mit der ständigen Rechtsprechung des BGH auf, wonach Vereinbarungen, die es erlauben, einzelne Gesellschafter auch ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes, nach freiem Ermessen aus der Gesellschaft auszuschließen (Hinauskündigung) wegen des hiermit verbundenen Verstoßes gegen in § 138 BGB inkorporierte Prinzipien des Gesellschaftsrechts als nichtig anzusehen sind (vgl. etwa BGHZ 81, 263, 266 ff.; BGHZ 105, 213, 216 ff.; zur GmbH BGHZ  112, 103, 107; ausf. Darstellung der Rspr. bei Kirchdörfer/Lorz, FS Hennerkes 2009, S. 343, 350 ff.).

Begründet wird diese Haltung damit, dass entsprechende Klauseln nicht nur die Gefahr eines Ausschlus- ses aus sachfremden Erwägungen begründen, sondern zugleich einer Willkürherrschaft einzelner Gesellschafter oder der Gesellschaftermehrheit insgesamt Vorschub leisten, weil es die anderen Gesellschafter aus Furcht vor dem „Damoklesschwert der Hinauskündigung“ nicht wagen, ihre gesetzlichen oder vertraglichen Rechte wahrzunehmen. Ausnahmen sollen nach dem BGH nur dann gelten, wenn die „Hinauskündigungsklausel“ oder eine vergleichbare schuldrechtliche Vereinbarung der Gesellschafter wegen besonderer Umstände sachlich gerechtfertigt ist (vgl. etwa BGHZ 164, 98, 103 ff. für den Fall der Management-Beteiligung).

Das OLG Nürnberg richtet die Prüfung der Zulässigkeit der gesellschaftsvertraglichen „Russian Roulette“-Klausel an dieser Rechtsprechung aus, weil auch hierdurch die Möglichkeit eröffnet werde, einen Gesellschafter gegen dessen Willen aus der Gesellschaft auszuschließen. Beispielhaft wird etwa die Situation genannt, dass zwischen den beteiligten Gesellschaftern große Unterschiede in der Finanzkraft bestehen oder der Fall, dass ein Gesellschafter aus steuerlichen oder unternehmensstrategischen Gründen überhaupt nicht zu einem Erwerb der Beteiligung des anderen in der Lage ist. Eine Sittenwidrigkeit und damit Unwirksamkeit der Klausel lehnt das Gericht im Ergebnis aber ab. Zum einen würden im konkreten Fall keine wirtschaftlichen Disparitäten vorliegen, die im Kern eine nur einseitige Wirkungsweise der Klausel zur Folge haben würden. Das grundsätzlich stets bestehende Missbrauchsrisiko rechtfertige jedenfalls nicht das Eingreifen des Verdikts der Sittenwidrigkeit. In einem zweiten, weitergehenden Begründungsstrang sieht das Gericht in der spezifischen Zwecksetzung der Klausel nämlich einen Lösungsmechanismus für den Fall einer Selbstblockade der Gesellschaft zu liefern eine sachliche Rechtferti- gung im Sinne der BGH-Rechtsprechung zur Hinauskündigung.

Mit diesem Ergebnis stimmt das Gericht mit der einschlägigen Literatur überein, die entsprechende Klauseln ebenfalls als zulässig ansieht (vgl. etwa Schulte/Sieger, NZG 2995, 24, 27 ff. Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713, 2715 ff.; ausf. Becker, Die Zulässigkeit von Hinauskündigungs- klauseln nach freiem Ermessen im Gesellschaftsvertrag, 2010, S. 137 ff.). Einschränkend gilt es allerdings anzumerken, dass die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts trotz ihrer Ausführlichkeit als obiter dicta anzusehen sind. Im Ergebnis wurde die Klage nämlich deshalb abgewiesen, weil die vorliegende Konstellation, bei der der Beklagte seine Vorstandsposition zunächst im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus der KG niedergelegt hatte, später aber vom Aufsichtsrat der operativen AG wie- der in deren Vorstand berufen wurde, von der gesellschaftsvertraglichen Regelung auch bei deren ergänzender Auslegung nicht erfasst wurde.

Praktische Bedeutung

Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist für die Praxis insoweit von Bedeutung, als sie eine erste ober- gerichtliche Leitlinie für die Beurteilung  gesellschaftsvertraglicher „Russian Roulette“-Klauseln liefert. Der formale Prüfungsmaßstab der Hinauskündigungs-Rechtsprechung des BGH passt jedoch nur in den Fällen, in denen die Regelung im Kern auf ein einseitiges Übernahmerecht hinausläuft, insbesondere, weil aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nur einer der Gesellschafter in der Lage ist, die Beteiligung zu übernehmen. Die weitergehende Argumentation des OLG Nürnberg, wonach die Verwendung einer „Russian Roulette“-Klausel aufgrund des hiermit verbundenen Zweckes sachlich gerechtfertigt und somit als Ausnahme vom Grundsatz der Sittenwidrigkeit der Hinauskündigung anzusehen sei, erscheint allerdings etwas apodiktisch. Ohnehin spricht mehr dafür, die vom BGH noch praktizierte Inhaltskontrolle der Hinauskündigungsklausel durch eine bloße nachträgliche Kontrolle der Rechtsausübung als den schlüssigeren und konsequenteren Lösungsansatz zu ersetzen (i.d.S. etwa Grunewald, DStR 2004, 1750, 1751; Sosnitza, DStR 2006, 99, 103; ausf. Kirchdörfer/Lorz, FS Hennerkes, 2009, S. 343, 352 f.). Hierdurch würden sich auch die Fälle der missbräuchlichen Ausnutzung solcher „Russian Roulette“-Klauseln angemessen bewältigen lassen, die das OLG Nürnberg bei seiner Argumentation vor allem im Blick hat.